VwGH 2008/19/0783

VwGH2008/19/07836.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der beschwerdeführenden Parteien 1. A, 2. T, 3. C, und

4. B, alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1.) 23. April 2008, Zl. 311.439-2/4E-VII/20/08, 2.) 23. April 2008, Zl. 254.835-2/4E-VII/20/08,

  1. 3.) 23.April2008, Zl.311.425-2/4E-VII/20/08,
  2. 4.) 23.April2008, Zl.254.834-2/4E-VII/20/08, betreffend Zurückweisung von Anträgen auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache und Ausweisung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres),

Normen

AsylG 2005;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
VwRallg;
AsylG 2005;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der viertangefochtene Bescheid wird insoweit, als damit der Antrag der vierbeschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der viertbeschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. die Beschlüsse gefasst:

1. Die Beschwerde wird hinsichtlich sämtlicher beschwerdeführenden Parteien insoweit, als sie sich gegen die Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Ukraine wendet, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Ein Aufwandersatz findet hinsichtlich der erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien nicht statt.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind ukrainische Staatsangehörige und Mitglieder einer Familie (der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer ihre volljährigen Söhne).

Sämtliche beschwerdeführenden Parteien brachten in den Jahren 2004 bzw. 2005 Asylanträge ein, die seitens der belangten Behörde im September 2007 im Instanzenzug rechtskräftig negativ abgeschlossen wurden.

Ohne das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen zu haben, beantragten sie am 10. März 2008 internationalen Schutz. Dazu brachten der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer (u.a.) erstmals vor, sie würden bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Probleme bekommen, weil sie den Wehrdienst nicht abgeleistet hätten. Beide hätten Einberufungsbefehlen nicht Folge geleistet. Es erwarte sie deshalb eine Gefängnisstrafe, die aufgrund ihrer armenischen Herkunft härter ausfallen werde als für andere den Wehrdienst verweigernde ukrainische Staatsangehörige. Hinzu kämen - näher umschriebene - katastrophale Haftbedingungen in den ukrainischen Gefängnissen.

Mit Bescheiden vom 29. März 2008 wies das Bundesasylamt die Anträge sämtlicher beschwerdeführenden Parteien gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Gleichzeitig wies es die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Ukraine aus.

Die dagegen erhobenen Berufungen wies die belangte Behörde mit den angefochtenen Bescheiden ab.

Soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz führte sie in der Begründung ihrer Entscheidungen betreffend die Dritt- und Viertbeschwerdeführer zum oben dargestellten neuen Fluchtvorbringen Folgendes aus:

Der Drittbeschwerdeführer habe seinen Einberufungsbefehl nach eigenen Angaben schon vor der Flucht aus der Ukraine erhalten, was das Vorliegen einer neuen Sache im Sinne des § 68 AVG schon von vornherein ausschließe. Er hätte die Tatsache der Nichtableistung seines Militärdienstes bereits im ersten Asylverfahren vorbringen müssen.

Der Viertbeschwerdeführer habe zwar seinen Einberufungsbefehl erst nach seiner Flucht aus der Ukraine bekommen. Er habe aber "naturgemäß" schon gewusst, dass er mit Eintritt seiner Volljährigkeit in seinem Heimatstaat den Militärdienst ableisten müsse. Diese Verpflichtung werde zwar erst mit der Volljährigkeit schlagend, doch hätte dies der Viertbeschwerdeführer schon im ersten Asylverfahren, in dem die Volljährigkeit schon bevorstand bzw. im Laufe des Berufungsverfahrens eintrat, geltend machen müssen. Der Vollständigkeit halber sei anzuführen, dass es sich zudem um kein Fluchtvorbringen mit Asylrelevanz handle, weil eine Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes für sich allein die Anerkennung als Flüchtling nicht rechtfertige. Zwar fürchte der Viertbeschwerdeführer Schwierigkeiten aufgrund seines "kaukasischen Aussehens". Er habe aber kein einziges konkretes Problem in seinem Alltag geschildert, bei dem sich diese Aussage bestätigt hätte. Da der Viertbeschwerdeführer nach eigenen Angaben ursprünglich sogar vorgehabt habe, nach seinem Studium den Militärdienst abzuleisten, könne davon ausgegangen werden, dass er selbst keine Probleme beim Militär wegen seiner armenischen Volksgruppenzugehörigkeit erwartet hatte. Im Übrigen sei auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid zu verweisen.

Dagegen wendet sich die vorliegende gemeinsame Beschwerde aller beschwerdeführenden Parteien.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren übermittelte die belangte Behörde am 1. September 2009 dg. Erkenntnisse vom 28. August 2009, mit denen im Zusammenhang mit weiteren Folgeanträgen der beschwerdeführenden Parteien rechtskräftig ausgesprochen worden war, dass die Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien aus dem österreichischen Bundesgebiet auf Dauer unzulässig sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu Spruchpunkt I.:

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer in den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Die materielle Rechtskraft des Bescheides steht nämlich einer weiteren Entscheidung in derselben Sache entgegen. Durch die Änderung der entscheidungsrelevanten Fakten verliert die seinerzeit entschiedene Sache allerdings ihre Identität; über diese andere Sache ist inhaltlich abzusprechen (vgl. etwa Hengstschläger/Leeb, AVG (2009( § 68 Rz 23).

Nach der hg. Rechtsprechung liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen -

berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein.

Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2008, 2008/23/0684, mit weiteren Nachweisen).

Die belangte Behörde geht in der Begründung des viertangefochtenen Bescheides zunächst davon aus, dass die neu geltend gemachten Fluchtgründe des Viertbeschwerdeführers einen Sachverhalt beträfen, der sich schon vor Beendigung des vorangegangenen (ersten) Asylverfahrens verwirklicht hätte. Der Viertbeschwerdeführer sei im Laufe des ersten Asylverfahrens volljährig geworden und die Wehrpflicht knüpfe an den Eintritt der Volljährigkeit an. Daher liege nach Auffassung der belangten Behörde kein geänderter Sachverhalt vor.

Dabei übersieht die belangte Behörde, dass allein die Volljährigkeit des Viertbeschwerdeführers noch keinen fluchtauslösenden Sachverhalt verwirklichte, mag daran auch die gesetzliche Wehrpflicht im Herkunftsstaat anknüpfen. Die Befürchtungen des Viertbeschwerdeführers beziehen sich offenkundig auf die Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls, den er - nach den Ausführungen der belangten Behörde - "erst nach seiner Flucht aus der Ukraine bekommen" hat. Lag dieses Ereignis nach dem (rechtskräftigen) Abschluss des ersten Asylverfahrens, so kann eine Behandlung des neuen Antrags auf internationalen Schutz nicht mit der Begründung verweigert werden, der Viertbeschwerdeführer hätte den (tatsächlichen und zeitlich ungewissen) Erhalt des Einberufungsbefehls schon während des ersten Asylverfahrens erwarten und entsprechendes Vorbringen erstatten müssen. Die belangte Behörde legte - ausgehend von ihrer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung - auch nicht präzise dar, wann der Viertbeschwerdeführer seinen Einberufungsbefehl bekommen hat und ob dies vor Abschluss des ersten Asylverfahrens geschehen ist. Anders als beim Drittbeschwerdeführer, der seinen Einberufungsbefehl nach den unbekämpften Feststellungen der belangten Behörde schon vor der Ausreise aus der Ukraine (und damit jedenfalls vor Abschluss des ersten Asylverfahrens) erhalten hatte, erweisen sich hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers diese sekundären Feststellungsmängel als relevant, weil ohne Klärung dieser Frage der Antrag des Viertbeschwerdeführers nach dem bisher Gesagten nicht abschließend erledigt werden kann.

Soweit die belangte Behörde hilfsweise die Asylrelevanz des Fluchtvorbringens verneint, enthält der viertangefochtene Bescheid keine ausreichende Auseinandersetzung mit den Behauptungen des Viertbeschwerdeführers, wegen seiner armenischen Abstammung im Vergleich zu anderen Refraktären eine härtere Bestrafung erwarten zu müssen. Dieser Befürchtung lässt sich mit dem bloßen Hinweis der belangten Behörde auf sein bisheriges (problemloses) Leben in der Ukraine nicht begegnen, war der Viertbeschwerdeführer vor seiner Flucht doch noch keinem Strafverfahren wegen eines Militärdelikts ausgesetzt. Auch der Umstand, dass er im Falle des Verbleibs in der Ukraine zum Militär einrücken hätte wollen, ist kein Argument gegen die geäußerte Furcht, aufgrund der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls asylrelevant bestraft und inhaftiert zu werden.

Im Übrigen lässt der angefochtene Bescheid auch nicht erkennen, dass die belangte Behörde die vom Viertbeschwerdeführer sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch in der Berufung angesprochenen "katastrophalen" Haftbedingungen in der Ukraine im Falle einer Verurteilung unter dem Gesichtspunkt eines möglichen subsidiären Schutzes in den Blick genommen hätte.

Der viertangefochtene Bescheid war daher vorrangig gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu Spruchpunkt II.:

Mit dem zwischenzeitlichen Ausspruch der belangten Behörde, die Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien aus dem österreichischen Bundesgebiet sei auf Dauer unzulässig, wurden die beschwerdeführenden Parteien insoweit klaglos gestellt, als die frühere Ausweisung in den angefochtenen Bescheiden - auch ohne ausdrückliche Behebung - hinfällig geworden ist.

Das Verfahren über die in diesem Umfang gegenstandslos gewordene Beschwerde war daher in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen.

Im Übrigen kann der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft mit Ausnahme der zu Spruchpunkt I. abgehandelten Rechtsfrage keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die weitere Behandlung der Beschwerde abzulehnen.

Den Verfahrensaufwand vor dem Verwaltungsgerichtshof haben die Parteien in diesem Fall selbst zu tragen (§ 58 Abs. 1 VwGG).

Wien, am 6. November 2009

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