VwGH 2007/18/0421

VwGH2007/18/04212.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des S H in W, geboren am 23. August 1983, vertreten durch Dr. Irene Pfeifer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. Mai 2007, Zl. SD 1377/06, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §55 Abs3 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
AVG §66 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §55 Abs3 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 22. Mai 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 sowie § 63 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zu Grunde, dass sich der Beschwerdeführer seit 1989 ständig in Österreich befinde. Ab April 1990 habe er zunächst von seinem Vater abgeleitete Sichtvermerke erhalten. Bereits am 16. Februar 1993 sei ihm ein unbefristeter Sichtvermerk ausgestellt worden. Zuletzt habe er über einen vom 6. Juni 2003 bis 5. Juni 2013 gültigen Niederlassungsnachweis verfügt.

Die gesamte Familie des Beschwerdeführers lebe im Bundesgebiet; er habe mit seinen Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt gewohnt. Der Beschwerdeführer habe in Österreich seine gesamte Schulausbildung - nämlich Volks- und Hauptschule, ein Jahr Polytechnischen Lehrgang und drei Jahre Berufsschule für Bäcker - absolviert.

Am 30. Oktober 2000 habe sich der Beschwerdeführer in Wien in einem Park in einen Raufhandel eingelassen; als sein Kontrahent geflüchtet sei, habe er ihm ein "Butterfly"-Messer mit fixierter Klinge nachgeworfen. Daraufhin sei dem Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 6. März 2001 der Besitz von Waffen und Munition gemäß § 12 Abs. 1 Waffengesetz 1996 verboten worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. September 2006 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Der Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 12. März 2004 in Wien einen in einer Videothek beschäftigten Mann überfallen und beraubt habe, wobei sein Komplize dem Opfer mehrmals mit einem hölzernen Nudelwalker gegen den Hinterkopf und die Schultern geschlagen und mehrere Fußtritte in die Hüftgegend versetzt habe, während der Beschwerdeführer ein ca. 30 cm langes Küchenmesser gegen das Opfer gerichtet habe. Die beiden hätten so einen Bargeldbetrag in der Höhe von insgesamt EUR 2.100,-- erbeutet.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei. Das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in hohem Maße, sodass sich auch die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme als gerechtfertigt erweise.

In Anbetracht der familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, in dem sich dieser seit 1989 durchgehend aufhalte, sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen beträchtlichen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen.

Dieser Eingriff sei allerdings gerechtfertigt, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der Freiheit Dritter - dringend geboten sei. Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers stehe somit die Gefährdung öffentlicher Interessen durch dessen aufgezeigtes Fehlverhalten gegenüber. Der Beschwerdeführer habe durch sein strafbares Verhalten augenfällig dokumentiert, dass er nicht in der Lage bzw. nicht gewillt sei, die zum Schutz maßgeblicher Rechtsgüter aufgestellten Normen einzuhalten. Er scheue sich nicht, sich mit Gewalt gegen den Willen der anderen Person etwas zu verschaffen. Zudem liege sein für die angeführte Verurteilung ausschlaggebendes Fehlverhalten noch keineswegs so lange zurück, dass aufgrund des seither verstrichenen Zeitraumes auf einen Wegfall oder eine entscheidende Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr für die im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen geschlossen werden könne.

Im Rahmen der nach § 66 Abs. 2 FPG vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf die sich aus der Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ableitbare Integration Bedacht zu nehmen. Die aus dem langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers und seinen privaten und familiären Beziehungen ableitbare Integration habe jedoch in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die vom Beschwerdeführer begangene schwerwiegende Straftat eine ganz erhebliche Minderung erfahren.

Diesen - solcherart verminderten - privaten, familiären und beruflichen Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen und am Schutz der körperlichen Integrität Dritter entgegen. Bei Abwägung dieser Interessenlagen gelange die belangte Behörde zu der Auffassung, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Angesichts des öffentlichen Interesses an der Beendigung seines Aufenthaltes müssten die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie von diesem in Kauf genommen werden.

In Anbetracht der Höhe der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers stehe auch § 61 FPG der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.

Gemäß § 63 FPG dürfe ein Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z. 1, 5 und 12 bis 14 FPG unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung sei bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Als maßgebliche Umstände sei abgesehen von dem gesetzten Fehlverhalten und der daraus resultierenden Gefährdung öffentlicher Interessen auch auf die privaten und familiären Interessen im Sinne des § 66 FPG Bedacht zu nehmen.

Angesichts des gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers vertrete die belangte Behörde die Auffassung, dass ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, derzeit nicht vorhergesehen werden könne.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah allerdings von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf der Grundlage der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang eine unrichtige Feststellung des erstinstanzlichen Bescheides hervorhebt, so bleibt dies ohne Relevanz, weil nicht dieser Bescheid, sondern der angefochtene Bescheid den Gegenstand des vorliegenden Bescheidprüfungsverfahrens darstellt (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG).

2. Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen, insoweit unstrittigen Feststellungen nahm der damals 20½ Jahre alte Beschwerdeführer an einem Raubüberfall auf einen Angestellten einer Videothek teil, wobei er diesen mit einem ca. 30 cm langen Küchenmesser bedrohte und gemeinsam mit einem Komplizen Bargeld in der Höhe von insgesamt EUR 2.100,-- erbeutete.

Angesichts dieser Straftat und unter Berücksichtigung der ebenfalls unstrittigen Feststellungen zu dem illegalen Waffengebrauch durch den Beschwerdeführer bereits im jugendlichen Alter begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand.

3. Die Beschwerde wendet sich gegen das Ergebnis der durch die belangte Behörde gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung. Dabei hat die belangte Behörde allerdings berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer bereits im Alter von sechs Jahren nach Österreich gekommen ist, mit seinen Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt gewohnt und in Österreich seine gesamte Schulausbildung absolviert hat. Zutreffend hat die Behörde allerdings auf die Minderung des Gewichtes der daraus ableitbaren Integration in ihrer sozialen Komponente durch die durch den Beschwerdeführer begangene schwerwiegende Straftat hingewiesen. Dem Beschwerdeführer liegt ein im Licht des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Eigentums- und Gewaltkriminalität besonders verwerfliches Fehlverhalten zur Last.

Den insgesamt dennoch gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet steht allerdings die aus seiner Straftat resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Bei Abwägung der genannten gegenläufigen Interessen kann die Auffassung der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit und der Freiheit anderer, somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), nicht als rechtswidrig angesehen werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 2007, Zl. 2007/18/0294, mwN).

4. § 61 Z. 3 FPG steht der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer - wie festgestellt - durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 7. September 2006 rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von mehr als einem Jahr verurteilt worden ist.

5. Soweit die Beschwerde auf die Kann-Bestimmung des § 60 Abs. 1 FPG hinweist und damit erkennbar die Ermessensübung durch die belangte Behörde beanstandet, kann der Verwaltungsgerichtshof auch diesen Ausführungen nicht folgen:

Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens (§ 55 Abs. 3 Z. 1 FPG) ist das Vorliegen der Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig; eine auf einer Ermessenserwägung beruhende Abstandnahme von dessen Verhängung würde offensichtlich nicht im Sinn des Gesetzes (Art. 130 Abs. 2 B-VG) erfolgen, sodass für die belangte Behörde keine Veranlassung bestand, im Rahmen der Ermessensübung gemäß § 60 Abs. 1 FPG von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. November 2007, Zl. 2007/18/0720, mwN).

6. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Verfahrensrüge vermeint, die belangte Behörde hätte gemäß § 66 Abs. 1 AVG Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens zur Situation des Beschwerdeführers in Serbien und zu dessen Kenntnissen der serbischen Sprache durchführen oder durchführen lassen müssen, so ist dem zu erwidern, dass mit einem Aufenthaltsverbot nicht darüber abgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. September 2007, Zl. 2007/18/0648).

Soweit der Beschwerdeführer die Unterlassung der Durchführung einer Berufungsverhandlung rügt, tut er nicht dar, welche konkreten Umstände bei Durchführung einer Verhandlung hervorgekommen wären.

7. Da sich die Beschwerde aus diesen Gründen als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

8. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 2. September 2008

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