VwGH 2000/14/0169

VwGH2000/14/016930.10.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Mag. Heinzl und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Dr. Urtz, über den Antrag der CW in R, vertreten durch Europa Treuhand Ernst & Young, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft mbH in Wien II, Praterstraße 23, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der unter der hg. Zl. 2000/14/0136 protokollierten Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol (Berufungssenat I) vom 6. März 2000, Zl RV-060.97/1-T7/97 , betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 1993 sowie Umsatz- und Einkommensteuer 1993 und 1994, den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag wird nicht stattgegeben.

Die gleichzeitig nochmals erhobene Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Beschluss vom 29. September 2000, 2000/14/0136-6, stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren betreffend die von der Antragstellerin erhobene Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol (Berufungssenat I) vom 6. März 2000, Zl RV-060.97/1-T7/97 , ein, weil sie dem an sie ergangenen Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde (Nachholung der der Beschwerde fehlenden Begründung) insoweit nicht nachgekommen war, als die vorgelegten Textexemplare nicht mit der Unterschrift des Vertreters versehen waren.

Im fristgerecht eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird vorgebracht, obwohl es im Unternehmen der die Antragstellerin vertretenden Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft mbH und insbesondere in der Abteilung, in welcher die Beschwerde bearbeitet worden sei, eindeutige organisatorische Anweisungen gebe, dass sämtliche nach außen gehende Schriftstücke von vertretungsbefugten Mitarbeitern vorher kontrolliert werden müssten, sei im gegenständlichen Fall durch die bearbeitende Sekretärin, der seit 15 Jahren im Unternehmen beschäftigten Frau A., vergessen worden, die Schriftsätze vorzulegen und entsprechende Unterschriften einzuholen.

Der normale Verfahrensablauf bei der Ausarbeitung und Abfertigung von Schriftstücken bestehe darin, dass von den zuständigen Sachbearbeitern Schriftstücke konzipiert und in der Folge mit einem Steuerberater und/oder Wirtschaftsprüfer durchgearbeitet würden, welcher in der Folge die inhaltliche Freigabe für Schriftstücke erteile. Sämtliche Schriftstücke würden in der Folge im entsprechenden Sekretariat geschrieben bzw formatiert. Danach müssten sämtliche nach außen gehende Schriftstücke von der verantwortlichen Person zur Letztkontrolle und Unterschrift vorgelegt werden. Als nächster Schritt werde vom Sekretariat eine zweite Unterschrift von einem weiteren Steuerberater und/oder Wirtschaftsprüfer eingeholt, sodass eine firmenmäßige Zeichnung der Schriftstücke erfolge. Die inhaltliche Aufgabe der zweiten unterschreibenden Person sei eine plausibilitätsmäßige inhaltliche Überprüfung der Schriftstücke, wobei die inhaltliche Verantwortung bei der erstunterschreibenden Person sei.

Dieser Verfahrensablauf werde im die Antragstellerin vertretenden Unternehmen überall eingehalten. Auch in dem gegenständlichen Bereich bzw Sekretariat sei die Einholung der Unterschriften immer zuverlässig und fehlerfrei wahrgenommen worden.

Im gegenständlichen Fall sei die Bearbeitung des Mängelbehebungsauftrages den Herren Mag. Sch. und Mag. S. (beide Wirtschaftsprüfer) inhaltlich zugeordnet worden. Auf Grund der kurzen Fristsetzung des Mängelbehebungsauftrages und der Tatsache, dass Mag. Sch. bis einschließlich Sonntag urlaubsbedingt nicht anwesend gewesen sei, sei der Mängelbehebungsauftrag erst am Montag, dem letzten Tag der Frist bearbeitet und am Nachmittag inhaltlich fertiggestellt worden. Frau A. sei mit der Formatierung der Schriftsätze beauftragt und dabei ausdrücklich angewiesen worden, die Schriftsätze nach der Formatierung und der Herstellung der Kopien zur Letztkontrolle und Unterfertigung Mag. Sch. und Mag. S vorzulegen. Frau A. sei weiters mitgeteilt worden, dass nach der Formatierung und Unterfertigung der Schriftsätze diese auf Grund der Zeitknappheit mittels Taxi zum Verwaltungsgerichtshof zu bringen seien.

Tatsächlich habe Frau A. zwar die Formatierung und die Herstellung der zwei Kopien durchgeführt, die Schriftsätze aber nicht zur Letztkontrolle und firmenmäßigen Unterfertigung vorgelegt, sondern sie kuvertiert und zum Verwaltungsgerichtshof bringen lassen. Der Grund für die Nichtbefolgung der klaren Weisung durch Frau A., der auf ein versehentliches Vergessen zurückzuführen sein dürfte, sei dem Vertreter der Beschwerdeführerin und auch Frau A. unerklärlich. Mit ein Grund für den Fehler dürfte die große Belastung und der Zeitdruck gewesen sein, unter welcher Frau A. gestanden sei.

Auf Grund der bis zu diesem Vorfall tadellosen und einwandfreien Arbeitsweise von Frau A. hätte der Vertreter der Antragstellerin davon ausgehen können, dass Frau A. auch im konkreten Fall die ihr erteilten Weisungen befolgen werde. Den Vertreter der Antragstellerin treffe daher kein Verschulden an der Versäumung der Frist.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. März 1995, 94/18/1077, 95/18/0472, mwN).

Auch ein Wirtschaftsprüfer hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass u.a. auch die vollständige und fristgerechte Erfüllung von Mängelbehebungsaufträgen, die ja bereits das Vorliegen einer zumindest zum Teil nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Eingabe zur Grundlage haben, gesichert erscheint (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 1990, 87/14/0030). Der Parteienvertreter verstößt gegen seine Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumnisse auszuschließen geeignet sind (vgl den hg. Beschluss vom 23. März 1994, 94/13/0006).

Eine solche Organisation und entsprechende Kontrollsysteme in der die Antragstellerin vertretenden Wirtschaftsprüferkanzlei lässt das Vorbringen im gegenständlichen Fall vermissen. Es mag zutreffen, dass der "normale Verfahrensablauf" in der Weise vor sich geht, wie es im Antrag geschildert wird. Die zu fordernde Organisation und die entsprechenden Kontrollsysteme sind aber gerade für Fallkonstellationen vorzusehen, in welchen ein (im Übrigen nicht näher begründbares) Versagen eines Mitarbeiters auftritt, somit im Fall eines nicht "normalen" Verfahrensablaufes.

Es ist im Interesse vernünftiger Rechtsschutzwahrung zwar nicht angezeigt, jedes in der Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters unterlaufene Missgeschick dem Parteienvertreter mit Wirkung für die Partei als ein den Grad minderen Versehens übersteigendes Verschulden zuzurechnen, weil sich gerade aus der Vorschrift des zweiten Satzes der Bestimmung des § 46 Abs. 1 VwGG deutlich das gesetzgeberische Anliegen entnehmen lässt, den Rechtsschutz nicht aus formellen Gründen im Ergebnis von Ereignissen scheitern zu lassen, die nach statistischer Wahrscheinlichkeit menschlichen Fehlerkalküls im Drange der Geschäfte auch eines ordnungsgemäßen Kanzleibetriebes eines berufsmäßigen Parteienvertreters fallweise vorkommen können und verstehbar sind. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof etwa in den regelmäßig vorkommenden Fällen von Kuvertierungs- und Postaufgabepannen durch verlässliche und im vernünftigen Rahmen überwachte Mitarbeiter berufsmäßiger Parteienvertreter schon wiederholt so ausgesprochen (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 22. Jänner 1992, 91/13/0241 und 91/13/0254, oder vom 1. Juli 1992, 92/13/0133). Gegenständlich liegt ein derartiger Fehler aber nicht vor. Vielmehr ist der Fehler gegenständlich schon vor Unterfertigung der Schriftstücke durch den Parteienvertreter aufgetreten. Wird aber durch keinerlei Maßnahme sichergestellt, dass dem Parteienvertreter ein abzusendendes Schriftstück zur Unterschrift vorgelegt wird, sondern obliegt es schon standardmäßig dem "Sekretariat", dass Schriftstücke vor ihrer Abfertigung (firmenmäßig) gezeichnet werden, so ist ein entsprechender Organisationsstandard der Kanzlei, wie er für berufsmäßige Parteienvertreter gefordert ist, nicht zu erkennen, zumal sich die Unterlassung der Unterschrift durch den berufsmäßigen Parteienvertreter als ein Ereignis darstellt, welches nicht im Bereich des Erfüllungsgehilfen, sondern in jenem des Parteienvertreters selbst geschieht (vgl abermals den oben zitierten Beschluss vom 23. März 1994).

Das Außerachtlassen der im vorliegenden Fall erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt ist als ein den Grad minderen Versehens überschreitendes Verschulden des Vertreters der Antragstellerin zu werten, weshalb dem Wiedereinsetzungsantrag der Erfolg zu versagen war.

Die in einer weiteren Ausfertigung nochmals eingebrachte Beschwerde gegen den Bescheid waren mangels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen entschiedener Sache gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen, weil der Gerichtshof das Verfahren über die denselben Verwaltungsakt bekämpfende Beschwerde bereits mit den Beschluss vom 29. September 2000 eingestellt hat.

Wien, am 30. Oktober 2001

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