Normen
AsylG 1997 §23;
AVG §66 Abs2 idF 1998/I/158;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
AsylG 1997 §23;
AVG §66 Abs2 idF 1998/I/158;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatangehöriger, reiste am 28. April 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 2. Mai 2000 Asyl. Seine Flucht aus dem Herkunftsstaat begründete er im Wesentlichen damit, von den Taliban verfolgt worden zu sein.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 28. Juni 2000 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei.
Über die gegen diese Entscheidung erhobene Berufung entschied die belangte Behörde mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 3. November 2000 (schriftlich ausgefertigt am 21. September 2001) dahingehend, dass dem Mitbeteiligten zwar gemäß § 8 AsylG Abschiebeschutz gewährt werde, seine Berufung im Asylteil gemäß § 7 AsylG aber abgewiesen werde.
Aufgrund der gegen den abweisenden Teil dieses Bescheides erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof die Asylentscheidung mit Erkenntnis vom 30. März 2006, 2002/20/0027, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Im Folgenden behob die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid die erstinstanzliche Asylentscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.
Begründend führte sie - soweit für dieses Verfahren relevant -
aus, das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. März 2006 habe sich auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung der Berufungsbehörde (3. November 2000) bezogen. Es sei "nun evident", dass nach diesem Zeitpunkt das Taliban-Regime in Afghanistan zusammengebrochen sei und damit die seinerzeitigen Ermittlungsergebnisse sowie das seinerzeitige Gefährdungsvorbringen "vollständig obsolet" geworden seien. Die belangte Behörde habe daher die gegenständliche Angelegenheit "zwecks vollständiger Neudurchführung des Ermittlungsverfahrens bezogen auf eine mögliche aktuelle asylrelevante Gefährdung des Mitbeteiligten in seinem Herkunftsstaat spruchgemäß an das Bundesasylamt" zurückverwiesen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde. Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift "aus Kapazitätsgründen" verzichtet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Amtsbeschwerde erwogen:
1. Die Amtsbeschwerde macht geltend, die belangte Behörde habe die gegenständliche Angelegenheit "zwecks vollständiger Neudurchführung des Ermittlungsverfahrens" ohne weitere Begründung an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Der angefochtene Bescheid werfe die wesentliche Frage auf, ob in einem Verfahren, in dem die erstinstanzliche Entscheidung bereits mehrere Jahre zurückliege - und somit eine Aktualisierung der länderkundlichen Feststellungen jedenfalls erforderlich sei - ein solcher Aktualisierungsbedarf für sich ausreiche, um eine Zurückverweisung an die erste Instanz zu begründen. Dies stünde nach Auffassung des Beschwerdeführers in klarem Widerspruch zu dem Grundsatz, dass bei der Ermessensübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens Bedacht zu nehmen sei. Auch sei es grundsätzlich die Pflicht der Berufungsbehörde, vor der Erledigung der Berufung für die notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens zu sorgen und mit den in § 66 Abs. 4 AVG enthaltenen Einschränkungen reformatorisch zu entscheiden. Der Spielraum für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG sei im Verfahren vor der belangten Behörde - im Vergleich zu sonstigen Berufungsverfahren nach dem AVG - eher geringer und jedenfalls nicht größer. Für die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG genüge es im Übrigen nicht, wenn die von der Berufungsbehörde in rechtlicher Gebundenheit vorgenommene Beurteilung, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung bzw. Vernehmung unvermeidlich sei, zutreffe. Es müsse auch begründet werden, warum die als erforderlich erachteten ergänzenden Ermittlungen nicht durch die Berufungsbehörde selbst vorgenommen werden könnten.
2. Mit diesem Vorbringen ist die Amtsbeschwerde im Recht.
2.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat, darf die Berufungsbehörde eine kassatorische Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhalts die Durchführung einer mündlichen Verhandlung "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinn des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. November 2002, 2002/20/0315, und vom 20. April 2006, 2003/01/0285).
2.2. Hat die Rechtsmittelbehörde festgestellt, dass die von § 66 Abs. 2 AVG geforderten Voraussetzungen zutreffen, so liegt es gemäß § 66 Abs. 2 iVm Abs. 3 AVG in ihrem Ermessen, entweder von der Ermächtigung zur Zurückverweisung Gebrauch zu machen und eine kassatorische Entscheidung zu treffen oder die mündliche Verhandlung selbst durchzuführen und in der Sache zu entscheiden (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 19 mit Hinweisen auf die hg. Judikatur). Welche Überlegungen die belangte Behörde bei ihrer Ermessensübung anzustellen hat, wurde in dem bereits zitierten hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, 2002/20/0315, näher erläutert (vgl. Punkt 4. der dortigen Erwägungen). Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher auf die Begründung dieses Erkenntnisses verwiesen.
2.3. Die Ermessensentscheidung unterliegt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur einer eingeschränkten Überprüfung. So liegt im Bereich des verwaltungsbehördlichen Ermessens Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die Behörde von diesem Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat (vgl. dazu etwa Mayer, B-VG4, Art. 130 II.1.). Dabei obliegt es der Behörde in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis des verstärkten Senates vom 25. März 1980, 3273/78, VwSlg. 10.077A/1980).
2.4. Im vorliegenden Fall vermag der angefochtene Bescheid schon deshalb keinen Bestand zu haben, weil die belangte Behörde ihre Ermessensentscheidung nicht nachvollziehbar begründet hat. Selbst wenn die Lageänderung im Herkunftsstaat des Mitbeteiligten für das Verfahrensergebnis von Bedeutung sein konnte, erläuterte die belangte Behörde nicht, warum sie eine "vollständige Neudurchführung des Ermittlungsverfahrens" für erforderlich erachtete und ihr eine Aktualisierung der Länderfeststellungen im Rahmen einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht zweckmäßig erschien. Auch lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen, welche "aktuelle asylrelevante Gefährdung" des Mitbeteiligten der belangten Behörde auf der Grundlage seines bisherigen Vorbringens noch möglich erschien. Die (hypothetische) Möglichkeit der Erstattung neuen Vorbringens durch den Mitbeteiligten reicht jedenfalls nicht aus, eine Behebung des erstinstanzlichen Bescheides zu rechtfertigen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 17. März 2009
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