Normen
62002CJ0467 Cetinkaya VORAB;
62003CJ0383 Dogan VORAB;
62004CJ0502 Torun VORAB;
ARB1/80 Art14 Abs1;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
FrG 1993 §11 Abs2;
FrG 1993 §26;
FrG 1993 §36 Abs1;
FrG 1993 §36 Abs2 Z2;
FrG 1993 §87 Abs3;
FrG 1997 §107 Abs1 Z4;
FrG 1997 §16 Abs2 impl;
62002CJ0467 Cetinkaya VORAB;
62003CJ0383 Dogan VORAB;
62004CJ0502 Torun VORAB;
ARB1/80 Art14 Abs1;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
FrG 1993 §11 Abs2;
FrG 1993 §26;
FrG 1993 §36 Abs1;
FrG 1993 §36 Abs2 Z2;
FrG 1993 §87 Abs3;
FrG 1997 §107 Abs1 Z4;
FrG 1997 §16 Abs2 impl;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid verhängte die belangte Behörde über den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2, §§ 37 und 39 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf vier Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:
Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1979 mit seinen Eltern nach Österreich gekommen, habe hier die Volksschule, die Sonderschule und anschließend die Hauptschule besucht und seit 1985 über Aufenthaltsberechtigungen verfügt; zuletzt sei ihm ein unbefristeter Sichtvermerk erteilt worden. Vom 2. Jänner 1994 bis zum 30. August 1994 habe er sich freiwillig in der Türkei aufgehalten.
Mit rechtskräftigem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 3. Oktober 1995 sei über ihn ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden. In Befolgung dieses Aufenthaltsverbotes sei er am 22. Oktober 1995 in die Türkei gereist (nach dem Akteninhalt: abgeschoben worden). Bis "1995" (nach den Beschwerdebehauptungen seit 16. Februar 1987) sei er legal in Österreich beschäftigt gewesen.
Im Jänner 2002 sei der Beschwerdeführer nach Österreich zurückgekehrt. Wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes sei er in der Folge nach § 107 Abs. 1 Z 4 iVm § 31 Abs. 1 FrG zwei Mal jeweils zu einer Geldstrafe von EUR 145,-- rechtskräftig bestraft worden.
Aus diesem Sachverhalt schloss die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 2 FrG erfüllt und die Annahme gerechtfertigt sei, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen zuwiderlaufe (§ 36 Abs. 1 FrG). Die Geldstrafen seien zwar bezahlt, nicht aber getilgt. Der dem Beschwerdeführer erteilte Sichtvermerk sei durch die rechtskräftige Verhängung des seinerzeitigen Aufenthaltsverbotes ungültig geworden.
Da der Beschwerdeführer durch sein wiederholtes strafbares Verhalten zum Ausdruck gebracht habe, nicht gewillt zu sein, sich an die Rechtsordnung zu halten, sei eine Ermessensübung zu seinen Gunsten nicht möglich. Er halte sich seit seiner Einreise im Jänner 2002 unrechtmäßig in Österreich auf und weigere sich beharrlich, durch eine Ausreise den rechtskonformen Zustand herzustellen.
Ein Verfestigungstatbestand komme dem Beschwerdeführer nicht zu Gute, weil er sich unbestritten in den letzten drei Jahren nicht (rechtmäßig) in Österreich aufgehalten habe (§ 38 Abs. 2 FrG). Allfällig bestandene Rechte nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 seien durch die Aufenthalte in der Türkei im Jahr 1994 und dann von 1995 bis 2002 untergegangen.
In Österreich lebten die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers. Von seiner in der Türkei wohnenden Ehefrau sei er geschieden. Da er sich früher jahrelang in Österreich aufgehalten habe und seine Verwandten hier lebten, stelle die fremdenpolizeiliche Maßnahme einen "gewissen Eingriff" in sein Privat- und Familienleben dar. Dieser sei jedoch dringend geboten, weil ein geordnetes Fremdenwesen für den österreichischen Staat von eminentem Interesse sei. Den für die Einreise und den Aufenthalt der Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu.
Da sich der Beschwerdeführer nunmehr in einem Alter befinde, in dem er auf die Betreuung durch seine Eltern nicht mehr direkt angewiesen sei, sich von 1995 bis Anfang 2002 in der Türkei aufgehalten habe und in den (inländischen) Arbeitsprozess nicht mehr integriert sei, würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schwerer wiegen als dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, der trotz zweimaliger Bestrafung nicht gewillt sei, den rechtskonformen Zustand durch eine Ausreise herbeizuführen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).
In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2005/21/0044).
Eine bestimmte Tatsache im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG liegt u. a. vor, wenn der Fremde mehr als einmal wegen einer schwerwiegenden Übertretung dieses Bundesgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist (§ 36 Abs. 2 Z 2 FrG). Die festgestellte zweimalige Bestrafung wird nicht bestritten. Eine Bestrafung nach § 107 Abs. 1 Z 4 FrG stellt eine schwerwiegende Übertretung dieses Bundesgesetzes dar (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2004, Zl. 2003/18/0116). Den Beschwerdeausführungen, dass eine "bloße" Strafverfügung keine rechtskräftige Bestrafung im Sinn des § 36 Abs. 2 Z 2 FrG darstelle, kann nicht beigetreten werden. Diese Ansicht ist durch keine gesetzliche Anordnung gedeckt, weshalb der Gerichtshof auch keine Bedenken gesehen hat, Strafverfügungen bei Anwendung des § 36 Abs. 2 Z 2 FrG heranzuziehen (vgl. etwa das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 2003/18/0116). Es besteht somit auch hier kein Zweifel, dass der genannte Tatbestand erfüllt ist.
Da der unrechtmäßige Aufenthalt eines Fremden eine gravierende Beeinträchtigung des einen hohen Stellenwert aufweisenden öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften darstellt (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 2000/18/0095) und der Beschwerdeführer ungeachtet der rechtskräftigen Bestrafungen den unrechtmäßigen Aufenthalt fortgesetzt hat, ist nicht erkennbar, dass die belangte Behörde die Gefährlichkeitsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG zu Unrecht getroffen hätte.
Die Beschwerde behauptet allerdings, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers nach seiner Wiedereinreise im Jahr 2002 rechtmäßig wäre. Dies versucht sie daraus abzuleiten, dass im Gesetz nicht geregelt sei, ob die gültig gewesene Aufenthaltsberechtigung (der ehemals erteilte unbefristete Sichtvermerk) nach Ablauf der Dauer des Aufenthaltsverbotes wieder wirksam wird. Es wäre somit im Fremdengesetz keine konkrete Rechtsgrundlage enthalten, die den endgültigen Verlust einer unbefristeten "Niederlassungsbewilligung" begründen könnte.
Diese Meinung kann der Gerichtshof nicht teilen.
Die belangte Behörde stellte fest, dass dem Beschwerdeführer am 21. Jänner 1988 ein unbefristeter Sichtvermerk erteilt worden sei. Aus der im Akt erliegenden Kopie seines Reisepasses ist das Ausstellungsdatum mit 15. Jänner 1992 ersichtlich. Dieser Widerspruch kann dahinstehen; jedenfalls behielt dieser Sichtvermerk gemäß § 87 Abs. 3 Fremdengesetz (1992), BGBl. Nr. 838/1992, seine Gültigkeit.
§ 11 Abs. 2 leg. cit. lautete:
"Ein Sichtvermerk wird ungültig, wenn gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar wird. Er lebt von Gesetzes wegen wieder auf, sofern das Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung innerhalb seiner ursprünglichen Geltungsdauer anders als gemäß § 26 aufgehoben wird."
(Diese Regelung wurde im Übrigen in das Fremdengesetz 1997 (§ 16 Abs. 2) übernommen.)
In § 11 Abs. 2 Fremdengesetz (1992) wurde somit ausdrücklich festgelegt, dass ein Sichtvermerk ungültig wird, wenn gegen Fremde ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar wird, und dieser (nur dann) von Gesetzes wegen wieder auflebt, sofern innerhalb seiner ursprünglichen Geltungsdauer das Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung anders als gemäß § 26 FrG (Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes wegen "Wegfalls der Gründe für seine Erlassung") aufgehoben wird. Daher verbietet sich eine Annahme, dass jeder Sichtvermerk nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes aufleben würde. Wäre dies vom Gesetzgeber gewünscht, bedürfte es nämlich nicht der Anordnung, dass ein Wiederaufleben nur in bestimmten Fällen erfolgt. Das begegnet entgegen der Beschwerdeansicht auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil einem Fremden nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbotes die Erlangung eines neuen Aufenthaltstitels grundsätzlich möglich ist. Im Übrigen hat auch der Verfassungsgerichtshof bei Ablehnung der Behandlung der auch bei ihm gegen den vorliegenden Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 8. Oktober 2003, B 1237/03-5, keine verfassungsrechtlichen Bedenken gefunden. Dies gilt auch für das weitere Beschwerdevorbringen, wonach wegen des Fehlens von Fallgruppen für die Regelung der Aufenthaltsverbote (zu fordern seien je unterschiedliche Voraussetzungen für EWR-Bürger, begünstigte Drittstaatsangehörige, andere Fremde) das Aufenthaltsverbotssystem nach den §§ 36 und 39 FrG verfassungswidrig (gewesen) sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. März 2004, Zl. 2004/21/0001).
Entgegen der Beschwerdeansicht verstößt das Aufenthaltsverbot nicht gegen Gemeinschaftsrecht und auch nicht gegen den Beschluss des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation - ARB.
Eine unmittelbare Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist dem Beschwerdeführer als Staatsangehörigen der Türkei nicht möglich.
Hinsichtlich des Verlustes einer Berechtigung nach Art. 6 ARB stellte der EuGH etwa im Urteil vom 7. Juli 2005, Rechtssache C- 383/03 "Dogan", Rnr. 19 ff, auf eine nicht bloß vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt und hinsichtlich Art. 7 ARB auf das Verlassen des Hoheitsgebietes des Aufnahmestaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe ab (so im Urteil vom 16. Februar 2006, Rs. C-502/04 "Torun", Rnr. 25 mwN; vgl. zum Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2006, Zl. 2002/21/0130 mwN). Eine Beschränkung der im ARB implizierten Freizügigkeitsrechte ist durch dessen Art. 14 Abs. 1 ("Dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.") zulässig (vgl. das Urteil des EuGH vom 11. November 2004, Rs. C-467/02 "Cetinkaya", Rnr. 36).
Somit ist die Berechtigung des Beschwerdeführers nach dem ARB jedenfalls (wenn nicht schon durch den festgestellten Heimataufenthalt vom Jänner bis August 1994 - die Beschwerde geht zwar von einer durchgehenden legalen Beschäftigung von 1987 bis 1995 aus, bringt konkret gegen die genannte Feststellung jedoch nichts vor) im Blick auf das - ohne Erhebung einer Berufung - rechtskräftig gewordene und durchgesetzte Aufenthaltsverbot vom 3. Oktober 1995, das eine Maßnahme nach Art. 14 Abs. 1 ARB darstellte, untergegangen. Damit gehen die Ausführungen in der "Mitteilung" des Beschwerdeführers vom 4. Juli 2005 zum Urteil des EuGH vom 2. Juni 2005, Rs. C-136/03 "Dörr, Ünal", ins Leere.
Letztlich kann auch das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Beurteilung nach § 37 FrG nicht als rechtswidrig gesehen werden. Dem bereits genannten öffentlichen Interesse an der Einhaltung eines geordneten Fremdenwesens stehen zwar beachtliche familiäre Bindungen des Beschwerdeführers zu in Österreich aufhältigen Familienmitgliedern (Eltern und Geschwister) gegenüber. Hinsichtlich seiner privaten Integration ist jedoch zu berücksichtigen, dass er sich bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides erst etwa eineinhalb Jahre wieder im Inland aufgehalten hat und dieser Aufenthalt zur Gänze unrechtmäßig war. Die früher vorhanden gewesene Integration ist durch das Verlassen des Bundesgebietes im Jahr 1994 und dann von 1995 bis 2002 nicht mehr maßgeblich zu veranschlagen. Nicht unerheblich ist auch, dass diese Integration durch ein (gemäß dem im Akt erliegenden Bescheid auf strafgerichtliche Verurteilungen gestütztes) Aufenthaltsverbot beendet werden musste.
Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG unterbleiben.
Eine Kostenentscheidung zu Gunsten des Bundes hatte zu entfallen, weil kein Kostenbegehren gestellt wurde.
Wien, am 31. August 2006
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