VfGH V50/2013

VfGHV50/201313.9.2013

Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern betreffend eine Volksbefragung über die Errichtung von Windkraftanlagen mangels Klarheit der Fragestellung im Hinblick auf die Betroffenheit einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde; Zulässigkeit der Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung im Anlassverfahren

Normen

B-VG Art141 Abs3 / Volksbefragung
B-VG Art49b, Art117 Abs8
Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern vom 14.12.2012 betr eine Volksbefragung über die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet
Nö GdO 1973 §63, §64
VolksbefragungsG 1989 §16
B-VG Art141 Abs3 / Volksbefragung
B-VG Art49b, Art117 Abs8
Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern vom 14.12.2012 betr eine Volksbefragung über die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet
Nö GdO 1973 §63, §64
VolksbefragungsG 1989 §16

 

Spruch:

I. Der als Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern zu qualifizierende Teil der Kundmachung vom 14. Dezember 2012 mit dem Wortlaut "Der Gemeinderat der Marktgemeinde Grabern hat in seiner Sitzung am 28. November 2012 beschlossen, gemäß §16 in Verbindung mit §63 NÖ Gemeindeordnung 1973 eine

Volksbefragung

über die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern durchzuführen.

Die Abstimmungsfrage lautet:

Sollen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern Windkraftanlagen errichtet werden?

O JA O NEIN"

, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 14. Dezember 2012 bis 21. Jänner 2013, war gesetzwidrig.

II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Niederösterreich verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl W III1/2013 eine auf Art141 Abs3 B‑VG gestützte Anfechtung des Ergebnisses einer Volksbefragung anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Mit Kundmachung vom 14. Dezember 2012, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 14. Dezember 2012 bis 21. Jänner 2013, wurde gemäß §16 iVm §63 Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 (im Folgenden: NÖ GO 1973) für den 20. Jänner 2013 eine Volksbefragung betreffend die Errichtung von Windkraftanlagen angeordnet.

1.2. Die Durchführung der Volksbefragung wurde vom Gemeinderat in seiner Sitzung am 28. November 2012 mehrheitlich beschlossen. Sodann wurde am Sonntag, dem 20. Jänner 2013 die Volksbefragung durchgeführt. Dabei entfielen von den 1.060 gültig abgegebenen Stimmen 587 Stimmen auf JA und 473 Stimmen auf NEIN. Dieses Ergebnis wurde iSd §66 Abs1 NÖ GO 1973 durch Anschlag an der Amtstafel am 21. Jänner 2013 verlautbart.

1.3. Mit ihrer am 14. Februar 2013 zur Post gegebenen und am 19. Februar 2013 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten, auf Art141 Abs3 B-VG gestützten Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung beantragten zwei Gemeindebürgerinnen u.a., das Verfahren zur Volksbefragung betreffend die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern zur Gänze aufzuheben.

2. Bei der Behandlung dieser Anfechtung sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des als Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern zu qualifizierenden Teiles der Kundmachung vom 14. Dezember 2012 mit dem Wortlaut

"Der Gemeinderat der Marktgemeinde Grabern hat in seiner Sitzung am 28. November 2012 beschlossen, gemäß §16 in Verbindung mit §63 NÖ Gemeindeordnung 1973 eine

Volksbefragung

über die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern durchzuführen.

Die Abstimmungsfrage lautet:

Sollen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern Windkraftanlagen errichtet werden?

O JA O NEIN"

, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 14. Dezember 2012 bis 21. Jänner 2013, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 7. Juni 2013 beschlossen, diesen als Verordnung zu qualifizierenden Teil der Kundmachung von Amts wegen auf seine Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ging vorläufig davon aus, dass die Anfechtung zulässig und rechtzeitig sei und er bei seiner Entscheidung darüber die in Prüfung gezogene Verordnung anzuwenden hätte.

2.2. In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof folgende Bedenken:

"[D]er Verfassungsgerichtshof [hegt] das Bedenken, dass die Fragestellung in dem vorläufig als Verordnung des Gemeinderates zu qualifizierenden Teil der Kundmachung §63 Abs1 NÖ GO 1973 – demzufolge der Gemeinderat nur über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, ausgenommen über individuelle Verwaltungsakte und überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheiten, eine Volksbefragung anordnen kann – widerspricht:

[…]

[…] Gemäß Art118 B‑VG kann die Landesgesetzgebung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorsehen. §63 Abs1 NÖ GO 1973 sieht vor, dass der Gemeinderat über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, ausgenommen über individuelle Verwaltungsakte und überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheiten, eine Befragung der wahlberechtigten Gemeindemitglieder (Volksbefragung) anordnen kann. Gemäß Abs2 leg.cit. ist die Frage so eindeutig zu stellen, dass sie entweder mit 'Ja' oder 'Nein' beantwortet werden kann.

[…] Der Verfassungsgerichtshof folgt vorläufig der Auffassung der Anfechtungswerberinnen, dass sich aus der Fragestellung, die im vorläufig als Verordnung des Gemeinderates zu qualifizierenden Teil der in Prüfung gezogenen Kundmachung festgelegt worden sein dürfte, weder erkennen lässt, ob der Gegenstand der Volksbefragung in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt, noch, um welche Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches es sich handelt:

[…] Der Verfassungsgerichtshof vertritt vorläufig die Ansicht, dass eine Volksbefragung gemäß §63 Abs1 NÖ GO 1973 über Angelegenheiten, die außerhalb des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde gelegen sind oder einen individuellen Verwaltungsakt betreffen, in Widerspruch zu dieser Bestimmung steht. Entgegen der Ansicht der Gemeinde­wahlbehörde dürfte es auch erforderlich sein, dass – jedenfalls für den gemäß Art141 Abs3 B‑VG zur Prüfung von Anfechtungen des Ergebnisses von Volksbefragungen berufenen Verfassungsgerichtshof – dem Wortlaut der Fragestellung eindeutig zu entnehmen ist, ob die Volksbefragung eine gemäß §63 Abs1 NÖ GO 1973 zulässige Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches betrifft (also keinen individuellen Verwaltungsakt und keine überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheit), da ansonsten eine umfassende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Volksbefragung nicht möglich sein dürfte (vgl. VfSlg 15.816/2000, 19.648/2012).

[…] Im vorliegenden Fall dürfte aus dem Wortlaut der Fragestellung 'Sollen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern Windkraftanlagen errichtet werden? JA/NEIN' jedoch nicht hervorgehen, ob die Volksbefragung auf eine zulässige Angelegenheit gerichtet ist:

[…] Der Gemeinde­wahlbehörde ist zwar vorläufig insoweit nicht entgegenzutreten, als sie vorbringt, dass die Widmung von Flächen, die eine Errichtung von Windkraftanlagen ermöglichen, in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde falle, jedoch ist gemäß §63 Abs2 NÖ GO 1973 die Frage so eindeutig zu stellen, dass sie entweder mit 'Ja' oder 'Nein' beantwortet werden kann. Da sich die Frage gemäß Abs1 dieser Bestimmung nur auf Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches beziehen darf, scheint sich das Erfordernis der Eindeutigkeit der Frage auch auf den eigenen Wirkungsbereich zu beziehen. Daher dürfte es erforderlich sein, dass für die bei der Befragung stimm[…]berechtigten Gemeindebürger – und in weiterer Folge für den Verfassungsgerichtshof, der die Fragestellung zu überprüfen hat – eindeutig erkennbar ist, über welche Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches sie befragt werden.

[…] Im vorliegenden Fall dürfte sich aus der Fragestellung jedoch keineswegs ableiten lassen, dass nur die Frage der Flächenwidmung Gegenstand der Volksbefragung sein soll; vielmehr dürfte der Wortlaut der Fragestellung etwa auch dahingehend verstanden werden können, dass die Gemeinde im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung selbst (im eigenen Wirkungsbereich) Windkraftanlagen errichten oder (durch die Erlassung individueller Verwaltungsakte, soweit sie zu deren Erlassung zuständig ist) allenfalls erforderliche Genehmigungen erteilen möchte, um die Errichtung von Windkraftanlagen durch einen privaten Betreiber zu ermöglichen (vgl. VfSlg 19.648/2012). Auch den Ausführungen der Gemeindewahlbehörde dürfte zu entnehmen sein, dass letztlich nur die 'Grundsatzentscheidung' der Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet, nicht aber ein konkretes Vorhaben zur Befragung vorgelegt wurde. Gerade Einrichtungen der direkten Demokratie scheinen es jedoch zu erfordern, dass das Substrat dessen, was den Wahlberechtigten zur Entscheidung vorgelegt wird, klar und eindeutig ist, damit Manipulationen hintangehalten und Missverständnisse soweit wie möglich ausgeschlossen werden können (vgl. VfSlg 15.816/2000, 19.648/2012).

[…] Ergänzend ist zu bemerken, dass der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon ausgeht, dass das Erfordernis der Klarheit der Fragestellung nicht dahingehend zu verstehen ist, dass in der Fragestellung selbst ausdrücklich darzulegen ist, ob und warum es sich um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde handelt; vielmehr dürfte sich aus der Fragestellung der Gegenstand der Volksbefragung lediglich so eindeutig ergeben müssen, dass daraus abgeleitet werden kann, ob es sich um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde handelt bzw. um welche (zB 'Umwidmung von Flächen, um die Errichtung von Windkraftanlagen zu ermöglichen'; 'Errichtung von Windkraftanlagen durch die Gemeinde'). Dass sich aus dem Wortlaut der Fragestellung ableiten lässt, was unter der 'Errichtung von Windkraftanlagen' konkret zu verstehen ist, scheint jedoch nicht einmal von der Gemeindewahlbehörde behauptet zu werden.

[…] In Hinblick auf die Klarheit der Fragestellung dürfte es auch nicht ausreichend sein, wenn die Volksbefragung – wie die Gemeindewahlbehörde in ihrer Gegenschrift darlegt – 'im Vorfeld anlässlich zahlreicher Öffentlichkeits­veranstaltungen erörtert und diskutiert und von den Gemeindebürgern auch als eine Grundsatzentscheidung verstanden' wurde: Bei Volksbefragungen dürfte nämlich die Klarheit der Fragestellung essentiell sein, und zwar unabhängig davon, wie intensiv eine Frage vor der Volksbefragung diskutiert wurde (vgl. VfSlg 15.816/2000).

Aus diesen Gründen hegt der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, dass der in Prüfung gezogene, vorläufig als Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern zu qualifizierende Teil der Kundmachung vom 14. Dezember 2012 den Erfordernissen des §63 Abs1 NÖ GO 1973 widerspricht."

3. Der Bürgermeister der Marktgemeinde Grabern teilte in einer "Äußerung gemäß §58 (2) VfGG" mit, dass dem Verfassungsgerichtshof im Anlassverfahren W III1/2013 eine Gegenschrift der Gemeindewahlbehörde der Marktgemeinde Grabern einschließlich aller Unterlagen betreffend die Volksbefragung über die Errichtung von Windkraftanlagen übermittelt worden sei. Zu der Verordnung, die von Amts wegen der Niederösterreichischen Landesregierung zur Verordnungsprüfung vorgelegt worden sei, gebe es keine weiteren Ergänzungen zu den bereits übersendeten Unterlagen. Seitens des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern, der die in Prüfung gezogene Verordnung erlassen hat, wurde keine Äußerung erstattet.

Die Niederösterreichische Landesregierung teilte mit, dass von der Erstattung einer Äußerung abgesehen werde und die Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern nicht gemäß §88 NÖ GO 1973 der Landesregierung mitgeteilt worden sei, weshalb keine Aktenvorlage erfolgen könne.

II. Rechtslage

1. Die Kundmachung des Bürgermeisters vom 14. Dezember 2012, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 14. Dezember 2012 bis 21. Jänner 2013, lautet wie folgt:

"KUNDMACHUNG

Der Gemeinderat der Marktgemeinde Grabern hat in seiner Sitzung am 28. November 2012 beschlossen, gemäß §16 in Verbindung mit §63 NÖ Gemeindeordnung 1973 eine

Volksbefragung

über die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern durchzuführen.

Die Abstimmungsfrage lautet:

Sollen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern Windkraftanlagen errichtet werden?

O JA O NEIN

Für die Volksbefragung wird als Tag der Befragung der

20. Jänner 2013

bestimmt.

Als Tag der Verlautbarung der Ausschreibung (Stichtag) gilt der 17. Dezember 2012.

Grabern, am 14. Dezember 2012 Der Bürgermeister:

[…]" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

2. §§63 und 64 NÖ GO 1973, LGBl 1000 idF LGBl 1000-20, lauten:

"§63 Anordnung einer Volksbefragung

(1) Der Gemeinderat kann über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, ausgenommen über individuelle Verwaltungsakte und überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheiten, eine Befragung der wahlberechtigten Gemeindemitglieder (Volksbefragung) anordnen.

(2) Die Frage, die durch die Volksbefragung zu entscheiden ist, ist so eindeutig zu stellen, daß sie entweder mit 'Ja' oder 'Nein' beantwortet oder im Falle, daß über zwei oder mehrere Varianten entschieden werden soll, die gewählte Variante bestimmt bezeichnet werden kann. Der Gemeinderat kann überdies beschließen, daß das Ergebnis der Volksbefragung einem Gemeinderatsbeschluß gleichzuhalten ist, wenn gleichzeitig für die Bedeckung allfälliger Ausgaben vorgesorgt wird.

§64 Ausschreibung der Volksbefragung

(1) Der Bürgermeister hat die Volksbefragung binnen vier Wochen nach ihrer Anordnung (§63) auszuschreiben.

(2) Die Volksbefragung ist spätestens am sechsten dem Tage der Ausschreibung nachfolgenden Sonntag durchzuführen.

(3) Die Ausschreibung und der Tag der Volksbefragung sowie der Wortlaut der Frage oder, wenn über zwei oder mehrere Varianten entschieden werden soll, der Wortlaut der Fragen sind öffentlich kundzumachen und ortsüblich zu verlautbaren."

3. §16 Volksbefragungsgesetz 1989, BGBl 356 idF BGBl 339/1993 (in der Folge: VolksbefragungsG 1989), lautet:

"§16. (1) Innerhalb von vier Wochen vom Tag dieser Verlautbarung an kann die Feststellung der Bundeswahlbehörde wegen Rechtswidrigkeit des Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Eine solche Anfechtung muß in den Landeswahlkreisen Burgenland und Vorarlberg von je 100, in den Landeswahlkreisen Kärnten, Salzburg und Tirol von je 200, in den Landeswahlkreisen Oberösterreich und Steiermark von je 400 und in den Landeswahlkreisen Niederösterreich und Wien von je 500 Personen, die in der Stimmliste einer Gemeinde des Landeswahlkreises eingetragen waren, unterstützt sein. Der Anfechtung, in der auch ein bevollmächtigter Vertreter namhaft zu machen ist, sind eigenhändig unterfertigte Unterstützungserklärungen anzuschließen, für die die im §42 Abs2 bis 4 NRWO enthaltenen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden sind.

(2) Auf das Verfahren über solche Anfechtungen sind die Bestimmungen der §§68 Abs2, 69 Abs1 sowie 70 Abs1 und 4 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 sinngemäß anzuwenden. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis gegebenenfalls auch die ziffernmäßige Ermittlung der Bundeswahlbehörde richtigzustellen."

III. Erwägungen

1. Zulässigkeit der Anfechtung im Anlassverfahren

1.1. Gemäß Art141 Abs3 B-VG entscheidet der Verfassungsgerichtshof über Anfechtungen des Ergebnisses von Volksbegehren, Volksabstimmungen, Volksbefragungen und Europäischen Bürgerinitiativen. In seinem Erkenntnis VfSlg 19.648/2012 ist der Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf VfSlg 15.816/2000 davon ausgegangen, dass in Ermangelung einer bundesgesetzlichen Regelung der Anfechtungsbefugnis für Volksbefragungen auf Gemeindeebene die Legitimationsvoraussetzungen zur Anfechtung des Ergebnisses einer Volksbefragung nach der NÖ GO 1973 aus der maßgeblichen Verfassungsvorschrift unmittelbar abzuleiten sind, und hat in der Folge die Zulässigkeit der Anfechtung des Ergebnisses einer solchen Volksbefragung im Wege des Art141 Abs3 B‑VG angenommen.

Hinsichtlich der notwendigen Zahl von Anfechtungswerbern wurde im Erkenntnis VfSlg 19.648/2012 die Legitimation von lediglich zwei Gemeindemitgliedern zur Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung im Wesentlichen mit der Begründung bejaht, dass es mangels einer gesetzlichen Grundlage für Anfechtungen des Ergebnisses von Gemeindevolksbefragungen nicht möglich sei, im vorliegenden Fall eine absolute Zahl an notwendigen Anfechtungsberechtigten abzuleiten: Selbst die Heranziehung eines Durchschnittswertes aus den in §16 VolksbefragungsG 1989 für jeden Landeswahlkreis für die Anfechtung von Volksbefragungen über Angelegenheiten von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung, zu deren Regelung die Bundesgesetzgebung zuständig ist (Art49b B‑VG), absolut festgelegten Zahlen an notwendigen Anfechtungswerbern im Verhältnis zur Anzahl der im jeweiligen Wahlkreis Stimmberechtigten gehe auf Grund der geringen Anzahl der Stimmberechtigten in der betroffenen Gemeinde jedenfalls ins Leere.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluss vertretene Auffassung, dass diese Erwägungen in Anbetracht der geringen Anzahl der Stimmberechtigten in der Marktgemeinde Grabern auch auf den vorliegenden Fall übertragbar sind; die Anfechtung durch lediglich zwei stimmberechtigte Gemeindemitglieder – deren Legitimation weder im Anlassverfahren noch im Verordnungsprüfungsverfahren bestritten wurde – ist daher zulässig.

1.3. Die – innerhalb von vier Wochen nach der Kundmachung des Ergebnisses der Volksbefragung eingebrachte – Anfechtung ist auch rechtzeitig (vgl. VfSlg 19.648/2012; vgl. auch VfSlg 15.816/2000, wonach sogar eine Einbringung innerhalb von sechs Wochen als zulässig erachtet wurde).

1.4. Soweit die Gemeindewahlbehörde in ihrer Gegenschrift im Anlassverfahren vorgebracht hat, dass die Anfechtungswerberinnen die Anfechtung "mutwillig" und "rechtsmissbräuchlich" eingebracht hätten und "nur in der Absicht handeln, der Gemeinde Grabern und somit all ihren Gemeindebürgern unbegründet Schaden zuzufügen", ist zu bemerken, dass die in Art141 Abs3 B‑VG verankerte Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofes in Bezug auf die Rechtmäßigkeit direktdemokratischer Verfahren nicht davon abhängig ist, welche Motive die Anfechtungswerber mit der Anfechtung des Ergebnisses einer Volksbefragung allenfalls verfolgen; ein anderes Verständnis ist mit rechtsstaatlichen Geboten nicht in Einklang zu bringen (vgl. auch VfSlg 19.648/2012).

1.5. Die Behauptung der Gemeindewahlbehörde in ihrer im Anlassverfahren erstatteten Gegenschrift, dass die Anfechtungswerberinnen einen möglichen Einfluss der behaupteten Rechtswidrigkeiten auf das Befragungsergebnis nicht geltend gemacht hätten, trifft nicht zu: In der Anfechtung wird ausdrücklich vorgebracht, dass das Verfahren zur Volksbefragung zum einen auf einer gesetzwidrigen Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern aufbaue und zum anderen am Tag der Durchführung der Volksbefragung Werbung für die Windkraft innerhalb der Verbotszone stattgefunden habe; in dem betroffenen Wahlsprengel sei ein signifikant höherer Anteil an Befürwortern der Windkraftanlagen als im Gemeindedurchschnitt ausgewiesen worden und eine Verschiebung von lediglich 58 Stimmen von den Befürwortern zu den Gegnern hätte das Abstimmungsergebnis geändert. Im Lichte dieses Anfechtungsvorbringens erübrigt sich ein Eingehen auf die Behauptung, dass die fehlende Geltendmachung eines Einflusses auf das Ergebnis einen nicht verbesserungsfähigen Mangel darstelle.

1.6. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist die Anfechtung im Anlassverfahren zulässig.

2. Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 19.648/2012 ausgesprochen, dass die Anordnung einer Volksbefragung und die Festlegung des Wortlautes der Fragestellung gemäß §63 NÖ GO 1973 mit Verordnung des Gemeinderates erfolgen. Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seiner im Prüfungsbeschluss vertretenen Auffassung, dass es sich bei dem in Prüfung gezogenen Teil der Kundmachung vom 14. Dezember 2012 um eine Verordnung des Gemeinderates handelt.

2.2. Zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Volksbefragung hat der Verfassungsgerichtshof auch die – in der Anfechtung aufgeworfene – Rechtmäßigkeit der Fragestellung zu überprüfen (vgl. VfSlg 19.648/2012); er hat daher den als Verordnung des Gemeinderates zu qualifizierenden, in Prüfung gezogenen Teil der Kundmachung anzuwenden, da die Fragestellung, deren Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen wird, durch diese Verordnung festgelegt wurde. Die Verordnung ist daher im Anlassverfahren präjudiziell.

2.3. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

3. In der Sache

3.1. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich des Gegenstandes der Volksbefragung und des Wortlautes der Fragestellung haben sich bestätigt.

3.2. Weder der Gemeinderat der Marktgemeinde Grabern, der die in Prüfung gezogene Verordnung erlassen hat, noch die Niederösterreichische Landesregierung haben eine Äußerung zu diesen Bedenken erstattet.

3.3. Gemäß Art117 Abs8 B‑VG kann die Landesgesetzgebung in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde die unmittelbare Teilnahme und Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten vorsehen. §63 Abs1 NÖ GO 1973 sieht vor, dass der Gemeinderat über Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, ausgenommen über individuelle Verwaltungsakte und über-wiegend abgabenrechtliche Angelegenheiten, eine Befragung der wahlberechtigten Gemeindemitglieder (Volksbefragung) anordnen kann. Gemäß Abs2 leg.cit. ist die Frage so eindeutig zu stellen, dass sie entweder mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann.

3.4. Die im als Verordnung des Gemeinderates zu qualifizierenden Teil der Kundmachung vom 14. Dezember 2012 festgelegte Fragestellung lässt nicht erkennen, ob der Gegenstand der Volksbefragung in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt bzw. um welche Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches es sich handelt:

3.4.1. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner im Prüfungsbeschluss vertretenen Ansicht, dass eine Volksbefragung gemäß §63 Abs1 NÖ GO 1973 über Angelegenheiten, die außerhalb des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde gelegen sind oder einen individuellen Verwaltungsakt betreffen, in Widerspruch zu dieser Bestimmung steht. Es ist auch erforderlich, dass – jedenfalls für den gemäß Art141 Abs3 B‑VG zur Prüfung von Anfechtungen des Ergebnisses von Volksbefragungen berufenen Verfassungsgerichtshof – dem Wortlaut der Fragestellung eindeutig zu entnehmen ist, ob die Volksbefragung eine gemäß §63 Abs1 NÖ GO 1973 zulässige Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches betrifft (also keinen individuellen Verwaltungsakt und keine überwiegend abgabenrechtliche Angelegenheit), da ansonsten eine umfassende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Volksbefragung nicht möglich ist (vgl. VfSlg 15.816/2000, 19.648/2012).

3.4.2. Im vorliegenden Fall geht jedoch aus dem Wortlaut der Fragestellung "Sollen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern Windkraftanlagen errichtet werden? JA/NEIN" nicht hervor, ob die Volksbefragung auf eine zulässige Angelegenheit gerichtet ist:

3.4.2.1. Zwar fällt etwa die Widmung von Flächen, die eine Errichtung von Windkraftanlagen ermöglichen, in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, jedoch ist gemäß §63 Abs2 NÖ GO 1973 die Frage so eindeutig zu stellen, dass sie entweder mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann. Da sich die Frage gemäß Abs1 dieser Bestimmung nur auf Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches beziehen darf, bezieht sich das Erfordernis der Eindeutigkeit der Frage auch auf den eigenen Wirkungsbereich. Es ist daher erforderlich, dass für die bei der Befragung stimmberechtigten Gemeindebürger – und in weiterer Folge für den Verfassungsgerichtshof, der die Fragestellung zu überprüfen hat – eindeutig erkennbar ist, über welche Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches sie befragt werden.

3.4.2.2. Die Fragestellung lässt jedoch offen, was Gegenstand der Volksbefragung sein soll; ihr Wortlaut kann etwa auch dahingehend verstanden werden, dass die Gemeinde im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung selbst (im eigenen Wirkungsbereich) Windkraftanlagen errichten oder (durch die Erlassung individueller Verwaltungsakte, soweit sie zu deren Erlassung zuständig ist) allenfalls erforderliche Genehmigungen erteilen möchte, um die Errichtung von Windkraftanlagen durch einen privaten Betreiber zu ermöglichen (vgl. VfSlg 19.648/2012). Gerade Einrichtungen der direkten Demokratie erfordern es jedoch, dass das Substrat dessen, was den Wahlberechtigten zur Entscheidung vorgelegt wird, klar und eindeutig ist, damit Manipulationen hintangehalten und Missverständnisse soweit wie möglich ausgeschlossen werden können (vgl. VfSlg 15.816/2000, 19.648/2012).

3.4.2.3. Ergänzend ist zu bemerken, dass das Erfordernis der Klarheit der Fragestellung nicht dahingehend zu verstehen ist, dass in der Fragestellung selbst ausdrücklich darzulegen ist, ob und warum es sich um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde handelt; vielmehr muss sich aus der Fragestellung der Gegenstand der Volksbefragung lediglich so eindeutig ergeben, dass daraus abgeleitet werden kann, ob es sich um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde handelt bzw. um welche (zB "Umwidmung von Flächen, um die Errichtung von Windkraftanlagen zu ermöglichen"; "Errichtung von Windkraftanlagen durch die Gemeinde").

3.4.2.4. Dem Erfordernis der Klarheit der Fragestellung genügt es nicht, wenn die Volksbefragung – wie die Gemeindewahlbehörde in ihrer Gegenschrift im Anlassverfahren darlegt – "im Vorfeld anlässlich zahlreicher Öffentlichkeits­veranstaltungen erörtert und diskutiert und von den Gemeindebürgern auch als eine Grundsatzentscheidung verstanden" wurde: Bei Volksbefragungen ist nämlich die Klarheit der Fragestellung essentiell, und zwar unabhängig davon, wie intensiv eine Frage vor der Volksbefragung diskutiert wurde (vgl. VfSlg 15.816/2000).

3.5. Aus diesem Grund erweist sich der als Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern zu qualifizierende Teil der Kundmachung vom 14. Dezember 2012 als gesetzwidrig.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

Der als Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern zu qualifizierende Teil der Kundmachung vom 14. Dezember 2012 mit dem Wortlaut

"Der Gemeinderat der Marktgemeinde Grabern hat in seiner Sitzung am 28. November 2012 beschlossen, gemäß §16 in Verbindung mit §63 NÖ Gemeindeordnung 1973 eine

Volksbefragung

über die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern durchzuführen.

Die Abstimmungsfrage lautet:

Sollen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern Windkraftanlagen errichtet werden?

O JA O NEIN"

, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 14. Dezember 2012 bis 21. Jänner 2013, war gesetzwidrig.

Die Verpflichtung zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung erfließt aus Art139 Abs5 erster und zweiter Satz B‑VG und §60 Abs2 (iVm §61) VfGG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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