VfGH G260/09

VfGHG260/0924.2.2010

Keine unmittelbare Betroffenheit des antragstellenden Rechtsanwaltes durch eine Regelung des EStG 1988 betreffend die Gewinnermittlung bei freiwilliger Buchführung; Erfüllung der strafrechtlich sanktionierten Sorgfaltspflichten zum Schutz von Gläubigerinteressen (Kridabestimmungen) auch im Rahmen einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
EStG 1988 §4 Abs1, Abs3
StGB §159 Abs5 Z4
UGB §195 ff
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
EStG 1988 §4 Abs1, Abs3
StGB §159 Abs5 Z4
UGB §195 ff

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Mit seinem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt

der antragstellende Rechtsanwalt die Aufhebung der Wortfolge "und Bücher auch nicht freiwillig geführt werden" im ersten Satz des §4 Abs3 EStG 1988.

§4 EStG 1988 lautet in der geltenden Fassung auszugsweise (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben; Abs3 ist seit der Stammfassung BGBl. 818/1988 unverändert):

"§4. (1) Gewinn ist der durch doppelte Buchführung zu ermittelnde Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. ...

(2) ...

(3) Der Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben darf dann als Gewinn angesetzt werden, wenn keine gesetzliche Verpflichtung zur Buchführung besteht und Bücher auch nicht freiwillig geführt werden. ..."

2. Der Antrag stützt die behauptete Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung (auszugsweise) auf folgende, im weiteren Antragsvorbringen noch näher ausgeführten Argumente:

"Der Gesetzgeber will mit den Kridabestimmungen des StGB [gemeint ist ersichtlich der §159 leg.cit.] einzelne Gläubiger vor Zahlungsausfällen, und die Volkswirtschaft vor (vermeidbaren) Insolvenzen schützen. Diese Schutznorm lässt sich auch als Ausfluss der staatlichen Verpflichtungen zur Gewährleistung der individuellen Grundrechte verstehen.

Hingegen ist ein Schutzzweck des §4 Abs3 S 1 EStG nicht ersichtlich. Auch sonst ist ein sachlicher Grund dafür, die Rechtsfolge einer Gewinnermittlung nach §4 Abs1 statt nach §4 Abs3 EStG an das faktische Vorliegen einer freiwilligen Buchführung zu knüpfen, nicht zu ersehen. Einer allfälligen Erhöhung des Steueraufkommens (Vorziehen von Steuereinnahmen) stehen dadurch bewirkte volkswirtschaftliche (und damit letztlich auch steuerliche) Schäden in wahrscheinlich viel größerem Ausmaß gegenüber.

Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber kleineren Unternehmen oder solchen Unternehmen, bei denen (wie bei Rechtsanwälten) die Leistungserbringung und die Zahlungseingänge deutlich auseinander fallen, die mit der Finanzierung von Einkommensteuerzahlungen verbundenen Schwierigkeiten erleichtern (und damit gewisse unternehmerische Tätigkeiten überhaupt erst möglich machen) wollte. Es wäre dann aber nahe liegend gewesen, die (negativen) Folgen einer Vorziehung der Einkommensteuerschuld nicht an ein (noch dazu von einer anderen Norm gefordertes) sorgfältiges Verhalten (freiwillige Buchführung) zu knüpfen, sondern beispielsweise an die Ausübung eines entsprechenden Wahlrechts (wie dies ja auch im Umsatzsteuerrecht bei Kleinunternehmern bekannt ist)."

3. Zur Antragslegitimation bringt der Antragsteller vor, dass er als Rechtsanwalt gemäß §189 Abs4 UGB nicht verpflichtet sei, Bücher zu führen. Die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach §4 Abs1 käme für ihn daher nur für den Fall zur Anwendung, dass er freiwillig Bücher führen sollte. Bei Einrichtung einer (freiwilligen) Buchführung träte für den Antragsteller eine vorgezogene Einkommensteuerbelastung von € 200.000 ein, die er "voraussichtlich nur mit Problemen finanzieren könnte".

Aus den Straftatbeständen der "fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen" des §159 StGB leitet der Antragsteller ab, dass die Führung von Büchern für ihn erforderlich sei. Er vertritt die Auffassung, dass er, sollte er keine Bücher führen, im Fall der Zahlungsunfähigkeit Gefahr liefe, sich nach §159 Abs1 StBG in Verbindung mit §159 Abs5 Z4 StGB strafbar zu machen. Es sei dem Antragsteller nicht zumutbar, sich wegen Unterlassung der Buchführung alternativ der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung oder der Gefahr einer durch "plötzliche Einkommensteuerbelastung" verursachten Zahlungsunfähigkeit aussetzen zu müssen. Es sei ihm aber auch nicht zumutbar, einen Einkommensteuerbescheid zu erwirken, um auf diese Weise nach Ausschöpfung des Instanzenzuges mittels Beschwerde nach Art144 B-VG die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen. Dies begründet der Antragsteller damit, dass "die aufschiebende Wirkung gegen solche Bescheide regelmäßig nicht zuerkannt wird".

II. Der Antrag ist unzulässig.

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Bei Beurteilung der Antragslegitimation ist zu untersuchen, ob das angefochtene Gesetz für den Antragsteller die im Antrag behaupteten (nachteiligen) Wirkungen hat und ob diese Wirkungen den Anforderungen des Art140 Abs1, letzter Satz, B-VG genügen. Nicht zu untersuchen ist hingegen, ob die besagten Gesetzesstellen für den Antragsteller sonstige (unmittelbare) Wirkungen entfalten. Es kommt nämlich ausschließlich auf die Behauptung des Antragstellers an, in welcher Hinsicht das bekämpfte Gesetz seine Rechtssphäre berührt und - im Fall der Verfassungswidrigkeit - verletzt (vgl. zB VfSlg. 9185/1981, 10.353/1985, 11.610/1988, 13.916/1994, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

2. Der Antragsteller behauptet, dass ihm die Vermeidung der Strafbarkeit wegen "grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen" (§159 StGB) nur möglich sei, wenn er eine Buchführung einrichtet. Er meint, dass er eine unzumutbare Einkommensteuermehrbelastung zu gewärtigen hätte, weil die solcherart gewählte Methode der Gewinnermittlung in diesem Fall - so die im Antrag vertretene Auffassung - im Lichte des §4 Abs3 EStG 1988 als freiwilliges Führen von Büchern zu qualifizieren sei, woran nach der angefochtenen Bestimmung die Rechtsfolgen der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich geknüpft sind.

3. Soweit der Antragsteller behauptet, die angefochtene Bestimmung berühre seine Rechtssphäre insofern, als es für ihn unzumutbar sei, sie nicht zu befolgen, weil er sich dadurch der Strafbarkeit aussetzen würde, ist ihm Folgendes zu entgegnen:

§159 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 lautet in der Fassung BGBl. I Nr. 130/2001 (auszugsweise):

"Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen

§159. (1) Wer grob fahrlässig seine Zahlungsunfähigkeit dadurch herbeiführt, dass er kridaträchtig handelt (Abs5), ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit grob fahrlässig die Befriedigung wenigstens eines seiner Gläubiger dadurch vereitelt oder schmälert, dass er nach Abs5 kridaträchtig handelt.

(3) Ebenso ist zu bestrafen, wer grob fahrlässig seine wirtschaftliche Lage durch kridaträchtiges Handeln (Abs5) derart beeinträchtigt, dass Zahlungsunfähigkeit eingetreten wäre, wenn nicht von einer oder mehreren Gebietskörperschaften ohne Verpflichtung hiezu unmittelbar oder mittelbar Zuwendungen erbracht, vergleichbare Maßnahmen getroffen oder Zuwendungen oder vergleichbare Maßnahmen anderer veranlasst worden wären.

...

(5) Kridaträchtig handelt, wer entgegen Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens

...

  1. 4. Geschäftsbücher oder geschäftliche Aufzeichnungen zu führen unterlässt oder so führt, dass ein zeitnaher Überblick über seine wahre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage erheblich erschwert wird, oder sonstige geeignete und erforderliche Kontrollmaßnahmen, die ihm einen solchen Überblick verschaffen, unterlässt oder

  1. 5. Jahresabschlüsse, zu deren Erstellung er verpflichtet ist, zu erstellen unterlässt oder auf eine solche Weise oder so spät erstellt, dass ein zeitnaher Überblick über seine wahre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage erheblich erschwert wird."

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (92 BlgNR 21. GP) finden sich zur Z4 des §159 Abs5 StGB folgende Ausführungen:

"Kaufleute, die nicht zur doppelten Buchführung verpflichtet sind, haben sich aber dennoch einen zeitnahen Überblick über ihre wirtschaftliche Lage zu verschaffen. Der Schutzzweck der Kridabestimmungen (Gläubigerinteressen) legt nämlich den Gedanken nahe, ein sich im Wirtschaftsverkehr Bewegender könne seine wirtschaftliche Lage so einschätzen, dass er in redlicher Weise seine Verbindlichkeiten bedienen kann und seine Geschäftspartner daher darauf vertrauen dürfen, dass sie es nicht mit Personen zu tun haben, die keinen Überblick über ihren wirtschaftlichen Status haben. Unabhängig davon, ob gesetzliche Aufzeichnungs- bzw. Buchführungspflichten bestehen oder nicht, sollen Art und Gestaltung der sonstigen Aufzeichnungs- oder Kontrollmaßnahmen im Ermessen des Wirtschaftstreibenden liegen, solange er sich dadurch einen Überblick über seine wirtschaftliche Lage erhält.

Unter Vermögenslage wird dabei der Vergleich von Vermögenswerten und Schulden, unter Ertragslage (Erfolgslage) die Übersicht über Aufwand und Ertrag (Gewinn oder Verlust) und unter der Finanzlage insbesondere eine Übersicht über die finanzielle Situation (zB die Deckung der Fristigkeit der Vermögenswerte und der Schulden) zu verstehen sein. Grundsätzlich werden diese Begriffe nicht streng im Sinne der §§195 ff HGB (die für eine Vielzahl der Kridatare auch nicht anwendbar sein werden) zu verstehen sein, sondern sollen eine umfassend und einheitlich zu interpretierende, nicht überspannte Pflicht zur Sorgfalt und zur Beobachtung der eigenen wirtschaftlichen Grenzen umschreiben. Zu betonen ist dabei, dass die Anforderungen an den zeitnahen Überblick über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage an die Umstände des Einzelfalls, insbesondere an den Umfang des Geschäftsbetriebs, das Geschäftsrisiko und die sonstige Ausstattung des Unternehmens, anzupassen sind. Die Beifügung 'wahr' meint dabei ein möglichst getreues Bild der tatsächlichen Verhältnisse."

Der Verfassungsgerichtshof schließt daraus, dass die in §159 Abs5 Z4 StGB gestellten Anforderungen zwar in der Regel mit der Einrichtung (und der ordnungsgemäßen Wahrnehmung) einer doppelten Buchführung erfüllt sein werden, damit aber keineswegs identisch sind. Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass die Anforderungen, die diese Vorschrift aufstellt, auch auf andere Weise erfüllt werden können und damit gerade nicht eine strenge Beachtung der §§195 ff. UGB gemeint ist. Ist es aber somit möglich, die strafrechtlich bewehrten Sorgfaltspflichten des §159 Abs5 Z4 StGB auch im Rahmen einer (allenfalls ergänzten) Einnahmen-Ausgaben-Rechnung zu erfüllen, wird mit dem Antragsvorbringen offensichtlich keine unmittelbare Betroffenheit des Antragstellers durch die von ihm angefochtene Wortfolge dargetan.

4. Sollte das Vorbringen des Antragstellers hingegen so zu verstehen sein, dass er dem §159 Abs5 Z4 StGB eine gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung einer doppelten Buchführung entnimmt, wäre der Antrag schon deswegen unzulässig, weil der Antrag dann gegen eine Norm gerichtet wäre, die auf die Situation des Beschwerdeführers gar nicht anwendbar ist. In diesem Fall bestünde für den Antragsteller eine Buchführungspflicht und er wäre schon auf Grund der ersten Einschränkung des §4 Abs3 EStG 1988 nicht berechtigt, seinen Gewinn durch Einnahmen-Ausgaben-Rechnung zu ermitteln; von einer freiwilligen Buchführung könnte dann nicht die Rede sein.

5. Dem Einschreiter mangelt es daher schon aus diesen Gründen an

der Legitimation zur Stellung eines Individualantrages. Der Antrag war daher als unzulässig zurückzuweisen.

III. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne mündliche Verhandlung beschlossen werden.

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