Normen
AVG §38;
BauO NÖ 1976 §1;
BauRallg impl;
WRG 1959;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1982:1982050127.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde und der dieser angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ergibt sich der nachstehende Sachverhalt:
Mit Ansuchen vom 31. Juli 1979 beantragte die mitbeteiligte Partei dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beim Bürgermeister der beschwerdeführenden Gemeinde die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung zum Umbau des Oberwasserkanales der Wasserkraftanlage in P. Nachdem die Baubehörde erster Instanz innerhalb der im § 118 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 angeführten Frist keinen Bescheid erlassen hatte, brachte der Mitbeteiligte einen Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht beim Gemeinderat der beschwerdeführenden Gemeinde ein. Mit Bescheid vom 5. November 1981 wurde dieser Antrag vom erwähnten Gemeinderat im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß gemäß § 38 AVG 1950 die Behörde ein Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage aussetzen könne, wenn diese schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bilde oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht werde. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 16. Juli 1948, Zlen. 671 und 672/48, die Auffassung vertreten, daß eine schuldhafte Verfahrensverzögerung der Behörde dann nicht vorliege, wenn die säumige Behörde gemäß § 38 zweiter Satz AVG 1950 berechtigt gewesen wäre, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage auszusetzen, wenn diese schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bilde. Dies deshalb, weil der säumigen Behörde (hier der Baubehörde) kein Einfluß auf den Zeitpunkt der Entscheidung der über die Vorfrage als Hauptfrage erkennenden Behörde (hier Wasserrechtsbehörde) zustehe. Da ein gleichartiges Verfahren bei der Wasserrechtsbehörde anhängig, jedoch noch nicht entschieden sei, die Entscheidung hierüber der Wasserrechtsbehörde als Hauptfrage obliege und für das baubehördliche Verfahren eine Vorfrage darstelle, lägen im Sinne der zitierten Entscheidung. des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Entscheidungspflicht der Oberbehörde nach § 73 AVG 1950 nicht vor, weshalb der Devolutionsantrag abzuweisen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid brachte der Mitbeteiligte rechtzeitig die Vorstellung an die Aufsichtsbehörde ein und beantragte die Aufhebung des angefochtenen Bescheides des Gemeinderates, die Feststellung, daß im vorliegenden Fall eine baubehördliche Bewilligung nicht erforderlich sei, sowie die Feststellung, daß eine Säumnis des Bürgermeisters der Marktgemeinde P im Sinne des § 73 AVG 1950 vorliege.
Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 3. August 1982 wurde dieser Vorstellung stattgegeben, der Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde P vom 5. November 1981 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den genannten Gemeinderat verwiesen.
Die Aufsichtsbehörde ging bei ihrer Entscheidung entsprechend der Begründung ihres Bescheides davon aus, daß es sich bei einer Vorfrage um eine Frage handle, für deren Abspruch die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde nicht zuständig sei, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bilde und daher von ihr bei ihrer Schlußfassung berücksichtigt werden müsse. Bei der Beurteilung einer Frage als Vorfrage würden jene Fälle außer Betracht bleiben, in denen nach den Verwaltungsvorschriften die Behörde bei ihrer Schlußfassung gewisse, mit der betreffenden Verwaltungsangelegenheit irgendwie zusammenhängende, von anderen Behörden zu entscheidende Fragen überhaupt nicht zu berücksichtigen, vielmehr, ihre Schlußfassung unbeschadet der Austragung dieser Fragen vor den zuständigen Behörde lediglich auf die betreffende Verwaltungsangelegenheit als solche zu beschränken habe. Gemäß § 1 Abs. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 würden durch dieses Gesetz weder die Zuständigkeiten des Bundes noch jene Vorschriften berührt, wonach für ein bauliches Vorhaben eine andere Bewilligung zu erwirken sei. Auf den gegenständlichen Fall übertragen bedeute dies, daß im baubehördlichen Bewilligungsverfahren die Frage, ob eine Bewilligung nach dem Wasserrechtsgesetz 1959 für das gegenständliche Bauvorhaben erforderlich sei, nicht als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG 1950 angesehen werden könne. Die Baubehörde habe ihre Entscheidung nach den Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 zu treffen und die Entscheidung der Wasserrechtsbehörde könne nach Auffassung der Aufsichtsbehörde keine Hauptfrage darstellen, die für das baubehördliche Bewilligungsverfahren als Vorfrage zu werten sei, welche die Baubehörde berechtige, das Verfahren bis zum Abschluß des Wasserrechtsverfahrens auszusetzen. Falls für ein Projekt eine baubehördliche und eine wasserrechtliche Bewilligung erforderlich Seien, habe die Baubehörde unabhängig vom anhängigen Wasserrechtsverfahren die Bewilligung zu erteilen, wenn eine solche in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 ihre Deckung finde. Allerdings dürfe der Bewilligungswerber erst nach Vorliegen aller zur Ausführung des Vorhabens erforderlichen Bewilligungen mit der Ausführung des Projektes beginnen. Die vorstehende Rechtsansicht finde auch im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Februar 1981, Zl. 2878/79, ihre Deckung. Darin werde ausgeführt, daß unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG 1950 eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen sei, über die als Hauptfrage - als Gegenstand eines rechtsfeststellenden oder rechtsgestaltenden Abspruches - von einer anderen Verwaltungsbehörde zu entscheiden sei. Unter Bezugnahme auf die vom Mitbeteiligten begehrte Feststellung, daß im vorliegenden Fall eine baubehördliche Bewilligung nicht erforderlich sei, meinte die belangte Behörde, daß der Genannte ein Ansuchen um baubehördliche Bewilligung zum Umbau des Oberwasserkanales seiner Wasserkraftanlage in P bei der Baubehörde erster Instanz eingebracht habe und die Baubehörde verpflichtet sei, über diesen Antrag zu entscheiden. Durch die Entscheidung der Berufungsbehörde sei das Recht des Mitbeteiligten auf ein gesetzmäßiges Verfahren verletzt worden. Im fortgesetzten Verfahren habe die Baubehörde zweiter Instanz eine Entscheidung in der Sache selbst zu treffen.
In der gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf diesbezügliche Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes geltend, eine schuldhafte Verzögerung der Entscheidungspflicht der Behörde liege dann nicht vor, wenn die säumige Behörde gemäß § 38 zweiter Satz AVG 1950 berechtigt gewesen sei, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage auszusetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bilde. Es sei davon auszugehen, daß über das gegenständliche Vorhaben einerseits die zuständige Wasserrechtsbehörde nach den Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes 1959 und andererseits die Baubehörde nach den Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 zu entscheiden hätten. Entsprechende Ansuchen seien sowohl bei der Wasserrechts- als auch bei der Baubehörde eingebracht worden. Die beantragte Änderung der Wasserkraftanlage sei ohne Zweifel die von der Wasserrechtsbehörde zu entscheidende Hauptfrage, weil nur diese darüber befinden könne, ob eine Erhöhung der Konsenswassermenge, und wenn ja, in welchem Maß, rechtlich zulässig, sei. Von der Konsenswassermenge hänge aber die Art und Dimensionierung des Zulaufbauwerkes ab, die den Gegenstand des baubehördlichen Bewilligungsverfahrens bilde. Es könne daher der diesbezüglichen Argumentation der belangten, Behörde nicht gefolgt werden, welche im übrigen den Anmerkungen zu § 38 AVG 1950 im Kommentar "Das Verwaltungsverfahren", 8. Aufl., von Mannlicher/Quell, entnommen sei und insbesondere die Frage der Relevanz der privatrechtlichen Zulässigkeit bestimmter Vorhaben im Verwaltungsverfahren vom Standpunkt ihrer öffentlich-rechtlichen Zulässigkeit behandle. Es sei auch darauf hinzuweisen, daß das Verwaltungsverfahren zufolge § 39 Abs. 2 AVG 1950 von den Maximen der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis getragen werde. Diese Verfahrensgrundsätze würden ad absurdum geführt werden, wenn es den Verwaltungsbehörden verwehrt wäre, Verfahren ohne Rücksicht darauf auszusetzen, Maß ein einem anderem Verfahren in rechtlich relevanter und geradezu präjudizieller Art für die Entscheidung von Rechtsfragen Zuständigkeiten gegeben sind, die (wie hier zwischen Wasserrechts- und Bauverfahren) ein anderes Verfahren hinsichtlich der Realisierbarkeit des Verhandlungsgegenstandes sehr weitgehend beeinflussen". Da im vorliegenden Fall die rechtlich erzielbare Konsenswassermenge die Dimension der Wasserführungsanlage und deren Herstellungsart bestimmen, müsse die diesbezügliche Entscheidung als die von der Wasserrechtsbehörde zu erledigende Hauptfrage und sohin im Bauverfahren als eine für dieses relevante Vorfrage qualifiziert werden. Wenn man sich dieser Auffassung aber anschließe, dann könne der Baubehörde in Ermangelung eines Einflusses auf den Zeitpunkt, der Entscheidung der Wasserrechtsbehörde nicht der Vorwurf der Säumigkeit gemacht werden, weil sie in diesem Fall berechtigt gewesen wäre, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage auszusetzen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber erwogen:
Gemäß § 38 AVG 1950 ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauungen zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheide zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem bereits in der Begründung des angefochtenen Bescheides zitierten Erkenntnis vom 26. Februar 1981, Zl. 2878/79, ausgesprochen hat, ist unter einer Vorfrage im Sinne dieser Bestimmung eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage - als Gegenstand eines rechtsfeststellenden oder rechtsgestaltenden Abspruches - von einer anderen Verwaltungsbehörde oder von einem Gericht oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist.
Der Gerichtshof kann sich der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht anschließen, daß die Frage der Bewilligungsfähigkeit des Vorhabens der mitbeteiligten Partei nach den Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes 1959 als präjudizielle Rechtsfrage in bezug auf die von der Baubehörde zu treffende Entscheidung anzusehen ist, ob für dieses Projekt eine Bewilligung nach den Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 erteilt werden kann. Die belangte Behörde hat zutreffend auf § 1 Abs. 2 leg. cit. hingewiesen, demzufolge durch dieses Gesetz weder die Zuständigkeiten des Bundes noch jene Vorschriften berührt werden, wonach für ein bauliches Vorhaben eine andere Bewilligung zu erwirken ist, weil sich daraus mit der gebotenen Deutlichkeit ergibt, daß die Baubewilligung unbeschadet der Verpflichtung zur Einholung von Bewilligungen nach anderen bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften erforderlich ist. Die Niederösterreichische Bauordnung 1976 geht also nicht etwa davon aus, daß für ein Vorhaben keine Baubewilligung zu erwirken ist, wenn dieses nach den Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes 1959 genehmigt worden ist oder keiner wasserrechtlichen Bewilligung bedarf. Die Frage der Bewilligungsfähigkeit eines Projektes nach den baurechtlichen Vorschriften ist demnach unabhängig davon zu beantworten, ob dieses auch nach wasserrechtlichen. Bestimmungen zulässig ist oder nicht. Dem von der Beschwerdeführerin zur Stützung ihrer Auffassung ins Treffen geführten Argument, daß im Beschwerdefall "die rechtlich erzielbare Konsenswassermenge die Dimension der Wasserführungsanlage und dessen Herstellungsart bestimmen", weshalb "die Entscheidung über die Konsenswassermenge und die Dimensionierung des Fluders als die von der Wasserrechtsbehörde zu entscheidende Hauptfrage und sohin im Bauverfahren als eine für diese relevante Vorfrage qualifiziert werden" müsse, vermag der Gerichtshof deshalb nicht zu folgen, weil die Baubehörde das Bauansuchen des Mitbeteiligten auch ohne vorherige Entscheidung der Wasserrechtsbehörde über die für die Dimension der Wasserführungsanlage und deren Herstellungsart wesentliche Frage der "rechtlich erzielbaren Wassermenge" einer sachlichen Erledigung zuführen kann, und es auch nicht erforderlich ist, daß die Baubehörde vor der Entscheidung über das Bauansuchen diese Frage nach eigener Anschauung beurteilt und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde legt. Sollte sich im Zuge des wasserrechtlichen Verfahrens ergeben, daß das für den geplanten Umbau der Elektrizitätsgewinnungsanlage des Mitbeteiligten - entsprechend der Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdeführerin - erforderliche "erhöhte Wasserdarbot zum Antrieb der Turbinen" nicht erreicht und sohin für dieses Vorhaben keine wasserrechtliche Bewilligung erteilt werden kann, so würde dies die Erteilung der Baubewilligung unter der Voraussetzung nicht hindern, daß dem Projekt keine von der Baubehörde nach Maßgabe baurechtlicher Vorschriften wahrzunehmenden Belange entgegenstehen. Der Umstand, daß der Realisierung des unveränderten Projektes des Mitbeteiligten trotz Vorliegens eines Baukonsens der Mangel einer wasserrechtlichen Bewilligung entgegenstünde, ginge zu Lasten des Konsenswerbers (Gefahr des verlorenen Planungsaufwandes), könnte aber nicht bewirken, daß die Entscheidung der Wasserrechtsbehörde eine notwendige Grundlage für die zur Entscheidung über das Bauansuchen berufene Behörde bildet (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1976, Zl. 375/75).
Die belangte Behörde ist daher zutreffend davon ausgegangen, daß die von der Beschwerdeführerin im Gegenstande aufgeworfene Frage nicht als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG 1950 anzusehen ist, weshalb der Gemeinderat der Marktgemeinde P den Devolutionsantrag des Mitbeteiligten nicht abweisen durfte, sondern zu einer Sachentscheidung verpflichtet gewesen ist.
Da sohin schon der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 12. Oktober 1982
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)