Normen
B-VG Art139 Abs1 Z1
Flächenwidmungsplan Nr 3 des Gemeinderates der Gemeinde Enzenkirchen vom 25.06.2001, 08.02.2002 und 01.05.2002
Oö RaumOG 1994 §36
Oö BauO 1994 §49
VfGG §7 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2024:V330.2023
Spruch:
I. Der Flächenwidmungsplan Nr 3 der Gemeinde Enzenkirchen, beschlossen vom Gemeinderat am 25. Juni 2001, am 8. Februar 2002 und am 1. Mai 2002, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 13. Mai 2002, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von 27. Mai 2002 bis 12. Juni 2002, wird als gesetzwidrig aufgehoben, soweit er das Grundstück Nr 530, KG Enzenkirchen, betrifft.
II. Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Oberösterreich verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, "die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Enzenkirchen betreffend den Flächenwidmungsplan Nr 3 der Gemeinde Enzenkirchen, beschlossen vom Gemeinderat der Gemeinde Enzenkirchen am 25.06.2001, am 08.02.2002 und am 01.05.2002, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Oö Landesregierung vom 13.05.2002, kundgemacht durch Anschlag von 27.05.2002 bis 12.06.2002 betreffend das Grundstück Nr 530, KG Enzenkirchen, für welches die Widmungen Grünland und Bauland‑Betriebsbaugebiet festgelegt sind", als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die maßgebliche Bestimmung des Oö Raumordnungsgesetzes 1994 (Oö ROG 1994), LGBl 114/1993, idF LGBl 111/2022 lautet:
"§36
Änderung des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes
(1) Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne sind
1. bei Änderung der maßgeblichen Rechtslage oder
2. wenn es das Gemeinwohl erfordert,
zu ändern.
(2) Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne können geändert werden, wenn 1. öffentliche Interessen, die nach diesem Landesgesetz bei der Erlassung von solchen Plänen zu berücksichtigen sind, insbesondere Interessen einer ökologischen Energienutzung, dafür sprechen oder
2. diese Änderung den Planungszielen der Gemeinde nicht widerspricht, wobei auf Interessen Dritter möglichst Rücksicht zu nehmen ist.
(3) - (4) […]
(5) Auf Nutzungen, die der bisherigen Widmung entsprechen, ist bei Änderung der Flächenwidmungspläne und der Bebauungspläne möglichst Rücksicht zu nehmen. (6) Die Änderung eines Flächenwidmungsplanes oder eines Bebauungsplanes ist durch den Gemeinderat zu begründen; der Begründung oder den Planungsunterlagen muss überdies die erforderliche Grundlagenforschung und Interessenabwägung zu entnehmen sein."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die beteiligte Partei (Beschwerdeführerin vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich) ist Eigentümerin des Grundstückes Nr 530, KG Enzenkirchen ("Grundstück"). Sowohl im geltenden (und angefochtenen) Flächenwidmungsplan Nr 3 als auch in den diesem vorangegangenen Flächenwidmungsplänen Nr 1‑3 (beschlossen am 12. August 1977) und Nr 2 (beschlossen am 28. Juni 1985) ist bzw war dessen nördlicher Teil als "Bauland‑Betriebsbaugebiet" gewidmet und dessen südlicher Teil als "Grünland".
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Enzenkirchen vom 20. Dezember 1971 war dem Rechtsvorgänger der beteiligten Partei eine Baubewilligung zur Errichtung eines Gebäudes auf dem Grundstück erteilt worden.
Mit Bescheid derselben Behörde vom 10. November 2022 wurde der beteiligten Partei gemäß §49 Abs1 Oö BauO 1994 aufgetragen, das inzwischen im nordwestlichen Teil des Grundstückes errichtete Gebäude zu beseitigen, weil es konsenswidrig errichtet worden sei: Im früheren Flächenwidmungsplan Nr 2, dem Vorläufer des nunmehr geltenden Flächenwidmungsplanes Nr 3, sei auf dem Grundstück eine Fläche bis zu einer Grundstückstiefe von ca 50 Metern (gemessen von der Straßengrundgrenze) als "Bauland-Betriebsbaugebiet" gewidmet gewesen, doch erreiche die von dieser Widmung erfasste Fläche im aktuellen Flächenwidmungsplan Nr 3 nur mehr eine Grundstückstiefe von 45 Metern (gemessen von der Straßengrundgrenze), sodass nunmehr ein Teil des genannten Bauwerkes außerhalb der Baulandwidmung im Grünland liege.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte die beteiligte Partei vor, dass der Flächenwidmungsplan Nr 3 gesetzwidrig sei, weil keine raumordnungsrechtlichen Interessen ersichtlich seien, die eine Einschränkung der Baulandwidmung im Vergleich zum früheren Flächenwidmungsplan Nr 2 geboten hätten. Die verordnungserlassende Behörde sei daher bei der Änderung der in Rede stehenden Widmung durch Erlassung des Flächenwidmungsplanes Nr 3 ihrer Verpflichtung zur Interessenabwägung nach §36 Abs6 Oö ROG 1994 nicht nachgekommen.
2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dargelegt:
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich seien die Widmungsgrenzen des geltenden Flächenwidmungsplanes sowie jene der mittlerweile außer Kraft getretenen Flächenwidmungspläne Nr 1-3 sowie Nr 2 von einem bautechnischen Sachverständigen vermessen worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass die Breite der Widmung "Bauland‑Betriebsbaugebiet" im geltenden Flächenwidmungsplan Nr 3, gemessen von der Straßengrundgrenze bis zur südwestlichen Widmungsgrenze, 45 Meter betrage, während sie sich in den davor geltenden Plandokumenten auf 50 Meter belaufen habe. Die belangte Behörde (Bürgermeister der Gemeinde Enzenkirchen) habe dazu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass eine solche Verkleinerung der als "Bauland-Betriebsbaugebiet" gewidmeten Fläche durch die Erlassung des Flächenwidmungsplanes Nr 3 nicht gewollt gewesen sei. Auch fänden sich, so das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, in den Verordnungsakten keine Hinweise auf eine dahingehende Absicht. Es gehe daher davon aus, dass es nie Wille des Verordnungsgebers gewesen sei, die Widmung "Bauland-Betriebsbaugebiet" auf dem Grundstück von 50 Metern in den Flächenwidmungsplänen Nr 1‑3 und Nr 2 auf 45 Meter im Flächenwidmungsplan Nr 3 einzuschränken. Dies sei vielmehr irrtümlich erfolgt, was die Gesetzwidrigkeit der Widmung zur Folge habe (Hinweis auf VfSlg 17.561/2005).
3. Die verordnungserlassende Behörde (Gemeinderat der Gemeinde Enzenkirchen) hat eine Äußerung erstattet, in der diesem Bedenken entgegengetreten wird: Im Zuge der Erstellung des Flächenwidmungsplanes Nr 3 sei zunächst beabsichtigt gewesen, die Widmung "Bauland‑Betriebsbaugebiet" im Bereich des Grundstückes zu erweitern; dieses Vorhaben sei jedoch auf Grund negativer Beurteilungen durch das Bezirksbauamt Ried im Innkreis sowie des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung nicht weiterverfolgt worden. Stattdessen sei die Widmung im Bereich des in Rede stehenden Grundstückes neu angeordnet und die beteiligte Partei als Eigentümerin mit Schreiben vom 10. April 2001 verständigt worden, dass sich im Zuge der Erstellung des Flächenwidmungsplanes Nr 3 Änderungen an der Flächenwidmung oder Bebaubarkeit am Grundstück ergeben würden, was auf eine beabsichtigte Umwidmung schließen ließe. Beim Ausmaß der Widmung im Bereich des Grundstückes handle es sich daher, anders als vom Bürgermeister der Gemeinde Enzenkirchen in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich angenommen, um keinen Übertragungsfehler. Der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich sei daher abzuweisen.
4. Die Oberösterreichische Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie vorbringt, dass sich für die dem Flächenwidmungsplan Nr 3 entnehmbare Veränderung der Fläche der Widmung "Bauland‑Betriebsbaugebiet" auf dem Grundstück weder inhaltliche Anhaltspunkte fänden noch ein dahingehender Willensbildungsakt der verordnungserlassenden Behörde vorliege.
5.1. Weil sich die Flächenwidmungspläne Nr 1-3 sowie Nr 2 einerseits und der Flächenwidmungsplan Nr 3 andererseits hinsichtlich der Widmungsgrenzen auf dem Grundstück unterscheiden, wurde die Oberösterreichische Landesregierung zur Ursache dieser Abweichung befragt.
5.2. In ihrer darauf ergangenen Antwort führte die Oberösterreichische Landesregierung aus, dass die genannten Flächenwidmungspläne unter Beiziehung eines Amtssachverständigen evaluiert worden seien. Dabei sei festgestellt worden, dass der Flächenwidmungsplan Nr 1‑3 und der Flächenwidmungsplan Nr 2 übereinstimmten. Im Vergleich dazu ergäben sich im Flächenwidmungsplan Nr 3 äußerst geringfügige Abweichungen, die auf Grund des in den Plänen verwendeten Maßstabes von 1 : 5.000 im Bereich von bis zu einem Millimeter lägen. Auch eine solche geringe Abweichung könne aber in natura bereits mehrere Meter Unterschied bedeuten.
Sowohl in den Flächenwidmungsplänen Nr 1‑3 und Nr 2 als auch im Flächenwidmungsplan Nr 3 würden aber die Widmungsgrenzen entlang gedachter Verlängerungen zwischen Vermessungspunkten verlaufen. Die Zuhilfenahme solcher Vermessungspunkte zur Festlegung hinreichend genauer Widmungsgrenzen sei gängige Praxis im Zuge der Digitalisierung analoger Pläne. Wegen des Alters der ersten beiden Pläne sei davon auszugehen, dass deren Erstellung — entsprechend dem damaligen Stand der Technik – nicht digital erfolgt sei. Für den Flächenwidmungsplan Nr 3 sei hingegen eine EDV‑begleitete Ausarbeitung anzunehmen. Auf Grund der nunmehr genaueren Arbeitsweise bei der Erstellung solcher Pläne seien geringe planzeichnerische Abweichungen selbst bei Anwendung der größtmöglichen Sorgfalt nicht zu vermeiden. Eine Änderung der Pläne im materiellen Sinn sei weder beabsichtigt gewesen noch tatsächlich erfolgt.
6. Von einer den anderen Verfahrensparteien eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme wurde kein Gebrauch gemacht.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Im Verfahren ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität des angefochtenen Teils der Verordnung zweifeln ließe.
1.3. Da somit keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist begründet:
2.3. Das Vorbringen der Oberösterreichischen Landesregierung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, wonach durch den angefochtenen Flächenwidmungsplan Nr 3 keine Änderung der Widmungsgrenzen erfolgt sei, steht in Konflikt mit dem Bescheid der Baubehörde vom 10. November 2022 im Beseitigungsverfahren, dem Befund des bautechnischen Sachverständigen im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2023, Seite 3) und dem Vorbringen der verordnungserlassenden Behörde im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof geht daher davon aus, dass es bei der Erstellung des Flächenwidmungsplanes Nr 3 zu technisch bedingten planzeichnerischen Abweichungen gekommen ist. Dadurch wurde die Widmung "Bauland-Betriebsbaugebiet" auf dem in Rede stehenden Grundstück um zumindest einige Meter zu Gunsten der Grünlandwidmung verschoben, ohne dass diese Änderung vom Willen des Gemeinderates der Gemeinde Enzenkirchen getragen war.
2.4. Nach §36 Abs6 Oö ROG 1994 ist die Änderung eines Flächenwidmungsplanes durch den Gemeinderat zu begründen; der Begründung oder den Planungsunterlagen muss überdies die erforderliche Grundlagenforschung und Interessenabwägung zu entnehmen sein. Eine solche Begründung liegt hier nicht vor, weshalb der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich bereits aus diesem Grund berechtigt ist. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob überhaupt einer der gesetzlichen Änderungsanlässe verwirklicht wurde (§36 Abs1 und 2 Oö ROG 1994; vgl VfGH 25.9.2014, V65/2014; vgl auch VfSlg 17.561/2005 zu einer irrtümlichen Änderung der Widmung).
2.5. Angemerkt sei noch, dass das Vorbringen der verordnungserlassenden Behörde, wonach sie die beteiligte Partei mit Schreiben vom 10. April 2001 verständigt habe, dass sich im Zuge der Erstellung des Flächenwidmungsplanes Nr 3 Änderungen an der Flächenwidmung oder Bebaubarkeit am Grundstück ergeben würden, was auf eine beabsichtigte Umwidmung schließen ließe, nicht nachvollziehbar ist. Zum einen findet sich zum genannten Datum im Verordnungsakt lediglich eine Kundmachung der Gemeinde Enzenkirchen, wonach der Flächenwidmungsplan Nr 3 in der Zeit von 19. April bis 21. Mai 2001 zur öffentlichen Einsicht beim Gemeindeamt aufliege und jedermann, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, berechtigt sei, während dieser Frist Anregungen oder Einwendungen einzubringen. Zum anderen sind diese Ausführungen auch mit dem ursprünglichen Bestreben der Gemeinde, die als "Bauland-Betriebsbaugebiet" gewidmete Fläche zu vergrößern, nicht in Einklang zu bringen. Schließlich steht das Vorbringen auch in Widerspruch zu den Angaben der belangten Behörde vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, wonach eine Verkleinerung der als "Bauland-Betriebsbaugebiet" gewidmeten Fläche durch die Erlassung des Flächenwidmungsplanes Nr 3 nicht beabsichtigt gewesen sei.
V. Ergebnis
1. Der Flächenwidmungsplan Nr 3 der Gemeinde Enzenkirchen, beschlossen vom Gemeinderat am 25. Juni 2001, am 8. Februar 2002 und am 1. Mai 2002, aufsichtsbehördlich genehmigt mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 13. Mai 2002, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von 27. Mai 2002 bis 12. Juni 2002 ist daher als gesetzwidrig aufzuheben, soweit er das Grundstück Nr 530, KG Enzenkirchen, betrifft.
2. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z2 litb Oö VlbG 2015, LGBl 91/2014 idF LGBl 70/2021.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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