VwGH 2003/13/0076

VwGH2003/13/007624.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ginthör, über den Antrag der M KG ("als Rechtsnachfolger der F KG als Rechtsnachfolger der Fe AG") in S, vertreten durch Arnold Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1010 Wien, Wipplingerstraße 10, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat XIa) vom 12. Dezember 2002, Zl. RV/202-11/2001, betreffend Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 1988, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag wird nicht stattgegeben.

Begründung

Mit Beschluss vom 30. April 2003, 2003/13/0043-3, hat der Verwaltungsgerichtshof eine mit 14. Februar 2003 datierte und am 12. März 2003 persönlich beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde gegen einen nach dem Beschwerdevorbringen am 24. Jänner 2003 zugestellten Bescheid wegen Versäumung der am 7. März 2003 abgelaufenen Beschwerdefrist zurückgewiesen.

Mit dem am 16. Juni 2003 beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Antrag begehrt die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde. Es wird ausgeführt, seit dem Tag der Zustellung des Zurückweisungsbeschlusses am 3. Juni 2003 wisse die Antragstellerin um die Fristversäumnis, sodass der nunmehrige Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig sei. Die Fristversäumnis sei auf ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis zurückzuführen. Die Antragstellerin habe den anzufechtenden Bescheid unter Hinweis auf das richtige Zustelldatum 24. Jänner 2003 unverzüglich am 28. Jänner 2003 ihrer anwaltlichen Vertretung zukommen lassen. In der Anwaltskanzlei habe grundsätzlich Sylvia O. Postdienst. Im Zuge der Öffnung der Eingangspost nehme diese auch die Fristenvormerke wahr. Sylvia O. sei seit 1993 in der Kanzlei beschäftigt und verrichte seit vielen Jahren fehlerfrei den Postdienst. Dieser beinhalte auch den Fristenvormerk und die Eintragung in das Fristenbuch. Sylvia O. sei selbstverständlich die Sechswochenfrist für Höchstgerichtsbeschwerden bekannt und ebenso, dass diese Frist mit der Bescheidzustellung zu laufen beginne. Ausgehend vom bekannt gegebenen Zustelldatum 24. Jänner 2003 hätte sie den 7. März 2003 vormerken und eintragen müssen. Tatsächlich habe sie aber den 13. März 2003 vorgemerkt und eingetragen. Es handle sich dabei um einen einmaligen Fehler einer verlässlichen langjährigen Kanzleiangestellten. Der Terminkalender des Anwaltes der Antragstellerin sei so gestaltet, dass er im aufgeschlagenen Zustand jeweils eine ganze Arbeitswoche darstelle. Zur Fristeintragung müsse man daher bei Wochenfristen für jede Woche einer Frist einmal umblättern, die Anzahl der Wochen einer Frist mitzählen und das Fristende dann mit dem gleichen Wochentag eintragen, an dem auch die Zustellung erfolgt sei. Im gegenständlichen Fall seien offenbar irrtümlich einmal zwei Blätter des Terminkalenders zugleich umgeblättert, aber nur einmal weitergezählt worden. Ganz offensichtlich seien zwei Blätter im (nach Wochen gegliederten) Terminkalender (irgendwie leicht) zusammenge"klebt", sodass beim Feststellen des Endtermines eine Woche überblättert worden sei. Sylvia O. nehme - um Rechenfehler zu vermeiden - seit Jahren fehlerfrei die Termineintragung von sechs Wochen derart vor, dass sie im Terminkalender den Stichtag suche, bei gleich bleibendem Wochentag sechs Wochenblätter weiterblättere und den Endtermin eintrage. Sodann werde jedesmal zu Kontrollzwecken sechs Kalenderblätter zurückgeblättert, um sicherzustellen, dass man nach dieser Methode wieder zum Ausgangspunkt (= Stichtag) zurückkomme. Das sei auch durch ein Abhaken am Bescheid angezeigt worden. Das Überblättern einer ganzen Woche (wohl weil zwei Blätter "zusammenhingen") stelle eine einmalige Fehlleistung in einem nicht "wiedereinsetzungsschädlichen" Verschuldensausmaß dar. Es liege auch kein Organisations- oder Überwachungsfehler vor, weil die Kanzlei des Vertreters in Fristensachen äußerst genau sei und in vielen Hunderten Beschwerdefällen selbstverständlich die Fristen eingehalten würden. Die anfänglich lückenlose Fristenkontrolle bei Sylvia O. durch den anwaltlichen Sachbearbeiter habe sich nach einigen Jahren im Hinblick auf deren Gewissenhaftigkeit und ihre Erfahrung auf die lückenlose Kontrolle unüblicher Fristen und in Routinesachen (wie hier) auf Stichproben in den allermeisten Fällen beschränken können. Auch die anwaltlichen Kontrollpflichten seien unter dem in der Rechtsanwaltskanzlei bestehenden Arbeitsdruck zu sehen. Abgesehen davon, dass die anwaltliche Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden dürfe, sei darauf zu verweisen, dass die Beschwerde bereits am 14. Februar 2003 diktiert und geschrieben worden sei (siehe die Datumsangabe auf Seite 12 der Beschwerde), sodass der falsche Terminvormerk am Bescheid und im Terminkalender "keinen Auffälligkeitswert hatte". Es sei daher dem Vertreter der Antragstellerin nicht zum Vorwurf zu machen, dass diesem der falsche Terminvermerk nicht aufgefallen sei, habe er doch die Beschwerde (zeitgerecht) vor Fristablauf diktiert, korrigiert und fertig gestellt. Dass die Beschwerde dann erst am 12. März 2003 - innerhalb der (falsch) vorgemerkten Frist -

überreicht worden sei, sei ausschließlich darauf zurückzuführen, dass noch die Stellungnahme des steuerlichen Vertreters im Abgabenverfahren zu bestimmten Ausführungen in der Beschwerde abgewartet worden sei. Der Vertreter der Antragstellerin habe eine nach seinen bisherigen Erfahrungen verlässliche Kraft mit der Termineintragung betraut und überdies für deren Kontrolle selbst durch die "aufgezeigten Überprüfungen" Sorge getragen, sodass der Vorwurf mangelhafter Kanzleiorganisation auszuschließen sei.

Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Für die richtige Beachtung einer Rechtsmittel- oder Beschwerdefrist ist grundsätzlich immer der Parteienvertreter selbst verantwortlich, der die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Angestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen hat. Wird in einer Kanzlei eines Parteienvertreters die sofortige Überprüfung von Fristen und Terminen eingelangter Schriftstücke von einer - wenn auch verlässlichen und umsichtigen -

Kanzleiangestellten vorgenommen, dann entspricht dies nicht der in der Judikatur geforderten Vorgangsweise eines Parteienvertreters und erlaubt es nicht mehr, auf Seiten des Parteienvertreters nur einen minderen Grad des Versehens anzunehmen. Ein Parteienvertreter, der sich aus welchen Gründen immer völlig auf die Richtigkeit der Fristvormerkungen von Angestellten verlässt, tut dies auf die Gefahr, dass das als ein die Wiedereinsetzung ausschließendes und der von ihm vertretenen Partei zuzurechnendes Verschulden qualifiziert wird (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 2001, 2001/13/0224, m.w.N.). Wohl ist eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Um einen solchen rein manipulativen Vorgang handelt es sich jedoch nicht bei der kanzleimäßigen Bestimmung einer Rechtsmittelfrist. Wenn der Parteienvertreter die Beschwerdefrist damit nicht selbst kalendermäßig konkret bestimmte, sondern diese Bestimmung - dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag zufolge - seiner Kanzleiangestellten überließ, so wäre es ihm im Rahmen der gebotenen Überwachungspflicht jedenfalls oblegen, diesen Vorgang bzw. die richtige Eintragung im Kalender zu kontrollieren (vgl. z. B. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. März 2000, 2000/16/0057, 0112, m.w.N.).

Ausgehend vom Vorbringen im vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführervertreter wirksame Maßnahmen zur Kontrolle der richtigen Bestimmung und Eintragung der Fristen getroffen hätte. Die "aufgezeigten Überprüfungen" beschränkten sich auf - auch nicht näher dargestellte - stichprobenweise Kontrollen, die für sich allein nicht ausreichend sind (vgl. z.B. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. August 1994, 94/15/0112, 0115). Im Übrigen fällt in diesem Zusammenhang auch auf, dass der Parteienvertreter offenbar nicht einmal im Rahmen der - wenn auch zeitgerechten - Abfassung der Beschwerdeschrift eine Kontrolle hinsichtlich der von der Kanzleiangestellten vorgenommenen Terminfestsetzung über den Ablauf der Beschwerdefrist vornahm.

Dem Rechtsvertreter der Antragstellerin fällt daher ein Verschulden an der Versäumung der Frist zur Beschwerdeerhebung zur Last, das einen minderen Grad des Versehens gemäß § 46 Abs. 1 VwGG übersteigt. Dem Antrag war damit nicht stattzugeben.

Wien, am 24. September 2003

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