Normen
BAO §276 Abs1;
VwRallg;
BAO §276 Abs1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Das beschwerdeführende Finanzamt erließ nach der Aktenlage insgesamt vier jeweils als "Haftungs- und Abgabenbescheid" titulierte Bescheide für die Jahre 2002 bis 2005 an die mitbeteiligte Partei. Die Bescheide betrafen jeweils Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag sowie den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (jeweils samt Säumniszuschlägen). Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die Festsetzung "aufgrund der durchgeführten Lohnsteuerprüfung" erfolge.
Gegen diese am 19. Jänner 2007 zugestellten Bescheide (vom 18. Jänner 2007) erhob die Mitbeteiligte mit Schriftsätzen vom 1. Februar 2007 (jeweils gesondert pro Kalenderjahr) Berufung. Neben Lohnsteuer und Dienstgeberbeitrag sei mit den Bescheiden auch eine Vorschreibung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag (samt Säumniszuschlag) erfolgt. Die Vorschreibung dieses Zuschlages sei hinsichtlich jeweils näher angeführter Beträge damit begründet worden, dass die Mitbeteiligte als Arbeitgeber der bei ihr beschäftigten ("richtig: zur Dienstleistung zugewiesenen") Bundesbediensteten anzusehen sei und daher deren Bezüge zur Bemessungsgrundlage des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag gemäß § 122 Abs. 7 WKG hinzuzurechnen seien. Diese Vorgangsweise sei durch das Gesetz nicht gedeckt. Die bekämpften Bescheide seien als Haftungs- und Abgabenbescheide bezeichnet. Der Spruch beziehe sich aber nur auf die geltend gemachte Haftung (§ 224 BAO), "die für einen Abgabenbescheid gemäß § 198 Abs 2 BAO erforderlichen Angaben über die Grundlagen der Abgabenfestsetzung (Bemessungsgrundlagen) fehlen". Weiters sei die Mitbeteiligte (aus näher ausgeführten Gründen) der Ansicht, dass die an die vom Bund zur Dienstleistung zugewiesenen Bundesbediensteten bezahlten Bezüge nicht der Bemessungsgrundlage des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag hinzuzuzählen seien.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 23. Mai 2007 gab das Finanzamt den Berufungen keine Folge. Das Finanzamt könne der Argumentation der Mitbeteiligten, wonach die strittigen Bezüge nicht zur Bemessungsgrundlage des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag gehörten, nicht folgen.
Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2007 stellte die Mitbeteiligte gemäß § 276 Abs. 2 BAO den "Antrag auf Entscheidung über die vier Berufungen durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz".
In der Folge erließ das Finanzamt eine der Berufung vom 1. Februar 2007 "gegen ... Bescheide v. 18.01.2007" stattgebende
"2. Berufungsvorentscheidung" vom 29. August 2007 ("Der Bescheid wird aufgehoben"). Zur Begründung wurde ausgeführt, auf Grund eines "formalrechtlichen Mangels - fehlende Vorsollbeträge bei Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag - waren die aufgrund der gemeinsamen Prüfung der lohnabhängigen Abgaben erlassenen Haftungs- und Zahlungsbescheide aufzuheben. Gleichzeitig erfolgt mittels formal richtigen Bescheiden eine neuerliche Festsetzung der Lohnabgaben laut GPLA."
Sodann erließ das Finanzamt mit 30. August 2007 datierte "Haftungs- und Abgabenbescheid(e)" jeweils über die Prüfungszeiträume der Jahre 2002 bis 2005, in denen u.a. zur "Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag" jeweils die Bemessungsgrundlagen, die darauf entfallenden Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag, die für den jeweiligen Zeitraum bereits gebuchten Beträge sowie die zur Nachzahlung verbleibenden Beträge ausgewiesen waren. In der Begründung wies das Finanzamt darauf hin, dass die neuerliche Festsetzung aufgrund der Aufhebung des ursprünglichen Bescheides aus formellen Gründen erforderlich gewesen sei. Der Festsetzung lägen die im Zuge der GPLA getroffenen Feststellungen zu Grunde. Aus den neuen Bescheiden sei nunmehr auch der bisher von der GPLA gebuchte Dienstgeberbeitrag ersichtlich. Für das Jahr 2005 sei außerdem eine Richtigstellung des Säumniszuschlages vorzunehmen gewesen.
Gegen die Bescheide vom 30. August 2007 erhob die mitbeteiligte Partei mit Schriftsätzen vom 19. September 2007 (wiederum gesondert pro Kalenderjahr) Berufung. Vor Eingehen in den "materiell-rechtlichen Teil der Berufungsausführungen" wurde darin betreffend "rechtswirksam entschiedenes Verfahren, unzulässige Wiederaufnahme" jeweils geltend gemacht, über die in den nunmehrigen Bescheiden des Finanzamtes geltend gemachten Ansprüche sei "bereits rechtswirksam dahingehend entschieden worden, dass sie nicht bestehen". Die "identen Ansprüche" seien gegenüber der Mitbeteiligten nämlich bereits mit den Bescheiden vom 18. Jänner 2007 geltend gemacht worden. Diese Bescheide seien mittels 2. Berufungsvorentscheidung vom 29. August 2007 "in Stattgebung der Berufung zur Gänze aufgehoben" worden, "wobei die (gänzliche) Aufhebung sogar (geringfügig) über das Ausmaß der Anfechtung hinausgehend erfolgte". Da die Mitbeteiligte zur
2. Berufungsvorentscheidung keine schriftliche Zustimmung erteilt habe, sei davon auszugehen, dass das Finanzamt dem Berufungsbegehren voll inhaltlich habe Rechnung tragen wollen. Durch die neuerliche Vorschreibung werde eine bereits rechtswirksam entschiedene Angelegenheit ohne jeden verfahrensrechtlichen Grund (insbesondere liege keiner der Gründe für eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO vor) neuerlich aufzurollen versucht. Auch der Umstand, dass die Abgabenbehörde in den seinerzeitigen Bescheiden vom 18. Jänner 2007 entgegen § 198 Abs. 2 BAO die erforderlichen Angaben über die Grundlagen der Abgabenfestsetzung (Bemessungsgrundlagen) nicht in den Bescheid aufgenommen habe, rechtfertige nicht den Beginn eines neuen Verfahrens hinsichtlich desselben Verfahrensgegenstandes, wenn das erste Verfahren "bereits rechtswirksam durch vollinhaltliche Entsprechung der Berufung gegen den ersten Bescheid beendet worden ist".
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen vom 19. September 2007 Folge. Laut dem Spruch der zweiten Berufungsvorentscheidung vom 29. August 2007 ("Der Berufung wird stattgegeben. Der Bescheid wird aufgehoben.") seien die damals bekämpften Abgabenbescheide betreffend die Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag samt den Säumniszuschlägen der Streitjahre aufgehoben worden. Für die belangte Behörde bestehe weiters kein Zweifel darüber, dass das Finanzamt mit der in Rede stehenden Berufungsvorentscheidung weder eine Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO noch eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO verfügt habe. Nachdem das Finanzamt somit eindeutig eine zweite stattgebende Berufungsvorentscheidung erlassen habe, seien die daraus resultierenden Rechtsfolgen zu beachten. Die Aufhebung eines bekämpften Bescheides durch Berufungsvorentscheidung komme, "weil immer in der Sache selbst (meritorisch) zu entscheiden ist", nur dann in Betracht, wenn "sie ersatzlos zu erfolgen hat, wenn also zB in der betreffenden Angelegenheit kein Bescheid zu ergehen gehabt hätte". Auch für zweite Berufungsvorentscheidungen gälten alle im § 276 BAO für Berufungsvorentscheidungen getroffenen Regelungen. Auch die Verwaltungsübung gehe davon aus, dass die Entscheidungsbefugnis bei Berufungsvorentscheidungen neben der Abweisung der Berufung und der Abänderung des bekämpften Bescheides nur die (ersatzlose) Aufhebung des angefochtenen Bescheides umfasse. Mit der Erlassung der im vorliegenden Verfahren mit Berufung bekämpften Bescheide habe das Finanzamt daher in unzulässiger Weise "in den Bestand von rechtskräftigen Bescheiden eingegriffen, ohne dass vorher ein geeigneter Akt zur Durchbrechung der Rechtskraft gesetzt worden wäre". Dass die durch das Finanzamt mit zweiter Berufungsvorentscheidung aufgehobenen Bescheide des Erstverfahrens "identisch mit den danach erlassen Bescheiden sind", ergebe sich daraus, dass "Gegenstand in beiden Bescheidausfertigungen der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag samt Säumniszuschlägen über die Jahre 2002 bis 2005" gewesen sei. Damit habe das Finanzamt "in ein und derselben Sache" zweimal entschieden und damit gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstoßen, der mit dem Begriff der "Rechtskraftwirkung von Bescheiden" untrennbar verbunden sei. Der Umstand, dass "im Erstverfahren in den festgesetzten Bescheiden die Bemessungsgrundlage nicht angeführt wurde, hat keinen Einfluss darauf, dass der Gegenstand in beiden Bescheidausfertigungen ident war". Dies lasse sich daraus ableiten, dass die Berufungsbehörde im Berufungsverfahren die Obliegenheiten und "Bedürfnisse" habe, die der Abgabenbehörde erster Instanz auferlegt und eingeräumt seien. Demnach wäre es nicht nur dem Finanzamt, sondern auch der Berufungsbehörde möglich gewesen, die fehlende Bemessungsgrundlage in den durch das Finanzamt aufgehobenen Abgabenbescheiden zu ergänzen. Nachdem somit die nach Erlassung "der
2. Berufungsvorentscheidung vom 29.8.2007 ergangenen Haftungs- und Abgabenbescheide vom 30.8.2007" aufzuheben gewesen seien, erübrige es sich, auf die materiellrechtlichen Einwendungen der Mitbeteiligten einzugehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen vom Finanzamt erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften sowohl durch die belangte Behörde als auch die mitbeteiligte Partei erwogen:
In der Beschwerde wird vorgebracht, strittig sei im Beschwerdefall, ob die neuerliche Erlassung von Bescheiden, mit denen der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag samt Säumniszuschlägen für die Jahre 2001 bis 2005 erstmals vollständig im Sinne des § 201 iVm § 198 Abs. 2 BAO (in der jeweils für den Prüfungszeitraum geltenden Fassung) festgesetzt worden sei, nach Aufhebung der diesen neuerlichen Festsetzungsbescheiden vorangegangenen fehlerhaften Bescheide vom 18. Jänner 2007 mittels zweiter Berufungsvorentscheidung vom 29. August 2007 gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstoße. Nach Ansicht des beschwerdeführenden Finanzamtes stehe die Rechtskraft der Berufungsvorentscheidung vom 29. August 2007 nicht der Erlassung erstmaliger - richtiger - Abgabenbescheide betreffend (u.a.) Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag entgegen, weil die zweite Berufungsvorentscheidung vom 29. August 2007 nur eine formalrechtliche und keine materiellrechtliche Erledigung dargestellt habe.
War eine Berufung weder zurückzuweisen noch als zurückgenommen oder als gegenstandslos zu erklären, konnte die Abgabenbehörde erster Instanz nach § 276 Abs. 1 BAO idF vor dem FVwGG 2012, BGBl I Nr. 14/2013, eine Berufung durch Berufungsvorentscheidung erledigen und hiebei den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abändern, aufheben oder die Berufung als unbegründet abweisen. Nach § 276 Abs. 5 leg. cit. durfte eine zweite Berufungsvorentscheidung - außer wenn sie dem Berufungsbegehren vollinhaltlich Rechnung trug - nur erlassen werden, wenn alle Parteien, die einen Vorlageantrag gestellt hatten, zustimmten und die Antragsfrist für alle Antragsberechtigten abgelaufen war.
Im Beschwerdefall ist davon auszugehen, dass das beschwerdeführende Finanzamt mit der zweiten Berufungsvorentscheidung vom 29. August 2007 über die (im Wesentlichen gleichlautenden) Berufungen vom 1. Februar 2007 entschieden hat, in denen neben materiellrechtlich vorgebrachten Gründen gegen die Abgabenvorschreibung auch eine der Vorschrift des § 198 Abs. 2 BAO zuwider erfolgte Abgabenfestsetzung gerügt wurde (worauf auch die Beschwerde zutreffend hinweist). Der stattgebende Spruch laut der zweiten Berufungsvorentscheidung konnte damit auch auf diese Rüge zu beziehen sein, wobei nach der Begründung, die zur näheren Erläuterung des Bescheidspruches herangezogen werden kann, auch eindeutig die zugleich ausgesprochene Bescheidaufhebung keine meritorische Berufungserledigung in der Sache, sondern lediglich eine formalrechtliche (kassatorische) Aufhebung (zur Ermöglichung der Erlassung "formal richtiger" Bescheide) sein sollte. Da auch allenfalls rechtswidrigen Berufungsvorentscheidungen Rechtskraftwirkung zukommt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 29. September 2010, 2005/13/0101), ist es in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, ob die Erlassung der zweiten Berufungsvorentscheidung für sich mit der Rechtslage im Einklang stand (etwa das Finanzamt seine Entscheidungsbefugnis laut dem angefochtenen Bescheid überschritten habe oder auch die Voraussetzungen zu ihrer Erlassung nach § 276 Abs. 5 BAO im Einzelnen vorlagen).
Aus all dem folgt somit, dass mit der aufhebenden zweiten Berufungsvorentscheidung vom 29. August 2007 kein Abspruch über das Bestehen des Abgabenanspruches in der Sache erfolgt ist, weshalb den in weiterer Folge ergangenen Bescheiden vom 30. August 2007 nicht das Prozesshindernis des "ne bis in idem" entgegen stand (vgl. in diesem Zusammenhang beispielsweise auch das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2002, 2001/16/0472 bis 0475).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am 29. Juli 2014
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