Normen
11997E234 EG Art234;
31992R2913 ZK 1992 Art201;
31992R2913 ZK 1992 Art202 Abs3;
VwGG §38a;
ZollRDG 1994 §79 Abs2;
11997E234 EG Art234;
31992R2913 ZK 1992 Art201;
31992R2913 ZK 1992 Art202 Abs3;
VwGG §38a;
ZollRDG 1994 §79 Abs2;
Spruch:
1) In der Beschwerdesache Zl. 2001/16/0567 wird gemäß Art. 234 EG dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"Wird im Wege des § 79 Abs. 2 ZollR-DG (der eine Zollschuld auch für den Dienstgeber oder Auftraggeber im selben Zeitpunkt entstehen lässt, in dem eine Zollschuld für den Dienstnehmer oder sonstigen Beauftragten eines Unternehmers entstanden ist, weil dieser in Besorgung von Angelegenheiten seines Dienstgebers oder Auftraggebers bei der Wahrnehmung zollrechtlicher Pflichten ein rechtswidriges Verhalten gesetzt hat) eine gegenüber Art. 202 Abs. 3 ZK unzulässige und daher mit dem Gemeinschaftsrecht im Konflikt stehende Ausdehnung des Begriffes des Zollschuldners vorgenommen?"
2) Das Verfahren über die zur Zl. 2001/16/0568 protokollierte Beschwerde betreffend Erlass von Eingangsabgaben wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über die mit dem Spruchpunkt 1) gestellte Frage ausgesetzt.
Begründung
ad 1):
1.) Sachverhalt:
H, ein zum verfahrensmaßgeblichen Zeitpunkt für die Beschwerdeführerin tätig gewesener Dienstnehmer, verbrachte am 5. Dezember 1996 als Lenker eines auf die Beschwerdeführerin zugelassenen LKW-Sattelzuges, aus der Schweiz kommend, vier Maschinen zum Spulen von Spinnstoffen über das Grenzzollamt Höchst in das Zollgebiet der Gemeinschaft, ohne die mitgeführten Waren der vorgesehenen Gestellung zuzuführen.
Dafür wurde mit der in Rechtskraft erwachsenen Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (Berufungssenat IV der Region Linz) vom 27. April 2000, GZ. ZRV 149/1-L4/98, festgestellt, dass gegenüber dem Lenker eine Zollschuld gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a ZK in der Höhe von öS 770.684,-- (darin enthalten öS 83.770,-- Zoll und öS 686.914,-- Einfuhrumsatzsteuer) kraft Gesetzes entstanden ist.
Mit Bescheid des Zollamtes Feldkirch vom 27. Februar 1997, GZ. 30.350/97, wurde der Beschwerdeführerin gemäß Art. 221 Abs. 1 ZK die gemäß Art. 202 Abs. 1 ZK iVm § 79 Abs. 2 ZollR-DG entstandene Abgabenschuld (in gleicher Höhe wie gegenüber dem Lenker) mitgeteilt.
Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung vom 11. September 1997 als unbegründet abgewiesen, wogegen die Beschwerdeführerin einen Rechtsbehelf erhob.
Die belangte Behörde wies den Rechtsbehelf als unbegründet ab und vertrat die Meinung, die Zollbehörde erster Instanz habe zu Recht das Leistungsgebot nicht nur an den Fahrer sondern als weiteren Gesamtschuldner gemäß § 79 Abs. 2 ZollR-DG auch an die Beschwerdeführerin gerichtet. Diese habe als Dienstgeber dafür Sorge tragen müssen, dass durch das Verhalten des Fahrers als Dienstnehmer die berufsspezifischen Anforderungen im internationalen Warenverkehr gewährleistet seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, wobei sich die Beschwerdeführerin unter anderem in ihrem Recht darauf verletzt erachtet, nicht ohne Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen als Zollschuldner herangezogen zu werden. Die Beschwerdeführerin betont, dass sie an den Fehlleistungen des Fahrers nicht beteiligt war.
Eines der zentralen Beschwerdeargumente ist dabei die Behauptung, die von der belangten Behörde herangezogene Bestimmung des § 79 Abs. 2 ZollR-DG (die von der Beschwerde als "Haftungsnorm" bezeichnet wird) sei gemeinschaftsrechtswidrig, weil Art. 202 Abs. 3 ZK den Kreis der Zollschuldner abschließend (taxativ) regle und daher im Wege des § 79 Abs. 2 ZollR-DG eine unzulässige Ausweitung des Begriffes "Zollschuldner" vorgenommen werde.
2.) Die maßgebenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes lauten (auszugsweise):
"Art. 202 ZK
(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,
a) wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird oder
b) ...
Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.
(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht wird.
(3) Zollschuldner sind:
- die Person, welche die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht hat;
- die Personen, die an diesem Verbringen beteiligt waren, obwohl sie wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass sie damit vorschriftswidrig handeln;
- ..."
3.) Die für den Beschwerdefall maßgebliche Bestimmung des österreichischen Rechtes lautet:
"(2) Eine Zollschuld, die für einen Dienstnehmer oder sonstigen Beauftragten eines Unternehmers entstanden ist, weil dieser in Besorgung von Angelegenheiten seines Dienstgebers oder Auftraggebers bei der Wahrnehmung zollrechtlicher Pflichten ein rechtswidriges Verhalten gesetzt hat, entsteht im selben Zeitpunkt auch für den Dienstgeber oder Auftraggeber, soweit dieser nicht bereits nach einer anderen Bestimmung in derselben Sache Zollschuldner geworden ist."
4.) Voraussetzungen der Vorlage:
Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass die Organisation der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit infolge zahlreicher Vorlagen während der letzten Jahre als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden kann, sodass es keiner weiteren Erörterung bedarf, dass der Verwaltungsgerichtshof ein vorlagepflichtiges und -berechtigtes Gericht im Sinne des Art. 234 EG ist.
5.) Erläuterung zu den Vorlagefragen:
In der aktuellen Kommentarliteratur wird als Zollschuldner gemäß Art. 202 Abs. 3 erster Teilstrich ZK der Handelnde (Schmuggler, Täter) bezeichnet, also derjenige, der die Ware tatsächlich befördert, wobei u.a. auch der LKW-Fahrer, der den genauen Inhalt der Ladung gar nicht kennt, als Beispiel für diesen Zollschuldner Tatbestand angeführt wird (vgl. Witte, ZK Kommentar3 Rz 18 zu Art. 202 ZK).
Der zweite in Rede stehende Tatbestand, der sich aus dem zweiten Teilstrich des Art. 202 Abs. 3 ZK ergibt, verpflichtet darüber hinaus alle Beteiligten (somit jedermann) unter den dort näher genannten subjektiven Voraussetzungen des "Wissens" oder "Wissen-Müssens" um das vorschriftswidrige Verbringen der Ware in das Zollgebiet. Dazu können auch "Leute im Hintergrund" zählen, wozu Witte (a.a.O. Rz 20) als Beispiele Personen in den Versandabteilungen, bei Speditionen etc. anführt.
Der Zollschuldnerkreis des Tatbestandes des dritten Teilstriches des Art. 202 Abs. 3 ZK ist für den vorliegenden Fall nicht von Bedeutung.
Demgegenüber erweitert § 79 des österreichischen ZollR-DG (der an sich zu Art. 231 ZK erlassen wurde, dessen Regelungsinhalt mit der hier relevanten Frage nichts zu tun hat) im Wege seines Abs. 2 den Kreis der Zollschuldner durch die Einbeziehung aller Dienstgeber oder Auftraggeber eines Dienstnehmers oder Beauftragten (der in Besorgung von Angelegenheiten des Dienstgebers oder Auftraggebers zollrechtliche Pflichten verletzt hat), wobei es auf subjektive Tatbestandsvoraussetzungen ("Wissen oder Wissen-Müssen") auf Seiten der Dienstgeber (Auftraggeber) überhaupt nicht ankommt.
Darin scheint ein Wertungswiderspruch zu dem Zollschuldnertatbestand des Art. 202 Abs. 3, zweiter Teilstrich ZK zu liegen, weil ein Dienstgeber, wenn man ihn als Beteiligten ansehen wollte, nur bei Vorliegen der dort normierten subjektiven Tatbestandselemente Zollschuldner wäre.
In der einschlägigen Literatur (die z.B. die Bestimmung des § 79 Abs. 2 ZollR-DG als "autonom" bezeichnet; vgl. Fuchs, ZfZ 2002, 322) werden im Zusammenhang mit der Problemstellung, ob der LKW-Fahrer (der von der Art der Ladung nichts weiß) oder der Unternehmer, für den er tätig ist, Zollschuldner wird, der Versuch unternommen, von vornherein nicht den Fahrer, sondern den jeweiligen "Hintermann" als den "vorschriftswidrig handelnden Verbringer" und damit als Zollschuldner iS des Tatbestandes des Art. 202 Abs. 3 erster Teilstrich ZK anzusehen (vgl. dazu Kerath, ZfZ 2001, 355, der als Beispiel den Spediteur, bzw. den Auftraggeber nennt). Fuchs (a.a.O. 323) qualifiziert, ausgehend von Überlegungen, in wessen Gewahrsame sich die beförderte Ware befindet, den Unternehmer immer als (mittelbaren) Verbringer, der sich dabei des Lenkers als Besitzdiener oder Besitzmittler bedient. Er vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass die Regelung des § 79 Abs. 2 ZollR-DG überflüssig wäre (a.a.O. 323, rechte Spalte, zweiter Absatz).
Diese Meinung lässt sich wiederum mit der eingangs zitierten Kommentarmeinung (Witte a.a.O.) nicht vereinbaren, weil letztere den Unternehmer ganz offensichtlich dem Tatbestand des zweiten Teilstriches des Art. 202 Abs. 3 ZK zuordnet, wozu aber die besonderen dort aufgelisteten subjektiven Tatbestandsmerkmale vorliegen müssen.
Zu all dem kommt, dass in Art. 202 Abs. 3 ZK - anders als in Art. 201 Abs. 3, zweiter Unterabsatz ZK - kein Spielraum für eine Erweiterung des Kreises der Zollschuldner durch das innerstaatliche Recht eröffnet ist.
Da Witte schließlich (wenn auch zu Art. 201 ZK) die Meinung vertritt, der nationale Gesetzgeber dürfe (offenbar ohne dabei durch das Gemeinschaftsrecht beschränkt zu sein) Haftungstatbestände schaffen (Witte a.a.O. Rz 14 zu Art. 201 ZK), und weil die Beschwerde die angewendete Bestimmung des § 79 Abs. 2 ZollR-DG als "Haftungsnorm" empfindet, bestehen ganz offensichtlich Zweifel am Auslegungsverhältnis zwischen Art. 202 Abs. 3 ZK einerseits und § 79 Abs. 2 ZollR-DG andererseits, die es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes erfordern, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Vorabentscheidung über die im Beschlusspunkt 1. formulierte Frage zu ersuchen.
ad 2):
Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass der Zollschuld abgelehnt. Da eine Entscheidung über diese Frage von der Klärung der Vorfrage abhängt, ob § 79 Abs. 2 ZollR-DG überhaupt eine taugliche Rechtsgrundlage für die Behandlung der Beschwerdeführerin als Zollschuldnerin darstellt, welche Vorfrage mit Beschlusspunkt 1) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde, liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung gemäß § 38 AVG iVm § 62 Abs. 1 VwGG vor. Wien, am 6. November 2002
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