Normen
AsylG 1997 §7;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
VwRallg;
AsylG 1997 §7;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
VwRallg;
Spruch:
Die Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, der der armenischen Volksgruppe angehört, gelangte am 27. September 2001 als damals Minderjähriger gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester in das Bundesgebiet und beantragte - vertreten durch seinen Vater - am selben Tag Asyl. Als Fluchtgrund brachte der Vater des Beschwerdeführers vor, es sei vor seinem Kebabgeschäft in Teheran zu einer Schlägerei zwischen zwei Moslems und einem Armenier gekommen. Er habe dem dabei verletzten (ihm unbekannten) Armenier ein Glas Wasser zu trinken gegeben. Als er den beiden Moslems später den Namen dieses Armeniers nicht habe nennen können, hätten diese sein Geschäft demoliert und ihn auch persönlich bedroht. Daraufhin habe er beschlossen, den Iran zu verlassen, weil er Angst gehabt habe, dass ihn die beiden Männer umbringen könnten. Er habe den Vorfall den Basidjis gemeldet, aber da er keine Namen habe nennen können, sei ihm nicht geholfen worden.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 22. Februar 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) mangels Asylrelevanz ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 3. Dezember 2002 mit Bescheid vom 23. Jänner 2003 gemäß §§ 7, 8 AsylG ab.
Der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 6. Mai 2004, Zl. 2003/20/0066, ab.
Am 27. April 2005 stellte der (im September 2002 volljährig gewordene) Beschwerdeführer den beschwerdegegenständlichen zweiten Asylantrag.
Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er an, er habe Österreich seit der ersten Antragstellung nicht verlassen. Im Iran habe er zahlreiche Probleme aufgrund seiner christlichen Religion gehabt. Unter anderem sei er in Teheran öfter von Pasdaran (Revolutionswächtern) kontrolliert und auch mehrmals festgenommen worden. Während der Haft sei er geschlagen, beschimpft und mit einem Messer verletzt worden, die Narben seien heute noch zu sehen. Er habe diese Vorfälle nicht schon im ersten Verfahren erwähnt, da er damals noch minderjährig gewesen und nicht einvernommen worden sei. Weiters brachte er vor, bei seiner Rückkehr drohe ihm sofortige Verhaftung und eine strenge Strafe, weil er einen Asylantrag gestellt und den Militärdienst verweigert habe, wobei sich der Umstand, dass er Christ sei, für ihn besonders nachteilig auswirken würde. Er müsse zumindest mit einer Verlängerung des Militärdienstes, wahrscheinlich an der iranisch-irakischen Grenze, rechnen, wo es für ihn als Christ besonders gefährlich wäre. Vom iranischen Geheimdienst würde er als Christ, der "lange Zeit im Ausland gelebt hat", als Spion behandelt und könne im Iran nicht normal leben; er würde von den Pasdaran bzw. Basiji festgenommen werden. Seine Familie habe nach Abweisung der Erstanträge - erfolglos - versucht, in die USA auszuwandern.
Mit Bescheid vom 10. Mai 2005 wies das Bundesasylamt den zweiten Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache ab. Sie begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich das Vorbringen "fast gänzlich auf Vorfälle, die sich im Iran vor dem Jahr 2002 ereignet haben", beziehe. Diese seien vom Beschwerdeführer bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht worden bzw. hätten von ihm vorgebracht werden können. In Bezug auf die ins Treffen geführte Bestrafung wegen Nichtantritts des Militärdienstes führte die Behörde aus, dass Iraner mit Beginn des Kalenderjahres, in dem sie das 18. Lebensjahr erreichen, wehrpflichtig würden. Da dies im Falle des Beschwerdeführers das Jahr 2002 gewesen wäre, hätte er diesen Umstand spätestens in der Einvernahme in seinem ersten Asylverfahren in der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 3. Dezember 2002 vorbringen können. Gleiches gelte für sein Vorbringen, dass er wegen seiner Asylantragstellung in Österreich im Iran bestraft werden würde.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
1. Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, welche die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, (außer in den Fällen der §§ 69 und 71 AVG) wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Nach der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen -
berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0391, mwN).
Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 2007, Zl. 2004/20/0100, und vom 10. Juni 1998, Zl. 96/20/0266).
Als Vergleichsbescheid ist der Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. - in Bezug auf mehrere Folgeanträge - das Erkenntnis vom 26. Juli 2005, Zl. 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 4. November 2004 mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen.
2. Die belangte Behörde begründet den angefochtenen Bescheid damit, dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers "fast gänzlich" auf Vorfälle beziehe, die sich vor dem Jahr 2002 ereignet hätten und vom Beschwerdeführer "bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht wurden bzw. vorgebracht hätten werden können". In Bezug auf die unterlassene Meldung zum iranischen Militärdienst und die Furcht des Beschwerdeführers vor Bestrafung wegen seiner Asylantragstellung in Österreich führt die belangte Behörde weiter aus, diese Umstände hätte der Beschwerdeführer "spätestens in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 3.12.2002 vorbringen können". Mit diesen Verfolgungsbehauptungen setzt sich die belangte Behörde nicht weiter auseinander.
2.1. Soweit die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt, er befürchte, wegen der jahrelangen Nichtmeldung zum Militärdienst bei der Einreise sofort verhaftet und aufgrund seiner christlichen Religion besonders streng bestraft zu werden, deshalb keiner weiteren Prüfung unterzogen hat, weil sie davon ausging, dass der Beschwerdeführer die Probleme wegen der unterlassenen Meldung zum Militärdienst bereits im Erstverfahren im Rahmen der Berufungsverhandlung am 3. Dezember 2002 hätte vorbringen können, hat sie übersehen, dass aufgrund einer im Verwaltungsakt erliegenden, vom Bundesasylamt eingeholten Auskunft von Accord vom 24. Mai 2005 für den Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Asylverfahrens noch keine Verpflichtung zur Meldung zum Militärdienst bestanden haben dürfte.
Zwar trifft iranische Männer gemäß der genannten Auskunft von Accord grundsätzlich die Pflicht, sich innerhalb eines Monats ab dem Beginn des (iranischen) Kalenderjahres (am 21. März), in dem der Betreffende achtzehn Jahre alt wird, zum Militärdienst zu melden, im Ausland lebende Wehrpflichtige hätten aber "ein Jahr Zeit, um sich nach Eintritt der Wehrpflicht bei den iranischen Behörden zu melden". Ausgehend vom Geburtsdatum des Beschwerdeführers (14. September 1984) begann seine Meldepflicht im März 2002, endete aber aufgrund seines Auslandsaufenthaltes erst im März 2003 und somit nach Abschluss des ersten Asylverfahrens. Es kann daher nicht gesagt werden, dass sich der Beschwerdeführer mit der auf die unterlassene Meldung zum Militärdienst (im Zusammenhalt mit seiner christlichen Religion) gegründeten Verfolgungsbehauptung auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt gestützt hätte.
2.2. Weiters hat sich die belangte Behörde zu Unrecht nicht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt auseinander gesetzt, er würde vom iranischen Geheimdienst als Christ, der "lange Zeit im Ausland gelebt" hat, als Spion behandelt, könnte im Iran deshalb nicht "normal leben" und würde von den Pasdaran bzw. Basiji festgenommen werden. Ein solches Vorbringen hat der Beschwerdeführer, dessen erstes Asylverfahren bereits nach etwas mehr als einem Jahr nach seiner Einreise in das Bundesgebiet abgeschlossen worden war, im Erstverfahren weder erstattet noch konnte der Umstand, dass er als Christ bereits "lange Zeit im Ausland gelebt" hatte, in dem im Jänner 2003 beendeten Erstverfahren berücksichtigt werden.
3. Da die Erstbehörde die auf die zuvor genannten Umstände gegründeten - asylrelevanten - Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers nicht auf das Vorliegen eines glaubhaften Kerns geprüft und sich mit diesen - im Fall der Bejahung eines solchen - inhaltlich nicht auseinander gesetzt hat, bedarf der Sachverhalt in wesentlichen Punkten der Ergänzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde in diesem Fall zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 17. September 2008
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