Normen
B-VG Art139 Abs1 Z1
Nö ROG 1976 §13, §14, §21, §22, §24
Nö KinderspielplatzG §1, §2, §4, §7
VfGG §7 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2023:V242.2022
Spruch:
I. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Gänserndorf vom 9. September 1998, mit der das örtliche Raumordnungsprogramm erlassen wurde, genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 14. Jänner 1999, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 27. Jänner 1999 bis 12. Februar 1999 wird insoweit als gesetzwidrig aufgehoben, als damit für das Grundstück Nr 1338, EZ 906, KG 6006 Gänserndorf die Widmung "Grünland – Spielplätze" festgelegt wird.
II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag, begehrt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Gänserndorf vom 9. September 1998 in Bezug auf das Grundstück Nr 1338, EZ 906, KG 6006 Gänserndorf, als gesetzwidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederösterreichischen Raumordnungsgesetzes 1976 (NÖ ROG 1976), LGBl 8000‑0, idF LGBl 8000‑12, wie sie im Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Gänserndorf vom 9. September 1998 in Kraft waren, lauteten auszugsweise wie folgt (ohne Hervorhebungen im Original):
"§13
Örtliches Raumordnungsprogramm
(1) Ausgehend von den Leitzielen und den Ergebnissen der Grundlagenforschung hat jede Gemeinde durch Verordnung ein örtliches Raumordnungsprogramm aufzustellen. Die beabsichtigte Aufstellung ist der Landesregierung anzuzeigen, diese hat der Gemeinde die für sie in Betracht kommenden überörtlichen Raumordnungsprogramme und die Ergebnisse der überörtlichen Grundlagenforschung bekanntzugeben.
(2) […]
(3) Das örtliche Raumordnungsprogramm hat als behördliche Maßnahme insbesondere einen Flächenwidmungsplan zu enthalten.
(4) – (5) [...]"
"§14
Flächenwidmungsplan
(1) Der Flächenwidmungsplan hat das Gemeindegebiet entsprechend den angestrebten Zielen zu gliedern und die Widmungs- und Nutzungsarten für alle Flächen festzulegen oder nach Maßgabe des §15 Abs2 kenntlich zu machen. Für übereinanderliegende Ebenen dürfen verschiedene Widmungs- und Nutzungsarten festgelegt werden.
(2) – (4) […]"
"§21
Verfahren
(1) Der Entwurf des örtlichen Raumordnungsprogrammes ist vor Erlassung der Verordnung durch sechs Wochen im Gemeindeamt (Magistrat) zur allgemeinen Einsicht aufzulegen. Die Auflegung ist öffentlich kundzumachen. Die angrenzenden Gemeinden, die in §8a Abs3 angeführten Interessenvertretungen sowie die Landtagsklubs sind von der Auflegung schriftlich zu benachrichtigen. Ein Entwurf des örtlichen Raumordnungsprogrammes ist der Landesregierung zu Beginn der Auflagefrist zu übermitteln.
(2) Die in den Gemeinden vorhandenen Haushalte sind über die Auflage durch eine ortsübliche Aussendung zu informieren. Die davon betroffenen Grundeigentümer sind zusätzlich zu verständigen. Als betroffene Grundeigentümer in diesem Sinn gelten die Eigentümer jener Grundstücke, die von der Neu- oder Umwidmung erfaßt sind, sowie deren unmittelbare Anrainer. Als Zustelladresse gilt jene Wohnanschrift, an welche die Bescheide über die Gemeindeabgabe ergehen. Die fehlende Verständigung der betroffenen Grundeigentümer und Haushalte hat auf das gesetzmäßige Zustandekommen des örtlichen Raumordnungsprogrammes keinen Einfluß.
(3) – (12) […]"
"§22
Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes
(1) Ein örtliches Raumordnungsprogramm darf nur abgeändert werden:
1. wegen eines rechtswirksamen Raumordnungsprogrammes des Landes oder anderer rechtswirksamer überörtlicher Planungen,
2. wegen wesentlicher Änderung der Grundlagen,
3. wegen Löschung des Vorbehaltes,
4. wenn sich aus Anlaß der Erlassung oder Abänderung des Bebauungsplanes eine Unschärfe des örtlichen Raumordnungsprogrammes zeigt, die klargestellt werden muß.
(2) – (3) […]"
"§24
Ersatz von Aufwendungen
(1) Wenn die Gemeinde die Bebaubarkeit einer Grundfläche, die im örtlichen Raumordnungsprogramm als Bauland gewidmet ist und auch nicht von einem Bauverbot betroffen ist, durch Änderungen der Widmungs- und Nutzungsart ausschließt oder erheblich verringert, ist sie verpflichtet, dem Grundeigentümer für die dadurch verursachten vermögensrechtlichen Nachteile eine angemessene Entschädigung zu leisten.
(2) Als vermögensrechtliche Nachteile nach Abs1 gelten
a) die Aufwendungen, die der Grundeigentümer oder mit seiner Zustimmung ein Dritter im Vertrauen auf die Bebaubarkeit der Grundfläche für deren Baureifmachung getätigt hat und
b) die Minderung des Verkehrswertes einer Grundfläche infolge des Wegfalles ihrer Bebaubarkeit, sofern die frühere Widmung als Bauland entweder bei einem der Rückwidmung vorangegangenen entgeltlichen Erwerbsvorgang bestimmend für den Wert einer Gegenleistung (wie Kaufpreis, Tauschgrundstück, u.ä.) war oder einem vorangegangenen unentgeltlichen Erwerbsvorgang wertmäßig zugrundegelegt wurde.
c) entrichtete Aufschließungs- und Infrastrukturabgabe (bis zur Höhe der Aufschließungsabgabe).
(3) – (6) […]"
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes vom 12. Juli 1973 über die Errichtung von Kinderspielplätzen (NÖ Kinderspielplatzgesetz – NÖ KSPG), LGBl 8215‑0, lauteten auszugsweise wie folgt (ohne Hervorhebungen im Original):
"§1
(1) Die Gemeinde hat dafür vorzusorgen, daß durch geeignete Maßnahmen im Rahmen der örtlichen Raumplanung öffentliche und im Rahmen der örtlichen Baupolizei nicht öffentliche Kinderspielplätze errichtet und betrieben werden.
(2) Kinderspielplätze sind Flächen, die durch ihre Gestaltung und Ausstattung Kindern das Spielen im Freien ermöglichen und sie von den Gefahren der Straße fernhalten."
"§2
(1) Jede Gemeinde hat mindestens einen öffentlichen Spielplatz zu errichten. Hat die Gemeinde mehr als 5.000 Einwohner, dann ist für je angefangene 5.000 Einwohner mindestens ein öffentlicher Kinderspielplatz zu errichten.
(2) – (3) […]
(4) Die Lage des öffentlichen Kinderspielplatzes ist nach Möglichkeit so zu bestimmen, daß er von keinem Bauplatz innerhalb des Wohn- oder Sondergebietes [...], und wenn für das Bauland keine Nutzungen ausgewiesen werden, von keinem Bauplatz innerhalb des Baulandes, weiter als 500 m im Umkreis (Luftlinie) entfernt ist oder von den Kindern nach einem zumutbaren Fußweg erreicht werden kann. Auf eine möglichst gefahrlose Erreichbarkeit des öffentlichen Kinderspielplatzes ist Bedacht zu nehmen.
(5) Der Fußweg ist zumutbar, wenn ein gesundes, normal entwickeltes Kind im Alter von 6 Jahren die Strecke zwischen Bauplatz und öffentlichem Kinderspielplatz in höchstens 15 Minuten zurücklegen kann."
"§4
(1) Die Fläche eines öffentlichen Kinderspielplatzes hat mindestens 1000 m² zu betragen.
(2) – (3) [...]"
"§7
(1) Die zur Errichtung von öffentlichen Kinderspielplätzen bestimmten Flächen sind im Flächenwidmungsplan gemäß §13 Abs1 Z6 oder §14 Abs2 NÖ Raumordnungsgesetz oder zumindest im Bebauungsplan gemäß §4 Abs2 Z3 NÖ Bauordnung [...] auszuweisen.
(2) [...]"
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Die Partei des Verfahrens vor dem antragstellenden Gericht (im Folgenden: Grundstückseigentümer) ist Eigentümerin des Grundstückes Nr 1338, EZ 906, KG 6006 Gänserndorf, welches bis zur Änderung des Flächenwidmungsplanes im Jahre 1998 die Widmung "Bauland – Wohngebiet" aufwies. Seit Erlassung der hier angefochtenen Verordnung weist es die Widmung "Grünland – Spielplätze" auf. Es ist im Bereich "Gänserndorf‑Süd" gelegen und grenzt in westlicher Richtung an zwei weitere Grundstücke mit der Widmung "Grünland – Spielplätze", die im Gegensatz zu diesem (bereits seit Jahrzehnten) tatsächlich als öffentliche Spielplätze genutzt werden und im Eigentum der "SPÖ‑Freie Schule Kinderfreunde, Ortsgruppe Gänserndorf" stehen.
1.2. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2021 beantragte der Grundstückseigentümer beim Bürgermeister der Stadtgemeinde Gänserndorf als Baubehörde erster Instanz die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Holzhütte auf dem Grundstück Nr 1338, EZ 906, KG 6006 Gänserndorf.
1.3. Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Gänserndorf wies den Antrag mit Bescheid vom 11. Jänner 2022 ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei einer Holzhütte um kein Bauwerk für einen öffentlichen Spielplatz handle.
1.4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde Gänserndorf vom 17. Mai 2022 abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen auf die Ausführungen der Baubehörde erster Instanz verwiesen.
2. Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerde stellt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den vorliegenden Antrag an den Verfassungsgerichtshof.
3. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legt seine Bedenken wie folgt dar:
"5.1 Gemäß der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes war in einem Rückwidmungsfall wie dem vorliegenden auf Grund der zum Zeitpunkt der Umwidmung bestehenden Entschädigungsregelungen des §24 NÖ ROG 1976 jedenfalls eine Interessenabwägung notwendig. Konkret hätte der Gemeinderat eine Abwägung der öffentlichen Interessen der Errichtung eines Spielplatzes mit den Interessen der Grundstückseigentümerin an der Beibehaltung einer Bauland‑Widmung vornehmen müssen (VfSlg 17.396/2004, 13.282/1992).
Eine solche Interessenabwägung ergibt sich nicht aus den vorgelegten Auszügen des Verordnungsaktes.
Im Erläuterungsbericht zur Überarbeitung des Örtlichen Raumordnungsprogrammes finden sich keine Ausführungen, die sich konkret auf das gegenständliche Grundstück beziehen. Im Abschnitt ,Wesentliche Abänderungen gegenüber dem bisherigen Flächenwidmungsplan`, PZ: GÄNS‑FÜ 1‑9331, sind im Kapitel ,6.5 Rückwidmungen von Bauland in Grünland` keine Ausführungen zu der gegenständlichen Rückwidmung enthalten.
Im Kapitel '6.3. Neuwidmung von geplanten öffentlichen Grünflächen (Gp, Gspi) zur Verbesserung der Versorgung der bestehenden und geplanten Wohngebietsbereiche' finden sich nur allgemeine Ausführungen zur Situierung und Funktion von öffentlichen Grünflächen (Parks, Kinderspielplätze), die neu organisiert und strukturiert werden sollen. Der einzige hierin enthaltenen Satz, der sich explizit auf den Bereich Gänserndorf‑Süd bezieht, bezieht sich augenscheinlich nicht auf das gegenständliche Grundstück ('In Gänserndorf‑Süd sollen derartige Freiflächen - in Abstimmung mit der Forstbehörde - in den an das Siedlungsgebiet angrenzenden Waldflächen teilweise auch als naturnah gestaltete 'Waldspielplätze' gestaltet werden.').
Im Abschnitt 'Siedlungsentwicklungskonzept' finden sich nur allgemeine Ausführungen zur Schaffung von Dorfplätzen bzw zur Verbesserung der Versorgung der bestehenden und geplanten Wohngebietsbereiche.
Zusammenfassend findet sich im Verordnungsakt bzw den vorgelegten Aktenbestandteilen keine Abwägung der öffentlichen Interessen der Errichtung eines Spielplatzes mit den Interessen der Grundstückseigentümerin an der Beibehaltung einer Bauland‑Widmung.
Darüber hinaus wurde die Grundstückseigentümerin auch nicht gemäß §21 Abs2 NÖ ROG 1967 über die Absicht der Stadtgemeinde Gänserndorf zur Änderung des örtlichen Raumordnungsprogramms verständigt. Dementsprechend wurden auch keine Interessen der Grundstückseigentümerin erhoben, die einer Abwägung zugeführt hätten werden können.
5.2 Zudem erfordert die gegenständliche Umwidmung von Bauland auf 'Grünland‑Spielplätze' eine ausreichende, auf das konkrete Grundstück Nr 1338 bezogene Grundlagenforschung sowie einen ausreichenden Änderungsanlass gemäß §22 NÖ ROG 1976 (VfSlg 17.396/2004, 13.282/1992).
Die Beschwerde führt diesbezüglich aus:
'[Die Begründung für die Rückwidmung des Grundstücks Nr 1338 von Bauland‑Wohngebiet in Grünland‑Spielplätze] lässt zum einen nicht erkennen, was die gegenüber dem Zeitpunkt der Erlassung des Flächenwidmungsplanes entstandenen neuen Tatsachen gewesen sein sollen. Dass es sich bei den Grundstücken der „Kinderfreunde" um die einzigen öffentlich zugänglichen Flächen innerhalb des Siedlungsgebietes handelte, ergab sich aus der seit der Schaffung des Siedlungsgebietes bestehenden Parzellenstruktur sowie aus den seit den 1950er-Jahren gegebenen Eigentumsverhältnissen. Ein nachträglich entstandener besonderer Bedarf an zusätzlichen Flächen dieser Art ist durch nichts dokumentiert und wäre in einem Einfamilienhausgebiet völlig atypisch.'
Im Hinblick auf den bereits dargestellten Inhalt des Verordnungsaktes, welcher keine Ausführungen enthält, die sich konkret auf die gegenständliche Umwidmung beziehen, kann dem Vorbringen des Beschwerdeführers auch in dieser Hinsicht nicht entgegengetreten werden."
4. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Verordnung vorgelegt und im Rahmen der Äußerungsmöglichkeit auf deren Stellungnahme vom 13. September 2022 an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich verwiesen. In dieser wird im Wesentlichen begründend ausgeführt, dass im Verordnungstext, mit dem das örtliche Raumordnungsprogramm geändert wurde, Ziele und Maßnahmen formuliert seien, um einerseits die stark wachsenden Einwohnerzuwächse unter Kontrolle zu bringen und andererseits Infrastruktur sowie eine ausreichende Wohn- und Lebensqualität für die Bewohner Gänserndorfs zu gewährleisten. Die konkrete Art und Weise der Umsetzung dieser Ziele (und Maßnahmen) sei dabei insbesondere auch in Bezug auf den Themenbereich "Grün‑, Frei‑, und Naturraum" beschrieben und die Umwidmungen insoweit auch begründet worden. Es sollte die bestehende Unterversorgung von Siedlungsgebieten mit öffentlichen Grünflächen verbessert und in jeder Siedlungseinheit im Bereich Gänserndorf‑Süd sogenannte Dorfplätze geschaffen werden. Es habe demnach aus Sicht der Gemeinde eine grundlegende Abwägung öffentlicher sowie privater Interessen stattgefunden.
5. Die Niederösterreichische Landesregierung hat die angeforderten Akten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung jedoch Abstand genommen.
6. Der Grundstückseigentümer hat als beteiligte Partei folgende Äußerung erstattet (ohne Hervorhebungen im Original):
"[…]
2. Die beteiligte Partei schließt sich den Bedenken des LVwG NÖ vollinhaltlich an.
3. Ergänzend sei angemerkt, dass der beteiligten Partei der Verordnungsakt der Stadtgemeinde Gänserndorf bislang nicht zugänglich war. Es war ihr lediglich eine im Nachhinein erstellte Begründung für die seinerzeitige Umwidmung bekannt (siehe dazu Punkt 4.8. der Beschwerde). Der vom LVwG NÖ zitierte Erläuterungsbericht zum örtlichen Raumordnungsprogramm (S 8 ff des Beschlusses vom 11.11.2022) bestätigt nun ganz eindeutig,
dass die Umwidmung des Grundstücks Nr 1338, KG Gänserndorf, mit Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Gänserndorf vom 9.9.1989 ohne nachvollziehbare Begründung erfolgte,
dass ein gesetzlicher Änderungsanlass in Bezug auf das konkrete Grundstück nicht einmal in Ansätzen dargestellt wurde und
dass jegliche Berücksichtigung der Interessen der Grundeigentümerin unterblieb, geschweige denn, dass eine Interessenabwägung stattgefunden hätte.
4. Hervorgehoben sei, dass die auch im Antrag des LVwG NÖ erwähnte Entscheidung VfSlg 17396/2004 einen sehr ähnlichen Fall zum Gegenstand hatte. Wie in der Beschwerde (Punkt 4.18. bis Punkt 4.21.) dargelegt, ging es ebenfalls um die Rückwidmung von Bauland
Wohngebiet in Grünland (und zwar 'Sportstätte‑Spielplatz'; im vorliegenden Fall lautet die Widmung 'Grünland‑Spielplätze').
5. Aus diesem Erkenntnis ist - in Übereinstimmung mit der jahrzehntelangen Vorjudikatur - abzuleiten, dass allgemein gehaltene Erwägungen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Schaffung bzw Ergänzung eines Netzes von Spiel‑, Sport- und Erholungseinrichtungen nicht ausreichen, um die Rückwidmung eines im Privateigentum stehenden Grundstücks von Bauland-Wohngebiet in Grünland zu rechtfertigen.
6. Im vorliegenden Fall ist ein Bedarf nach einer Erweiterung des bestehenden Spielplatzes in der Nachbarschaft des antragsgegenständlichen Grundstücks nicht erkennbar, zumal sich dieser bereits auf zwei Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 1.812 m² erstreckt und die Nachfrage nach öffentlichen Spielplatzflächen an Standorten inmitten von Einfamilienhausgebieten erfahrungsgemäß eher gering ist.
7. Im Übrigen stellt die Ausweisung einer Grünlandwidmung kein geeignetes Instrument dar, um die Nutzung eines privaten Grundstücks als Spielplatz sicherzustellen: Die Widmung hat zwar zur Folge, dass Bauvorhaben, die anderen Zwecken dienen, wegen Widerspruchs zum Flächenwidmungsplan zu untersagen sind. Es trifft den Eigentümer aber keine Verpflichtung zu einem aktiven Tun im Sinne der Planungsziele der Gemeinde.
8. Ist der Eigentümer nicht bereit, selbst einen Spielplatz zu errichten oder das Grundstück zum Grünlandpreis zur Verfügung zu stellen, liegt dieses für Jahre oder gar Jahrzehnte brach. Anders gesagt: Durch die in Rede stehenden Umwidmung wurde der Rechtsvorgängerin des Beschwerdeführers und diesem selbst ein massiver Schaden zugefügt, dem kein greifbarer Nutzen für die Allgemeinheit gegenübersteht.
[…]"
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Antrages
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
2.2. Der Antrag ist begründet.
2.3. Die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Gänserndorf vom 9. September 1998, soweit damit für das Grundstück Nr 1338, die Widmung "Grünland – Spielplätze" festgelegt wird, treffen zu.
2.4. Die Niederösterreichische Landesregierung ist den Bedenken nicht entgegengetreten. Auch die Stadtgemeinde Gänserndorf konnte diese in ihrer Äußerung nicht entkräften. Ebenso ergeben sich auch aus den vorgelegten Verordnungsakten keine Anhaltspunkte zur Entkräftung dieser Bedenken.
2.5. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung wiederholt mit der Zulässigkeit der Rückwidmung von Bauland in Grünland beschäftigt. So sprach er etwa in VfSlg 13.282/1992 (mwH) aus, dass es unter dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes zulässig sein kann, das Ausmaß des Baulandes in Anbetracht neuer, legitimer planerischer Zielsetzungen zu verringern. Die Auswahl der für eine Rückwidmung in Betracht kommenden Liegenschaften habe aber nach sachlichen Kriterien zu erfolgen. Auch bei einer an sich als notwendig angesehenen Reduzierung des Baulandes sei (wie in VfSlg 9975/1984 und 10.277/1984 zum Tiroler Raumordnungsrecht ausgeführt wurde) davon auszugehen, dass diese Notwendigkeit "es allein (noch) nicht rechtfertigt, ein beliebiges Grundstück […] in Freiland zu widmen", sondern die bisherige Widmungsart und Nutzung zu den bei der Bestandsaufnahme bedeutsamen Gegebenheiten gehören und entsprechend zu berücksichtigen sind. Ferner hat es der Gerichtshof in VfSlg 13.282/1992 für geboten erachtet, die Auswahl der für eine Umwidmung von Bauland in Grünland in Betracht kommenden Grundstücke auf eine entsprechende Grundlagenforschung und eine die Interessen der bisherigen Baulandeigentümer mitberücksichtigende Interessenabwägung zu stützen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Gesetzgeber nicht durch besondere Regelungen ("etwa durch die Festlegung der Verpflichtung zur Leistung einer, wenn auch möglicherweise nicht vollen Entschädigung") die aus einer Planänderung für den Grundstückeigentümer resultierenden Nachteile ausgleicht und diesen Ausgleich die Allgemeinheit tragen lässt. In VfSlg 17.223/2004 hielt der Gerichtshof zusammenfassend fest, dass eine Umwidmung nur dann gesetzeskonform ist, wenn alle für die Widmung maßgebenden Planungsgrundlagen dargetan und erkennbar gegeneinander abgewogen worden sind (vgl aus jüngster Zeit etwa VfSlg 20.030/2015). Zudem sind die Raumordnungspläne im Einzelnen daraufhin zu prüfen, ob die Entscheidungsgrundlagen des Verordnungsgebers in ausreichendem Maße erkennbar sind (VfSlg 8280/1978).
2.6. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass für die Erlassung der Verordnung weder eine ausreichende auf das konkrete Grundstück Nr 1338 bezogene Grundlagenforschung noch ein ausreichender Änderungsanlass gemäß §22 NÖ ROG 1976 zur Umwidmung gerade des in Rede stehenden Grundstückes von "Bauland – Wohngebiet" auf "Grünland – Spielplätze" bestand.
2.6.1. Dem Charakter der Raumplanung als einer "planmäßigen und vorausschauenden Gesamtgestaltung eines bestimmten Gebietes" (VfSlg 2674/1954) entsprechend bestehen die im Verordnungstext enthaltenen Ziele und Maßnahmen insbesondere betreffend "Grün‑, Frei und Naturräume" in allgemein gehaltenen Überlegungen. Eine dem Gesetz entsprechende – auf das konkrete Grundstück bezogene – Grundlagenforschung, die die Basis für die jeweilige Planungsentscheidung hinsichtlich der von der Umwidmung konkret betroffenen Fläche bildet und als solche (auch im Nachhinein) erkennbar und nachvollziehbar ist, kann dies nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes jedoch keinesfalls ersetzen (vgl dazu vor allem VfSlg 11.990/1989; weiters aber auch VfSlg 7585/1975, 8280/1978, 8330/1978, 9361/1982, 11.633/1988, 12.169/1989, 12.926/1991). In den dem Verfassungsgerichtshof übermittelten Verordnungsakten ist keine der Verordnungserlassung vorausgehende, auf das konkrete Grundstück bezogene Grundlagenforschung hinsichtlich der Rückwidmung des Grundstückes Nr 1338 von "Bauland-Wohngebiet" in "Grünland – Spielplätze" zu entnehmen. Weder im Verordnungstext selbst noch im Erläuterungsbericht zur Überarbeitung des Örtlichen Raumordnungsprogrammes finden sich konkrete Aussagen betreffend das Grundstück Nr 1338. Im Kapitel "6.5 Rückwidmungen von Bauland in Grünland" des Dokumentes "Wesentliche Abänderungen gegenüber dem bisherigen Flächenwidmungsplan" finden sich in Bezug auf den Siedlungsbereich "Gänserndorf‑Süd", in welchem das Grundstück gelegen ist, Ausführungen zu Grundstücken im Nahebereich, eine Auseinandersetzung mit dem Grundstück Nr 1338 findet jedoch in keiner Weise statt. Auch im Kapitel "6.3. Neuwidmungen von geplanten öffentlichen Grünflächen (Gp, Gspi) zur Verbesserung der Versorgung der bestehenden und geplanten Wohngebietsbereiche" beziehen sich die konkreten Ausführungen in Bezug auf den Bereich "Gänserndorf‑Süd" ausschließlich auf Freiflächen von "an das Siedlungsgebiet angrenzenden Waldflächen" und damit augenscheinlich nicht auf das Grundstück Nr 1338.
2.6.2. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die neu erarbeiteten Planungsziele auf einer wesentlichen Änderung der Planungsgrundlagen fußen, sodass eine Rückwidmung von Bauland in Grünland auch im Einzelfall gerechtfertigt wäre. Der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes zufolge werden durch die Abänderung von Plänen "erworbene Rechte schwerstens berührt" (VfSlg 2094/1956), sodass von einer erschwerten Abänderbarkeit ausgegangen werden kann. Ein ausreichender Änderungsanlass gemäß §22 NÖ ROG 1976 zur Umwidmung gerade des in Rede stehenden Grundstückes von "Bauland‑Wohngebiet" auf "Grünland – Spielplätze" konnte nicht festgestellt werden, zumal die Umwidmung lediglich der Vergrößerung einer bereits als öffentlicher Spielplatz gewidmeten und genutzten Fläche dient, ein solcher Bedarf jedoch in keiner Weise begründet wurde. Es besteht kein Zweifel, dass die Reduzierung von Bauland auf Grund der hohen Baulandreserven insbesondere im Bereich "Gänserndorf‑Süd" bei Erlassung des örtlichen Raumordnungsprogrammes als Leitgedanke mitbestimmend war. Dennoch ist in Anbetracht der Grundlagenforschung sowie der im Verordnungstext festgelegten Ziele und Maßnahmen jedenfalls nicht ersichtlich, dass dieser Leitgedanke für die Umwidmung des konkreten Grundstückes maßgeblich war. Vielmehr stellt eine solche Behauptung vor dem Hintergrund der Verordnungsakten keine ausreichende Begründung dar.
2.7. Dem angefochtenen Teil der Verordnung ist schließlich auch aus dem Grund Gesetzwidrigkeit anzulasten, weil die gebotene Abwägung des Interesses an der Bestandskraft der Widmung unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Interesses der Eigentümerin an der Beibehaltung der Baulandwidmung mit dem öffentlichen Interesse an der Änderung der Flächenwidmung nicht vorgenommen wurde. Zumindest ist eine derartige Interessenabwägung den vorgelegten Akten nicht zu entnehmen. Die damalige Grundstückseigentümerin wurde nicht gemäß §21 Abs2 NÖ ROG 1976 über die Absicht der Stadtgemeinde Gänserndorf zur Änderung des örtlichen Raumordnungsprogrammes verständigt. Eine Erhebung von durch die Eigentümerin vorgebrachten Interessen fand demnach nicht statt. Offenkundig stellte die Gemeinde auch keine Überlegungen darüber an, ob und inwiefern der Eigentümerin auf Grund der Rückwidmung ihres Grundstückes ein Entschädigungsanspruch gemäß §24 NÖ ROG 1976 zukommt. Dabei erscheint insbesondere bedenklich, dass das Grundstück Nr 1338 im Gegensatz zu den beiden in westlicher Richtung angrenzenden, bereits als "Grünland – Spielplätze" gewidmeten Grundstücken, nach wie vor nicht als öffentlicher Spielplatz genutzt wird, die Rückwidmung für den Grundstückseigentümer jedoch die weitestgehende wirtschaftliche Entwertung seines Grundbesitzes bedeutet.
V. Ergebnis
1. Die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Gänserndorf vom 9. September 1998, mit der das örtliche Raumordnungsprogramm erlassen wurde, ist daher, insoweit damit für das Grundstück Nr 1338, EZ 906, KG 6006 Gänserndorf die Widmung "Grünland – Spielplätze" festgelegt wird, als gesetzwidrig aufzuheben.
2. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §59 Abs2 VfGG.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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