VfGH V162/2015

VfGHV162/201515.3.2017

Keine Gesetzwidrigkeit des in der Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung angeordneten Systems von Grenzwerten einer zulässigen Lärmbelastung aus dem Straßenverkehr; Immissionsgrenzwerte als Mindeststandards auf Grund von Sachverständigengutachten festgelegt; keine Bedenken gegen das Irrelevanzkriterium sowie gegen die vorgesehene Einzelfallbeurteilung bei Überschreitung der für die Beurteilung einer Gesundheitsgefährdung geltenden Immissionsgrenzwerte

Normen

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
BStG 1971 §4 Abs1, §7, §7a
Bundesstraßen-LärmimmissionsschutzV §6 Abs1, Abs2, Abs3, Abs4
UVP-G 2000 §24f

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2017:V162.2015

 

Spruch:

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag begehrt das Bundesverwaltungsgericht, §6 Abs1 bis 4, in eventu den letzten Satz des §6 Abs2 sowie §6 Abs3 und 4, der Verordnung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie über Lärmimmissionsschutzmaßnahmen im Bereich von Bundesstraßen (Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung – BStLärmIV), BGBl II 215/2014, als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. §24 Abs1 und §24f Abs1 bis 2 des Bundesgesetzes über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 − UVP-G 2000), BGBl 697/1993 idF BGBl I 77/2012, lauten:

"Verfahren, Behörde

§24. (1) Wenn ein Vorhaben gemäß §23a oder §23b einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, hat der Bundesminister/die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie die Umweltverträglichkeitsprüfung und ein teilkonzentriertes Genehmigungsverfahren durchzuführen. In diesem Genehmigungsverfahren sind alle vom Bund zu vollziehenden, für die Ausführung des Vorhabens erforderlichen materiellen Genehmigungsbestimmungen anzuwenden, auch soweit sie in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden fallen. Der Landeshauptmann kann mit der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung, des teilkonzentrierten Genehmigungsverfahrens und der Entscheidung ganz oder teilweise betraut werden, wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis gelegen ist."

 

"Entscheidung

§24f. (1) Genehmigungen (Abs6) dürfen nur erteilt werden, wenn im Hinblick auf eine wirksame Umweltvorsorge zu den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften zusätzlich nachstehende Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Emissionen von Schadstoffen sind nach dem Stand der Technik zu begrenzen,

2. die Immissionsbelastung zu schützender Güter ist möglichst gering zu halten, wobei jedenfalls Immissionen zu vermeiden sind, die

a) das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn/Nachbarinnen gefährden oder

b) erhebliche Belastungen der Umwelt durch nachhaltige Einwirkungen verursachen, jedenfalls solche, die geeignet sind, den Boden, die Luft, den Pflanzen- oder Tierbestand oder den Zustand der Gewässer bleibend zu schädigen, oder

c) zu einer unzumutbaren Belästigung der Nachbarn/Nachbarinnen im Sinn des §77 Abs2 der Gewerbeordnung 1994 führen, und

3. Abfälle sind nach dem Stand der Technik zu vermeiden oder zu verwerten oder, soweit dies wirtschaftlich nicht vertretbar ist, ordnungsgemäß zu entsorgen.

(1a) Die Zustimmung Dritter ist insoweit keine Genehmigungsvoraussetzung, als für den betreffenden Teil des Vorhabens in einer Verwaltungsvorschrift die Möglichkeit der Einräumung von Zwangsrechten vorgesehen ist.

(2) Wird im Einzelfall durch die Verwirklichung des Vorhabens ein wesentlich größerer Kreis von Nachbarn bestehender Verkehrsanlagen dauerhaft entlastet als Nachbarn des Vorhabens belastet werden, so gilt die Genehmigungsvoraussetzung des Abs1 Z2 litc als erfüllt, wenn die Belästigung der Nachbarn so niedrig gehalten wird, als dies durch einen im Hinblick auf den erzielbaren Zweck wirtschaftlich vertretbaren Aufwand erreicht werden kann. Bestehen besondere Immissionsschutzvorschriften, so ist insoweit die Gefährdung im Sinn des Abs1 Z2 lita und die Zumutbarkeit einer Belästigung im Sinn des Abs1 Z2 litc nach diesen Vorschriften zu beurteilen."

2. §4 Abs1, §7 und §7a des Bundesgesetzes vom 16. Juli 1971, betreffend die Bundesstraßen (Bundesstraßengesetz 1971 − BStG 1971), BGBl 286 idF BGBl I 5/2017, lauten:

"Bestimmung des Straßenverlaufes, Ausbau und Auflassung von Straßenteilen

§4. (1) Vor dem Bau einer neuen Bundesstraße oder ihrer Teilabschnitte oder vor der Zulegung einer zweiten Richtungsfahrbahn oder vor Ausbaumaßnahmen sonstiger Art an Bundesstraßen hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie über Antrag des Bundes (Bundesstraßenverwaltung) unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen der §§7 und 7a, die Wirtschaftlichkeit des Bauvorhabens, die Umweltverträglichkeit und die Erfordernisse des Verkehrs, darüber hinaus die funktionelle Bedeutung des Straßenzuges sowie unter Bedachtnahme auf die Ergebnisse der Anhörung (Abs5) den Straßenverlauf im Rahmen der Verzeichnisse durch Festlegung der Straßenachse, im Falle eines Ausbaues durch Beschreibung, beides auf Grundlage eines konkreten Projektes, durch Bescheid zu bestimmen. Hiezu können im Bescheid die erforderlichen Auflagen, Bedingungen und Befristungen vorgeschrieben werden. Dieser Bescheid hat dingliche Wirkung und tritt außer Kraft, wenn nicht binnen 10 Jahren ab Rechtskraft mit wesentlichen Baumaßnahmen zur Errichtung begonnen wurde. Wenn dies zweckmäßig erscheint, kann die Verwirklichung des Straßenbauvorhabens über Antrag in Abschnitten genehmigt werden."

 

"II. Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung

Grundsätze und objektiver Nachbarschutz

§7. (1) Die Bundesstraßen sind derart zu planen, zu bauen und zu erhalten, daß sie nach Maßgabe und bei Beachtung der straßenpolizeilichen und kraftfahrrechtlichen Vorschriften von allen Straßenbenützern unter Bedachtnahme auf die durch die Witterungsverhältnisse oder durch Elementarereignisse bestimmten Umstände ohne Gefahr benützbar sind; hiebei ist auch auf die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs sowie auf die Umweltverträglichkeit Bedacht zu nehmen.

(2) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie erläßt die für die Planung, den Bau und die Erhaltung der Bundesstraßen erforderlichen Verordnungen und Dienstanweisungen.

(3) Bei Planung, Bau und Betrieb von Bundesstraßen ist vorzusorgen, dass Beeinträchtigungen von Nachbarn vermindert oder vermieden werden. Maßnahmen zur Vermeidung oder Verminderung von Beeinträchtigungen sind nur zu ergreifen, wenn dies im Verhältnis zum Erfolg mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand erreicht werden kann.

(4) Die Vorsorge gegen Beeinträchtigungen der Nachbarn durch den Bau und den Betrieb der Bundesstraße (Abs3) kann auch dadurch erfolgen, dass auf fremden Grundstücken mit Zustimmung des Eigentümers geeignete Maßnahmen gesetzt werden, insbesondere Baumaßnahmen an Gebäuden, Einbau von Lärmschutzfenstern und dergleichen, sofern die Erhaltung und allfällige Wiederherstellung durch den Eigentümer oder einen Dritten sichergestellt ist.

(5) In Fällen, in denen mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand durch Maßnahmen nach Abs3 und Abs4 kein entsprechender Erfolg erzielt werden kann, können mit Zustimmung des Eigentümers Grundstücke oder Grundstücksteile vom Bund (Bundesstraßenverwaltung) nach den Grundsätzen des §18 und der §§4 bis 8 des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes - EisbEG, BGBl Nr 71/1954, eingelöst werden, sofern durch den Bau oder den Betrieb der Bundesstraße die Benützung eines Grundstücks oder Grundstücksteiles unzumutbar beeinträchtigt wird. Gleiches gilt, wenn die unzumutbare Beeinträchtigung durch bauliche Anlagen im Zuge einer Bundesstraße (§3), zum Beispiel durch Beeinträchtigung des Lichtraumes, erfolgt.

(6) Im Falle, dass sich Maßnahmen in der Umgebung von Bundesstraßen für die Abwicklung des Verkehrs und seiner Auswirkungen auf die Umwelt als zweckmäßiger und wirtschaftlicher erweisen als Baumaßnahmen an der Bundesstraße, können auch solche an Stelle dieser Baumaßnahmen getroffen werden.

(7) Bei der Planung, dem Bau, dem Betrieb und der Erhaltung von Bundesstraßen ist auch auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen. Im Rahmen einer Verordnung im Sinne des Abs2 ist der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie ermächtigt, Bestimmungen betreffend die Prüfung wirtschaftlicher Aspekte von Bauvorhaben und Erhaltungsmaßnahmen zu erlassen. In einer solchen Verordnung können insbesondere der Anwendungsbereich, Zuständigkeiten und die Methoden und Tiefe der Prüfung beschrieben und festgelegt werden.

(8) Durch diese Bestimmungen werden keine subjektiven Rechte begründet.

 

Subjektiver Nachbarschutz

§7a. (1) Eine Bestimmung des Straßenverlaufes nach §4 Abs1 ist nur zulässig, wenn bei Bau und Betrieb der Bundesstraße vermieden wird,

a) dass das Leben und die Gesundheit von Nachbarn gefährdet werden und

b) dass das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn gefährdet werden.

(2) Nachbarn im Sinne dieser Bestimmung sind alle Personen, die durch den Bau oder den Betrieb, oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte dadurch gefährdet werden könnten. Als Nachbarn gelten nicht Personen, die sich vorübergehend in der Nähe der Bundesstraße aufhalten und nicht im Sinne des vorherigen Satzes dinglich berechtigt sind. Als Nachbarn gelten jedoch die Inhaber von Einrichtungen, in denen sich, wie etwa in Beherbergungsbetrieben, Krankenanstalten und Heimen regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen, und die Erhalter von Schulen hinsichtlich des Schutzes der Schüler, der Lehrer und der sonst in Schulen ständig beschäftigten Personen.

(3) Einwendungen, die sich auf zivilrechtliche Ansprüche beziehen, sind auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

(4) Einwendungen, die eine Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte, abgesehen von den Rechten nach Abs1 lita, zum Inhalt haben, sind als unbegründet abzuweisen, wenn das öffentliche Interesse an der Errichtung der Bundesstraße größer ist, als der Nachteil, der der Partei durch die Bestimmung des Straßenverlaufes erwächst. Subjektive Rechte gemäß Abs1 litb können nach Maßgabe der Bestimmungen über die Enteignung (§§17ff) eingeschränkt werden.

(5) Im Rahmen einer Verordnung im Sinne des §7 Abs2 ist der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie auch ermächtigt, Bestimmungen über betriebs- und baubedingte Immissionen von Bundesstraßenvorhaben zu erlassen. In einer solchen Verordnung können insbesondere der Anwendungsbereich, die Ermittlungsmethoden, Schwellen- und Grenzwerte, ein Beurteilungsmaßstab, Umfang und Dauer des Anspruchs auf Maßnahmen zum Schutz vor Immissionen und die Art der Festlegung und der Durchführung von Maßnahmen geregelt werden.

(6) Bei der Beurteilung der Auswirkungen von Immissionen ist darauf abzustellen, wie sich diese auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken.

(7) Wird bei objektseitigen Lärmschutzmaßnahmen die Zustimmung durch den Eigentümer oder sonst Berechtigten zur Umsetzung verweigert oder trotz Zustimmung in Folge die Umsetzung der Maßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig ermöglicht, ist der Nachbar so zu behandeln, als wären die Maßnahmen gesetzt worden. Der Anspruch des Eigentümers oder sonst Berechtigten auf Umsetzung der Maßnahmen bleibt jedenfalls für einen Zeitraum von drei Jahren ab Verkehrsfreigabe aufrecht.

3. §§1 bis 9 BStLärmIV lauten (die mit dem Hauptantrag angefochtenen Verordnungsbestimmungen sind hervorgehoben):

"1. Abschnitt

Allgemeine Bestimmungen

Anwendungsbereich

§1. Diese Verordnung gilt für betriebsbedingte und baubedingte Schallimmissionen von Bundesstraßenvorhaben, welche gemäß §4 Abs1 oder §4a des Bundesstraßengesetzes 1971 (BStG 1971), BGBl Nr 286, in der jeweils geltenden Fassung, oder nach den Bestimmungen des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000), BGBl Nr 697/1993, in der jeweils geltenden Fassung, zu genehmigen sind.

 

Begriffsbestimmungen

§2. Im Sinne dieser Verordnung sind

1. 'Nachbarn' Personen im Sinne des §7a Abs2 BStG 1971 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 96/2013 und im Fall UVP-pflichtiger Vorhaben jene im Sinne des §19 Abs1 Z1 UVP-G 2000 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 14/2014,

2. 'Aufenthaltsräume' jene Räume, die zum länger dauernden Aufenthalt von Personen bestimmt sind,

3. 'Werktage' Wochentage von Montag bis Freitag,

4. 'Regelmonate' Monate nach dem vorgesehenen Bauzeitplan ohne Zuordnung zu einem bestimmten Kalendermonat und ohne Berücksichtigung von konkreten Feiertagen. Ein Regelmonat hat 20 Werktage.

 

Lärmindizes

§3. (1) Für den betriebsbedingten Schall gelten der Tag‐Abend‐Nacht‐Lärmindex Lden und der Nachtlärmindex Lnight gemäß Definition in Anhang 1 der Richtlinie 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm, ABl. Nr L 189 vom 18.07.2002 S. 12.

 

(2) Für den baubedingten Schall gelten nachstehende Lärmindizes:

1. Lr,Bau,Tag,W: der über die Werktage über den Zeitraum Tag über einen Regelmonat energetisch gemittelte Beurteilungspegel des Baulärms;

2. Lr,Bau,Abend,W: der über die Werktage über den Zeitraum Abend über einen Regelmonat energetisch gemittelte Beurteilungspegel des Baulärms;

3. Lr,Bau,Tag,Sa: der an einem Samstag im Zeitraum Tag auftretende Beurteilungspegel des Baulärms;

4. Lr,Bau,Abend,Sa: der an einem Samstag im Zeitraum Abend auftretende Beurteilungspegel des Baulärms;

5. Lr,Bau,Tag,So: der an einem Sonntag im Zeitraum Tag auftretende Beurteilungspegel des Baulärms;

6. Lr,Bau,Abend,So: der an einem Sonntag im Zeitraum Abend auftretende Beurteilungspegel des Baulärms;

7. Lr,Bau,Nacht: der im Zeitraum Nacht auftretende Beurteilungspegel des Baulärms.

 

Basis für den baubedingten Schall ist der A‐bewertete energieäquivalente Dauerschallpegel LAeq gemäß Punkt 3.1 der ÖNORM ISO 9613‐2:2008‐07‐01.

 

(3) Für die Berechnung der Lärmindizes gemäß Abs1 und 2 gelten folgende Zeiträume:

1. Tag: 06:00 – 19:00 Uhr,

2. Abend: 19:00 – 22:00 Uhr und

3. Nacht: 22:00 – 06:00 Uhr.

 

(4) In die in Abs2 und §11 Abs1 erwähnte ÖNORM ISO 9613‐2:2008‐07‐01 kann über das Portal http://ibr.austrian-standards.at unentgeltlich Einsicht genommen werden.

 

Maßgebender Immissionsort

§4. Der maßgebende Immissionsort für die Berechnung der Lärmindizes gemäß §3 Abs1 und 2 liegt bei Nachbarn auf der Fassade in der Höhe der jeweiligen Geschoße des Objektes. Dieser Immissionsort ist auch maßgeblich für die Beurteilung der Lärmauswirkungen und die Ermittlung allenfalls erforderlicher straßenseitiger oder objektseitiger Lärmschutzmaßnahmen.

 

Beurteilungsmaßstab

§5. Die Gesundheitsgefährdung und die unzumutbare Belästigung sind danach zu beurteilen, wie sich die Schallimmissionen auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken.

 

2. Abschnitt

Regelungen für den betriebsbedingten Schall

Grenzwerte

§6. (1) Bei vorhabensbedingten Immissionserhöhungen aus dem Straßenverkehr ist der zulässige vorhabensbedingte, vom Verkehr auf der Bundesstraßentrasse ausgehende, Immissionseintrag bis zum Erreichen eines Immissionsgrenzwertes gemäß Abs2 bei Nachbarn wie folgt begrenzt:

L den = 55,0 dB

L night = 45,0 dB

 

(2) Für die Beurteilung unzumutbarer Belästigungen von Nachbarn durch Straßenverkehrslärm gelten folgende Immissionsgrenzwerte:

L den = 60,0 dB

L night = 50,0 dB

Immissionen aus dem Straßenverkehr gelten auch dann als zumutbar, wenn die vorhabensbedingten Immissionserhöhungen, bezogen auf die Immissionen im Nullplanfall, irrelevant sind. Im Bereich von 60,0 dB < L den ≤ 65,0 dB sowie im Bereich von 50,0 dB < L night ≤ 55,0 dB sind vorhabensbedingte Immissionserhöhungen von bis zu 1,0 dB irrelevant.

 

(3) Für die Beurteilung der Gesundheitsgefährdung von Nachbarn durch Straßenverkehrslärm gelten folgende Immissionsgrenzwerte:

L den = 65,0 dB

L night = 55,0 dB

 

Bei Überschreitung dieser Immissionsgrenzwerte sind vorhabensbedingte Immissionserhöhungen aus dem Straßenverkehr im Einzelfall zu beurteilen. Vorhabensbedingte Immissionserhöhungen von mehr als 1,0 dB, bezogen auf die Immissionen im Nullplanfall, sind jedenfalls unzulässig.

 

(4) Für Arbeitnehmer benachbarter Betriebe und Inhaber von Einrichtungen, in denen sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen, gelten die Abs1 bis 3 nicht; für sie sind der zulässige vorhabensbedingte Immissionseintrag und die Immissionsgrenzwerte im Einzelfall festzulegen.

 

(5) Vorhabensbedingte Immissionserhöhungen, die vom Betrieb anderer Schallemittenten als der Straße ausgehen, sind zu berechnen und im Einzelfall zu beurteilen.

 

Ermittlung und Beurteilung

§7. (1) Die Lärmemissionen und -immissionen sind nach dem für Straßenverkehrslärm einschlägigen Stand der Technik zu berechnen, wobei bei der Ermittlung der Emissionen Punkt 4.1 (Maßgebende Verkehrsstärken) der RVS 04.02.11 Lärmschutz, Stand 1. März 2006, und Punkt 5.1 (Emissionsschallpegel) der RVS 04.02.11, Stand 31. März 2009, anzuwenden sind (Anlage).

 

(2) Für die Beurteilung der durch den Betrieb des Bundesstraßenvorhabens bedingten Lärmimmissionen sind der Zustand zum Prognosezeitpunkt ohne das Vorhaben (Nullplanfall) und der durch das Vorhaben geänderte Zustand zum Prognosezeitpunkt (Vorhabensplanfall) heranzuziehen.

 

Straßenseitige Maßnahmen

§8. (1) Bei Lärmimmissionen, ausgehend vom Verkehr auf der Bundesstraßentrasse, ist der zur Einhaltung des zulässigen vorhabensbedingten Immissionseintrages und der Immissionsgrenzwerte gemäß §6 erforderliche Lärmschutz für Nachbarn, mit Ausnahme der Arbeitnehmer benachbarter Betriebe im Sinne des §6 Abs4, vorrangig durch straßenseitige (aktive) Lärmschutzmaßnahmen sicherzustellen. Als straßenseitige Maßnahmen gelten insbesondere Lärmschutzwände, Lärmschutzwälle, Trassierungen im Einschnitt und eine Kombination daraus.

 

(2) Abs1 gilt nicht für Objekte oder Objektteile, deren Bestand, Neu-, Zu- oder Umbau zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung unzulässig ist.

 

Objektseitige Maßnahmen

§9. (1) Wenn bei Lärmimmissionen, ausgehend vom Verkehr auf der Bundesstraßentrasse, aktive Lärmschutzmaßnahmen zur Einhaltung des zulässigen vorhabensbedingten Immissionseintrages und der Immissionsgrenzwerte gemäß §6 technisch nicht realisierbar oder im Hinblick auf den erzielbaren Zweck nur unter einem unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Aufwand umsetzbar sind, ist in Ergänzung zu oder anstelle von aktiven Lärmschutzmaßnahmen der Schutz für Räumlichkeiten mittels objektseitiger Maßnahmen zulässig.

 

(2) Wird bei Nachbarn, mit Ausnahme jener gemäß §6 Abs4, bei vorhabensbedingten Lärmzunahmen, ausgehend vom Verkehr auf der Bundesstraßentrasse, der zulässige vorhabensbedingte Immissionseintrag für Lnight gemäß §6 Abs1 überschritten und sind straßenseitige Maßnahmen nicht zu ergreifen, haben sie Anspruch auf den Einbau von Schalldämmlüftern in Aufenthaltsräumen an den betroffenen Fassaden ohne Austausch bestehender Fenster.

 

(3) Wird bei Nachbarn, mit Ausnahme jener gemäß §6 Abs4, bei relevanten vorhabensbedingten Lärmzunahmen der Immissionsgrenzwert für Lden gemäß §6 Abs2 überschritten und sind straßenseitige Maßnahmen nicht zu ergreifen, haben sie Anspruch auf den Austausch bestehender Fenster und Türen gegen Schallschutzfenster und -türen in Aufenthaltsräumen an den betroffenen Fassaden, soweit bestehende Fenster und Türen nicht ausreichenden Schutz gewähren. Wird bei Nachbarn, mit Ausnahme jener gemäß §6 Abs4, bei relevanten vorhabensbedingten Lärmzunahmen der Immissionsgrenzwert für Lnight gemäß §6 Abs2 überschritten und sind straßenseitige Maßnahmen nicht zu ergreifen, haben sie Anspruch auf den Einbau von Schalldämmlüftern und den Austausch bestehender Fenster und Türen gegen Schallschutzfenster und -türen in Aufenthaltsräumen an den betroffenen Fassaden, soweit bestehende Fenster und Türen nicht ausreichenden Schutz gewähren.

 

(4) Wird bei Nachbarn gemäß §6 Abs4 der im Einzelfall festgelegte zulässige vorhabensbedingte Immissionseintrag oder einer der im Einzelfall festgelegten Immissionsgrenzwerte überschritten und sind straßenseitige Maßnahmen nicht zu ergreifen, haben sie Anspruch auf objektseitige Maßnahmen in Aufenthaltsräumen an den betroffenen Fassaden, soweit bestehende Fenster und Türen nicht ausreichenden Schutz gewähren.

 

(5) Im Bereich von Zulaufstrecken im untergeordneten Straßennetz sowie im Fall des §6 Abs5 ist es zulässig, den Lärmschutz ausschließlich durch objektseitige Maßnahmen sicherzustellen."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom 26. März 2015 wurde der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) die Bewilligung für die Errichtung des Bundesstraßenbauvorhabens "S 1 Wiener Außenring Schnellstraße, Abschnitt Schwechat − Süßenbrunn" erteilt. Gegen diesen Bescheid erhoben mehrere Parteien des Verwaltungsverfahrens Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht, in denen u.a. geltend gemacht wird, dass Nachbarn infolge des vom Vorhaben ausgehenden Lärms unzumutbaren Belästigungen oder der Gefährdung ihrer Gesundheit oder ihres Eigentums ausgesetzt würden.

2. Das Bundesverwaltungsgericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"1.1. Nach der Bestimmung des §7 Abs2 Bundesstraßengesetz 1971 erlässt der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie die für die Planung, den Bau und die Erhaltung der Bundesstraßen erforderlichen Verordnungen und Dienstanweisungen. Gemäß Abs3 leg. cit. ist bei Planung, Bau und Betrieb von Bundesstraßen vorzusorgen, dass Beeinträchtigungen von Nachbarn vermindert oder vermieden werden. Gemäß §7a leg. cit. ist eine Bestimmung des Straßenverlaufes nur zulässig, wenn bei Bau und Betrieb der Bundesstraße vermieden wird, dass das Leben und die Gesundheit sowie das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn gefährdet werden.

Gemäß den Genehmigungsvorschriften des §24f Abs1 UVP-G 2000 sind Immissionen jedenfalls zu vermeiden, die das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn/Nachbarinnen gefährden oder zu einer unzumutbaren Belästigung der Nachbarn/Nachbarinnen im Sinn des §77 Abs2 der Gewerbeordnung 1994 führen. Gemäß §24f Abs2 letzter Satz UVP-G 2000 ist, soweit besondere Immissionsschutzvorschriften bestehen, die Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Menschen oder des Eigentums oder sonstiger dingliche Rechte der Nachbarn/Nachbarinnen und die Zumutbarkeit einer Belästigung der Nachbarn/Nachbarinnen nach diesen Vorschriften zu beurteilen.

Aus der Gesamtbetrachtung dieser Rechtsvorschriften erfließt, dass besondere Immissionsschutzvorschriften derartige Gefährdungen hintanhalten müssen. (Vgl. zur UVP-G-Novelle BGBl I Nr 77/2012, mit der §24f Abs2 letzter Satz neu gefasst wurde: RV 1809 BIgNR 24. GP, zu §24f Abs2: 'Die durch die UVP-G-Novelle [BGBl Nr 773/1996] damals als §17 Abs2a eingefügten Sonderbestimmungen für Straßen- und Eisenbahnvorhaben sollen vereinheitlicht und den Erfahrungen der Praxis mit der Anwendung dieser Bestimmungen angepasst werden. [...] Bestehen [...] für den betroffenen Vorhabenstyp besondere Immissionsschutzvorschriften, das sind besondere, durch Gesetz oder Verordnung erlassene Bestimmungen, die auch verbindlich festgelegte Grenzwerte für die zulässige Gesundheitsbelastung bzw. Belästigung enthalten, so sollen in Zukunft diese als Grenzwerte für einen ausreichenden Gesundheits- und Belästigungsschutz gelten.'). Sinn der Bestimmung des §24 Abs2 letzter Satz UVP-G 2000 ist es, die ärztliche Beurteilung in jedem Einzelfall zu vermeiden und die Planungssicherheit von Linienvorhaben nach dem 3. Abschnitt des UVP-G 2000, die regelmäßig im öffentlichen Interesse stehen, zu erhöhen. Dabei ist der Gesetzgeber aber davon ausgegangen, dass der Belästigungs- und Gesundheitsschutz durch die Immissionsschutzvorschrift selbst gewährleistet wird. Dies gilt insbesondere für darin enthaltene, allgemein anwendbare Immissionsschutzgrenzwerte.

Dieses Erfordernisses war sich auch der Verordnungsgeber bewusst, wenn er im allgemeinen Teil der Erläuterungen zur BStrLärmIV darauf hinweist, dass 'für Bundesstraßenvorhaben [...] daher in einer Verordnung zum Schutz vor (unzumutbaren bzw. gesundheitsgefährdenden) Lärmimmissionen Regelungen bzw. Maßnahmen in Bezug auf den Bau- und Betriebslärm in der Verordnung getroffen werden' sollen.

1.2. Im Bereich der Raumordnung hat der Verfassungsgerichtshof in dauernder Judikatur ausgesprochen, dass der Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen dann besondere Bedeutung zukommt, wenn das Gesetz die vom Verordnungsgeber zu erlassenden Planungsnormen nur final, d.h. im Hinblick auf bestimmte zu erreichende Planungsziele determiniert, und zwar unabhängig davon, ob das Gesetz eine bestimmte Vorgangsweise zur Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage vorsieht oder nicht (vgl. VfSlg 19.760 mit weiteren Judikaturnachweisen). Zweifellos kommt auch im Fall der gegenständlichen Verordnung, für die die gesetzlichen Grundlagen nur das Ziel determinieren, Schutz vor Gefährdung und Belästigung sicherzustellen, der Erarbeitung entsprechender aktueller Grundlagen ausschlaggebende Bedeutung zu.

 

2. Zur Gesetzwidrigkeit der Grenzwerte in §6 Abs1 und 2 BStLärmIV

Nach den Erläuterungen zu §6 Abs1 bis 3 der angefochtenen Verordnung war Entscheidungsgrundlage für die Festlegung der Grenzwerte ein humanmedizinisches Gutachten, das sich auch im Verordnungserlassungsakt des BMVIT findet.

Das dem Verordnungserlassungsakt einliegende humanmedizinische Gutachten von ***** ********* und ***** ***** referiert auf S. 3 zur Belästigung u.a. folgende medizinische Grundlagen:

'Bei 'Belästigung', 'Störung des Wohlbefindens' und 'Beeinträchtigung des Wohlbefindens' handelt es sich um weitgehend subjektive Wahrnehmungsqualitaten, welche wiederum in zumutbare und unzumutbare Zustände kategorisiert werden können. Unzumutbar ist eine Belästigung dann, 'wenn sie zu erheblichen Störungen des Wohlbefindens, zu psychosomatischen Beschwerden bzw. zu funktionellen oder organischen Veränderungen führen kann, oder über das ortsübliche Ausmaß hinausgeht, wobei in diesem Fall die für die Widmung von Liegenschaften maßgebenden Vorschriften zu berücksichtigen sind' [1]. Der letzte Halbsatz hängt von der jeweils gültigen Rechtslage ab und stellt keinen medizinisch argumentierbaren Inhalt dar.

Zur Frage der Belästigung ist festzuhalten, dass ihr aus humanmedizinischer Sicht per se noch kein gesundheitsstörender oder krankmachender Effekt zuzurechnen ist. Gewisse Belästigungen werden abhängig von der beruflichen Tätigkeit, von Freizeitaktivitäten und vom Wohn- bzw. Arbeitsort auch freiwillig in Kauf genommen (z.B. Freiluftkino und Gelsen im Sommer). Das gesellschaftliche Übereinkommen legt die jeweiligen Grenzen zwischen Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit von Belästigungen fest.'

Die Richtlinie des Arbeitsrings für Lärmbekämpfung (ÖAL) Nr 3, Blatt 1, Ausgabe vom 1.3.2008, über die Beurteilung von Schallimmissionen im Nachbarschaftsbereich, zitiert in ihren medizinischen Überlegungen die Aussage der 'Empfehlungen für die Verwendung medizinischer Begriffe im Rahmen umwel[t]hygienischer Beurteilungsverfahren' (M. Haider et. al., Mitteilungen der Österr. Sanitätsverwaltung 85. Jhg [1984] H. 12), dass es sich bei der Belästigung um weitgehend subjektive Wahrnehmungsqualitäten handle. Unzumutbar sei eine Belästigung, wenn sie zu erheblichen Störungen des Wohlbefindens, zu funktionellen oder organischen Veränderungen führen können, oder über das ortsübliche Ausmaß hinausgehe, wobei in diesem Fall auch die Widmung von Liegenschaften maßgebenden Vorschriften zu berücksichtigen seien. Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit seien zwar Rechtsbegriffe, wodurch eine Verwendung in der medizinischen Beurteilung nicht statthaft sei. In der angeführten Definition werde aber durch die nähere Beschreibung zum Ausdruck gebracht, dass in bestimmten Situationen, die jeweils in der Einzelbeurteilung zu beschreiben seien, Verhältnisse vorlägen, die aus medizinischer Sicht nicht akzeptabel erschienen.

Für die Beurteilung von Straßenlärm trifft diese Richtlinie in Kap. 5.2.5. die Aussage, dass vor allem im Pegelbereich der ruhigen Widmungskategorien die Forderung nach Erhaltung der ortsüblichen Schallimmission aus wirtschaftlichen und technischen Überlegungen an ihre Grenzen stoße. Hier sei es notwendig, bei der Beurteilung eine Abwägung zwischen den Veränderungen der örtlichen Verhältnisse einerseits und den aus den Dosis- Wirkungsbeziehungen ableitbaren Effekten andererseits vorzunehmen. Unter diesen Überlegungen seien in Österreich in Straßenbauprojekten als Auslegungswerte 55 dB für die Tagzeit und 45 dB für die Nachtzeit wiederholt zur Anwendung gekommen. Die sozialmedizinische Begründung finde sich in erster Linie in den Grenzwertempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation für Gebiete mit ständiger Wohnnutzung[.]

Die ÖAL-Richtlinie Nr 6/18, Ausgabe 1.2.2011, über die Wirkungen des Lärms auf den Menschen − Beurteilungshilfen für den Arzt − trifft in ihrem Kapitel 6 − Wirkungsbezogene lmmissionsrichtwerte − die Aussage, dass neben der absoluten Höhe der Geräuschbelastung jedenfalls auch der Abstand zur gewohnten (ortsüblichen) Schallbelastung in ihrer Gesamtheit, insbesondere aber zum Basispegel zu berücksichtigen sei.

Weder das der Verordnung zu Grunde liegende humanmedizinische Gutachten von ***** ********* und ***** ***** vom 13.8.2014 noch die sonstigen Verordnungsgrundlagen enthalten Material, das die getroffene Entscheidung, die Zumutbarkeit der Belästigung und damit die Gewährung objektseitiger Schallschutzmaßnahmen (bei wirtschaftlicher Unzumutbarkeit von aktiven Lärmschutzmaßnahmen), ausschließlich von fixen Grenzwerten abhängig zu machen, aus (sozial-)medizinischer Sicht näher untermauern würde.

Es ist zwar anzuerkennen, dass eine Differenzierung dahingehend erfolgt ist, dass in ruhigeren Gebieten die Begrenzung des Lärmeintrags durch das Vorhaben selbst in §6 Abs1 BStLärmIV schlagend wird, und für bereits stärker belastete Gebiete eine höhere Belästigungsschwelle in Abs2 festgelegt ist. Für die Vorgangsweise, dass gemäß Abs1 ein Grenzwert unabhängig von der Vorbelastung festgelegt wird, auch für Fälle, in denen diese sehr viel niedriger als der Lärmeintrag durch das Vorhaben ist, sodass es zu einer automatischen 'Auffüllung' bis zu den in Abs1 festgelegten Werten kommt, enthält der Verordnungsakt keine Begründung.

In der Ergänzung des humanmedizinischen Gutachtens vom 13.8.2014, Kap. 1.5, findet sich folgende Aussage:

'Die Festsetzung von Grenzwerten birgt die große Gefahr, dass in Gebieten mit niedrigen Belastungen die Gesellschaft geneigt ist, bei der Errichtung von Projekten auf die Emissionen wenig zu achten, da die Grenzwerte einen Spielraum zulassen und sich die Gesellschaft aufgrund von ökonomischen Druck verpflichtet fühlt, die Schadstofflast bis zu dem festgelegten Grenzwert 'aufzufüllen', um erst dann Maßnahmen vorzuschreiben. Dieses Vorgehen führt unweigerlich dazu, dass die Flächen von ruhigen Gebieten, die für die Erholung der Bevölkerung notwendig sind, stets signifikant kleiner werden. Die EU sieht die Festlegung ruhiger Zonen vor, welche aber genauer definiert werden müssen. Die Definition von Ruhezonen kann nicht die Aufgabe einer Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung sein, sondern sollte in einer Umgebungslärmrichtlinie definiert werden. Unbestritten muss gelten, dass der Schutz von ruhigen Gebieten in der Gesellschaft eine hohe Priorität haben sollte, der auch durch entsprechende Maßnahmen gewährleistet werden soll.'

In dieser Aussage wird von den Medizinern der Schutz ruhiger Gebiete empfohlen. Die Feststellung, die Definition von Ruhezonen könne nicht die Aufgabe einer Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung sein, sondern sollte in einer Umgebungslärmrichtlinie vorgenommen werden, stellt keine humanmedizinische Aussage dar oder wird zumindest nicht humanmedizinisch begründet. Sie kann daher eine tragfähige Begründung sozialmedizinischer und ggf. gesellschaftspolitischer Art für die gewählte Vorgangsweise nicht ersetzen. Der Verordnung fehlt es in dieser Hinsicht an einer tragfähigen Grundlage.

 

3. Zur Gesetzwidrigkeit des Irrelevanzkriteriums in §6 Abs2 BStLärmIV

In §6 Abs2 der Verordnung wird ein Irrelevanzkriterium eingeführt, wonach Immissionen aus dem Straßenverkehr auch dann als zumutbar gelten, wenn die vorhabensbedingten Immissionserhöhungen, bezogen auf die Immissionen im Nullplanfall, im angeführten Bereich 1,0 dB nicht übersteigen.

Für dieses Irrelevanzkriterium findet sich im Akt keine medizinische Begründung. Das Gutachten *********/***** enthält ein eigenes Kapitel dazu ('3.2. Zur Frage eines wissenschaftlich[…] fundierten Irrelevanzkriteriums'). Darin heißt es u.a.:

'In der Begutachtungspraxis hat man sich darauf geeinigt, ein Irrelevanzkriterium festzulegen, d.h. wenn sich der Dauerschallpegel um maximal 1 dB durch den Eintrag des neuen Immittenten erhöht, so wird dies − weil von den meisten Menschen nicht wahrnehmbar − als irrelevant und damit aus humanmedizinischer Sicht als akzeptabel bewertet.

Zur 'Wahrnehmbarkeit' oder 'Hörbarkeit' sei hier ausgeführt, dass es um die Frage geht, wann wird für das Individuum aus 'leise' − 'etwas weniger leise' bzw. wann wird aus 'laut' − 'etwas lauter': Hierzu muss aus medizinischer Sicht zwischen absoluter und relativer Wahrnehmungsschwelle ('Fühlschwelle') unterschieden werden. Es wird festgestellt, wie stark die Reizung eines gegebenen Sinnesorgans sein muss, damit eine Reaktion erfolgt. Durch Adaptationseffekte kann die Wahrnehmungsschwelle in verschiedenen Kontexten erheblich variieren. Da es sich beim Menschen um ein psychobiologisches System handelt, ist die absolute Wahrnehmungsschwelle zusätzlich zum individuellen Sensorium von der Aufmerksamkeit abhängig. Sensible Menschen, die ihre ganze Aufmerksamkeit einem erwarteten Reiz widmen, werden bei niedrigerer Reizstarke eine Wahrnehmung haben als Menschen die weniger empfindlich [sind] und/oder die dem Geschehen eine geringere Aufmerksamkeit widmen (zum Beispiel wenn sie durch andere Tätigkeiten oder Reize abgelenkt sind).

Des Weiteren kann der relative Schwellenwert, die Fähigkeit eines Individuums zur Reizunterscheidung untersucht werden. Er legt fest, wie verschieden intensiv zwei Reize sein müssen, damit sie in einem gegebenen Kontext als unterschiedlich empfunden werden (Unterschiedsschwelle, relative Wahrnehmungsschwelle):

Unterschiedsempfindung beim unmittelbaren Vergleich ähnlicher Geräusche:

±10 dB -> Verdoppelung/Halbierung der empfundenen Lautst[ä]rke

±3 dB -> wahrnehmbar

±1 dB -> nicht wahrnehmbar (von sehr geübten Personen gerade wahrnehmbar)

Von schalltechnischer bzw. physikalischer Seite wird darauf hingewiesen [25], dass Berechnungen und Messungen Fehler von bis zu 1 dB aufweisen. Diese können symmetrisch (+/-) auftreten. Weiters ist in der Begutachtungspraxis darauf zu achten, dass die bei Projekten verwendeten (berechneten) Schallpegel im Gutachten nicht auf ganze Dezibel gerundet addiert und subtrahiert werden.

Für das Gehör wird diese Unterschiedsschwelle mit ±1,0 dB festgelegt (der Unterschied ist von sehr geübten Personen gerade wahrnehmbar). Aus humanmedizinischer Sicht ist daher bis zu dem Bereich von 60 dB tagsüber und 50 dB nachts ein Irrelevanzkriterium von 1,0 dB akzeptabel.'

Dazu ist zunächst festzustellen, dass nach der Literatur die Hörbarkeit eines Unterschiedes von 1dB von der Art des Geräusches abhängt, dem der Hörende ausgesetzt ist. Eine Hörbarkeit wird bei der bloßen Erhöhung eines gleichmäßigen, breitbandigen Geräusches, wie dem einer Lüftungsanlage, tatsächlich nicht gegeben sein. Die Erhöhung des Dauerschallpegels einer Straße, der sich aus vielen Einzelereignissen zusammensetzt, um 1 dB bringt aber eine Änderung der Anzahl dieser Einzelereignisse von 26 % mit sich, was sehr gut wahrnehmbar sein kann (vgl. die Beispiele in Ortscheid/Wende, Sind 3dB wahrnehmbar?, in: Zeitschrift für Lärmbekämpfung, H 51, 2004, 80 – Beilage 2). In dieser Hinsicht enthält jedoch das Gutachten in dem oben vollständig zitierten Kapitel 3.2. keine medizinische Begründung für die Zulässigkeit des Irrelevanzkriteriums. Die Tatsache, dass die Verordnung die Verwendung dieses Kriteriums im Bereich der Gesundheitsgefährdung (Abs3) nicht mehr zulässt, zeigt, dass es eine Wirkung der Erhöhung des Dauerschallpegels von 1 dB auf den Menschen geben muss.

In erster Linie manifestiert sich eine Gesetzwidrigkeit dieses Kriteriums jedoch aus einer nicht auflösbaren Widersprüchlichkeit des humanmedizinischen Gutachtens. Während Kap. 3.2. − begründungslos − davon spricht, dass die Anwendung dieses Kriteriums bis zu dem Bereich von 60 dB tagsüber und 50 dB nachts akzeptabel sei, wird in Kap. 3.6. − nach der reinen Darstellung des dahingehenden schalltechnischen Vorschlages von ***************** − plötzlich, ohne jegliche Begründung, festgestellt, dass aus humanmedizinischer Sicht ein Irrelevanzkriterium von 1,0 dB(A) bis zu einen Lden <65 dB bzw. einem Lnight < 55dB akzeptabel sei.

Damit ist dieses Irrelevanzkriterium, das eine Zusatzbelastung bei bestehender unzumutbarer Vorbelastung erlaubt, nicht ausreichend medizinisch begründet.

 

4. Zur Gesetzwidrigkeit der Grenzwerte und der Einzelfallbeurteilung in §6 Abs3 und 4 BStLärmIV

Im ebenfalls angefochtenen Abs3 werden Grenzwerte für die Beurteilung der Gesundheitsgefährdung von Nachbarn durch Straßenverkehrslärm festgelegt. Bei einer Überschreitung dieser Immissionsgrenzwerte sind vorhabensbedingte Immissionserhöhungen aus dem Straßenverkehr im Einzelfall zu beurteilen.

Der Verordnung ist allerdings kein Kriterium für die Abgrenzung des Untersuchungsraumes zu entnehmen. Damit wäre jede durch das Vorhaben verursachte Immissionserhöhung auf Strecken, die von Zulaufverkehr betroffen sind und wo die Grenzwerte bereits überschritten sind, unabhängig davon, wo sie auftritt, im Einzelfall zu beurteilen. Wäre bspw. davon auszugehen, dass aufgrund des Bestehens des Vorhabens wenige Fahrzeuge täglich zusätzlich auf einer Autobahnzulaufstrecke irgendwo in Österreich, also weit entfernt vom Vorhaben selbst, verkehren würden und dass dies zu einer − wenn auch noch so geringen — Immissionszunahme führt, so müsste auch diese Erhöhung im Einzelfall sachverständig beurteilt werden. Dies wäre in einem Genehmigungsverfahren nicht zu bewältigen und führt zu einer Unvollziehbarkeit und damit Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmung.

Diese Bedenken treffen auch auf die Einzelfallbeurteilung nach Abs4 zu.

Zu beiden Absist zu bedenken, dass der Begriff der 'Nachbarn' und der 'benachbarten Betriebe' zu keiner sinnvollen Eingrenzung des Untersuchungsraumes führt, da gem. dem nach §2 BStLärmIV anwendbaren Nachbarbegriff des §19 Abs1 Z1 UVP-G 2000 als Nachbarn Personen anzusprechen sind, die durch den Betrieb oder den Bestand des Vorhabens gefährdet oder belästigt werden können. Dies kann auch auf Personen auf 'Zulaufstrecken', wo immer diese gelegen sind, zutreffen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat die Verordnungsakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

"III. 1. Zu den Vorgaben an eine Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung

Das BVwG bringt auf Seite 10f des Antrages vor, dass es Sinn der Bestimmung des §24 (Anmerkung: gemeint wohl §24f) Abs2 letzter Satz UVP-G 2000 sei, die ärztliche Beurteilung in jedem Einzelfall zu vermeiden und Planungssicherheit von Linienvorhaben nach dem 3. Abschnitt des UVP-G 2000, die regelmäßig im öffentlichen Interesse stehen, zu erhöhen. Dabei sei der Gesetzgeber aber davon ausgegangen, dass der Belästigungs- und Gesundheitsschutz durch die Immissionsschutzvorschrift selbst gewährleistet werde. Dies gelte insbesondere für die Immissionsschutzgrenzwerte.

Seit der Novelle BGBl I. Nr 77/2012 besteht gemäß §24f Abs2 UVP-G 2000 auch für den Anwendungsbereich des §23a leg. cit (Bundesstraßen) die Möglichkeit besondere Immissionsschutzvorschriften zu erlassen. Bestehen besondere Immissionsschutzvorschriften, so ist insoweit die Gefährdung im Sinn des Abs1 Z2 lita und die Zumutbarkeit einer Belästigung im Sinn des Abs1 Z2 litc nach diesen Vorschriften zu beurteilen. Gemäß den EB zur Nov 2012 (RV 1809 BlgNR 24.GP , zu §24f) sind besondere Immissionsschutzvorschriften durch Gesetz oder Verordnung erlassene Bestimmungen, die auch verbindlich festgelegte Grenzwerte für die zulässige Gesundheitsbelastung bzw. Belästigung enthalten.

Vom BVwG wird auch nicht in Abrede gestellt, dass es sich bei der gegenständlichen Verordnung um eine besondere Immissionsschutzvorschrift gemäß §24f Abs2 UVP-G 2000 handelt. Wie in den Erläuterungen zur BStLärmIV festgehalten wurde, gab es für die bei Bundesstraßenvorhaben (Autobahnen und Schnellstraßen) in der Bau- und in der Betriebsphase auftretenden Lärmimmissionen bislang keine besondere Immissionsschutzvorschrift. Daher wurden in den Genehmigungsverfahren Regelungen und Maßnahmen in Bezug auf den Bau- bzw. Betriebslärm auf Grundlage von Sachverständigengutachten jeweils im Einzelfall getroffen. In Folge des Fehlens verbindlicher Festlegungen wurden in den Genehmigungsverfahren teils unterschiedliche Lärmschutzstandards bzw. Lärmgrenzwerte gefordert. Dadurch ergaben sich Verzögerungen im Ermittlungsverfahren und Rechtsunsicherheiten. Außerdem war für die Bundesstraßenverwaltung keine ausreichende Planungssicherheit im Bereich Lärmschutz gegeben. Aus Gründen der Rechtssicherheit werden in der BStLärmIV Schwellenwerte und Grenzwerte für betriebsbedingte und baubedingte Schallimmissionen normiert. Auf Basis dieser Werte wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Lärmschutzmaßnahmen zu ergreifen sind und Anspruch auf die Umsetzung von objektseitigen Lärmschutzmaßnahmen besteht. Für die betroffenen Anrainer steigt die Vorhersehbarkeit der behördlich festzulegenden Lärmschutzmaßnahmen. Aufgrund der Regelungen in einer Verordnung sind auch die Ergebnisse des behördlichen Verfahrens für Planer und die Bundesstraßenverwaltung besser vorhersehbar. Zudem kann das Ermittlungsverfahren entlastet werden, weil sich die Ersteller der lärmtechnischen Einreichunterlagen und die Sachverständigen in den Gutachten sowie die Genehmigungsbehörde im Ermittlungsverfahren auf die Regelungen in der Verordnung beziehen können.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein humanmedizinischer Sachverständiger im UVP-Verfahren und insbesondere bei der Beurteilung der Gesundheitsgefährdung durch Lärmimmissionen entbehrlich geworden ist. Einerseits erhebt eine besondere Immissionsschutzvorschrift nicht den Anspruch, abschließend jede Konstellation einer möglichen Beeinträchtigung der Anrainer durch Lärmimmissionen abschließend zu regeln, sondern sie soll im Sinne der Rechtsprechung Standards schaffen, die eine Rechtssicherheit herbeiführen.

Gemäß der Rechtsprechung des VfGH zur Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung - SchIV (V87/06, Koralmbahn) handelt es sich bei den Grenzwerten einer Immissionsschutz-VO um Mindeststandards, deren Unterschreitung im Einzelfall geboten sein kann. Auch der VwGH geht davon aus, dass, wenn der medizinische Gutachter im UVP-Gutachten die Einhaltung von strengeren Grenzwerten als zwingend erforderlich erachtet, die vom Mediziner festgelegten Grenzwerte maßgeblich sind (vgl. VwGH 2012/03/0045, Pottendorfer Linie, VwGH 2010/03/0014, Koralm, sowie Sonderheft RdU, April 2014, Seite 26ff).

Es besteht z.B. die Notwendigkeit einer gesonderten Grenzwertfestlegung bzw. Beurteilung von Lärmauswirkungen für Arbeitnehmer benachbarter Betriebe (Betriebsanrainer) im Einzelfall auf Basis des humanmedizinischen Gutachtens deswegen, da sich Betriebsanrainer – im Gegensatz zur Wohnbevölkerung – regelmäßig nur zeitlich eingeschränkt im Einflussbereich des Vorhabens aufhalten (vgl. Erläuterungen zu §6 Abs4 der BStLärmIV). Für die Inhaber von Einrichtungen, in denen sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, gilt das für den Betriebsanrainer Ausgeführte sinngemäß. Darunter fallen auch sensible Nutzungen wie Schulen, Heime, Kurbetriebe und Kindergärten.

 

III.2. Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit der Grenzwerte in §6 Abs1 und 2 BStLärmIV

Das BVwG bringt auf Seite 13 vor, dass weder das der Verordnung zu Grunde liegende humanmedizinische Gutachten von ***** ********* und ***** ***** vom 13.8.2014 (Anmerkung: Humanmedizinische Stellungnahme zu den Einwänden im Rahmen des Begutachtungsverfahrens betreffend BStLärmIV) noch die sonstigen Verordnungsgrundlagen Material enthalten, das die getroffene Entscheidung, die Zumutbarkeit der Belästigung und damit die Gewährung objektseitiger Schallschutzmaßnahmen ausschließlich von fixen Grenzwerten abhängig zu machen, aus (sozial-)medizinischer Sicht näher untermauern würde. Es sei zwar anzuerkennen, dass eine Differenzierung dahingehend erfolgt sei, dass in ruhigeren Gebieten die Begrenzung des Lärmeintrags durch das Vorhaben selbst in §6 Abs1 BStLärmlV schlagend werde, und für bereits stärker belastete Gebiete eine höhere Belästigungsschwelle in Abs2 festgelegt sei. Für die Vorgangsweise, dass gemäß Abs1 ein Grenzwert unabhängig von der Vorbelastung festgelegt werde, auch für Fälle, in denen diese sehr viel niedriger als der Lärmeintrag durch das Vorhaben sei, sodass es zu einer automatischen 'Auffüllung' bis zu den in Abs1 festgelegten Werten komme, enthalte der Verordnungsakt keine Begründung.

Zu diesem Vorbringen ist festzuhalten, dass eine besondere Immissionsschutzvorschrift nach den Materialien zum UVP-G 2000 eine allgemeinverbindliche Rechtsvorschrift, also mit Gesetz oder Verordnung erlassene Bestimmungen, ist, die auch verbindlich festgelegte Grenzwerte für die zulässige Gesundheitsbelastung und Belästigung enthalten soll. Aus Sicht des Verordnungsgebers waren Grenzwerte einerseits schon aus diesem Grund in der Verordnung festzulegen, andererseits sollte für Anrainer und Projektwerber Rechtssicherheit geschaffen werden. Zur gewählten Beurteilungsmethodik wird auch auf die der BStLärmIV zugrundeliegende schalltechnische Stellungnahme vom 25.6.2014 (*****************) verwiesen.

Die Zumutbarkeit einer Belästigung wurde – entgegen dem Vorbringen des BVwG – nicht ausschließlich von sog. 'fixen Grenzwerten' abhängig gemacht.

Im Zusammenhang mit diesem Vorbringen wird auf die beiliegende humanmedizinische Stellungahme von ************* **** **** **** ***** und *************** *** ****** ********* vom 5.3.2016 (Seiten 1 – 5) verwiesen, worin zunächst ausführlich zur Festlegung der Grenzwerte Stellung genommen wird. Die Sachverständigen legten darüber hinaus in einer ausführlichen Begründung, unter anderem anhand von Tabellen und Beispielen, dar, dass in der BStLärmIV die Grenze für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Belästigung sehr wohl mit den Immissionen im Nullplanfall im Zusammenhang steht und nicht ausschließlich von den fixen Grenzwerten in §6 Abs2 BStLärmIV abhängig ist. Zudem erkennt selbst das BVwG auf Seite 13 des Antrages an, dass eine Differenzierung dahingehend erfolgt sei, dass in ruhigen Gebieten die Begrenzung des Lärmeintrages durch das Vorhaben selbst in §6 Abs1 leg. cit schlagend werde.

Ergänzend zur humanmedizinischen Stellungnahme darf vom ho. Bundesministerium in Bezug auf die Grenzwerte in §6 Abs1 BStLärmIV auf folgendes hingewiesen werden: Bei der Ausarbeitung der BStLärmIV wurden auch die in anderen europäischen Ländern festgelegten Grenzwerte bzw. die Beurteilungspraxis bezüglich Straßenverkehrslärm betrachtet (siehe Schalltechnische Stellungnahme vom 25.6.2014 von ***************** ************** ****). Ergänzend dazu darf auf die Publikationen 'Noise Management and abatement' der CEDR (Conference of European Directors of Road), April 2010 und 'Survey of legislation, regulations and guidelines for control of community noise', International Institute of Noise Control Engineering, July 2009, hingewiesen werden, aus denen ersichtlich ist, dass es international gesehen für Straßenverkehrslärm in Bezug auf Wohnanrainer ('residential/residential areas') in keinem der betrachteten Länder (mit Ausnahme der Niederlande) festgelegte Grenzwerte für Außenpegel gibt, die unter den in §6 Abs1 BStLärmIV festgelegten Werten für den zulässigen Immissionseintrag liegen.

Auch das weitere Vorbringen in Verbindung mit der Behauptung der Gesetzwidrigkeit des §6 Abs1 und 2 BStLärmIV wird aus folgenden Überlegungen zurückgewiesen:

Im Antrag des BVwG wird auf Seite 12 unter Bezugnahme auf Seite 3 des humanmedizinischen Gutachtens vom 13.8.2014 folgendes vorgebracht:

'Die Richtlinie des Arbeitsrings für Lärmbekämpfung (ÖAL) Nr 3, Blatt 1, Ausgabe vom 1.3.2008, über die Beurteilung von Schallimmissionen im Nachbarschaftsbereich, zitiert in ihren medizinischen Überlegungen die Aussage der 'Empfehlungen für die Verwendung medizinischer Begriffe im Rahmen umwelthygienischer Beurteilungsverfahren' (M. Haider et. al., Mitteilungen der Österr. Sanitätsverwaltung 85. Jhg [1984] H. 12), dass es sich bei der Belästigung um weitgehend subjektive Wahrnehmungsqualitäten handle. Unzumutbar sei eine Belästigung, wenn sie zu erheblichen Störungen des Wohlbefindens, zu funktionellen oder organischen Veränderungen führen könne[…], oder über das ortsübliche Ausmaß hinausgehe, wobei in diesem Fall auch die Widmung von Liegenschaften maßgebenden Vorschriften zu berücksichtigen seien. Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit seien zwar Rechtsbegriffe, wodurch eine Verwendung in der medizinischen Beurteilung nicht statthaft sei. In der angeführten Definition werde aber durch die nähere Beschreibung zum Ausdruck gebracht, dass in bestimmten Situationen, die jeweils in der Einzelbeurteilung zu beschreiben seien, Verhältnisse vorlägen, die aus medizinischer Sicht nicht akzeptabel erschienen.'

Das BVwG führt unter Bezugnahme auf diese Richtlinie weiter aus, dass es für die Beurteilung von Straßenlärm notwendig sei, eine Abwägung zwischen den Veränderungen der örtlichen Verhältnisse einerseits und den aus den Dosis-Wirkungsbeziehungen ableitbaren Effekten andererseits vorzunehmen. Bei Straßenbauprojekten in Österreich seien als Auslegungsgrenzwerte 55dB für die Tagzeit und 45dB für die Nachtzeit wiederholt zur Anwendung gekommen. Die sozialmedizinische Begründung finde sich in erster Linie in den Grenzwertempfehlungen der WHO für Gebiete mit ständiger Wohnnutzung.

In Bezug auf die vom BVwG zitierten Aussagen der Richtlinie des Arbeitsringes für Lärmbekämpfung (ÖAL) Nr 3, Blatt 1, dass bei einer Belästigung, die über das ortsübliche Ausmaß hinausgehe, 'auch die Widmung von Liegenschaften maßgebenden Vorschriften zu berücksichtigen seien' wird aus ho. Sicht folgendes angemerkt: Eine etwaige Abhängigkeit der Grenzwerte von der Flächenwidmung ist aus Sicht des Verordnungsgebers keinesfalls sinnvoll, weil es in Österreich neun verschiedene Raumordnungsgesetze gibt, die auch unterschiedlich bezeichnet sind, in Wien z.B Stadtentwicklungs- Stadtplanungs- und Baugesetzbuch. Diese Landesgesetze sind vom Umfang unterschiedlich gestaltet und enthalten unterschiedliche Festlegungen im Hinblick auf Flächenwidmungspläne bzw. Gebietsbezeichnungen (z.B. Wohngebiete, reine Wohngebiete, Dorfgebiete, allgemeine Wohngebiete, Kerngebiete), und verunmöglichen damit eine widerspruchsfreie und einheitliche Zuordnung von Grenzwerten zu den verschiedenen Widmungsklassen gem. ÖNORM S 5021-1. Zudem darf darauf hingewiesen werden, dass für die Frage, ob von einem Vorhaben unzumutbare Belästigungen ausgehen, die Widmung des Betriebsstandortes im Flächenwidmungsplan irrelevant ist (vgl. Schmelz/Schwarzer, UVP-G 2000, §17 Abs2 Z2 litc, Rz 142, mit Hinweisen auf die Judikatur, z.B. VwGH 21. 11. 2001, 98/04/0075).

Vom BVwG wird auch die ÖAL-Richtlinie Nr 6/18, Ausgabe 1.2.2011 wie folgt zitiert:

Die ÖAL-Richtlinie Nr 6/18, Ausgabe 1.2.2011, über die Wirkungen des Lärms auf den Menschen − Beurteilungshilfen für den Arzt − trifft in ihrem Kapitel 6 − Wirkungsbezogene Immissionsrichtwerte − die Aussage, dass neben der absoluten Höhe der Geräuschbelastung jedenfalls auch der Abstand zur gewohnten (ortsüblichen) Schallbelastung in ihrer Gesamtheit, insbesondere aber zum Basispegel zu berücksichtigen sei.

In Bezug auf den darin enthaltenen Hinweis, dass '…auch der Abstand zur gewohnten (ortsüblichen) Schallbelastung in ihrer Gesamtheit, insbesondere aber zum Basispegel zu berücksichtigen sei.' wird seitens des ho. Bundesministeriums folgendes angemerkt:

In der ÖAL-Richtlinie Nr 6/18, Ausgabe 1.2.2011 wird auf Seite 29 ausgeführt: 'Die Charakterisierung einer Immission durch den äquivalenten Dauerschallpegel allein reicht im Allgemeinen nur dann aus, wenn es sich um relativ konstante Geräusche handelt (fließender Straßenverkehrslärm, Ventilatoren, konstant laufende Maschinen, etc.). Neben der absoluten Höhe der Geräuschbelastung ist aber jedenfalls auch der Abstand zur gewohnten (ortsüblichen) Schallbelastung in ihrer Gesamtheit, insbesondere aber zum Basispegel zu berücksichtigen.' Es darf daher einleitend angemerkt werden, dass das BVwG das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen bzw. nicht vollständig wiedergegeben hat, da ausdrücklich der äquivalente Dauerschallpegel bei fließendem Straßenverkehrslärm als allein ausreichend für die Charakterisierung einer Immission angesehen wird. Die Anwendung eines Basispegels (Anmerkung: Der Basispegel ist der Schalldruckpegel, der zu 95 % des Beurteilungszeitraumes überschritten ist.) stellt bei Straßenverkehrslärm nicht den Stand der Technik dar und wird daher in der BStLärmIV auch nicht berücksichtigt. Die bei Straßenlärm den Stand der Technik darstellenden Beurteilungspegel bzw. Lärmindizes finden sich in der RVS Richtlinie 04.02.11 Lärmschutz der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße Schiene Verkehr und in der Umgebungslärmrichtlinie (Richtlinie 2002/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Juni 2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm). Der Verordnungsgeber konnte sich in diesem Zusammenhang auch an einer Rechtsprechung des VwGH zum Straßenbauvorhaben S10 Mühlviertler Schnellstraße vom 23.9.2010, 2009/06/0196 orientieren, wo zur Forderung des Beschwerdeführers in Bezug auf den Grundgeräuschpegel festgehalten wurde: 'Aus der aktuellen ÖAL-Richtlinie Nr 3 (Stand 1.3.2008) kann für Lärm aus dem Straßenverkehr ein bei der Lärmbeurteilung gefordertes Abstellen auf den Grundgeräuschpegel und dazu eintretende Überschreitungen durch hinzukommende Lärmimmissionen nicht abgeleitet werden.'

Das BVwG bringt weiter vor, dass im humanmedizinischen Gutachten vom 13.8.2014, Kap. 1.5., die Feststellung getroffen werde, dass die Definition von Ruhezonen nicht Gegenstand der BStLärmIV sei, sondern in einer Umgebungslärmrichtlinie vorgenommen werden sollte. Dies stelle nach Ansicht des ho. Gerichtes jedoch keine humanmedizinische Aussage dar und könne eine tragfähige Begründung für die 'gewählte Vorgangsweise' nicht ersetzen.

Zum Inhalt der Abs1 und 2 des §6 der BStLärmIV ('gewählte Vorgangsweise') hat das ho. Bundesministerium unter Punkt III.2 bereits ausführlich Stellung genommen. Zum konkreten Vorwurf das humanmedizinische Gutachten vom 13.8.2014 betreffend wird auf die beiliegende humanmedizinische Stellungnahme (ab Seite 7) verwiesen.

Generell wird vom ho. Bundesministerium darüber hinaus festgehalten, dass weder die UVP-RL 2011/92/EU noch die Umgebungslärm-RL 2002/49/EG spezifische, die Mitgliedstaaten bindende Lärmgrenzwerte statuieren. Ferner sind der UVP-RL keine Vorgaben hinsichtlich der im Einzelfall anzuwendenden Genehmigungskriterien zu entnehmen. Die Umgebungslärm-RL soll schon von ihrer Zielsetzung her keine konkreten Grenzwerte im Hinblick auf die Zulässigkeit bzw. Umweltverträglichkeit von Lärmimmissionen vorgeben. Die Umgebungslärm-RL kennt keine konkreten Grenzwerte oder ein Gebot der Gleichbehandlung von Straßen- und anderen Verkehrslärm. Vielmehr überlässt sie die Festlegung der konkreten Lärmgrenzwerte den Mitgliedstaaten (vgl. Univ.-Prof. Dr. Nicolas Raschauer in seinem Gutachten zur SchIV vom 18.5.2012, veröffentlicht auf der Homepage des BMVIT).

Das Bundes-Umgebungslärmschutzgesetz in Umsetzung der Umgebungslärm-RL 2002/49/EG sieht in §3 vor, dass im sog. 'Aktionsplan' gegebenenfalls auch Maßnahmen zum Schutz ruhiger Gebiete enthalten sein können. Die Erstellung von Aktionsplänen ist jedoch nicht Gegenstand in Verfahren betreffend Bundesstraßenneubau und sog. 'Ruhige Gebiete' bedürfen einer Ausweisung, für die keine Kompetenz des Bundes besteht.

Das Vorbringen des BVwG unter Punkt 2 seines Antrages (Seite 11ff) zur Gesetzwidrigkeit der Abs1 und 2 des §6 BSt[LärmIV] geht somit nach Ansicht des ho. Bundesministeriums ins Leere. Es darf in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen werden, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt die Verbindlichkeit von ÖAL-Richtlinien und Ö-Normen verneint hat (vgl. z.B VwGH vom 29. 8. 1995, 94/05/0232 mwH) und somit das BVwG schon allein aus diesem Grund mit seinem diesbezüglichen Vorbringen eine Gesetzwidrigkeit des §6 Abs1 und 2 BStLärmIV nicht darlegen konnte. Weiters steht dem Vorbringen des BVwG das der Verordnung zugrundeliegende humanmedizinische Gutachten entgegen, welchem vom BVwG nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten wurde.

 

III.3. Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit des Irrelevanzkriteriums in §6 Abs2 BStLärmIV

Zum Irrelevanzkriterium wird vom BVwG vorgebracht, dass sich dafür keine medizinische Begründung im Akt finde. Es wird aber eingeräumt, dass das humanmedizinische Gutachten ein eigenes Kapitel zum Irrelevanzkriterium enthalte, welches auszugsweise im Antrag des BVwG wiedergegeben wird (vgl. Seite 14f). Das BVwG führt weiter aus, dass nach der Literatur die Hörbarkeit eines Unterschiedes von 1 dB von der Art des Geräusches abhänge, dem der Hörende ausgesetzt sei. Eine Hörbarkeit werde bei der bloßen Erhöhung eines gleichmäßigen, breitbandigen Geräusches, wie dem einer Lüftungsanlage, tatsächlich nicht gegeben sein. Die Erhöhung des Dauerschallpegels einer Straße um 1dB bringe aber eine Änderung der Anzahl dieser Einzelereignisse von 26% mit sich, was sehr gut wahrnehmbar sein könne. In diesem Zusammenhang verweist das BVwG auf Beispiele in Ortscheid/Wende (siehe Beilage 2 zum Antrag). Weiters bringt das BVwG vor, dass in dieser Hinsicht das Gutachten keine medizinische Begründung für die Zulässigkeit des Irrelevanzkriteriums enthalte. Die Tatsache, dass die Verordnung die Verwendung dieses Kriteriums im Bereich der Gesundheitsgefährdung (Abs3) nicht mehr zulasse, zeige, dass es eine Wirkung der Erhöhung des Dauerschallpegels von 1 dB auf den Menschen geben müsse.

Die Behauptung, es gäbe keine medizinische Begründung zum Irrelevanzkriterium im Akt, wird zurückgewiesen, da sich das der Verordnung zugrundeliegende humanmedizinische Gutachten sehr wohl mit dem Irrelevanzkriterium auseinandersetzt und vom BVwG selbst zitiert wird. Es wird diesbezüglich auf das humanmedizinische Gutachten vom 19.6.2014 und auf die beiliegende humanmedizinische Stellungnahme (ab Seite 9) verwiesen, worin ausführlich zum Vorbringen des BVwG Stellung genommen wird.

Ergänzend zur humanmedizinischen Stellungnahme vom 5.3.2016 wird vom ho. Bundesministerium in Bezug auf das Irrelevanzkriterium in §6 Abs2 BStLärmIV folgendes festgehalten:

Zur Behauptung des BVwG, dass 'die Erhöhung des Dauerschallpegels einer Straße, der sich aus vielen Einzelereignissen zusammensetzt, um 1 dB aber eine Änderung der Einzelereignisse von 26% mit sich bringt, was sehr gut wahrnehmbar sein kann' wird erwidert, dass Vorbeifahrten von Kraftfahrzeugen für sich genommen zwar Einzelereignisse sind, dass diese Vorbeifahrten im Straßenverkehr aber in kurzen Abständen folgen, sodass diese als weitgehend gleichbleibendes Geräusch wahrgenommen werden. Nachdem das Irrelevanzkriterium gemäß den Bestimmungen der BStLärmIV immer nur beim Vergleich der Straßenverkehrslärmimmissionen im Maßnahmenplanfall mit jenen im Nullplanfallfall zur Anwendung kommen kann, d.h. es wird nur Straßenverkehrslärm miteinander verglichen, ist gewährleistet, dass die Voraussetzung für das Irrelevanzkriterium − eine unveränderte Geräuschcharakteristik bzw. Geräuschqualität − vorliegt. Zudem wird im Zusammenhang mit der Festlegung eines Irrelevanzkriteriums auch auf das im Gutachten von ***** ** ***, 'Bewertung und Auswirkungen von unzumutbaren Belästigungen durch Fluglärm. Ergänzte und korrigierte Fassung', 2011 (siehe https://www.bmvit.gv.at/verkehr/luftfahrt/flughaefen/downloads/Fluglaerm2011.pdf ) hingewiesen, das auch im humanmedizinischen Gutachten vom 19.6.2014 und in der humanmedizinischen Stellungnahme vom 5.3.2016 zitiert wird. In diesem Gutachten wird von ***** ** *** unter Punkt 5.2. ein Irrelevanzkriterium von 1 dB empfohlen, das in besonderen Fällen auch auf 2 dB angehoben werden kann. Laut den Ausführungen in diesem Gutachten bedeutet eine Erhöhung um 1 dB eine Vermehrung der Flugereignisse (Einzelereignisse) um 26%, eine Erhöhung um 2 dB eine Vermehrung um 58%. Der vom BVwG zitierte Artikel 'Sind 3 dB wahrnehmbar?' von Ortscheid/Wende setzt sich kritisch mit der deutschen Behördenpraxis auseinander, straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen erst zu ergreifen, wenn diese Pegelreduktionen von mindestens 3 dB erwirken. Argumentiert wird diese Praxis damit, dass Pegelreduktionen von weniger als 3 dB nicht wahrnehmbar seien. Dieser Artikel ist daher thematisch nicht auf die Bestimmung zum Irrelevanzkriterium von 1,0 dB in §6 Abs2 BStLärmIV übertragbar. In diesem Artikel wird die deutsche Behördenpraxis anhand von Beispielen, in denen die Wirkung von Schallschutzmaßnahmen beschrieben wird, hinterfragt. Die in den Beispielen angeführten Pegelreduktionen infolge von Schallschutzmaßnahmen betragen etwa -1 bis -4,5 dB. Im Zusammenhang mit einer Studie in Magdeburg wird beispielsweise im Artikel die Feststellung getroffen, dass Pegelminderungen oberhalb von 0,5 dB eine spürbare Verringerung der erlebten Lärmbelästigung der Anlieger zur Folge haben sollen. Nach Durchsicht dieser Studie ist diese Feststellung aus ho. Sicht weder belegt noch ableitbar. Es liegt aus ho. Sicht die Vermutung nahe, dass im gegenständlichen Artikel die persönliche Meinung der Autoren vertreten wird, da Studien nur auszugsweise, selektiv und auch teilweise nicht nachvollziehbar zitiert werden.

Die Behauptung des BVwG, dass 'die Erhöhung des Dauerschallpegels einer Straße, der sich aus vielen Einzelereignissen zusammensetzt, um 1 dB (bringt eine Änderung der Einzelereignisse von 26% mit sich) sehr gut wahrnehmbar sein kann' ist daher aus Sicht des ho. Bundesministeriums nicht nachvollziehbar und kann auch nicht aus den in Ortscheid/Wende zitierten Beispielen abgeleitet werden.

Zu der auf Seite 16 des do. Antrages behaupteten Widersprüchlichkeit im humanmedizinischen Gutachten darf ebenfalls auf die humanmedizinische Stellungnahme verwiesen werden, wo unter Punkt 4. dahingehend dazu Stellung genommen wird, dass es sich um einen Schreibfehler handelt.

Grundsätzlich sind nach Rechtsprechung, Literatur und Praxis bei der Beurteilung der Auswirkungen eines Vorhabens Irrelevanzkriterien zu berücksichtigen. Die Diskussion dazu wurde in den vergangenen Jahren insbesondere zum Thema Luftschadstoffe geführt und ist auch unter dem Begriff 'Schwellenwertkonzept' bekannt. Das Thema ist aber nicht auf Luftschadstoffe begrenzt und in Wahrheit altbekannt. Beispielsweise gilt bei Schallimmissionen seit jeher eine Zunahme des A-bewerteten Dauerschallpegels von bis zu 1 dB (in ma[n]chen Zusammenhängen, wie z.B. bei Schienenverkehrslärm bis zu 2 dB) als irrelevant (vgl. Schmelz/Schwarzer, UVP-G 2000, zu §17 Abs2 Z2 litc, Rz 149). Wie Schmelz/Schwarzer weiter ausführen, sind die anerkannten, auf dem sog 'Schwellenwertkonzept' beruhenden Irrelevanzschwellen einerseits für die Abgrenzung des Untersuchungsraums und für die EFP (Einzelfallprüfung) von Bedeutung, andererseits aber auch für die UVP-Genehmigung heranzuziehen. Unter der Irrelevanzschwelle liegende Zusatzbelastungen sind keinesfalls erheblich. Zudem ist nach dem Schwellenwertkonzept die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens trotz Überschreitung der Immissionsgrenzwerte dann gegeben, wenn die vorhabensbedingte Zusatzbelastung irrelevant ist. Das Prinzip der Irrelevanz ist im österreichischen Recht zum Teil explizit verankert – vgl. §20 Abs3 IG-L, §5 Abs2 Z3 EG-K oder §77 Abs3 GewO–, gilt aber im Hinblick auf den bloß klarstellenden Charakter dieser Regelungen auch dort, wo dies nicht der Fall ist (mit Hinweis auf VwGH 25. 06. 2008, 2005/04/0182 u.w.); vgl. Schmelz/Schwarzer, UVP-G 2000, zu §17 Abs2 Z2 litc, Rz 152).

Der Verordnungsgeber wollte mit der expliziten Festlegung eines Irrelevanzkriteriums in §6 Abs2 BStLärmIV für Anrainer und Projektwerber Rechtssicherheit schaffen und hat sich dabei an die derzeitige Beurteilungspraxis bei Bundesstraßenbauvorhaben angelehnt (siehe die der BStLärmIV zugrundeliegende schalltechnische Stellungnahme vom 25.6.2014, Punkt 2 (*****************)). Die Anwendung eines Irrelevanzkriteriums in Höhe von 1,0 dB durch den humanmedizinischen Sachverständigen bei der Begutachtung vorhabensbedingter Lärmimmissionen stellt die gängige Praxis in UVP-Verfahren für Bundesstraßen in Österreich dar (z.B. A26 Linzer Autobahn, A5 Nordautobahn, S7 Fürstenfelder Schnellstraße, S10 Mühlviertler Schnellstraße, HASt Hagenau, ASt Eberstalzell, ASt Neusiedl am See/ Gewerbepark, ASt Klaus, ASt Herzogenburg Mitte). Auch bei Landesstraßenprojekten stellt die Anwendung eines Irrelevanzkriteriums von 1 dB die gängige Praxis dar (z. B. B78 Umfahrung Bad St. Leonhard, Variantenuntersuchung B100 Berg Ost – Dellach West, B 137 Grieskirchen (Spurzulegung), B 309 Steyr, B 50 Umfahrung Schützen, B 61a, Oberpullendorf − Staatsgrenze Rattersdorf, B 68, Fladnitz – Saaz, L 118 im Bereich der HASt Hagenau, Eisenbahnkreuzung Vigaun – Straßenprojekt, Wien: Hauptstraße HB 14 – Seitenhafenstraße, Straßenbauvorhaben Wien Hauptbahnhof).

Die Anwendung des Irrelevanzkriteriums in Höhe von 1,0 dB stellt in Österreich bei Straßenbauvorhaben den Stand der Technik dar und ist auch in Leitfäden verankert, wie z.B im Leitfaden Straßenlärm, BAFU ASTRA, 2006. Zudem wird angemerkt, dass das in §6 Abs2 BStLärmIV festgelegte Irrelevanzkriterium in der Höhe von 1,0 dB im Rahmen der Begutachtung des Verordnungsentwurfes von keiner Institution, die eine Stellungnahme zum Entwurf abgegeben hat, in Frage gestellt wurde.

Dem Einwand des BVwG, dass im Bereich der Gesundheitsgefährdung die Verwendung dieses Kriteriums nicht mehr zulässig ist, steht der Wortlaut des §6 Abs3 BStLärmIV entgegen. Die vorhabensbedingte Immissionszunahme obliegt im Bereich der Gesundheitsgefährdung der humanmedizinischen Einzelfallprüfung und ist jedenfalls mit 1,0 dB begrenzt. In diesem Zusammenhang wird auf die humanmedizinische Stellungnahme vom 5.3.2016 verwiesen. Aus den dargelegten Gründen konnte das BVwG eine Gesetzwidrigkeit des Irrelevanzkriteriums nicht darlegen. Weiters steht dem Vorbringen des BVwG das der Verordnung zugrundeliegende humanmedizinische Gutachten entgegen, welchem vom BVwG nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten wurde.

 

III.4. Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit der Grenzwerte und der Einzelfallbeurteilung in §6 Abs3 und 4 BStLärmIV

Das BVwG bringt vor, dass in Abs3 leg. cit. Grenzwerte für die Beurteilung der Gesundheitsgefährdung von Nachbarn durch Straßenverkehrslärm festgelegt werden. Bei einer Überschreitung dieser Immissionsgrenzwerte sind vorhabensbedingte Immissionserhöhungen aus dem Straßenverkehr im Einzelfall zu beurteilen. Der Verordnung sei allerdings kein Kriterium für die Abgrenzung des Untersuchungsraumes zu entnehmen. Damit wäre jede durch das Vorhaben verursachte Immissionserhöhung auf Strecken, die von Zulaufverkehr betroffen seien und wo die Grenzwerte bereits überschritten sind, unabhängig davon, wo sie auftrete, im Einzelfall zu beurteilen. Wäre bspw. davon auszugehen, dass aufgrund des Bestehens des Vorhabens wenige Fahrzeuge täglich zusätzlich auf einer Autobahnzulaufstrecke irgendwo in Österreich, also weit entfernt vom Vorhaben selbst, verkehren würden und dass dies zu einer − wenn auch noch so geringen − Immissionszunahme führe, so müsste auch diese Erhöhung im Einzelfall sachverständig beurteilt werden. Dies wäre in einem Genehmigungsverfahren nicht zu bewältigen und würde zu einer Unvollziehbarkeit und damit Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmung führen. Diese Bedenken würden auch auf die Einzelfallbeurteilung nach Abs4 zutreffen. Zu beiden Absätzen sei zu bedenken, dass der Begriff der 'Nachbarn' und der 'benachbarten Betriebe' zu keiner sinnvollen Eingrenzung des Untersuchungsraumes führe, da gemäß dem nach §2 BStLärmlV anwendbaren Nachbarbegriff des §19 Abs1 Z1 UVP-G 2000 als Nachbarn Personen anzusprechen seien, die durch den Betrieb oder den Bestand des Vorhabens gefährdet oder belästigt werden können. Dies könne auch auf Personen auf 'Zulaufstrecken', wo immer diese gelegen sind, zutreffen.

Zu den Absätzen 3 und 4 des §6 BStLärmIV ist festzuhalten, dass darin keine Festlegung des Untersuchungsraumes getroffen wurde. Unter der Überschrift 'Grenzwerte' regelt §6 leg. cit. eben diese und nicht den Untersuchungsraum. Wie unter Punkt II. c) der ho. Äußerung ausführlich dargelegt wurde, enthält die gegenständliche Verordnung keine Bestimmung bezüglich der Festlegung des Untersuchungsraumes. Für Arbeitnehmer benachbarter Betriebe und Inhaber von Einrichtungen, in denen sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen, sind der zulässige vorhabensbedingte Immissionseintrag und die Immissionsgrenzwerte im Einzelfall festzulegen. Ebenso obliegt im Bereich der Gesundheitsgefährdung (§6 Abs3 leg. cit.) die vorhabensbedingte Immissionszunahme der humanmedizinischen Einzelfallprüfung. Personen, welche sich außerhalb des Untersuchungsraumes befinden, erfahren keine dem Vorhaben zuordenbaren Auswirkungen durch Lärm und werden daher auch nicht beurteilt.

Aus ho. Sicht sind daher die Bedenken des BVwG, wonach der Untersuchungsraum aufgrund der in §6 Abs3 und 4 BStLärmlV vorgesehenen Einzelfallprüfung nicht abgrenzbar ist, und daher eine Nichtvollziehbarkeit und damit Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmungen vorliegen soll, nicht nachvollziehbar.

 

IV. Aus diesen Gründen konnte das antragstellende Gericht die Rechtswidrigkeit des §6 Abs1 bis 4 nicht schlüssig und nachvollziehbar darlegen.

Weiters steht dem Vorbringen des BVwG das der Verordnung zugrundeliegende humanmedizinische Gutachten vom 19.6.2014 entgegen, welchem vom BVwG nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten wurde. Unter Berücksichtigung der humanmedizinische Stellungahme von ************* **** **** **** ***** und *************** *** ****** ********* vom 5.3.2016, die der gegenständlichen Äußerung als Beilage angeschlossen wird, kommt der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie zum Ergebnis, dass die Absätze 1 bis 4 des §6 BStLärmIV nicht gesetzwidrig sind. Im Hinblick auf den Eventualantrag des antragstellenden Gerichtes wird festgehalten, dass das in §6 Abs2 BStLärmIV festgelegte Irrelevanzkriterium keine Gesetzwidrigkeit des §6 Abs2 BStLärmIV bewirkt und auch die Absätze 3 und 4 nicht als gesetzwidrig aufzuheben wären.

Insgesamt ist das ho. Bundesministerium der Ansicht, dass mit der bestehenden BStLärmIV und mit seinem §6 eine wohl fundierte, zweckmäßige und ausgewogene Regelung im Rahmen des Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers und im Sinne des Gesetzes gefunden wurde." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen).

4. Das Bundesverwaltungsgericht erstattete eine Gegenäußerung, in der es ausführt, dass die Annahme, eine "Pegeländerung von bis zu 1 dB sei von Menschen nicht oder kaum wahrzunehmen", nur für hintereinander abgespielte Sinustöne gelte, aber nicht für die Wirkung des Straßenverkehrslärms über einen längeren Zeitraum. Völlig außer Acht gelassen werde, dass Pegeländerungen im gleichen Ausmaß im unteren Bereich nicht die gleiche Wirkung hätten wie im oberen. Ein allgemein geltendes Irrelevanzkriterium von 1 dB bedürfe zumindest einer ausführlichen und nachvollziehbaren und damit tragfähigen humanmedizinischen Begründung, um einen gesetzmäßigen Schutz der Nachbarn vor unzumutbarer Gesundheitsgefährdung sicherzustellen.

5. In der dagegen vorgelegten Replik hält der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie fest, dass sich der Fachartikel nicht auf die BStLärmIV beziehe. Entgegen dem Vorbringen des Bundesverwaltungsgerichtes bestätige der Artikel, dass ein solches Irrelevanzkriterium auch bei Straßenverkehrslärm seine Berechtigung habe. Gemäß den Bestimmungen in §6 Abs3 BStLärmIV sei bei Überschreitung des Immissionsgrenzwertes von 55 dB im Zeitraum Nacht eine Einzelfallbeurteilung durch den humanmedizinischen Sachverständigen durchzuführen. Die Anwendung eines Irrelevanzkriteriums von 1,0 dB bei Immissionen über 61 dB im Zeitraum Nacht sei dort nicht festgelegt. Die diesbezügliche Argumentation des Bundesverwaltungsgerichtes gehe daher ins Leere. Im unteren Pegelbereich sei gemäß den Bestimmungen in §6 Abs1 BStLärmIV bei vorhabensbedingten Immissionserhöhungen aus dem Straßenverkehr der zulässige vorhabensbedingte, vom Verkehr auf der Bundesstraßentrasse ausgehende Immissionseintrag bis zum Erreichen eines Immissionsgrenzwertes gemäß §6 Abs2 BStLärmIV im Zeitraum Nacht mit 45 dB begrenzt. Es sei daher für den im Fachartikel beispielhaft angesprochenen Pegel von 45 dB kein Irrelevanzkriterium von 1,0 dB in der BStLärmIV festgelegt. Auch hier gehe die Argumentation daher ins Leere. Es werde sohin klargestellt, dass in der BStLärmIV kein allgemein geltendes Irrelevanzkriterium festgelegt worden sei, sondern nur in §6 Abs2 BStLärmIV im Bereich der Zumutbarkeit einer Belästigung. Diesbezüglich werde auf das der Verordnung zugrunde liegende humanmedizinische Gutachten sowie auf die im Verfahren vorgelegte humanmedizinische Stellungnahme verwiesen.

6. Mehrere der beteiligten Parteien haben Äußerungen bzw. Gegenäußerungen zum Gegenstand erstattet.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw. des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Prüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Aus dieser Grundposition folgt, dass im Verordnungsprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Dagegen macht eine zu weite Fassung des Antrages diesen, soweit die Präjudizialität für den gesamten Antrag gegeben ist, nicht zur Gänze unzulässig, sondern führt, ist der Antrag in der Sache begründet, im Falle der Aufhebung nur eines Teiles der angefochtenen Bestimmungen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl. für Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg 16.989/2003 mwN, 19.684/2012 und 19.746/2013).

1.3. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie zieht in seiner Äußerung die Präjudizialität des §6 BStLärmIV mit der Begründung in Zweifel, die Aufhebung der angefochtenen Verordnungsbestimmungen würde zu keiner anderen Beurteilung in dem dem Antrag zugrunde liegenden UVP-Verfahren führen, zumal die Beurteilung der zulässigen Immissionen bzw. Immissionserhöhungen auf der Grundlage von im Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten zu demselben Ergebnis, nämlich zur Zulässigkeit der jeweiligen Grenzwerte, führen würde. Mit derselben Begründung hält der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie den Antrag auch deshalb für unzulässig, weil die geltend gemachte Gesetzwidrigkeit durch Aufhebung der mit dem Haupt- bzw. Eventualantrag bekämpften Bestimmungen der Verordnung nicht beseitigt werden könnte.

1.4. Mit diesem Vorbringen hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie nicht dargetan, dass das Bundesverwaltungsgericht die angefochtenen Verordnungsbestimmungen im Verfahren über das vorliegende Bundesstraßenbauvorhaben nicht anzuwenden hätte. Dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht liegt die Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie zugrunde, mit dem (u.a.) gemäß §24f UVP‑G 2000 iVm §4 Abs1 BStG 1971 das Bundesstraßenbauvorhaben genehmigt und der Straßenverlauf bestimmt wurde. Gemäß §1 BStLärmIV gilt die Verordnung für betriebsbedingte (und baubedingte) Schallimmissionen von Bundesstraßenvorhaben, welche gemäß §4 Abs1 BStG 1971 zu genehmigen sind. Der Bescheid stellt ausdrücklich fest, dass "die BStLärmIV auf das gegenständliche Bundesstraßenbauvorhaben anzuwenden" sei. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher zutreffender Weise davon aus, dass §6 Abs1 bis 4 BStLärmIV vom Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie (unter Verweis auf die dem Projekt zugrundeliegende Evaluierung der in der Betriebsphase zu erwartenden Lärmemissionen bzw. -immissionen) angewendet wurde und auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuwenden ist. Auch sonst ist nichts hervorgekommen, was an der Präjudizialität des §6 Abs1 bis 4 BStLärmIV zweifeln ließe.

1.5. Der Verfassungsgerichtshof hat im Verfahren gemäß Art139 B‑VG ausschließlich die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung(sbestimmungen) zu beurteilen. Dem steht nicht entgegen, wenn ein allfälliger Abschluss des Normenprüfungsverfahrens im Sinne des Antrages kein anderes Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Anlassfall bewirken würde. Die Wirkung eines Normenprüfungsverfahrens auf das Anlassverfahren ist nämlich ohne Bedeutung für die Präjudizialität (vgl. VfSlg 4469/1963, 15.436/1999).

1.6. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Hauptantrag als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl. VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht hält einleitend fest, der Verfassungsgerichtshof habe im Bereich der Raumordnung in dauernder Judikatur ausgesprochen, dass der Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen dann besondere Bedeutung zukomme, wenn das Gesetz die vom Verordnungsgeber zu erlassenden Planungsnormen nur final, d.h. im Hinblick auf bestimmte zu erreichende Planungsziele determiniert, und zwar unabhängig davon, ob das Gesetz eine bestimmte Vorgangsweise zur Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage vorsehe oder nicht (vgl. VfSlg 19.760/2013 mwN). Zweifellos komme auch im Fall der angefochtenen Verordnung, für die die gesetzlichen Grundlagen nur das Ziel determinieren, Schutz vor Gefährdung und Belästigung sicherzustellen, der Erarbeitung entsprechender aktueller Grundlagen ausschlaggebende Bedeutung zu.

2.3.1. Gegen die Gesetzmäßigkeit des §6 Abs1 und 2 BStLärmIV bringt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen vor, das der Verordnung zugrunde liegende Material untermauere nicht die getroffene Entscheidung, die Zumutbarkeit der Belästigung und damit die Gewährung objektseitiger Schallschutzmaßnahmen (bei wirtschaftlicher Unzumutbarkeit von aktiven Lärmschutzmaßnahmen) ausschließlich von fixen Grenzwerten abhängig zu machen.

Aus zwei Richtlinien des Arbeitsrings für Lärmbekämpfung ergebe sich, dass vor allem im Pegelbereich der ruhigen Widmungskategorien bei der Beurteilung eine Abwägung zwischen den Veränderungen der örtlichen Verhältnisse einerseits und den aus den Dosis-Wirkungsbeziehungen ableitbaren Effekten andererseits vorzunehmen sei, wobei in Österreich in Straßenbauprojekten wiederholt als Auslegungswerte 55 dB für die Tagzeit und 45 dB für die Nachtzeit zur Anwendung gekommen seien. Neben der absoluten Höhe der Geräuschbelastung sei jedenfalls auch der Abstand zur gewohnten (ortsüblichen) Schallbelastung zu berücksichtigen. Der Verordnungsakt enthalte jedoch keine Begründung dafür, dass gemäß §6 Abs1 BStLärmIV ein Grenzwert unabhängig von der Vorbelastung festgelegt werde, und zwar auch für Fälle, in denen diese sehr viel niedriger als der Lärmeintrag durch das Vorhaben sei. Es komme daher zu einer automatischen "Auffüllung" bis zu den festgelegten Werten. Der Verordnung fehle es insoweit an einer tragfähigen Grundlage.

2.3.2. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hält dem entgegen, dass durch die Verordnung einerseits verbindlich festgelegte Grenzwerte im Sinne einer Immissionsschutzvorschrift gemäß UVP-G 2000 sowie aus Gründen der Rechtssicherheit für Anrainer und Projektwerber geschaffen werden sollten. Andererseits werde die Zumutbarkeit einer Belästigung nicht ausschließlich von fixen Grenzwerten abhängig gemacht. Die Grenze für die Zumutbarkeit einer Belästigung stehe sehr wohl mit den Immissionen im Nullplanfall in Zusammenhang. Mit Ausnahme der Niederlande gebe es auch international gesehen in keinem der betrachteten Länder Grenzwerte, die unter den in §6 Abs1 BStLärmIV festgelegten Werten für den zulässigen Immissionseintrag lägen. Eine Abhängigkeit der Grenzwerte von der Flächenwidmung sei aus Sicht des Verordnungsgebers auf Grund der föderalen Struktur nicht sinnvoll, "Ruhige Gebiete" iSd Bundes-Umgebungslärmschutzgesetzes bedürften einer Ausweisung, für die keine Kompetenz des Bundes bestehe.

2.3.3. Nach §7 Abs1 BStG 1971 ist bei Planung, Bau und Erhaltung von Bundesstraßen auch auf die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs sowie auf die Umweltverträglichkeit Bedacht zu nehmen. §7 Abs2 BStG 1971 ermächtigt den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie, die für die Planung, den Bau und die Erhaltung der Bundesstraßen erforderlichen Verordnungen und Dienstanweisungen zu erlassen; weitere gesetzliche Ermächtigungen normiert Abs7 leg.cit. Weiters können nach §7a Abs5 BStG 1971 in einer solchen Verordnung insbesondere der Anwendungsbereich, die Ermittlungsmethoden, Schwellen- und Grenzwerte, ein Beurteilungsmaßstab, Umfang und Dauer des Anspruchs auf Maßnahmen zum Schutz vor Immissionen und die Art der Festlegung und der Durchführung von Maßnahmen geregelt werden. Die BStLärmIV stützt sich sohin auf §§7 und 7a Abs5 BStG 1971 und ist einem Verfahren nach §4 Abs1 und §4a BStG 1971 zugrunde zu legen (vgl. auch RV 1347 BlgNR 25. GP ); sie ist zudem eine besondere Immissionsschutzvorschrift im Sinne des §24f Abs2 UVP-G 2000 und damit Voraussetzung für die Beurteilung einer Gefährdung iSd Abs1 Z2 lita leg.cit. und die Zumutbarkeit einer Belästigung iSd Abs1 Z2 litc leg.cit.

2.3.4. Vor Erlassung einer Verordnung gemäß §7 Abs2 BStG 1971 hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie ausreichende Erhebungen zur Ermittlung geeigneter Grenzwerte vorzunehmen, um eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung zu gewährleisten (vgl. VfSlg 11.972/1989, 17.161/2004). Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Grundlagenforschung im Raumordnungsrecht, auf die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Antrag verweist, ist im Hinblick auf die im vorliegenden Fall einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen des BStG 1971 nicht übertragbar.

2.3.5. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat vor Erlassung der BStLärmIV ein Begutachtungsverfahren durchgeführt und begründet die Festlegung der Grenzwerte in §6 Abs1 und 2 BStLärmIV in den Erläuterungen zum Verordnungsentwurf wie folgt:

"Zu §6 Abs1:

Die Begrenzungen der vorhabensbedingten Immissionen, ausgehend vom Verkehr auf der Bundesstraßentrasse, dienen der Vorsorge und dem Schutz von Gebieten mit geringer Vorbelastung. Die Begrenzungen der Immissionseinträge für den Lden und den Lnight gelten so lange, bis vorhabensbedingt die Immissionsgrenzwerte gemäß §6 Abs2 für die Beurteilung unzumutbarer Belästigungen erreicht werden. Erreichen oder überschreiten die Immissionen aus dem Straßenverkehr bereits im Nullplanfall (Ist-Zustand zum Prognosezeitpunkt ohne das Vorhaben) die Immissionsgrenzwerte gemäß §6 Abs2, so kommen die Regelungen gemäß §6 Abs2 zur Anwendung.

Um eine fundierte Entscheidungsgrunde für die Festlegung der Grenzwerte zu erlangen, wurde ein humanmedizinisches Gutachten eingeholt. Die in §6 Abs1 festgelegten Werte für den zulässigen Immissionseintrag beruhen auf der humanmedizinischen Expertise. Diese Werte finden sich auch als Planungswerte in der Schweizer Lärmschutz-Verordnung (LSV) vom 15. Dezember 1986 (Stand am 1. August 2010).

Zu §6 Abs2:

Hier werden Immissionsgrenzwerte für die Beurteilung unzumutbarer Belästigungen durch Straßenverkehrslärm festgelegt. Die Immissionsgrenzwerte beziehen sich auf die Gesamtimmissionen aus dem Straßenverkehr, die auch die vorhabensbedingten Straßenverkehrslärmimmissionen beinhalten. Die Immissionsgrenzwerte gelten auch dann als eingehalten, wenn die vorhabensbedingten Immissionserhöhungen, bezogen auf die Immissionen im Nullplanfall (Ist-Zustand zum Prognosezeitpunkt ohne das Vorhaben), irrelevant sind. Im Bereich von 60,0 dB < Lden ≤ 65,0 dB sowie im Bereich von 50,0 dB < Lnight ≤ 55,0 dB sind vorhabensbedingte Immissionserhöhungen von bis zu 1,0 dB irrelevant.

Die in §6 Abs2 festgelegten Werte als Grenzwerte zur Beurteilung der unzumutbaren Belästigung beruhen auf der humanmedizinischen Expertise. Diese Werte finden sich unter anderem auch in der Bundes-Umgebungslärmverordnung, BGBl II Nr 144/2006, in der Verordnung des bmvit über Lärmimmissionsschutzmaßnahmen im Bereich des Luftverkehrs, BGBl II Nr 364/2012 (LuLärmIV), in der Dienstanweisung – Lärmschutz an bestehenden Bundesstraßen (Autobahnen und Schnellstraßen) des bmvit (Fassung Jänner 2011), in den Lärmschutzrichtlinen der Bundesländer und in der Schweizer Lärmschutz-Verordnung (LSV)."

2.3.6. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie stützt die jeweiligen Grenzwerte für den zulässigen vorhabensbedingten Immissionseintrag bzw. für die Beurteilung unzumutbarer Belästigungen von Nachbarn auf ein humanmedizinisches Gutachten zweier Sachverständiger, das sich einerseits mit dem bestehenden wissenschaftlichen Schrifttum, andererseits mit einem ebenfalls im Verordnungserlassungsverfahren eingeholten schalltechnischen Konzept eines Ziviltechniker-Büros auseinandersetzt. Des Weiteren wurde eine schalltechnische Stellungnahme des Ziviltechniker-Büros eingeholt, in der einzelne Regelungsvarianten vergleichend gegenüber gestellt und die Vor- und Nachteile der jeweiligen Modelle dargelegt werden. In Ergänzung ihres Gutachtens wurde von Seiten der Sachverständigen am 13. August 2014 eine weitere humanmedizinische Stellungnahme zu Einwänden betreffend den Verordnungsentwurf abgegeben.

Die Sachverständigen haben sich bei der Erstattung des humanmedizinischen Gutachtens bzw. ihrer ergänzenden Stellungnahme mit den (auch in den im hg. Verfahren abgegebenen Äußerungen meist übereinstimmend zitierten) einschlägigen internationalen Empfehlungen und der bestehenden Literatur hinreichend auseinandergesetzt und kommen nachvollziehbar zu dem Schluss, dass die nunmehr in §6 BStLärmIV enthaltenen Grenzwerte auch im internationalen Vergleich eine Entsprechung finden. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, dass die vom Bundesminister eingeholten Gutachten derart mangelhaft wären, dass sie die Gesetzwidrigkeit der BStLärmIV begründen würden. Dem steht auch nicht entgegen, dass verschiedene Studien aus präventivmedizinischer Sicht die Einhaltung geringerer Werte empfehlen.

2.3.7. Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie legt unter Verweis auf die im Verfahren vorgelegten Stellungnahmen der humanmedizinischen Gutachter nachvollziehbar die Abwägungen dar, die der Abstufung der Grenzwerte in §6 Abs1 bis 3 BStLärmIV zugrunde liegen, wobei eine Differenzierung zwischen Wohngebieten mit geringem Umgebungslärm im Nullplanfall und Gebieten, die bereits störenden Vorbelastungen ausgesetzt sind, in §6 Abs1, Abs2 bzw. Abs3 BStLärmIV vorgenommen wird.

2.3.8. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits festgehalten hat, bestehen gerade in der Frage der gesundheitlichen Auswirkungen von Lärm unterschiedliche Auffassungen (vgl. VfSlg 18.322/2007). Wenngleich dem Bundesverwaltungsgericht ein System von differenzierteren Grenzwerten für den Schutz der Nachbarn vor Belästigungen wünschenswert erscheinen mag, liegt es doch innerhalb des vom Gesetzgeber eingeräumten Spielraumes des Bundesministers als oberstem Organ der Bundesstraßenverwaltung, eine Abwägung zwischen Interessen der Nachbarn, des Gesundheitsschutzes und der Verkehrserfordernisse zu treffen und als Grundlage für die Beurteilung der Kriterien für die Gewichtung dieser Interessen eine generelle Norm vorzusehen, die ein System anordnet, wonach von näher festgelegten Grenzwerten auszugehen ist. Diese Grenzwerte stellen Mindeststandards dar; ob und inwieweit lärmschutztechnische Maßnahmen geboten sind, ist im Genehmigungsverfahren zu entscheiden (vgl. VfSlg 18.322/2007).

2.3.9. Der Verfassungsgerichtshof kann daher nicht finden, dass die angefochtenen Regelungen vor dem Hintergrund der vorgebrachten Bedenken gesetzwidrig wären.

2.4. Gegen §6 Abs2 letzter Satz ("Irrelevanzkriterium") bringt das Bundesverwaltungsgericht vor, das humanmedizinische Gutachten enthalte keine medizinische Begründung für die Zulässigkeit des Irrelevanzkriteriums. Nach der Literatur hänge die Hörbarkeit eines Unterschiedes von 1 dB von der Art des Geräusches ab, dem der Hörende ausgesetzt ist. Während eine Hörbarkeit bei der bloßen Erhöhung eines gleichmäßigen breitbandigen Geräusches tatsächlich nicht gegeben sein werde, bringe die Erhöhung des Dauerschallpegels einer Straße, der sich aus vielen Einzelereignissen zusammensetze, um 1 dB eine Änderung der Anzahl der Einzelereignisse von 26% mit sich, was sehr gut wahrnehmbar sein könne. Auch die Tatsache, dass die Verordnung die Verwendung dieses Kriteriums im Bereich der Gesundheitsgefährdung (§6 Abs3 BStLärmIV) nicht mehr zulasse, zeige, dass es eine Wirkung der Erhöhung des Dauerschallpegels um 1 dB geben müsse.

2.4.1. Aus dem der Verordnung zugrunde liegenden humanmedizinischen Gutachten ist abzuleiten, dass Menschen bei zunehmender Dauer der Lärmeinwirkung unterschiedlich auf zunehmende Belästigungen reagieren. Eine Unterschiedsschwelle von 1 dB sei für sehr geübte Personen gerade wahrnehmbar. Im mittleren Bereich des Immissionseintrages im Nullplanfall wird daher von den Gutachtern die Erhöhung des Lärmeintrages im Ausmaß von 1 dB aus humanmedizinischer Sicht als akzeptabel beurteilt.

2.4.2. Dem Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie ist nicht entgegenzutreten, wenn er bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Belästigung durch den im Zuge eines Straßenbauvorhabens entstehenden Lärm davon ausgeht, dass eine Erhöhung im Ausmaß von 1 dB hingenommen werden kann. Entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes wird damit nicht ausgedrückt, dass die Erhöhung nicht wahrnehmbar wäre oder keine Auswirkungen hätte. Vielmehr nimmt der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie gerade auf die Auswirkung einer Erhöhung von 1 dB Bedacht, wenn er im Bereich der Beurteilung einer möglichen Gesundheitsgefährdung eine Erhöhung von 1 dB nicht grundsätzlich zulässt (vgl. §6 Abs3 BStLärmIV, gegen den vom Bundesverwaltungsgericht insoweit keine Bedenken erhoben werden), sondern eine Beurteilung der Gesundheitsgefährdung im Einzelfall fordert (s. dazu Pkt. 2.6.).

2.5. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die humanmedizinische Beurteilung der festgelegten Grenzwerte einer regelmäßigen Überprüfung zu unterziehen ist und die Höchstwerte nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft erforderlichenfalls eine Anpassung erfahren müssen. Bei wesentlichen Änderungen in den für die Verordnungserlassung ausschlaggebenden tatsächlichen Verhältnissen wird eine Verordnung rechtswidrig. Deshalb obliegt es dem Verordnungsgeber, sich in angemessenen Zeitabständen vom Weiterbestehen der tatsächlichen Verordnungsgrundlagen zu überzeugen, um die Verordnung allenfalls den Änderungen anzupassen (vgl. VfSlg 19.805/2013).

2.6. Letztlich erhebt das Bundesverwaltungsgericht Bedenken gegen die Vollziehbarkeit des §6 Abs3 BStLärmIV, wonach vorhabensbedingte Immissionserhöhungen, sofern die Grenze einer Gesundheitsgefährdung überschritten wird, im Einzelfall zu beurteilen sind. Der Verordnung sei auch kein Kriterium für die Abgrenzung des Untersuchungsraumes zu entnehmen, weshalb jede durch das Vorhaben verursachte Immissionserhöhung auf Strecken, die von Zulaufverkehr betroffen sind, unabhängig davon, wo sie auftrete, im Einzelfall zu beurteilen sei. Dieselben Bedenken träfen auch auf die Einzelfallbeurteilung nach §6 Abs4 BStLärmIV zu. Der Begriff der "Nachbarn" bzw. "benachbarten Betriebe" führe zu keiner sinnvollen Eingrenzung des Untersuchungsraumes, weil damit Personen anzusprechen seien, die durch den Betrieb oder Bestand des Vorhabens gefährdet oder belästigt werden können. Dies könne auch auf Personen auf "Zulaufstrecken" zutreffen.

2.6.1. Wenngleich die Beurteilung vorhabensbedingter Immissionserhöhungen im Ausmaß von weniger als 1 dB im Einzelfall einen höheren Verfahrensaufwand für die Behörde mit sich bringen mag, ist dem Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie nicht entgegenzutreten, wenn er in diesem Bereich jedenfalls auf eine Einzelfallbeurteilung abstellt. Nach den Erläuterungen zum Verordnungsentwurf hat eine Einzelfallprüfung nach dem Stand der Wissenschaft in der Humanmedizin zu erfolgen. Der Verfassungsgerichtshof vermag eine Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmungen nicht zu erkennen, wenn der Bundesminister die grundsätzliche Entscheidung getroffen hat, dass eine Gesundheitsgefährdung von Nachbarn hintanzuhalten ist, und es der Behörde überlässt, auf Basis der dem Einreichprojekt zugrunde liegenden oder sonstiger schlüssiger Gutachten festzulegen, ob vorhabensbedingte Immissionserhöhungen im Ausmaß von weniger als 1 dB auf Grund einer zu erwartenden Gesundheitsgefährdung als unzulässig zu beurteilen sind bzw. welche Ansprüche der Nachbarn − bzw. gemäß §6 Abs4 BStLärmIV von Arbeitnehmern benachbarter Betriebe und Inhabern von Einrichtungen, in denen sich regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen − auf weitergehende (straßen- oder objektseitige) Schutzmaßnahmen bestehen. Dass die Festlegung entsprechender Immissionsgrenzwerte und notwendiger Auflagen für den Fall der Bewilligung des Straßenbauvorhabens im Einzelfall auch Nachbarn von Zulaufstrecken erfasst, an denen die Grenzwerte für eine Gesundheitsgefährdung bereits überschritten sind, begegnet dabei ebenfalls keinen Bedenken. Bei diesem Ergebnis ist nicht darauf einzugehen, ob die Behauptung einer der beteiligten Parteien zutrifft, wonach die Festlegung des Untersuchungsraumes einer generellen Regelung gar nicht zugänglich sei.

2.6.2. Soweit das Bundesverwaltungsgericht vorbringt, die Verordnung enthalte für die Beurteilung im Einzelfall keine hinreichenden Kriterien, ist ihm entgegenzuhalten, dass das maßgebliche Kriterium bereits der Verordnung selbst ("Gesundheitsgefährdung") zu entnehmen ist. Welche der einzelnen zur Verfügung stehenden Maßnahmen, die eine (straßenseitige bzw. objektseitige) Immissionsbegrenzung ermöglichen, schließlich jeweils zur Anwendung zu kommen haben, hat das Bundesverwaltungsgericht − soweit erforderlich erneut unter Bedachtnahme auf die Beurteilung durch fachkundige Sachverständige − nach Maßgabe der in den §§8 und 9 BStLärmIV vorgegebenen Kriterien zu beurteilen. Gerade im Bereich des Schutzes der in §6 Abs4 BStLärmIV genannten Personen wird bei der Beurteilung notwendiger (gemäß §9 Abs4 leg.cit. vorrangig vorgesehener) objektseitiger Lärmschutzmaßnahmen zudem auf die Art des Betriebes bzw. der Einrichtung (Gewerbebetrieb, Schule, Krankenhaus) Bedacht zu nehmen sein.

2.6.3. Gleiches gilt für die Beurteilung, inwieweit das beantragte Straßenbauprojekt auf etwaigen Zulaufstrecken, an denen die Grenze der Gesundheitsgefährdung bereits überschritten ist, maßgebliche Auswirkungen entfaltet, und inwieweit diese daher in das Verfahren einzubeziehen sind. Die dem Projekt zugrunde liegenden Verkehrsprognosen und deren Auswirkungen auf Zulaufstrecken sind bei der Festlegung des Untersuchungsraumes durch die Behörde auf ihre Schlüssigkeit zu überprüfen und allenfalls zu ergänzen.

2.6.4. Die gegen §6 Abs3 und 4 BStLärmIV vom Bundesverwaltungsgericht vorgetragenen Bedenken treffen daher nicht zu.

V. Ergebnis

1. Die vom Bundesverwaltungsgericht ob der Gesetzmäßigkeit des §6 Abs1 bis 4 BStLärmIV erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Den beteiligten Parteien sind für die abgegebenen Äußerungen Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).

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