Normen
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
AHG §1, §2
KFG 1967 §61 Abs5
Verwaltungsverordnung des BMI vom 30.8.1972, Z15.201/16-13/72
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
AHG §1, §2
KFG 1967 §61 Abs5
Verwaltungsverordnung des BMI vom 30.8.1972, Z15.201/16-13/72
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. 1.a) Beim Landesgericht für Zivilrechtssachen (LGfZRS) Wien ist zu 52 c Cg 1116/88 das Verfahren über eine auf das Amtshaftungsgesetz (AHG) gestützte Klage der P VersicherungsAG gegen die Republik Österreich (richtig: gegen den Bund) anhängig.
Der Klage liegt - zusammengefaßt - folgender Sachverhalt zugrunde: Am 22. April 1987 ereignete sich ein Verkehrsunfall. Daran waren zwei PKW beteiligt. Für den ersten PKW - dessen Lenker angeblich am Unfall allein schuldtragend war - waren keine Haftpflichtversicherungsprämien bezahlt worden, weshalb der Haftpflichtversicherer per 12. Feber 1987 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt und hievon gleichzeitig der Bundespolizeidirektion Wien Meldung gemäß §61 Abs3 Kraftfahrgesetz (KFG) erstattet hatte. Die P VersicherungsAG (die klagende Partei) ersetzte als Vollkaskoversicherer des zweiten PKWs dessen Eigentümer den Schaden; ihr Versuch, sich beim Zulassungsbesitzer des ersten PKW zu regressieren, verlief erfolglos, weil sich dieser nicht mehr in Österreich aufhält.
Das LGfZRS Wien meint, daß Organe der Republik Österreich gemäß §61 Abs5 KFG verpflichtet gewesen wären, unverzüglich die Kennzeichentafeln des ersten PKW abzunehmen. Dies sei aber bis zum Unfallszeitpunkt nicht geschehen; die Behörde habe zwar an der Meldeadresse des Zulassungsbesitzers nachgeforscht, jedoch aufgrund des nun beim Verfassungsgerichtshof bekämpften Erlasses (s. die folgende litb) kein Fahndungsfernschreiben erlassen. Das Unterlassen entsprechender Fahndungsmaßnahmen könnte zur Amtshaftung führen.
b) Das LGfZRS Wien stellt aus Anlaß dieser Rechtssache gem. Art89 Abs2 (und Art139 Abs1) B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, "der Verfassungsgerichtshof möge die Verwaltungsverordnung des Bundesministeriums für Inneres vom 30. August 1972, Zl. 15.201/16-13/72, ihrem gesamten Inhalt nach als gesetzwidrig aufheben."
Im Antrag werden die Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit dieses Erlasses im einzelnen dargelegt.
c) Der erwähnte Erlaß erging an alle Bundespolizeibehörden. Er hat folgenden Wortlaut:
"Mit den ho. Erlässen vom 24. Jänner 1967, Zl. 61.165-13/67, und vom 10. Mai 1968, Zl. 63.603-13/68, wurden Anordnungen über die Vorgangsweise bei der Fernschreibfahndung im Zusammenhang mit der Aufhebung der Zulassung eines Kfz. und der Abnahme der Kennzeichentafeln erlassen. In diesen Erlässen wurde insbesondere festgelegt, daß Zirkulartelegramme 'an alle' keineswegs routinemäßig, sondern nur aus ganz bestimmten Gründen erlassen werden dürfen. Es hat sich aber immer wieder gezeigt, daß diese Erlässe von verschiedenen Bundespolizeibehörden nicht beachtet werden. Die Erlassung von Sammelfernschreiben für Zwecke der Einziehung von Kennzeichentafeln bildet vielfach nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Andererseits aber hat die Erfahrung ergeben, daß der Erfolg dieser Sammelfernschreiben außerordentlich gering ist und in einem ganz auffallenden, nicht mehr zu rechtfertigenden Mißverhältnis zu dem durch diese Fernschreiben verursachten Aufwand steht.
In Anbetracht dieser Tatsachen ergeht die Einladung, in Zukunft von der Erlassung von Sammelfernschreiben im Zusammenhang mit der Aufhebung der Zulassung eines Kraftfahrzeuges und der Einziehung der Kennzeichentafeln abzusehen. Soferne eine Fernschreibfahndung in diesen Fällen überhaupt erforderlich scheint, soll es sich nur um eine gezielte Fahndung handeln.
Das Verbot der Erlassung von Sammelfernschreiben in den gegenständlichen Angelegenheiten gilt in gleicher Weise für jene behördeninternenen Fahndungsmaßnahmen, die mit der Einrichtung der Sammelfernschreiben vergleichbar sind (z.B. die Zirkulartelegramme im Bereich der Bundespolizeidirektion Wien).
Es ist beabsichtigt, nach Herstellung des Einvernehmens mit dem mit der Vollziehung des KFG. 1967 betrauten Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie, in Hinkunft auch das EDVZ der Bundespolizeidirektion Wien mit Aufgaben auf dem Gebiet der in Rede stehenden Fahndungsmaßnahmen zu betrauen.
Ergeht unter Bezugnahme auf den Erlaß des ho.
Bundesministeriums vom 25. August 1972, Zl. 5.817/5-19/72; betreffend KFZ.-Fahndung; Abmeldung bzw. Aufhebung der Zulassung gestohlener Fahrzeuge."
2. Der Bundesminister für Inneres (BMI) erstattete eine Äußerung, in der begehrt wird, der Verfassungsgerichtshof möge den Antrag zurückweisen, in eventu den angefochtenen Erlaß "zur Gänze als gesetzmäßig erkennen".
II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:
1. Gemäß Art139 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundes- oder Landesbehörde u.a. auf Antrag eines Gerichtes. Nach Art89 Abs2 B-VG hat ein Gericht, wenn es gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken hat, den Antrag auf Aufhebung dieser Verordnung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.
2. Zu klären ist zunächst, ob der in Rede stehende Erlaß eine Verordnung ist, die im Sinne der soeben zitierten bundesverfassungsgesetzlichen Vorschriften beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden kann.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 3142/1957, 7585/1975, 9061/1981, 9416/1982) versteht man unter einer Verordnung die von einer Verwaltungsbehörde erlassene generelle Rechtsnorm; das bedeutet, daß sich der Akt an eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen richten und für diese unmittelbar rechtsverbindlich sein muß.
Der zur Prüfung beantragte Erlaß des BMI (einer Verwaltungsbehörde) wendet sich imperativ unmittelbar an alle Bundespolizeibehörden; seine Qualifikation als Verordnung bedarf sohin keiner weiteren Begründung.
b) Der BMI wendet sich mit dem angefochtenen Erlaß (in Ausübung seiner Dienstaufsicht) ausschließlich an die ihm unterstehenden Bundespolizeibehörden; sie werden generell angewiesen, bestimmte Sammelfernschreiben zu unterlassen (und nicht etwa, Bescheiden einen bestimmten Inhalt zu geben); damit werden lediglich Dienstpflichten der Organwalter dieser Behörden begründet, nicht aber Rechte oder Pflichten sonstiger Personen. Dieser Erlaß ist sohin als Verwaltungsverordnung einzustufen. Damit unterscheidet er sich von jenen Erlässen, die wegen ihrer sich auch für die Allgemeinheit ergebenden Rechtswirkungen vom Verfassungsgerichtshof als Rechtsverordnungen qualifiziert wurden (vgl. zB VfSlg. 8647/1979, 8648/1979, 8807/1980, 9416/1982, 10170/1984, 10607/1985, 10728/1985, 11467/1987).
Gegenstand einer Normenprüfung nach Art139 B-VG können aber nicht bloß Rechtsverordnungen, sondern ebenso Verwaltungsverordnungen sein (vgl. zB VfSlg. 1636/1948, 1692/1948, 2556/1953, 2660/1954, 6291/1970, 8255/1978, 8602/1979). Sowohl Rechtsverordnungen als auch Verwaltungsverordnungen sind sohin nach Art139 B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar, sofern nur auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen.
3.a) Eine dieser weiteren Voraussetzungen ist, daß die Verordnung vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden oder daß die Gesetzmäßigkeit der Verordnung eine Vorfrage für die Entscheidung der bei diesem Gericht anhängigen Rechtssache ist (§57 Abs2 VerfGG).
b) Das antragstellende Gericht meint, daß diese Voraussetzung hier gegeben sei:
"Das Gericht hätte die bezogene Verordnung auf den zur Entscheidung stehenden Fall anzuwenden, da eine Entscheidung über die Zumutbarkeit von Maßnahmen, um die an einem nicht mehr zum Verkehr zugelassenen Kraftfahrzeug angebrachten Kennzeichen aufzufinden und einzuziehen, nicht ohne Bedachtnahme auf die Frage der Gesetzmäßigkeit oder Gesetzwidrigkeit der im Spruch bezeichneten Verordnung erfolgen kann."
c) Damit ist es nicht im Recht:
Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 7999/1977, 9811/1983, 10296/1984).
Hier ist es nun als denkunmöglich zu bezeichnen, daß das antragstellende Gericht die zur Prüfung beantragte Verordnung - wegen ihrer Eigenschaft als generelle Norm - anzuwenden hätte:
Gemäß §1 Abs1 AHG haften bestimmte Rechtsträger (darunter der Bund) nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben; dem Geschädigten haftet das Organ nicht. Nach §2 Abs1 AHG muß bei Geltendmachung eines Ersatzanspruches ein bestimmtes Organ nicht genannt werden; es genügt der Beweis, daß der Schaden nur durch eine Rechtsverletzung eines Organes des beklagten Rechtsträgers entstanden sein konnte.
Das Gericht hat also bei Entscheidung über eine auf das AHG gestützte Klage zu beurteilen, ob sich Organe des beklagten Rechtsträgers rechtswidrig verhalten haben und ob dadurch dem Kläger ein Schaden entstanden ist, hier also, ob es Organe des Bundes - unter Verletzung des §61 Abs5 KFG - unterlassen haben, die Kennzeichentafeln einzuziehen. Es hat weiters - und hierin ist dem antragstellenden LGfZRS Wien beizupflichten - zu entscheiden, welche Maßnahmen zur Einziehung des Kennzeichens zumutbar sind. Ob aber ein haftungsbegründendes, schuldhaftes Verhalten dem einen oder dem anderen Organ(walter) desselben Rechtsträgers zur Last zu legen ist, ist für die Entscheidung des Amtshaftungsgerichtes ohne Belang (vgl. den in einer dem Anlaßfall ähnlichen Rechtssache ergangenen Beschluß des OLG Wien vom 20.5.1988, 14 R 265/87).
Für die vom anfechtenden Amtshaftungsgericht im Anlaßfall zu treffende Entscheidung ist es also völlig unmaßgebend, ob Organwalter der Bundespolizeidirektion Wien die Hinausgabe eines Sammelfernschreibens aus eigenem Antrieb oder in Befolgung der generellen innenministeriellen Weisung unterließen.
Es ist daher ausgeschlossen, daß das LGfZRS Wien im Anlaßfall den bekämpften Erlaß anzuwenden hätte. Der Verordnungsprüfungsantrag war sohin mangels Präjudizialität zurückzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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