VwGH 2007/01/0513

VwGH2007/01/051326.6.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerden des Bundesministers für Inneres gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. März 2007, Zlen. 238.993/0/2E-V/13/03 bzw. 238.991/0/5E-V/13/03, beide betreffend ersatzlose Behebung von Bescheiden des Bundesasylamtes auf Grund einer Zurückziehung von Asylerstreckungsanträgen (mitbeteiligte Parteien: B Q, geboren 1989 bzw. S Q, geboren am 1986, beide in L), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §10 Abs1;
AsylG 1997 §23 Abs3;
AsylG 1997 §44 Abs1;
AsylG 1997 §44 Abs3;
AsylG 2005 §75 Abs1;
AsylG 2005 §75 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;
AsylG 1997 §10 Abs1;
AsylG 1997 §23 Abs3;
AsylG 1997 §44 Abs1;
AsylG 1997 §44 Abs3;
AsylG 2005 §75 Abs1;
AsylG 2005 §75 Abs4;
AVG §68 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Den vorliegenden Beschwerden und den diesen angeschlossenen Bescheidausfertigungen zufolge wurde mit den angefochtenen Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 21. März 2007 die Bescheide des Bundesasylamtes jeweils vom 26. Mai 2003, Zl. 02 28.520-BAL (betreffend die erstmitbeteiligte Partei) bzw. Zl. 02 28.516-BAL (betreffend die zweitmitbeteiligte Partei) gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 (im Folgenden: AsylG 2005) iVm § 38 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (im Folgenden: AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003) ersatzlos behoben.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen gleichlautend aus, mit den zitierten Bescheiden des Bundesasylamtes seien die Asylerstreckungsanträge der erst- bzw. zweitmitbeteiligten Partei jeweils vom 30. September 2002 gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003 abgewiesen worden. Gegen diese Bescheide sei fristgerecht berufen worden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 14. Jänner 2006 seien die Asylerstreckungsanträge zurückgezogen worden. Die Zurückziehungen seien durch den anwesenden rechtsfreundlichen Vertreter der mitbeteiligten Parteien in deren Gegenwart erfolgt.

Werde in einem antragsbedürftigen Verfahren der Antrag zurückgezogen, sei das erstinstanzliche Verfahren einzustellen, die Berufungsbehörde habe diesfalls den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben.

Der unabhängige Bundesasylsenat übersehe nicht, dass schon gemäß § 23 Abs. 3 AsylG idF der Novelle BGBl. I 101/2003 (im Folgenden: AsylG), eine Asylantragszurückziehung nicht mehr zulässig gewesen sei und eine Zurückziehung des Asylantrages im Stadium der Berufung als Zurückziehung der Berufung gelte. Gemäß den (auf Grund § 75 Abs. 1 AsylG 2005 maßgeblichen) Übergangsbestimmungen des § 44 Abs. 1 und 3 AsylG seien die §§ 8, 15, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a AsylG auf Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden seien, anzuwenden. Dies gelte jedoch - bei verfassungskonformer Interpretation - nur für Verfahren hinsichtlich derer bereits das Bundesasylamt das AsylG angewendet habe. Analoges gelte für die Anwendbarkeit von § 25 Abs. 2 AsylG 2005.

Gegen diese Bescheide richten sich die betreffend die erstmitbeteiligte Partei zur hg. Zl. 2007/01/0513 und betreffend die zweitmitbeteiligte Partei zur hg. Zl. 2007/01/0514 protokollierten Beschwerden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat auf Grund des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges beschlossen, die beiden Beschwerden zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden. Er hat sodann erwogen:

1. Der Bundesminister für Inneres bringt gegen die angefochtenen Bescheide im Wesentlichen vor, gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 44 Abs. 1 AsylG sei § 23 Abs. 3 AsylG auf die vorliegenden Verfahren anzuwenden, sodass die erstinstanzlichen Bescheide mit Zurückziehung der Anträge durch die mitbeteiligten Parteien in Rechtskraft erwachsen seien. Gemäß § 75 AsylG 2005 sei § 44 AsylG beachtlich, ohne dass die letztere Bestimmung auf Asylanträge, die nach dem 30. April 2004 gestellt worden seien, eingeschränkt worden wäre, was der "Sinnhaftigkeit von Übergangsbestimmungen" entspreche. Im Übrigen habe die belangte Behörde es unterlassen, ihre verfassungskonforme Interpretation nachvollziehbar zu begründen. Auf Grund fehlender einheitlicher Anwendung der Übergangsbestimmungen im Asylverfahren liege jedenfalls eine Rechtsfrage von maßgebender Bedeutung vor.

2. § 75 Abs. 1 AsylG 2005 lautet auszugsweise:

"Übergangsbestimmungen

§ 75. (1) Alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren sind nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.

§ 44 AsylG 1997 gilt. ..."

§ 23 Abs. 3 sowie § 44 Abs. 1 und 3 AsylG lauten:

"Verfahrensrecht

§ 23. ...

(3) Die Zurückziehung eines Asylantrages ist unzulässig (§ 31 Abs. 2); die Behörde hat jedenfalls über den Asylantrag abzusprechen, es sei denn, das Verfahren wird eingestellt oder der Antrag wird als gegenstandslos abgelegt (§ 40a Abs. 3). Eine Zurückziehung des Asylantrages im Stadium der Berufung gilt als Zurückziehung der Berufung.

...

Übergangsbestimmungen

§ 44. (1) Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, werden nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.

...

(3) Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 sind auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden."

Die §§ 10 und 11 AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003 lauten

auszugsweise:

" Asylerstreckungsantrag

§ 10. (1) Fremde begehren mit einem Asylerstreckungsantrag die Erstreckung des einem Angehörigen auf Grund eines Asylantrages oder von Amts wegen gewährten Asyl.

(2) Asylerstreckungsanträge können frühestens zur selben Zeit wie der der Sache nach damit verbundene Asylantrag eingebracht werden. ...

Asylerstreckung

§ 11. (1) Die Behörde hat auf Grund eines zulässigen Antrages durch Erstreckung Asyl zu gewähren, wenn dem Asylwerber die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK, BGBl. Nr. 210/1958, mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

(2) Fremde, die einen Asylerstreckungsantrag eingebracht haben, können im Verfahren über den Asylantrag ihres Angehörigen aus eigenem alles vorbringen, was ihnen für dieses Verfahren maßgeblich erscheint. Wird der Asylantrag als unzulässig zurückgewiesen oder als offensichtlich unbegründet abgewiesen, so gelten die der Sache nach damit verbundenen Asylerstreckungsanträge, sofern der Betroffene nach Belehrung über die Folgen nicht ausdrücklich darauf verzichtet, als Asylanträge. ...

(3) Bringen Fremde einen Asylerstreckungsantrag während eines bereits anhängigen Verfahrens gemäß § 7 ein, ist mit der Erledigung dieses Antrages zuzuwarten, bis die Entscheidung über ihren Asylantrag ergangen ist. Asyl durch Erstreckung darf ihnen erst gewährt werden, wenn ihr Asylantrag rechtskräftig zurückgewiesen oder abgewiesen wurde.

(4) Bescheide, mit denen Angehörigen durch Erstreckung Asyl gewährt wurde, treten außer Kraft und Asylerstreckungsanträge werden gegenstandslos, wenn den Angehörigen gemäß § 7 Asyl gewährt wird."

3. Vorliegend ist alleine strittig, ob die Bestimmung des § 23 Abs. 3 AsylG in den gegenständlichen Verfahren anwendbar war.

In dieser Hinsicht normiert § 75 Abs. 1 AsylG 2005 zunächst, dass alle am 31. Dezember 2005 anhängigen - somit auch die gegenständlichen - Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen sind und auch die Übergangsbestimmung des § 44 AsylG (idF der AsylG-Novelle 2003) gilt. § 44 Abs. 3 AsylG spricht davon, dass § 23 Abs. 3 AsylG auf "Verfahren gemäß Abs. 1" anzuwenden ist. § 44 Abs. 1 AsylG nennt diesbezüglich "Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden".

Dies ändert aber nichts daran, dass der Wortlaut des § 23 Abs. 3 AsylG selbst ausdrücklich nur den "Asylantrag" erfasst und in diesem Sinn die Rechtsfolgen der Zurückziehung eines solchen Antrages regelt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2006, Zl. 2004/01/0289, sowie mit Verweis auf ersteres das hg. Erkenntnis vom 22. August 2006, Zl. 2006/01/0353). Hingegen werden "Asylerstreckungsanträge" von dieser Regelung nicht erfasst. Daran ändert auch § 44 Abs. 3 AsylG nichts, ordnet doch dieser alleine die Anwendung des § 23 Abs. 3 AsylG auf Verfahren gemäß § 44 Abs. 1 an, eine (darüber hinaus gehende) Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 23 Abs. 3 AsylG wird jedoch nicht normiert.

Für dieses Ergebnis sprechen im Übrigen auch die vom Gesetzgeber zu § 23 Abs. 3 AsylG angestellten Überlegungen. Wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom 8. Juni 2006 mit Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2004, G 273/03 ua, Punkt III.6. ausgeführt hat, beruht die Regelung des § 23 Abs. 3 AsylG - wie aus den Materialien hervorgeht - auf einem Missbrauchsverdacht gegenüber Personen, die einen Asylantrag zurückziehen, und bezweckt, die "Sperrwirkung der Rechtskraft" (für weitere Folgeverfahren - vgl. insoweit zwischenzeitlich auch § 75 Abs. 4 AsylG 2005) zu erhalten. Ein Asylerstreckungsantrag nach § 10 Abs. 1 AsylG idF vor der AsylG-Novelle 2003, der lediglich auf die Erstreckung des einem Angehörigen auf Grund eines Asylantrages oder von Amts wegen gewährten Asyls gerichtet ist, kann keine derartige "Sperrwirkung" entfalten.

Daher hat die belangte Behörde schon aus diesem Grund zutreffend angenommen, dass § 23 Abs. 3 AsylG nicht anwendbar ist und die zitierten, erstinstanzlichen Bescheide - entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bezogen auf die Rechtslage vor der AsylG-Novelle 2003 (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2006) - zu Recht ersatzlos behoben.

4. Da somit schon der Inhalt der vorliegenden Beschwerden erkennen lässt, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, waren diese gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 26. Juni 2007

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