VwGH 84/10/0084

VwGH84/10/008418.6.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schima und die Hofräte Mag. Onder, Dr. Hnatek, Dr. Stoll und Dr. Zeizinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hinterwirth, über die Beschwerde des HH derzeit in der Strafvollzugsanstalt Stein, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt Dr. Kurt Kreissl in Wien I, Vorlaufstraße 5, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 6. Dezember 1983, Zl. 0/92‑4312/285‑1983, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Verwaltungsstrafsache wegen Lärmerregung als verspätet, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §33 Abs3
BAO §108 Abs4 implizit
VwGG §13 Abs1 Z2
ZustG §14
ZustG §2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1984100084.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer z.Hd. des Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe Dr. Kurt Kreissl Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus einem entsprechenden Bericht des Magistrates der Stadt Krems an der Donau war bekannt, daß der Beschwerdeführer sich voraussichtlich bis 30. September 1984 im „kg. Gefangenenhaus Krems“ in Haft befinden werde; deshalb wurde ihm von der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau deren Straferkenntnis vom 18. Juli 1983 wegen zweier Verwaltungsübertretungen der ungebührlicherweise erfolgten Erregung störenden Lärms am 17. September 1983 im Weg über die Haftanstalt zugestellt. Die mit 27. September 1983 datierte, an die genannte Bezirksverwaltungsbehörde adressierte und laut Postaufgabestempel vom 5. Oktober 1983 an diesem Tag in Salzburg zur Post gegebene Berufung des Beschwerdeführers gegen das genannte Straferkenntnis wurde mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Salzburger Landesregierung (in der Folge: belangte Behörde) im Hinblick auf diesen Postaufgabezeitpunkt als verspätet zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht auf meritorische Erledigung seiner Berufung verletzt. Er behauptet inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragt deshalb, den angefochtenen Bescheid aufzuheben. Zur Begründung der behaupteten Rechtswidrigkeit bringt der Beschwerdeführer vor, er habe die Berufung am 28. September 1983 der Gefangenenhausleitung übergeben, welche sie offenbar irrtümlich an das Landesgericht Salzburg übermittelt habe, wo sie erst am 5. Oktober 1983 zur Post gegeben worden sei. Da bei Anstaltshäftlingen für das Einlangen der Rechtsmittel der Tag der Übergabe an die Gefangenenhausleitung maßgebend sei, wäre die Berufung des Beschwerdeführers als rechtzeitig überreicht anzusehen gewesen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Sie hält dem Vorbringen des Beschwerdeführers entgegen, es fehle jeder Beweis dafür, daß der Beschwerdeführer die Berufung der Leitung der Strafvollzugsanstalt Krems übergeben habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Frage, ob bereits der Weg eines (richtig adressierten) Rechtsmittels, welches (im Hinblick auf die Überwachung des Briefverkehrs) von einem Gefangenen der Anstalt, in welcher er angehalten wird, zur Postaufgabe überreicht wurde, ab Übergabe an die Leitung des Gefangenenhauses (die Zensurstelle) dem Postlauf zuzurechnen ist (vgl. etwa § 33 Abs. 3 AVG 1950, § 108 Abs. 4 BAO), wurde vom Verwaltungsgerichtshof unterschiedlich beantwortet. Teils wurde die Frage unter Hinweis auf den Wortlaut des Gesetzes, welcher keine ausdehnende Auslegung erlaube, verneint (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. April 1961, Zl. 1781/59, und vom 19. Jänner 1973, Zl. 469/71) und in Fällen von Anträgen um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen verspäteter Postaufgabe einer fristgebundenen Eingabe eines Gefangenen durch die Anstalt die Meinung vertreten, der Häftling müsse damit rechnen, daß seine Sendung nicht am selben Tag zum Postamt gegeben werde (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 1969, Slg. N. F. Nr. 7502/A, und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Oktober 1969, Slg. N. F. Nr. 7671/A), teils wurde sie im Anschluß an die Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu § 6 Abs. 3 StPO (vgl. die Entscheidungen vom 2. Juni 1954, 5 Os 626/54, RZ 1954, 10; vom 13. Jänner 1959, 7 Os 279/58, SSt 30/3; vom 17. Juli 1970, 12 Os 134/70; vom 12. März 1976, 11 Os 23/76; vom 30. September 1982, 13 Os 139, 145/82) bejaht (vgl. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 1979, Zl. 1852/79).

Im Hinblick auf § 90 Strafvollzugsgesetz (StVG) und § 183 StPO ist Strafgefangenen und Personen, die sich in Untersuchungs- oder vorläufiger Verwahrungshaft befinden, sowohl das Recht genommen, selbst Sendungen von der Post in Empfang zu nehmen, als auch, der Post Sendungen zur Beförderung zu übergeben, weil ihr Briefverkehr überwacht wird und erst nach Zensur durch die Anstaltsleitung bzw. den Untersuchungsrichter die Schriftstücke durch die Strafvollzugsanstalt oder die Leitung des Gefangenenhauses dem Gefangenen ausgefolgt bzw. der Postanstalt zur Weiterbeförderung übergeben werden. Wird die Übergabe einer Sendung durch den Gefangenen an die Haftanstalt zur Weiterbeförderung noch nicht dem Postlauf zugerechnet, hat dies zur Folge, daß die für die Überwachung des Briefverkehrs erforderliche Zeit, die der Häftling nach durchschnittlichen Erfahrungswerten berücksichtigen müßte (vgl. die oben zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes Slg. N. F. Nr. 7502/A und 7671/A), ihm die Rechtsmittelfrist entsprechend verkürzt; diese Folge kann jedoch weder durch das Strafübel, welches dem Strafgefangenen durch den Vollzug der Freiheitsstrafe zugefügt werden soll, noch durch den Zweck einer Vorhaft gerechtfertigt erscheinen und somit der Absicht des Gesetzgebers nicht unterstellt werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob dies, als die oben wiedergegebene, einander widersprechende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erging, im Wortlaut des Gesetzes entsprechend zum Ausdruck kam und die der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes folgende Auslegung erlaubte. Mit § 14 des am 1. März 1983 in Kraft getretenen Zustellgesetzes, BGBl. 1982/200, wurde vom Gesetzgeber nämlich ein Hinweis dafür geliefert, daß bei Vorliegen eines Einordnungsverhältnisses, dem ein Häftling unterliegt, die Tätigkeit des Leiters der Anstalt und der durch diesen bestimmten Personen bei der Beförderung der Häftlingspost in den Zustellvorgang eingebunden wird. Nach dieser Gesetzesstelle ist die Sendung dann, wenn der Empfänger einer Anstaltsordnung untersteht und ihm auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen Sendungen nur durch den Leiter der Anstalt oder durch eine von dieser bestimmte Person oder durch den Untersuchungsrichter ausgehändigt werden, dem Leiter der Anstalt oder der von ihm bestimmten Person vom Zusteller zur Vornahme der Zustellung zu übergeben. Daraus kann erschlossen werden, daß das betreffende Anstaltsorgan für den Fall der Zustellung durch Organe der Post (§ 2 Zustellgesetz) als deren verlängerter Arm tätig wird und der Gesetzgeber daher auch die Anstaltsorgane, welche vom Häftling als Absender Briefsendungen zur Übergabe an die Post überreicht erhalten, in ihrer Stellung im Zusammenhang des § 33 Abs. 3 AVG 1950 und gleichlautender Bestimmungen anderer Verfahrensgesetze ebenfalls als verlängerten Arm der Post gesehen wissen will, weil es dem Häftling im Hinblick auf die Zensurvorschriften von Gesetzes wegen verwehrt ist, Sendungen selbst der Postanstalt zur Beförderung zu übergeben. In Ermangelung des Merkmales der Freiwilligkeit läßt sich die Tätigkeit der Haftanstalt weder als die eines Vertreters des Häftlings noch als die eines Boten des Häftlings verstehen; für die Annahme einer gesetzlichen Vertretung oder einer gesetzlichen Botenstellung fehlt jedoch die normative Grundlage.

Es kann daher im Beschwerdefall, ohne daß es erforderlich ist, sich mit der einander widersprechenden, oben zitierten Judikatur auseinanderzusetzen, unter Bedachtnahme auf die seit 1. März 1983 geltende Rechtslage (siehe oben) davon ausgegangen werden, daß die belangte Behörde bei Vorliegen eines entsprechenden Sachverhaltes (Anhaltung des Beschwerdeführers in Strafhaft oder Vorhaft, Übergabe der Sendung durch den Beschwerdeführer innerhalb der Berufungsfrist an die Haftanstalt zur Weiterleitung im Postweg an die oben erwähnte Bezirksverwaltungsbehörde) Rechtzeitigkeit der Berufung hätte annehmen müssen.

2. Von der belangten Behörde wurde es allerdings unterlassen, Ermittlungen nach einem derartigen Sachverhalt anzustellen und dem Beschwerdeführer in dieser Frage Gehör zu gewähren, obwohl ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen eines derartigen Sachverhaltes deshalb vorlag, weil der Behörde bekanntgegeben worden war, daß sich der Beschwerdeführer voraussichtlich bis 30. September 1984 in einem Gefangenenhaus befinden werde.

Die von der belangten Behörde nun in der Gegenschrift angestellten Überlegungen darüber, ob sich bereits aus der Aktenlage ausreichende Hinweise dafür ergeben hätten, daß der Beschwerdeführer den Brief nicht innerhalb der Berufungsfrist der Haftanstalt zur Weiterleitung im Postweg an die Bezirksverwaltungsbehörde übergeben habe, vermögen ein gesetzliches Ermittlungsverfahren über diese Frage unter Beachtung des Parteiengehörs nicht zu ersetzen.

In diesem Zusammenhang sieht sich der Verwaltungsgerichtshof allerdings zu dem Hinweis veranlaßt, daß der Mangel eines Vermerks der Überprüfung auf dem Schriftstück keinen Beweis gegen die Behauptungen des Beschwerdeführers macht, weil gemäß § 90 Abs. 1 StVG in der Fassung des Strafvollzugsanpassungsgesetzes, BGBl. 1974/424, nicht mehr sämtliche von einem Strafgefangenen abgesendeten und für ihn eingehenden Briefe vom Anstaltsleiter oder den hiezu von ihm besonders bestimmten Bediensteten gelesen werden müssen und auch ein Überprüfungsvermerk im Gesetz nicht mehr vorgesehen ist. Entsprechendes gilt für die Überwachung des Briefverkehrs von in Vorhaft befindlichen Personen durch den Untersuchungsrichter (§§ 183, 188 Abs. 1 StPO). Die Gefangenen haben die von ihnen verfaßten Briefe und Eingaben ausnahmslos unverschlossen zur Absendung zu übergeben (vgl. Kunst, Strafvollzugsgesetz, Seite 150, Anmerkung 2). Die Beschriftung des Briefumschlages durch den Beschwerdeführer selbst spricht daher keineswegs gegen dessen Darstellung. Woraus die belangte Behörde entnehmen zu können glaubt, daß die Sendung mit bereits verklebtem Briefumschlag der Anstalt übergeben worden sei, um daraus den Schluß zu ziehen, das Landesgericht hätte die Berufung „auf keinen Fall aber im ungeöffneten Originalkuvert“ weitergeleitet, ist den Ausführungen in der Gegenschrift nicht entnehmbar.

Die belangte Behörde hat es daher trotz entsprechender Indizien unterlassen, dem Beschwerdeführer zur Frage der Rechtzeitigkeit seiner Berufung Gehör zu gewähren und den Sachverhalt entsprechend aufzuklären, wozu eine Vernehmung der zur Zeit der angeblichen Übergabe der Sendung an die Haftanstalt beschäftigten Beamten des Gefangenenhauses oder der Strafvollzugsanstalt, allenfalls auch des mit der Briefzensur befaßten Untersuchungsrichters, jeweils unter Vorlage des Originalschriftstückes samt Briefumschlag, und Erhebungen aus den Akten und Aufzeichnungen des Gefangenenhauses bzw. der Strafvollzugsanstalt unumgänglich gewesen wären.

3. Durch die Vernachlässigung dieser aus dem Verfahrensrecht erwachsenden Pflichten belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und Z. 3 VwGG 1965 aufgehoben werden mußte.

Die Entscheidung über Aufwandersatz gründet sich auf 47 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b, §§ 48, 49 VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221.

Wien, am 18. Juni 1984

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte