Normen
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
VfGG §62
ASVG §343 Abs4
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
VfGG §62
ASVG §343 Abs4
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
1.1. Mit ArtV Z1 der 38. Nov. zum ASVG, BGBl. 647/1982, wurde der mit "Aufnahme der Ärzte in den Vertrag und Auflösung des Vertragsverhältnisses" überschriebene §343 Abs4 ASVG, BGBl. 189/1955, wie folgt neu gefaßt:
"(4) Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Kündigt der Träger der Krankenversicherung, so hat er dies schriftlich zu begründen. Der gekündigte Arzt kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Die Landesschiedskommission hat innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung. Die Landesschiedskommission kann die Kündigung für unwirksam erklären, wenn sie für den Arzt eine soziale Härte bedeutet und nicht eine so beharrliche oder eine so schwerwiegende Verletzung des Vertrages oder der ärztlichen Berufspflichten im Zusammenhang mit dem Vertrag vorliegt, daß die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses für den Träger der Krankenversicherung nicht zumutbar ist. Eine vom gekündigten Arzt eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung."
1.2. Mit seiner an den VfGH gerichteten Eingabe vom 22. Oktober 1987 stellte der Einschreiter Dr. R P J, Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, unter Berufung auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG den Antrag,
"den §343 Abs4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes vom 9. September 1955, BGBl. Nr. 189 (ASVG) in der Fassung des ArtV Zif. 1 der 38. Nov. zum ASVG vom 10. Dezember 1982, BGBl. Nr. 647 - jedenfalls dessen 5. und 7. Satz - auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und als verfassungswidrig aufzuheben."
Der Antragsteller brachte - der Sache nach zusammengefaßt - vor, die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte habe am 3. Oktober 1986 den mit ihm im Jahr 1978 abgeschlossenen Einzelvertrag aus näher dargelegten Gründen aufgekündigt; sein dagegen erhobener Einspruch sei von der Landesschiedskommission für Oberösterreich mit Bescheid vom 9. Juli 1987, LSK 1/86, abgewiesen worden. Da einer Berufung gegen die Entscheidung der Behörde erster Instanz kraft §343 Abs4 letzter Satz ASVG idF BGBl. 647/1982 ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung zukomme und die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse sich in seinem Fall auch gegen eine Zuerkennung ausgesprochen habe, sei sein Vertragsverhältnis zur Krankenkasse ungeachtet des anhängigen Berufungsverfahrens beendet.
Die Verfassungswidrigkeit der aufzuhebenden Bestimmungen erblickt der Einschreiter darin, daß der Gesetzgeber mit ArtV Z1 der 38. ASVG-Nov. den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten und die Rechtsstellung der Ärzte in unsachlicher Weise verschlechtert habe, weil nunmehr eine Berufung des gekündigten Arztes gegen eine abweisende Entscheidung der Landesschiedskommission ohne Zustimmung des Verfahrensbeteiligten nicht aufschiebend wirke, das Vertragsverhältnis also bereits mit Zustellung der Entscheidung der Behörde erster Instanz ende. Ein Vergleich mit Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten, so zB mit §30 MRG und §61 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, mache deutlich, daß es für den Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung an die Bundesschiedskommission keine sachliche Rechtfertigung gebe und die angefochtene Regelung somit aus den vom VfGH im Erkenntnis vom 11. Dezember 1986, G119/86, (zu § 254 BAO) dargelegten Gründen verfassungswidrig sei. Gleiches gelte für die im letzten Satz des §343 Abs4 ASVG (mit-)enthaltene Anordnung, die den Krankenversicherungsträger, eine Partei des Verfahrens, in undeterminierter Weise zur Entscheidung berufe, ob einem Rechtsmittel aufschiebende Wirkung zukommen solle oder nicht.
2.1.1. Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der VfGH über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Der VfGH vertritt seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, die Antragslegitimation nach Art. 140 Abs1 B-VG setze voraus, daß die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigen muß.
Kraft §62 Abs1 VerfGG 1953 muß der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, "begehren, daß entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalte nach oder daß bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden". Der Antrag hat weiters die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken "im einzelnen darzulegen".
2.1.2. Es ist daher Prozeßvoraussetzung eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Art140 Abs1 B-VG, daß sich aus dem Inhalt des Antrages das Begehren auf Aufhebung samt einer Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit der aufzuhebenden Normen im einzelnen sprechenden Bedenken ergibt (VfSlg. 8594/1979). In Beurteilung der Antragslegitimation ist weiters lediglich zu untersuchen, ob das angefochtene Gesetz für den Antragsteller die im Antrag ins Treffen geführten (nachteiligen) Wirkungen hat und ob diese Wirkungen den Anforderungen des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG genügen. Nicht zu untersuchen ist hingegen, ob die besagten Gesetzesstellen für den Antragsteller sonstige (unmittelbare) Wirkungen entfalten. Es kommt nämlich im vorliegenden Zusammenhang ausschließlich auf die Behauptungen des Antragstellers an, in welcher Hinsicht das bekämpfte Gesetz seine Rechtssphäre berührt und - im Fall der Verfassungswidrigkeit verletzt (vgl. zB VfSlg. 9185/1981, 10353/1985).
2.2.1. §343 Abs4 ASVG idF BGBl. 647/1982 legt im ersten Satz fest, daß das Vertragsverhältnis von beiden Teilen unter Einhaltung einer bestimmten Frist gekündigt werden kann und ordnet im zweiten Satz an, daß der Krankenversicherungsträger die von ihm ausgesprochene Kündigung schriftlich zu begründen hat. Dem Arzt wird die Berechtigung eingeräumt, die Kündigung innerhalb von zwei Wochen bei der Landesschiedskommission mit Einspruch, dem ex lege aufschiebende Wirkung zukommt, anzufechten (Sätze drei und fünf). Die Kündigung kann von der Landesschiedskommission, die binnen sechs Monaten nach Einlangung des Einspruches zu entscheiden hat, unter gewissen
Voraussetzungen für unwirksam erklärt werden (Sätze vier und sechs). Der siebente und letzte Satz des §343 Abs4 normiert schließlich, daß eine vom gekündigten Arzt eingebrachte Berufung an die Bundesschiedskommission ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung hat.
2.2.2. Mißt man nun das im Kern bloß die Anordnungen des letzten Satzes des §343 Abs4 ASVG rügende Vorbringen des Antragstellers an den in Art140 Abs1 letzter Satz B-VG und §62 Abs1 VerfGG 1953 aufgestellten (Prozeß-)Voraussetzungen, so wird deutlich, daß die überwiegende Mehrheit der inhaltlich teils eigenständigen und voneinander trennbaren Regelungen des §343 Abs4 (vgl. Punkte 1.1. und 2.2.1.) nicht die vom Antragsteller genannten (nachteiligen) Wirkungen, nämlich: die Lösung aller vertraglichen Beziehungen zwischen Arzt und Krankenversicherungsträger noch vor der endgültigen Entscheidung der Bundesschiedskommission, entfaltet, die Norm des §343 Abs4 ASVG in ihrer Gesamtheit also keineswegs so beschaffen ist, daß sie iS des §62 Abs1 VerfGG 1953 und Art140 Abs1 letzter Satz B-VG unmittelbar in die Rechtssphäre des Einschreiters eingreifen könnte: Damit aber erweist sich der den gesamten §343 Abs4 ASVG umfassende Antrag als überschießend und - allein schon aus diesem Grund - zur Gänze unzulässig (vgl. VfSlg. 9620/1983, 11153/1986, 11345/1987; VfGH 28.9.1987 V 49/87).
Im übrigen zeigt sich, daß der (Individual-)Antrag auch an einem inhaltlichen, keiner Verbesserung zugänglichen Fehler leidet, weil der Einschreiter zwar die Aufhebung des gesamten §343 Abs4 ASVG (: Sätze eins bis sieben) begehrte, indes Bedenken - entgegen der zwingenden Vorschrift des §62 Abs1 VerfGG 1953 - der Sache nach nur gegen den letzten Satz der bekämpften Gesetzesstelle vorbrachte. Das Nichtdarlegen von Bedenken gegen einzelne der aufzuhebenden Bestimmungen bildet jedoch - nach gefestigter Rechtsprechung des VfGH - einen zur sofortigen Zurückweisung des Antrags führenden Mangel (vgl. zB VfSlg. 7593/1975, 8863/1980, 10429/1985).
Da also - wie dargelegt - ausschließlich der letzte Satz des §343 Abs4 ASVG die vom Antragsteller bekämpften und seine Rechtssphäre unmittelbar berührenden Wirkungen hat und verfassungsrechtliche Bedenken auch bloß gegen diese Bestimmung vorgetragen wurden, ist schließlich auch das die Sätze fünf und sieben des §343 Abs4 leg.cit. erfassende Eventualbegehren überschießend und inhaltlich mangelhaft.
2.3. Der (Individual-)Antrag war daher sogleich aus den zu Punkt 2.2.2. bezeichneten Gründen als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 11150/1986; VfGH 28.9.1987 V49/87), ohne daß es einer Prüfung der sonstigen Prozeßvoraussetzungen bedurfte.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 litc und e VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)