VwGH 2008/02/0172

VwGH2008/02/017229.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über den Antrag des M M in W, vertreten durch Dr. Wolfgang A. Schwarz, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Mattiellistraße 3, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 2008, Zl. 2008/02/0086-2, gesetzte Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 24. Oktober 2007, Zlen. UVS-07/S/15/6467/2006-18 und UVS/07/SV/15/6857/2006, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften, den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332;
AVG §71 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Begründung

Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 2008, Zl. 2008/02/0086-2, wurde der Antragsteller aufgefordert, die vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde gegen einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 24. Oktober 2007 in mehreren Punkten zu ergänzen. Gleichzeitig erging der Auftrag, eine weitere Ausfertigung der ursprünglichen Beschwerde (bestimmt für den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) beizubringen. Zu diesem Zwecke wurde die Urschrift der Verfassungsgerichtshof-Beschwerde dem Auftrag angeschlossen. Der Auftrag erhielt den Hinweis, dass die vom Verfassungsgerichtshof abgetretene zurückgestellte Beschwerde (einschließlich der angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen) wieder vorzulegen sei.

Innerhalb der gesetzten Frist brachte der Antragsteller einen ergänzenden Schriftsatz ein, unterließ es jedoch entgegen dem erteilten Verbesserungsauftrag, eine weitere Ausfertigung der ursprünglichen (an den Verfassungsgerichtshof gerichteten) Beschwerde beizubringen. Mit Beschluss vom 21. Mai 2008, Zl. 2008/02/0086-6, wurde daher das Verfahren über die Beschwerde gemäß § 34 Abs. 2 und 33 Abs. 1 zweiter Satz VwGG eingestellt. Dieser Beschluss wurde dem Antragsteller zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters am 12. Juni 2008 zugestellt.

Mit dem vorliegenden Schriftsatz beantragt der Antragsteller, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Mängelbehebung zu bewilligen, und führt aus, dem Verbesserungsauftrag des Verwaltungsgerichtshofes sei entsprechend Rechnung getragen und der dazu erforderliche ergänzende Beschwerdeschriftsatz fristgerecht eingebracht worden. Der Vertreter des Antragstellers habe diesen Beschwerdeschriftsatz (nach veranlassten Korrekturen) in der erforderlichen Anzahl unterfertigt. Dann habe er seiner langjährigen Kanzleileiterin den Auftrag erteilt, alle jene Beilagen dem Beschwerdeschriftsatz anzufügen, welche zur gänzlichen Erfüllung des Verbesserungsauftrages notwendig und erforderlich gewesen seien. Die Kanzleileiterin habe dazu auf einem neutralen Zettel handschriftlich Aufzeichnungen gemacht ("Checkliste"). Dann habe der Rechtsvertreter auch eine weitere ursprüngliche Beschwerde (welche dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen gewesen sei) unterfertigt und zur vorbereiteten Eingabe gelegt. Die Kanzleileiterin habe hierauf für dieses Erledigungserfordernis (und zwar Vorlage eines weiteren ursprünglichen Beschwerdeschriftsatzes) einen Vermerk auf gegenständlicher "Checkliste" angebracht. Dann sei gegenständlicher Akt beiseitegelegt worden und es sei Aufgabe der Kanzleileiterin gewesen, einerseits die Beilagen vollständig ergänzend anzufügen (Kopien herzustellen, etc.) und weiters die Eingabe zu kuvertieren und zur Post zu bringen.

An besagtem Tag seien noch sehr viele Postabfertigungen und Fristsachen zu erledigen gewesen, der Rechtsvertreter habe Klientengespräche und viele Telefonate zu führen gehabt (welche von der Kanzleileiterin zu verbinden gewesen seien) und es sei auch für eine berufserfahrene langjährige versierte Angestellte einer Rechtsanwaltskanzlei ein sehr betriebsamer (und daher insofern ungewöhnlicher) Arbeitstag gewesen. Die Kanzleileiterin habe dann den gegenständlichen Beschwerdeakt ergänzend für die beizubringenden Beilagen bearbeitet, sich nochmals an Hand der "Checkliste" vergewissert, welche Erledigungen dazu noch zu machen gewesen seien; letztlich habe sie dann die Eingabe für den Verwaltungsgerichtshof kuvertiert und auf das Postamt gebracht. Durch unglückliche Umstände, die heute nicht mehr restlos aufgeklärt werden könnten, sei aber der ursprüngliche Beschwerdeschriftsatz im Akt zurück geblieben. Dies sei offenkundig durch das "Blättern" im Akt entstanden, als sich die Steckklammer vom Verbesserungsschriftsatz gelöst habe und diese unterfertigte ursprüngliche Beschwerde dann lose im Akt gelegen sei. Da die Kanzleileiterin auf ihrer "Checkliste" aber für den beizulegenden ursprünglichen Beschwerdeschriftsatz bei der Besprechung mit dem Rechtsvertreter schon einen Erledigungsvermerk angebracht habe, sei es nicht mehr aufgefallen, dass diese Eingabe letztlich nicht mitkuvertiert worden sei. Die Kanzleileiterin sei bereits mehr als 20 Jahren Angestellte in Rechtsanwaltskanzleien und habe immer besonders gewissenhaft gearbeitet, es sei ihr während ihrer Dienstzeit ein solches Versehen bisher nicht unterlaufen. Im Rahmen des Organisationsbetriebes beim Vertreter des Antragstellers sei dieses - als unvorhergesehen - eingetreten, wobei das "Organisationsverschulden" des Vertreters dem Antragsteller juristisch zuzurechnen sei. Allerdings werde aufgezeigt, dass auf Grund der dargestellten Ereignisse, der besonderen Betriebsamkeit in der Kanzlei des Antragstellervertreters bzw. des dargestellten Ablaufes wohl von einem minderen Grad des Versehens auszugehen sei, welcher kausal für die Fristversäumnis anzusehen sei. Es könne auf Grund der aufgezeigten Umstände auch einem besonders gewissenhaft arbeitenden Angestellten eine derartige Säumnis passieren. Die Richtigkeit des Vorbringens werde von Antragstellervertreter durch seine Unterschrift bestätigt und die Kanzleileiterin fertige für die Richtigkeit des Vorbringens den vorliegenden Schriftsatz mit.

§ 46 VwGG lautet (auszugsweise):

"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

..."

Die Bewilligung der Wiedereinsetzung gemäß § 46 Abs. 1 VwGG setzt voraus, dass der Partei kein den "minderen Grad des Versehens" übersteigendes Verschulden vorzuwerfen ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und dem Vertreter höchstens ein minderer Grad des Versehens vorzuwerfen ist. Ein Verschulden, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in dieser Weise außer Acht gelassen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 2002, Zl. 2002/02/0062).

Mit den oben wiedergegebenen Ausführungen zeigt der Antragsteller nicht auf, dass seinem Vertreter nur ein den minderen Grad des Versehens nicht übersteigendes Verschulden vorzuwerfen sei. Zwar darf ein Rechtsanwalt die Vornahme bestimmter Arbeitsgänge innerhalb seiner Kanzlei, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe seinen Kanzleiangestellten überlassen, und ein Versehen eines Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes stellt dann ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber nachgekommen ist. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit eines vom Rechtsanwalt - wie hier zur Erfüllung eines Mängelbehebungsauftrages - einzubringenden Schriftsatzes. Diesbezüglich kann der Rechtsanwalt nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden, und zwar auch dann nicht, wenn er sich bei der Vorbereitung des Schriftstückes (besonders) verlässlicher Kanzleikräfte bedient (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom 26. April 2002, Zl. 2002/02/0062). Da sich die von der Kanzleileiterin vorzunehmende Tätigkeit nicht bloß auf den rein technischen Vorgang beim Abfertigen von Schriftstücken beschränkte (es war vielmehr die Komplettierung des bereits vorab unterfertigten Schriftsatzes nach einer "Checkliste" durch Anschluss weiterer beizubringender Beilagen vorzunehmen), hätte sie auch einer verlässlichen Kanzleikraft nicht ohne nähere Beaufsichtigung überlassen werden dürfen (vgl. dazu z.B. die hg. Beschlüsse vom 1. Dezember 1994, Zl. 94/18/0771, sowie vom 8. Februar 1995, Zl. 95/03/0015). Die anwaltliche Sorgfaltspflicht umfasst in einem solchen Fall auch die geeignete Überwachung des Fertigmachens der Postsendung zur Abgabe und die Überprüfung der Vollständigkeit der an den Verwaltungsgerichtshof in Befolgung des Verbesserungsauftrages zu übermittelnden Aktenstücke (vgl. den hg. Beschluss vom 18. Jänner 1989, Zl. 88/03/0251), sodass dem Rechtsvertreter des Antragstellers im vorliegenden Fall ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten ist.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher abzuweisen.

Wien, am 29. April 2011

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