VwGH 2002/18/0201

VwGH2002/18/020110.10.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des M, geboren 1963, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Juli 2002, Zl. SD 975/01, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 30. Juli 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei seit August 1992 rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen und verfüge über einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. April 2001 sei er des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er gemeinsam mit drei Mitbeschuldigten und etwa vier weiteren, bislang unbekannten Mittätern am 14. August 2000 einem anderen mit Holzknüppeln (Baseballschlägern) und einer Stahlrute aus Metall mehrere heftige Schläge gegen den Kopf, das Schienbein, den Unterarm und den Rücken versetzt sowie ihm so knöcherne Abspringungen am Schädel, mehrere Rissquetschwunden am Kopf und Blutunterlaufungen im Bereich der Arme und der Schulter zugefügt habe. Die Täter seien von einem anderen, ebenfalls Mitbeschuldigten, zur Tat bestimmt worden. Diese Verurteilung erfülle den in § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG normierten Tatbestand, und es seien die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 leg. cit. - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. gegeben.

Der Beschwerdeführer sei verheiratet und für zwei Kinder sorgepflichtig. Sonstige familiäre Bindungen im Bundesgebiet seien nicht aktenkundig. Es sei daher von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- bzw. Familienleben auszugehen gewesen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit Dritter - dringend geboten sei. Wer, wie der Beschwerdeführer, auf Bestimmung durch einen Dritten dazu bereit sei, einem anderen auf geradezu brutale Art und Weise nicht unerheblichen körperlichen Schaden absichtlich zuzufügen, ohne offenbar eigene, das Opfer betreffende Motive zu haben, lasse nicht nur eine ausgesprochen geringschätzige Einstellung zu maßgeblichen, zum Schutz von Leben, Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit Dritter aufgestellter Rechtsnormen erkennen, sondern stelle auch ein nicht zu unterschätzendes Sicherheitsrisiko dar. Die Bereitschaft des Beschwerdeführers, über Auftrag eines anderen ein Verbrechen zu verüben, lasse eine positive Verhaltensprognose für ihn nicht zu. Das Aufenthaltsverbot erweise sich daher als dringend geboten und im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.

Bei der gemäß § 37 Abs. 2 leg. cit. durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen gewesen. Diese erweise sich keinesfalls als gering, zu berücksichtigen sei jedoch gewesen, dass die einer jeglichen Integration zugrunde liegende soziale Komponente durch das schwerwiegende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich an Gewicht gemindert werde. Auch erweise sich die Integration seiner Familienangehörigen, die seit nunmehr etwa drei Jahren im Bundesgebiet lebten, als nicht schwerwiegend. Die belangte Behörde übersehe nicht, dass der Beschwerdeführer offenbar regelmäßig beschäftigt gewesen sei. Das ihm somit insgesamt zuzuschreibende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet sei daher keinesfalls als gering, aber auch nicht als besonders ausgeprägt zu bezeichnen. Dem sei das maßgebliche öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und dem Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit Dritter gegenüber gestanden. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse am Verlassen des Bundesgebietes. Er könne - wenn auch eingeschränkt - den Kontakt zu seinen Familienangehörigen vom Ausland her aufrecht erhalten und allfälligen Sorgepflichten von dort aus nachkommen. Die Erlassung des Aufenthaltverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG als zulässig.

Auch liege kein Sachverhalt vor, der die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Sinn des § 38 FrG als unzulässig erscheinen ließe. § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG) sehe einen ununterbrochenen Aufenthalt (zu ergänzen: von mindestens zehn Jahren) im Bundesgebiet vor, den der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts nicht erfüllt habe. § 10 Abs. 4 und 5 StbG seien nicht zu berücksichtigen. Die zwischen 1986 und 1992 gelegenen, auf Grund der Meldedaten nur kurzfristigen Aufenthalte im Bundesgebiet stellten eine durchgehende rechtmäßige Niederlassung nicht dar.

Da überdies keine besonderen, zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe die belangte Behörde von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können. In Anbetracht seines Gesamt(fehl)verhaltens und seiner privaten bzw. familiären Lebensumstände könne vor Ablauf der festgesetzten Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes nicht erwartet werden, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Hinblick auf die unbestrittene rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers vom 5. April 2001 begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.

2. Die Beschwerde bringt indes vor, dass der Beschwerdeführer in dem (zu seiner gerichtlichen Verurteilung führenden) Strafverfahren von einer Zeugin belastet worden sei, die ihre Aussage widerrufen habe, und dass die "Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens vor dem LGSt Wien" geprüft werde. Ferner habe das Gericht nur eine bedingte Freiheitsstrafe über ihn verhängt, weil es von seinem künftigen Wohlverhalten ausgegangen sei, und habe er seit seiner Verurteilung ununterbrochen gearbeitet und keine weiteren strafbaren Handlungen gesetzt.

3. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Dem Beschwerdevorbringen hinsichtlich der gewährten bedingten Strafnachsicht ist zu erwidern, dass die belangte Behörde die Frage des Gerechtfertigtseins des Aufenthaltsverbotes unabhängig von den die Strafbemessung und die bedingte Nachsicht der Strafe begründenden Erwägungen des Gerichtes und ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen hatte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2000, Zl. 99/18/0419, mwN). Dass auch eine bedingt nachgesehene Strafe ein Aufenthaltsverbot rechtfertigen kann, ergibt sich im Übrigen bereits aus § 36 Abs. 2 Z. 1 dritter Fall FrG.

Der weitere Beschwerdehinweis auf die (bloße) Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens ist schon deshalb nicht zielführend, weil, solange das obgenannte Urteil in Rechtskraft besteht, in bindender Weise feststeht, dass der Beschwerdeführer die seiner Verurteilung zugrunde liegende Straftat begangen hat.

Danach liegt dem Beschwerdeführer zur Last, durch einen Dritten bestimmt einer weiteren Person absichtlich eine schwere Körperverletzung zugefügt zu haben, indem er ihr gemeinsam mit seinen Mittätern durch Versetzen von heftigen Schlägen gegen den Kopf, das Schienbein, den Unterarm und den Rücken mit Holzknüppeln (Baseballschlägern) und einer Stahlrute aus Metall knöcherne Absprengungen am Schädel, mehrere Rissquetschwunden am Kopf und Blutunterlaufungen im Bereich der Arme und der Schulter zufügte. In Anbetracht dieser von Brutalität gekennzeichneten massiven Straftat begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken.

4. Ebenso begegnet die Beurteilung der belangten Behörde im Grund des § 37 Abs. 1 und 2 FrG keinem Einwand.

Bei der Interessenabwägung im Sinn dieser Gesetzesbestimmung hat die belangte Behörde die Dauer des bisherigen rechtmäßigen inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers seit August 1992, seine daraus ableitbare Integration, seine regelmäßige Beschäftigung und seine familiären Bindungen zu seiner Ehegattin und seinen beiden Kindern berücksichtigt und zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben angenommen. Sie hat jedoch auch - unter gebührender Beachtung dieser beträchtlichen persönlichen Interessen - zu Recht den Standpunkt vertreten, dass diese Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit Dritter, dringend geboten und demnach gemäß § 37 Abs. 1 FrG zulässig sei, manifestiert sich doch in der vom Beschwerdeführer verübten schweren Straftat die von ihm ausgehende massive Gefahr für die körperliche Sicherheit und Unversehrtheit anderer und seine mangelnde Verbundenheit mit den in Österreich rechtlich geschützten Werten.

Im Licht dessen kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde bei der Abwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG den nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beigemessen hat als den obgenannten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers.

5. Wenn die Beschwerde meint, der Erlassung des Aufenthaltsverbotes stehe § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG entgegen, weil dem Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 iVm Abs. 4 und 5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) bereits nach einem sechsjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitz im österreichischen Bundesgebiet die Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können, so ist ihr zu entgegnen, dass die genannte fremdengesetzliche Bestimmung die Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes ausschließlich daran knüpft, dass dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG hätte verliehen werden können. Da der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Begehung der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Straftat am 14. August 2000 unstrittig noch nicht seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hatte, erfüllte er die Voraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG nicht.

6. Schließlich macht die Beschwerde auch keine Umstände geltend, die eine Ausübung des der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessens zugunsten des Beschwerdeführers geboten hätten, und treten auch aus dem angefochtenen Bescheid oder dem übrigen Beschwerdeinhalt keine Aspekte hervor, die zu einer solchen Ermessensübung hätten führen müssen.

7. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 10. Oktober 2002

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