VwGH 2009/18/0138

VwGH2009/18/01384.6.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des S M in W, geboren am 12. August 1971, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. November 2008, Zl. E1/135.750/2008, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 21. November 2008 wurde der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer, der über keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität verfüge, sei im Mai 1999 illegal nach Österreich gelangt und habe am 10. Mai 1999 einen Asylantrag gestellt, der im Instanzenzug vom unabhängigen Bundesasylsenat gemäß § 7 Asylgesetz (1997) negativ entschieden worden sei. Die Entscheidung sei am 19. Dezember 2007 in Rechtskraft erwachsen. Der Beschwerdeführer halte sich unbestrittenermaßen seit Abschluss seines Asylverfahrens ohne Aufenthaltstitel - daher unrechtmäßig - in Österreich auf, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung - vorbehaltlich des § 66 Abs. 1 FPG - im Grunde des § 53 Abs. 1 leg. cit. gegeben seien.

In seiner Stellungnahme vom 22. Jänner 2008 habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass seine Existenzgrundlage derzeit durch die Bundesbetreuung gesichert wäre und hilfsweise eine österreichische Bekannte, die bereits jetzt (teilweise) für seine Wohnung aufkäme, ihn unterstützte. Familiäre bzw. berufliche Bindungen im Bundesgebiet seien von ihm nicht geltend gemacht worden. In Anbetracht seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sei aber jedenfalls von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in sein Privatleben auszugehen. Dieser sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse verstoße der unrechtmäßige weitere Aufenthalt im Anschluss an ein negativ beschiedenes Asylverfahren jedoch gravierend. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer während des anhängigen Asylverfahrens bloß zum vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen sei.

Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten Interessen nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet. Die Erlassung der Ausweisung erweise sich daher als dringend geboten und im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG als zulässig.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe für die belangte Behörde auch keine Veranlassung bestanden, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Dem Antrag (des Beschwerdeführers), das Ausweisungsverfahren bis zur Klärung der Vorfrage, ob seine Abschiebung nach Algerien gemäß § 51 FPG zulässig sei, gemäß § 38 AVG auszusetzen, werde keine Folge gegeben, weil mit der Ausweisung lediglich festgestellt werde, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, mit diesem Bescheid jedoch nicht darüber abgesprochen werde, dass er in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass das Verfahren über den vom Beschwerdeführer gestellten Asylantrag rechtskräftig negativ entschieden worden sei und er sich, ohne über einen Aufenthaltstitel zu verfügen, in Österreich aufhalte, begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 (zweiter Halbsatz) FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK bzw. des § 66 Abs. 1 FPG und bringt vor, dass sich die belangte Behörde mit der Frage hätte auseinandersetzen müssen, ob auf Grund des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet "möglicherweise eine Bindung des (Beschwerdeführers) zu Österreich entstanden ist, der ein entsprechender Verlust der Bindungen zu seiner ursprünglichen Heimat gegenübersteht". Die nicht nachvollziehbare Schlussfolgerung der belangten Behörde, dass der illegale Aufenthalt des Beschwerdeführers eine maßgebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung bewirke, könne eine konkrete Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Ausweisung auf sein Privat- und Familienleben nicht ersetzen. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, die vom EGMR in seiner Rechtsprechung herausgearbeiteten Kriterien zu beachten.

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Dem von der Beschwerde als Verfahrensrüge erhobenen Vorwurf, die belangte Behörde hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob auf Grund des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet "möglicherweise" eine Bindung zu Österreich entstanden sei, ist zu erwidern, dass die belangte Behörde ohnedies auf den langjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers Bedacht genommen und im Hinblick darauf zutreffend einen mit der Ausweisung verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG angenommen hat. Im Übrigen wird von der Beschwerde nicht substanziert dargelegt, auf welche in Österreich bestehenden Bindungen des Beschwerdeführers die belangte Behörde im Einzelnen noch hätte Bedacht nehmen müssen, sodass die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargetan wurde und auch deshalb der behauptete Verfahrensmangel nicht vorliegt.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG ist zu berücksichtigen, dass die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers ableitbare Integration in ihrem Gewicht dadurch entscheidend gemindert wird, dass sein Aufenthalt nur auf Grund des von ihm am 10. Mai 1999 gestellten Asylantrages - dazu bringt die Beschwerde vor, dass dieser Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. November 1999 abgewiesen worden sei und die von ihm dagegen erhobene Berufung mit dem mündlich verkündeten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Dezember 2007 abgewiesen worden sei - bis zur rechtskräftigen negativen Beendigung des Asylverfahrens am 19. Dezember 2007 vorläufig berechtigt war und seither unberechtigt ist. Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass der Beschwerdeführer keine familiären und beruflichen Bindungen in Österreich hat. Insgesamt kommt den privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet - trotz der verhältnismäßig langen Dauer seines inländischen Aufenthaltes - kein allzu großes Gewicht zu.

Wenn die Beschwerde die vom EGMR in seiner Rechtsprechung entwickelten Kriterien ins Treffen führt, so ist diesbezüglich etwa auf die Entscheidung des EGMR vom 11. April 2006, Nr. 61292/00 (Useinov gegen die Niederlande), hinzuweisen, der ein Beschwerdefall zu Grunde lag, in dem ein Fremder, der mit einer Inländerin zwei gemeinsame minderjährige Kinder hatte und bereits mehrere Jahre in den Niederlanden lebte, aber nicht damit rechnen durfte, sich auf Dauer in diesem Staat niederlassen zu dürfen, ausgewiesen wurde. In dieser Entscheidung erachtete der EGMR die Bestimmung des Art. 8 EMRK als durch die Ausweisung des Fremden nicht verletzt (vgl. zu dieser Entscheidung auch das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, Zl. 2008/18/0721).

In seinem Urteil vom 8. April 2008, Nr. 21878/06 (Nnyanzi gegen United Kingdom), führte der EGMR zur behaupteten Verletzung des Art. 8 EMRK aus, es sei in dem diesem Urteil zu Grunde liegenden Beschwerdefall nicht erforderlich, darüber zu entscheiden, ob die Beziehungen, welche die Beschwerdeführerin während ihres beinahe zehnjährigen Aufenthaltes im Vereinigten Königreich begründet habe, ein Privatleben im Sinn des Art. 8 EMRK darstellten. Selbst unter der Annahme, dass dem so wäre, sei die in Aussicht genommene Abschiebung der Beschwerdeführerin in ihr Heimatland gesetzlich vorgesehen und durch ein legitimes Ziel, nämlich das der Aufrechterhaltung und Stärkung der Einwanderungskontrolle, motiviert. Anders als in dem dem Urteil des EGMR vom 18. Oktober 2006, Nr. 46410/99 (Üner gegen die Niederlande), zu Grunde liegenden Fall sei die Beschwerdeführerin kein niedergelassener Einwanderer, und es sei ihr nie ein Bleiberecht im Vereinigten Königreich erteilt worden. Ihr Aufenthalt dort während der Anhängigkeit ihrer verschiedenen Asylanträge (und Menschenrechtsbeschwerden) sei immer prekär gewesen und ihre Abschiebung auf Grund der Abweisung dieser Anträge durch eine behauptete Verzögerung ihrer Erledigung durch die Behörden nicht unverhältnismäßig.

Nach der hg. Judikatur (vgl. dazu nochmals das vorzitierte Erkenntnis, Zl. 2008/18/0721, mwN) wäre der Beschwerdeführer nur dann vor einer Ausweisung geschützt und damit unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK in weiterer Folge zu einer Legalisierung seines Aufenthaltes vom Inland aus berechtigt, wenn eine rasche bzw. sofortige Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffes in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- oder Familienleben erforderlich wäre. Die angeführten persönlichen Bindungen des Beschwerdeführers in Österreich stellen jedoch nach den oben dargestellten Kriterien in der Judikatur des EGMR keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es ihm unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen.

Da sich der Asylantrag des Beschwerdeführers als unberechtigt herausgestellt hat und von diesem auch keine weiteren integrationsbegründenden Umstände behauptet wurden, als sie von der belangten Behörde ohnedies in ihre Beurteilung aufgenommen wurden, sowie im Hinblick auf das Fehlen von familiären Bindungen und einer beruflichen Integration des Beschwerdeführers im Inland begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers auch gemäß § 66 Abs. 1 FPG zulässig sei, keinem Einwand. Hiebei kommt der mehrjährigen Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet für sich allein keine maßgebliche Bedeutung zu.

3. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 4. Juni 2009

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