Normen
BAO §207;
BAO §209 Abs1;
BAO §224 Abs3;
BAO §224;
BAO §238 Abs1;
BAO §238 Abs2;
BAO §238;
BAO §4 Abs2 lita Z3;
BAO §6 Abs1;
BAO §6 Abs2;
BAO §7 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
EStG 1988 §93;
EStG 1988 §95 Abs2;
EStG 1988 §95 Abs5;
BAO §207;
BAO §209 Abs1;
BAO §224 Abs3;
BAO §224;
BAO §238 Abs1;
BAO §238 Abs2;
BAO §238;
BAO §4 Abs2 lita Z3;
BAO §6 Abs1;
BAO §6 Abs2;
BAO §7 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
EStG 1988 §93;
EStG 1988 §95 Abs2;
EStG 1988 §95 Abs5;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die mitbeteiligte Partei ist eine österreichische Aktiengesellschaft.
In der Hauptversammlung vom 11. September 2002 wurde der Beschluss zum Erwerb eigener Aktien zur Einziehung nach den Vorschriften über die Herabsetzung des Grundkapitals (§ 65 Abs. 1 Z 6 AktG) gefasst. Das Grundkapital wurde von 7,270.000 Euro um 1,817.500 Euro auf 5,452.500 Euro herabgesetzt. Der Übernahmepreis je Aktie (Nominale 1 Euro) betrug 4 Euro.
Das Finanzamt beurteilte im Zuge einer Außenprüfung jenen Teil des Übernahmepreises, der den Betrag von 1,817.500 Euro überstieg (5,452.500 Euro) als verdeckte Ausschüttung. Es zog die Mitbeteiligte mit Bescheid vom 28. Oktober 2008 gemäß § 95 EStG 1988 zur Haftung für Kapitalertragsteuer im Betrag von 1,817.499,99 Euro (33% von 5,452.500 Euro) heran.
In der dagegen erhobenen Berufung wandte die Mitbeteiligte u. a. Verjährung ein. Die Auszahlung des Übernahmepreises sei am 25. September 2002 erfolgt. Die Verjährungsfrist habe daher am 31. Dezember 2007 geendet.
Das Finanzamt gab der Berufung mit Berufungsvorentscheidung insoweit Folge, als es den Haftungsbetrag auf 1,704.268,99 Euro verminderte. Zur Frage der Verjährung führte es aus, dass für die überwiegende Anzahl der Gesellschafter Unterbrechungshandlungen durch eine Bescheiderstellung für die Veranlagung 2002 (Einkommensteuer) vorgenommen worden seien, sodass in dieser Hinsicht die Verjährungsfrist mit 31. Dezember 2008 ende. Für vier (namentlich genannte) Gesellschafter sei keine solche Unterbrechungshandlung gesetzt worden, weshalb insoweit die Verjährungsfrist mit 31. Dezember 2007 abgelaufen sei.
Die Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Zur Verjährungsfrage brachte sie ergänzend vor, die ErlRV zu § 209 BAO in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2004 sähen vor, dass Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches nur dann zu einer Verlängerung der Bemessungsverjährungsfrist führten, wenn sie im letzten Jahr der (im Allgemeinen fünf Jahre betragenden) Verjährungsfrist erfolgten. Im gegenständlichen Fall seien alle Einkommensteuerbescheide 2002 in den Jahren 2003 oder 2004 ergangen, weshalb die in den ErlRV angeführte Voraussetzung, dass im letzten Jahr der Frist, also im Jahr 2007, eine Amtshandlung gesetzt werden müsse, nicht erfüllt sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung Folge und hob den Haftungsbescheid des Finanzamtes auf.
In der Bescheidbegründung wird ausgeführt, bei inländischen Kapitalerträgen werde die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben (Kapitalertragsteuer). Schuldner der Kapitalertragsteuer sei der Empfänger der Kapitalerträge. Der zum Abzug Verpflichtete hafte für die Einbehaltung und Abfuhr der Kapitalertragsteuer.
Das Recht eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, verjähre binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden sei, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. Die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides sei gemäß § 224 Abs. 3 BAO nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe nicht mehr zulässig.
Die Verjährung beginne in den Fällen des § 207 Abs. 2 BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden sei.
Komme es innerhalb der Verjährungsfrist zu nach außen erkennbaren Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen, so verlängere sich die Verjährungsfrist gemäß § 209 Abs. 1 BAO um ein Jahr. Die Verjährungsfrist verlängere sich jeweils um ein weiteres Jahr, wenn solche Amtshandlungen in einem Jahr unternommen würden, bis zu dessen Ablauf die Verjährungsfrist verlängert sei.
Strittig sei im gegenständlichen Fall, ob die Heranziehung der Mitbeteiligten zur Haftung für Kapitalertragsteuer unzulässig gewesen sei, weil für das Jahr 2002 die Verjährung des Rechts zur Einkommensteuerfestsetzung bei ihren Gesellschaftern bereits eingetreten gewesen sei.
Wie der Verwaltungsgerichtshof zur Haftung für Kapitalertragsteuer für das Jahr 1981 entschieden habe, könne die Haftung innerhalb einer Frist geltend gemacht werden, die der (abstrakten) Bemessungsverjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 BAO entspreche. Bei Beurteilung der Frist für die Bemessungsverjährung seien die bei der Einkommensteuer des Gesellschafters der haftungspflichtigen Gesellschaft relevanten Unterbrechungshandlungen nicht zu berücksichtigen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. April 1992, 91/14/0009).
Im gegenständlichen Fall sei der Hauptversammlungsbeschluss am 11. September 2002 gefasst worden. Die Mitbeteiligte bringe vor, dass die Auszahlung des Übernahmepreises am 25. September 2002 erfolgt sei.
Unstrittig sei, dass die Verjährungsfrist der Kapitalertragsteuer dadurch mit Ablauf des Jahres 2002 begonnen habe.
Da jedoch die Einkommensteuerbescheide 2002 für die Bemessungsverjährungsfrist der streitgegenständlichen Kapitalertragsteuer unbeachtlich seien ("keine fristverlängernde Unterbrechungshandlung"), sei die Verjährung für diese am 31. Dezember 2007 eingetreten. Die Heranziehung der Mitbeteiligten mittels des bekämpften Haftungsbescheides sei daher außerhalb der Verjährungsfrist erfolgt.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde des Finanzamtes. Das Finanzamt bringt vor, der Verwaltungsgerichtshof habe mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 18. Oktober 1995, 91/13/0037, sowohl zur Einhebungs- als auch zur Bemessungsverjährung ausgesprochen, dass Unterbrechungs- bzw. Verlängerungshandlungen anspruchsbezogene Wirkung hätten. Das von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes sei vor der Entscheidung des verstärkten Senates ergangen und daher nicht mehr aktuell.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Erlassung eines Haftungsbescheides (auch nach § 95 Abs. 2 EStG 1988) ist eine Einhebungsmaßnahme; sie ist daher nur innerhalb der Einhebungsverjährungsfrist nach § 238 BAO zulässig (vgl. Ritz, BAO3, § 224 Tz 4).
§ 224 Abs. 3 BAO lautet:
"Die erstmalige Geltendmachung eines Abgabenanspruches anlässlich der Erlassung eines Haftungsbescheides gemäß Abs. 1 ist nach Eintritt der Verjährung des Rechtes zur Festsetzung der Abgabe nicht mehr zulässig."
§ 238 Abs. 1 BAO idF BGBl. I Nr. 124/2003 lautet:
"Das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, verjährt binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. § 209 a gilt sinngemäß."
Da § 224 Abs. 3 und § 238 Abs. 1 BAO eine Abhängigkeit der Einhebungsverjährung vom Eintritt der Festsetzungsverjährung (§ 207 BAO) normieren, kommt der Festsetzungsverjährung auch in Bezug auf die Einhebungsverjährung Bedeutung zu.
Die Kapitalertragsteuer ist eine Erhebungsform der Einkommensteuer (vgl. dazu auch § 4 Abs. 2 lit. a Z 3 BAO). Das Recht auf Festsetzung der Kapitalertragsteuer (vgl. § 95 Abs. 5 EStG 1988) hängt somit von der Verjährung des Rechts auf Festsetzung der Jahreseinkommensteuer ab.
Aus dem - ebenfalls Haftung für Kapitalertragsteuer betreffenden - hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2007, 2006/15/0004, ergibt sich zweifelsfrei, dass auf die im Rahmen der Bemessungsverjährung gegebenen konkreten Verhältnisse abzustellen ist (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2010, 2008/13/0147). Normieren § 224 Abs. 3 und § 238 Abs. 1 BAO die Maßgeblichkeit des Ablaufes der Festsetzungsverjährung für das Einhebungsverfahren, ist im Einzelfall zu prüfen, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist oder nicht.
Im Erkenntnis vom 22. April 1992, 91/14/0009, hat der Verwaltungsgerichtshof noch ausgesprochen, wenn auch § 238 Abs. 1 BAO auf die Bemessungsverjährung Bezug nimmt, könnten hinsichtlich der Bemessungsverjährung gesetzte Unterbrechungshandlungen nicht auf die Einhebungsverjährung durchschlagen. Hiezu ist aber zu beachten, dass nach der vor der Entscheidung des verstärkten Senates vom 18. Oktober 1995, 91/13/0037, VwSlg. 7.038/F, bestehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die nur gegen einen Gesamtschuldner gerichtete Abgabenfestsetzung hinsichtlich des durch sie nicht berührten Gesamtschuldners keine Änderung des Laufes der Bemessungsverjährung bewirkt hat. In diesem Erkenntnis des verstärkten Senates hat der Verwaltungsgerichtshof sodann für den damals zu beurteilenden Bereich der Einhebungsverjährung die anspruchsbezogene Wirkung von Unterbrechungshandlungen als dem Gesetz entsprechend angesehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat also mit dem Erkenntnis des verstärkten Senates den Standpunkt einer personenbezogenen Wirkung von Unterbrechungshandlungen nicht mehr aufrecht erhalten und sich zur Auffassung der anspruchsbezogenen Wirkung von Unterbrechungshandlungen bekannt.
Im Erkenntnis vom 9. November 2000, 2000/16/0336, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die durch den verstärkten Senat in Bezug auf die Einhebungsverjährung getroffene Aussage auch für den Bereich der Bemessungsverjährung zu gelten hat.
Die der Rechtsansicht des verstärkten Senates vom 18. Oktober 1995, 91/13/0037, zu Grunde liegende anspruchsbezogene Wirkung von Unterbrechungen hat durch die über § 224 Abs. 3 und § 238 Abs. 1 BAO geschaffene Verknüpfung von Bemessungs- und Einhebungsverjährung auch zur Folge, dass hinsichtlich der Bemessungsverjährung gesetzte Amtshandlungen iSd § 209 Abs. 1 BAO Auswirkungen auf die Einhebungsverjährung zeitigen.
Wenn schon, wie dies im Erkenntnis des verstärkten Senates ausgesprochen wird, jede Amtshandlung nach § 238 Abs. 2 BAO die Verjährung des in § 238 Abs. 1 BAO genannten Rechtes gegenüber jedem unterbricht, der als Zahlungspflichtiger in Betracht kommt, gilt dies im Hinblick auf § 224 Abs. 3 und § 238 Abs. 1 BAO entsprechend auch für Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches iSd § 209 Abs. 1 BAO.
Aus § 207 Abs. 2 BAO ergibt sich, dass die Verjährungsfrist für die Festsetzung der Einkommensteuer fünf Jahre beträgt.
§ 209 Abs. 1 erster Satz BAO in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl I Nr. 180/2004 ordnet an, dass sich, wenn innerhalb der Verjährungsfrist des § 207 BAO nach außen erkennbare Amtshandlungen zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde unternommen werden, die Verjährungsfrist um ein Jahr verlängert.
Unstrittig sind im gegenständlichen Fall Veranlagungsbescheide betreffend das Einkommen 2002 der Gesellschafter in den Jahren 2003 und 2004 ergangen. Diese haben als Amtshandlungen iSd § 209 Abs. 1 BAO dazu geführt, dass die Bemessungsverjährung nicht vor dem 31. Dezember 2008 abgelaufen ist. Solcherart ist auch die Einhebungsverjährung nicht vor diesem Zeitpunkt eingetreten.
Dem Finanzamt ist es somit gelungen, die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am 25. November 2010
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