VwGH 2002/20/0226

VwGH2002/20/022616.5.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über den Antrag des VB (auch B) in Wien, geboren am 4. August 1963, vertreten durch Dr. Thomas Buschmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Opernring 10, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. November 2001, Zl. 221.896/0-VIII/22/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG, sowie über die mit diesem Antrag verbundene Beschwerde (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 29. November 2001 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass (insbesondere) seine Abschiebung in die Ukraine zulässig sei. Mit dem vorliegenden, am 30. April 2002 zur Post gegebenen Antrag begehrt der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen diesen Bescheid. Gleichzeitig wurde diese Beschwerde eingebracht.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages bringt der Beschwerdeführer vor, der Bestellungsbescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien sei dem beigegebenen Verfahrenshelfer am 5. Februar 2002 zugestellt und sodann die Bearbeitung des Aktes von einem namentlich genannten Rechtsanwaltsanwärter übernommen worden. Dieser habe "im Computerprogramm" die Wiedervorlage des Aktes für den 4. März 2002 eingetragen, an dem ihm auch der Akt zur Bearbeitung, insbesondere zur Formulierung der Beschwerde, vorgelegt worden sei. Bereits zuvor, am 15. Februar 2002, sei die Kündigung des Rechtsanwaltsanwärters zum 31. März 2002 ausgesprochen worden; sein letzter Arbeitstag sei der 15. März 2002 gewesen. Er habe es allerdings unterlassen, diesen Akt dem zuständigen Rechtsanwalt (dem beigegebenen Verfahrenshelfer) zu übergeben. Er habe ihn vielmehr ohne Hinweis auf den bevorstehenden Fristablauf abgelegt. Die - am 19. März 2002 endende - Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof sei deshalb durch den rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers versäumt worden, was dieser erst am 25. April 2002 bemerkt habe, nachdem sich Bekannte des Beschwerdeführers über den Stand des Verfahrens informiert hätten. Es sei dem Beschwerdeführer durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis nicht möglich gewesen, diese Frist einzuhalten. Das Ablegen des Aktes durch den Rechtsanwaltsanwärter ohne auf den unmittelbaren Ablauf der Frist aufmerksam zu machen, sei ein Ereignis, das auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet habe werden können.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Vertreters wird nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einem Verschulden des Vertretenen gleichgesetzt und somit der Partei zugerechnet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2001, Zl. 2000/20/0436, mwN, das auch auf die Besonderheiten des Asylverfahrens Bedacht nimmt). Eine Fristversäumnis auf Grund eines Versehens von Kanzleiangestellten - oder von Rechtsanwaltsanwärtern (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2001, Zl. 2000/08/0214) - beruht auf einem Verschulden des Rechtsanwaltes, wenn dieser die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat, wobei ein dabei unterlaufenes Versehen minderen Grades nicht schadet. Insbesondere muss der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt ist. Zu beurteilen ist demnach das Verhalten des Rechtsanwaltes selbst. Dieser darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht grob schuldhaft außer Acht gelassen haben (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 26. Juli 2001, Zlen. 2001/20/0402, 0403, mwN).

Einen ganz wesentlichen Teil jener Vorkehrungen, die zur Verhinderung von Fristversäumungen unerlässlich sind, stellt die Vormerkung und Streichung der in Betracht kommenden Rechtsmittelfristen in einem dafür vorgesehenen Fristenbuch dar. Im Zusammenhang mit Irrtümern bei der Streichung von Fristen hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfristen in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt verantwortlich ist. Er selbst habe die Fristen zu setzen, ihre Vormerkung anzuordnen, sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen, und zwar auch dann, wenn die Kanzleiangestellte überdurchschnittlich qualifiziert und deshalb mit der selbständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten, so auch mit der Führung des Fristenvormerks, betraut worden ist und es bisher nicht zu Beanstandungen gekommen sein sollte. Der Rechtsanwalt hat daher nicht nur die richtige Eintragung im Kalender, sondern auch im Falle der Streichung die Richtigkeit dieser Vorgangsweise im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 3. April 2001, Zl. 2000/08/0214, mwN).

Aus dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich nicht, welches (wirksame) Kontrollsystem in der Kanzlei des Beschwerdevertreters eingerichtet ist, um Fristversäumungen wie im vorliegenden Fall zu unterbinden. Zunächst kann dem Vorbringen nicht entnommen werden, dass der Ablauf der Beschwerdefrist mit 19. März 2002 überhaupt in einem Fristenbuch (oder einem gleichwertigen Behelf) eingetragen worden wäre. Es finden sich auch keine Ausführungen darüber, wie die Übergabe der vom Rechtsanwaltsanwärter noch nicht erledigten Akten an den Beschwerdevertreter vorgenommen wurde. Sollte tatsächlich keine Eintragung im Fristenbuch erfolgt sein, so wäre dabei in Anbetracht des bevorstehenden Ausscheidens des Rechtsanwaltsanwärters aus dem Kanzleibetrieb des Beschwerdevertreters besondere Sorgfalt und die Setzung von kontrollierenden Maßnahmen in Anbetracht von allfälligen unerledigten fristgebundenen Prozesshandlungen notwendig gewesen. Wurde aber für die gegenständliche Beschwerde ohnehin eine Vormerkung des Fristendes vorgenommen, so bleibt völlig im Dunkeln, auf Grund welcher Umstände es nicht aufgefallen ist, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig verfasst und zur Post gegeben wurde.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist aber in Hinsicht auf die Erfüllung der nach der Sachlage gebotenen Sorgfalts- und Überwachungspflicht zu substantiieren, widrigenfalls eine Beurteilung dahin, dass dem Rechtsanwalt bloß ein Versehen minderen Grades zur Last liegt, nicht möglich ist (vgl. neuerlich das bereits erwähnte Erkenntnis vom 3. April 2001, mwN). Mangels entsprechender Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag liegt somit kein Hinweis darauf vor, dass der Beschwerdevertreter ein (wirksames) Kontrollsystem für die Einhaltung von Fristen (in Bezug auf Akten, die seinem Rechtsanwaltsanwärter zur Bearbeitung übergeben worden waren) eingerichtet hätte. Der Antrag war daher mangels Nachweises, dass die Versäumung der Frist auf einem bloß minderen Grad des Versehens beruht, abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis war die Beschwerde wegen Versäumung der Einbringungsfrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 16. Mai 2002

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