VwGH 2005/16/0261

VwGH2005/16/026126.1.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde des Finanzamtes Feldkirch gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Feldkirch, vom 3. Oktober 2005, Zl. RV/0033-F/04, betreffend Grunderwerbsteuer (mitbeteiligte Partei: Gemeinde L, vertreten durch die Reiner & Reiner Wirtschaftsprüfungs KEG in 6890 Lustenau, Schillerstraße 22), zu Recht erkannt:

Normen

GrEStG 1987 §1 Abs1 Z1;
GrEStG 1987 §17 Abs1 Z1;
WEG 1975 §23 Abs1;
WEG 1975 §25 Abs1;
WEG 2002 §43 Abs1;
GrEStG 1987 §1 Abs1 Z1;
GrEStG 1987 §17 Abs1 Z1;
WEG 1975 §23 Abs1;
WEG 1975 §25 Abs1;
WEG 2002 §43 Abs1;

 

Spruch:

Die angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Am 16. November 2000 und am 3. Jänner 2001 unterfertigten die V Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft mbH (im Folgenden kurz: V) einerseits und die als "Wohnungseigentumswerber" bezeichnete Mitbeteiligte andererseits einen "Anwartschaftsvertrag für den Kindergarten Top Nr. 2 im Haus L" über die beiderseitige Verpflichtung zum Abschluss eines Kaufvertrages über den Erwerb von Wohnungseigentum und die Einräumung von Wohnungseigentum an dort näher bezeichneten Räumlichkeiten zum Betrieb eines Kindergartens um einen vorläufigen Kaufpreis von S 12.202.800,--. Punkt XI. des Anwartschaftsvertrages lautet, soweit im Beschwerdefall von Relevanz:

"Rücktritt vom Anwartschaftsvertrag

...

(3) Die Mitbeteiligte ist weiters berechtigt, bis zur Unterfertigung des Kauf- und Wohnungseigentumsvertrages über den Vertragsgegenstand von diesem Anwartschaftsvertrag unter Einhaltung einer einmonatigen Frist zum letzten Tag eines jeden Monats mit eingeschriebenem Brief ohne Angabe von Gründen zurückzutreten. Dies jedoch nur dann, wenn die Mitbeteiligte einen von der V zu genehmigenden Nachfolger stellt, der in der Lage ist, sofort die gesamten bestehenden Zahlungsverpflichtungen der V gegenüber zu begleichen bzw. sämtliche von der Mitbeteiligten bereits an die V geleisteten und an sie rückbezahlten Einzahlungen an die V bar zurückzuerstatten und gewillt ist, den Vertragsgegenstand in dem Zustand zu übernehmen, in welchem er von der Mitbeteiligten zurückgestellt wird. Der Nachfolger muss bereit sind, in sämtliche Verpflichtungen der Mitbeteiligten, insbesondere auch in solche, die aus Sonderwünschen entstanden sind, einzutreten. Rechtsnachfolger dürfen vom Rücktretenden nicht über Realitätenvermittler, Gebäudeverwalter oder andere Vermittlungsbüros gestellt werden.

..."

Den vorgelegten Verwaltungsakten zufolge beschloss die Gemeindevertretung der Mitbeteiligten in ihrer Sitzung vom 15. Mai 2001 einstimmig, dass die Finanzierung dieses Kaufes durch die Bank A erfolgen solle. Mit Schreiben vom 7. August 2001 teilte der rechtsfreundliche Vertreter der "Bank A C" der V mit, dass deren Konzerntochter B GmbH (in der Folge kurz: B) im Hinblick auf eine mit der Mitbeteiligten vereinbarte Leasingfinanzierung des Ankaufes der gegenständlichen Miteigentumsanteile, mit welchem das Wohnungseigentum verbunden werde, in den Anwartschaftsvertrag vom 16. November 2000/3. Jänner 2001 eintreten solle. In diesem Zusammenhang forderte er Modifikationen des Anwartschaftsvertrages in einzelnen Bestimmungen.

Am 30. November 2001 unterfertigte vorerst die Mitbeteiligte als Leasingnehmer einen Leasingvertrag mit der B als Leasinggeber betreffend die eingangs genannten Wohnungseigentumsanteile: Das Leasingverhältnis beginne mit beiderseitiger Unterfertigung diese Vertrages rückwirkend mit dem Tag der Unterfertigung dieses Vertrages durch den Leasingnehmer. Übergabe des Leasingobjektes sei "voraussichtlich" der 1. März 2001.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2001 erklärte die Mitbeteiligte gegenüber der V, gemäß Punkt XI. Abs. 3 des Anwartschaftsvertrages von diesem zurückzutreten. Weiters gebe sie bekannt, dass die B den gegenständlichen Kindergarten käuflich erwerben werde.

In weiterer Folge urgierte der Rechtsfreund der B von der V die Übermittlung eines verbücherungsfähigen Kaufvertrages über die betreffenden Wohnungseigentumsanteile und bewirkte im Jahr 2002 eine Änderung der Bestimmungen des zukünftigen Kauf- und Wohnungseigentumsvertrages über die Abwicklung der Zahlung (über einen Treuhänder). Im Frühjahr 2003 schlossen schließlich die V und die B einen Kaufvertrag über näher bezeichnete Miteigentumsanteile am eingangs genannten Bauvorhaben, mit denen das Wohnungseigentum an den als "Kindergarten Top 2" näher bezeichneten Räumlichkeiten verbunden ist.

Am 22. Oktober 2003 unterfertigte die B den Leasingvertrag mit der Mitbeteiligten.

Mit Bescheid vom 5. November 2003 setzte das Finanzamt Feldkirch gegenüber der Mitbeteiligten die Grunderwerbsteuer für den Rechtsvorgang "Anwartschaftsvertrag vom 16. November 2000 mit V" mit dem Betrag von EUR 33.017,16 fest.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Mitbeteiligte im Kern vor, sie sei mit Schreiben vom 18. Dezember 2001 gemäß Punkt XI. Abs. 3 des gegenständlichen Anwartschaftsvertrages von diesem zurückgetreten, sodass der gegenständliche Erwerbsvorgang innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Jahren seit Entstehen der Steuerschuld durch Vereinbarung rückgängig gemacht worden sei. Der Rücktritt sei dem Finanzamt von der V bekannt gegeben worden. Sie stelle daher den Antrag, der Berufung stattzugeben und die Grunderwerbsteuer mit EUR 0,-- festzusetzen.

Das Finanzamt Feldkirch wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 5. Dezember 2003 als unbegründet ab, weil - so die wesentliche Begründung dieses Bescheides - nach der Sachlage der Rücktritt der Mitbeteiligten keine Auflösung und Rückgängigmachung des Ankaufes darstelle, sondern eine Erfüllung des Vertrages durch Weiterübertragung des Übereignungsanspruches. Von einer Rückgängigmachung zur vollständigen Wiedererlangung der Verfügungsmacht des Veräußerers im Sinn des § 17 Abs. 1 GrEStG könne in diesem Zusammenhang daher nicht gesprochen werden.

Hierauf beantragte die Mitbeteiligte die Vorlage der Berufung.

Nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 29. September 2005 gab die belangte Behörde der Berufung mit dem angefochtenen Bescheid statt und hob den Bescheid vom 5. November 2003 ersatzlos auf. Unter näherer Darstellung der vertraglichen Grundlagen, des Schriftverkehrs sowie des Verfahrensganges führt die belangte Behörde nach Wiedergabe des § 17 Abs. 1 Z. 1 GrEStG 1987 sowie von Rechtsprechung zu dieser Bestimmung aus,

"vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage gelangte der erkennende Senat in freier Beweiswürdigung zu Überzeugung ..., dass der am 16.11.2000 und 3.1.2001 unterfertigte Anwartschaftsvertrag im Sinne des § 17 Abs. 1 Z. 1 GrEStG mit der Wirkung rückgängig gemacht worden ist, dass die V ihre freie Verfügungsmacht (als Eigentümerin) wiedererlangt hat:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 Z. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 (GrEStG 1987) unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung begründet.

Gemäß § 17 Abs. 1 Z. 1 GrEStG 1987 wird die Steuer auf Antrag nicht festgesetzt, wenn der Erwerbsvorgang innerhalb von drei Jahren seit der Entstehung der Steuerschuld durch Vereinbarung, durch Ausübung eines vorbehaltenen Rücktrittsrechtes oder eines Wiederverkaufsrechtes rückgängig gemacht wird.

Soweit die Mitbeteiligte in ihrer Gegenschrift den angefochtenen Bescheid im Ergebnis mit dem Argument zu stützen versucht, dass erstmals durch den Kaufvertrag im Frühjahr 2003 ein Übereignungsanspruch (der B) begründet worden sei, erst dieser Kaufvertrag das zweiseitige Verpflichtungsgeschäft darstelle und demnach die V - nach dem Rücktritt der Mitbeteiligten vom Anwartschaftsvertrag - die Verfügungsmacht gleich einem Eigentümer nicht nur für zivilrechtliche, sondern auch für steuerliche Zwecke wiedererlangt habe, vermag sie damit keine Bedenken gegen die Beurteilung des gegenständlichen Anwartschaftsvertrages als einen der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 1 Z. 1 GrEStG unterliegenden Rechtsvorgang zu erwecken. Die Mitbeteiligte erhielt im vorliegenden Anwartschaftsvertrag die schriftliche Zusage der späteren Einräumung von Wohnungseigentum an bestimmten Räumlichkeiten und wurde - im Einklang mit § 23 Abs. 1 WEG 1975 - als Wohnungseigentumswerberin bezeichnet, sodass sie bereits auf Grund des Anwartschaftsvertrages zufolge der Bestimmung des § 25 Abs. 1 WEG 1975 - nunmehr des § 43 Abs. 1 WEG 2002 zu Gunsten des "Wohnungseigentumsbewerbers" - letzen Endes in den Genuss eines klagbaren und damit durchsetzbaren Anspruches auf Einverleibung ihres Wohnungseigentums gegenüber dem Eigentümer der Liegenschaft gelangte. Der vorliegende Anwartschaftsvertrag stellte damit einen Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 1 Z. 1 GrEStG 1987 dar (vgl. Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern, Band II

3. Teil, Rz 156 zu § 1 GrEStG, unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 2. Juli 1998, Zl. 97/16/0269, betreffend die Rechtslage vor dem In-Kraft-Treten des Wohnungseigentumsgesetzes 2002, BGBl I Nr. 70).

Ein Erwerbsvorgang ist dann im Sinn des § 17 Abs. 1 Z. 1 GrEStG 1987 rückgängig gemacht, wenn sich die Vertragspartner derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt. Ein Erwerbsvorgang ist also nur dann rückgängig gemacht, wenn der Verkäufer jene Verfügungsmacht über das Grundstück, die er vor Vertragsabschluss innehatte, wiedererlangt hat. Bei derartigen Begünstigungstatbeständen wie dem § 17 GrEStG hat der die Begünstigung in Anspruch nehmende Steuerpflichtige selbst einwandfrei und unter Ausschluss jeden Zweifels das Vorliegen all jener Umstände darzulegen, auf die die abgabenrechtliche Begünstigung gestützt werden kann (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. März 2003, Zl. 2002/16/0258, sowie vom 30. Juni 2005, Zl. 2005/16/0094, sowie die in Fellner, aaO, unter Rz 6 und 14 zu § 17 GrEStG wiedergegebene hg. Judikatur).

Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen von einem Rücktritt der Mitbeteiligten vom Anwartschaftsvertrag nach Punkt XI. Abs. 3 dieses Vertrages aus. Weder den Feststellungen des angefochtenen Bescheides noch den vorgelegten Verwaltungsakten - noch dem Vorbringen der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - ist ein Anhaltspunkt dafür abzugewinnen, dass die V einerseits und die Mitbeteiligte andererseits den Anwartschaftsvertrag durch einen contrarius actus völlig unabhängig von Punkt XI. Abs. 3 dieses Vertrages rückgängig gemacht hätten.

Die belangte Behörde erblickte nun im Rücktritt der Mitbeteiligten im Dezember 2001eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde erlangte die V allerdings mit dem ausdrücklich auf Punkt XI. Abs. 3 des Anwartschaftsvertrages gegründeten Rücktritt nie mehr jene Verfügungsmacht, die sie vor dem Abschluss dieses Vertrages innehatte, weil die Wirksamkeit des Rücktrittes nach Punkt XI. Abs. 3 zweiter und dritter Satz dadurch bedingt war, dass die Mitbeteiligte einen von der V zu genehmigenden Nachfolger stellte. Mit der Stellung des - von der V zu genehmigenden - Nachfolgers nach Punkt XI. Abs. 3 des Anwartschaftsvertrages hatte die V aber nicht jene Verfügungsmacht wiedererlangt, die sie vor Abschluss des Anwartschaftsvertrages mit der Mitbeteiligten innehatte, sondern sah sich nunmehr dem von der Mitbeteiligten gestellten Nachfolger - und aus den Nachwirkungen des Vertrages heraus auch noch der Mitbeteiligten selbst - gegenüber verpflichtet. Der Umstand, dass die schriftliche Umsetzung dieser Genehmigung längere Zeit in Anspruch nahm, änderte nichts an der sofortigen Verpflichtung der V zur Genehmigung nach Punkt XI. Abs. 3 des Anwartschaftsvertrages. Für die Annahme einer durch diesen Rücktritt herbeigeführten freien Verfügungsmacht über die betreffenden Liegenschaftsanteile bleibt daher kein Raum.

An dieser auf den Anwartschaftsvertrag gestützten Beurteilung des Rücktrittes vermögen auch die von der belangten Behörde ins Treffen geführten, als Ergebnis "freier Beweiswürdigung" bezeichneten Überlegungen nichts zu ändern. Soweit die belangte Behörde in der nachträglichen Abänderung einzelner Bestimmungen des Erwerbsvorganges gegenüber der B ein Indiz dafür sieht, dass diese gerade nicht im Sinn des Punkt XI. Abs. 3 bereit war, in sämtliche Verpflichtungen der Mitbeteiligten aus dem Anwartschaftsvertrag einzutreten, hätte dies nur zur Folge, dass der Rücktritt der Mitbeteiligten unwirksam war und somit keine Rückgängigmachung des Erwerbsvorganges vorlag.

Soweit die belangte Behörde ins Treffen führt, dass es der V nach dem einseitig erklärten Rücktritt der Mitbeteiligten völlig frei gestanden wäre, den Nachfolger nicht zu genehmigen oder (freilich unter Inkaufnahme schuldrechtlicher Konsequenzen) anderweitig über das Grundstück zu verfügen, übersieht sie, dass die Wirksamkeit des Rücktrittes nach Punkt XI. Abs. 3 des Anwartschaftsvertrages durch die Genehmigung des Nachfolgers bedingt war, dh. ohne Genehmigung des Nachfolgers kein Rücktritt. Eine anderweitige Verfügung über die Liegenschaftsanteile - mangels wirksamen Rücktrittes ohne Genehmigung des Nachfolgers während aufrechten Anwartschaftsvertrages daher ein so genannter "Doppelverkauf" - hätte an der Verwirklichung des Tatbestandes des § 1 Abs. 1 Z. 1 GrEStG ebenfalls nichts mehr geändert (vgl. Fellner, aaO, Rz 139 zu § 1 GrEStG).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 26. Jänner 2006

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