VwGH 2004/16/0194

VwGH2004/16/019430.9.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und Senatspräsident Dr. Steiner sowie die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde der Spedition U Istanbul, vertreten durch Dorda Brugger & Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien I, Dr. Karl Lueger-Ring 12, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion Oberösterreich vom 21. November 2000, Zlen. 1) ZRV 26/1-L4/00, betreffend buchmäßige Erfassung einer Zollschuld, und 2) ZRV 27/1-L4/2000, betreffend Erlass von Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:

Normen

31992R2913 ZK 1992 Art202 Abs3;
31992R2913 ZK 1992 Art221 Abs1;
62002CJ0414 Spedition Ulustrans VORAB;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ZollRDG 1994 §79 Abs2;
31992R2913 ZK 1992 Art202 Abs3;
31992R2913 ZK 1992 Art221 Abs1;
62002CJ0414 Spedition Ulustrans VORAB;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ZollRDG 1994 §79 Abs2;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.342,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen erstangefochtenen Bescheid wurde (im Anschluss an die mit rk. Berufungsbescheid der belangten Behörde gegenüber dem Lenker eines auf die Beschwerdeführerin zugelassenen Fahrzeuges getroffene Feststellung, dass eine Zollschuld kraft Gesetzes entstanden war) der Beschwerdeführerin gem. Art. 221 Abs. 1 ZK die gem. Art. 202 Abs. 1 ZK iVm § 79 Abs. 2 ZollR-DG entstandene Abgabenschuld mitgeteilt.

Mit dem ebenfalls im Instanzenzug ergangenen zweitangefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass der Zollschuld abgelehnt.

Gegen beide Bescheide richtet sich die vorliegende, ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich u.a. in ihren Rechten, nicht als Zollschuldnerin herangezogen zu werden bzw. auf Erlass der Zollschuld verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Betreffend den zugrundeliegenden Sachverhalt wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des in dieser Sache gefassten Beschlusses vom 6. November 2002, Zlen. EU 2002/0005, 0006-8, verwiesen, mit dem an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ein Ersuchen um Vorabentscheidung gestellt wurde.

Art. 202 ZK bestimmt auszugsweise:

"(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

a) wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder

b) ...

Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.

(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.

(3) Zollschuldner sind:

"(2) Eine Zollschuld, die für einen Dienstnehmer oder sonstigen Beauftragten eines Unternehmers entstanden ist, weil dieser in Besorgung von Angelegenheiten seines Dienstgebers oder Auftraggebers bei der Wahrnehmung zollrechtlicher Pflichten ein rechtswidriges Verhalten gesetzt hat, entsteht im selben Zeitpunkt auch für den Dienstgeber oder Auftraggeber, soweit dieser nicht bereits nach einer anderen Bestimmung in derselben Sache Zollschuldner geworden ist."

Da somit diese Gesetzesstelle den Kreis der Zollschuldner durch die Einbeziehung aller Dienstgeber oder Auftraggeber eines Dienstnehmers oder Beauftragten (der in Besorgung von Angelegenheiten des Dienstgebers oder Auftraggebers zollrechtliche Pflichten verletzt hat) gegenüber Art. 202 Abs. 3 ZK erweitert, wobei es auf subjektive Tatbestandsvoraussetzungen auf Seiten des Dienstgebers (Auftraggebers) überhaupt nicht ankommt, stellte der Verwaltungsgerichtshof an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit dem schon oben zitierten Beschluss vom 6. November 2002 folgende Frage:

"Wird im Wege des § 79 Abs. 2 ZollR-DG (der eine Zollschuld auch für den Dienstgeber oder Auftraggeber im selben Zeitpunkt entstehen lässt, in dem eine Zollschuld für den Dienstnehmer oder sonstigen Beauftragten eines Unternehmers entstanden ist, weil dieser in Besorgung von Angelegenheiten seines Dienstgebers oder Auftraggebers bei der Wahrnehmung zollrechtlicher Pflichten ein rechtswidriges Verhalten gesetzt hat) eine gegenüber Art. 202 Abs. 3 ZK unzulässige und daher mit dem Gemeinschaftsrecht im Konflikt stehende Ausdehnung des Begriffes des Zollschuldners vorgenommen?"

Unter einem wurde das Verfahren über die gegen den zweitangefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde ausgesetzt.

Mit Urteil vom 23. September 2004 in der Rechtssache C-414/02 fällte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgenden Spruch:

"Art. 202 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der des § 79 Abs. 2 Zollrechts-Durchführungsgesetz nicht entgegensteht, nach der im Fall vorschriftswidrigen Verbringens einer eingangsabgabenpflichtigen Ware in das Zollgebiet der Gemeinschaft der Dienstgeber Mitschuldner der Zollschuld des Dienstnehmers ist, der die Ware in Besorgung von Angelegenheiten des Dienstgebers verbracht hat, sofern diese Regelung voraussetzt, dass der Dienstgeber am Verbringen der Ware beteiligt war, obwohl er wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass das Verbringen vorschriftswidrig war."

Daraus folgt, dass die belangte Behörde den erstangefochtenen Bescheid auf eine Gesetzesstelle gestützt hat, die - insoweit sie ohne Bedachtnahme auf die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften genannten subjektiven Tatbestandselemente den Dienstgeber in den Kreis der Zollschuldner einbezieht - mit dem Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang steht und die daher unangewendet zu bleiben hatte. Damit hat die belangte Behörde den erstangefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führen muss. Der zweitangefochtene Bescheid teilt dieses Schicksal, weil Vorfrage einer Entscheidung über einen Antrag auf Erlass der Zollschuld die Frage ist, ob der Antragsteller überhaupt zu Recht als Zollschuldner in Anspruch genommen wurde.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff (insbesondere 52 Abs. 1) VwGG iVm der VO BGBl. 2003 II Nr. 333, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 30. September 2004

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