VfGH G145/07

VfGHG145/073.3.2008

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des ÖBB-Pensionsgesetzes betreffend Ruhensbestimmungen infolge Zumutbarkeit des ordentlichen Rechtsweges

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Bundesbahn-PensionsG (Art12 PensionsreformG 2001) §55 ff
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Bundesbahn-PensionsG (Art12 PensionsreformG 2001) §55 ff

 

Spruch:

Die Eingabe wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Der Einschreiter ist Bediensteter der Österreichischen Bundesbahnen im Ruhestand. In seiner auf Art140 B-VG gestützten - als "Individualbeschwerde" bezeichneten - Eingabe begehrt er mit näherer Begründung, die §§55 bis 60 Bundesbahn-Pensionsgesetz, BGBl. I 86/2001 idF BGBl. I 170/2006, als verfassungswidrig aufzuheben. Zu seiner "Antrags"-Legitimation bringt der Einschreiter Folgendes vor:

"Die Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 B-VG ergibt sich

daraus, dass der Antragsteller ... durch die bezeichneten Normen

unmittelbar in seinen Rechten verletzt worden ist, und die Normen ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides für ihn wirksam geworden sind.

Die bezeichneten Normen beeinträchtigen nicht bloß die wirtschaftliche Situation des Antragstellers. Sie greifen in seine Rechtssphäre ein, indem sie die gesetzlich festgelegte Höhe seiner Pensionsleistungen verringern.

Die bezeichneten Normen greifen unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers ein. Zur Verschlechterung seines Pensionsanspruches reicht die entsprechende gesetzliche Vorschrift hin, damit diese für den Antragsteller direkt wirksam wird. Diese Veränderung tritt im gegenständlichen Fall ein, ohne dass das Gesetz durch eine Verordnung konkretisiert werden müsste (insofern besteht ein rechtserheblicher Unterschied zu der in VfSlg. 16.615/2002 unter

3.2.3 getroffenen Feststellung).

Der Eingriff geschieht, ohne dass zur Anwendung des Bundesgesetzes ein weiter vermittelnder normsetzender Akt hinzutritt. Die Administration der Pensionen von ÖBB-Beamten obliegt dem 'Pensionsservice' der österreichischen Bundesbahnen. Diese Dienststelle setzt keine Rechtsakte (weder hoheitliche noch private). Sie informiert ÖBB-Pensionisten über die Höhe und allfällige Abzüge ihres Ruhegenusses. Die von dieser Dienststelle versandten Informationen sind insbesondere keine Hoheitsakte.

Im Fall von Fehlkalkulationen oder anderen Gründen der Verkürzung ihrer Pensionen sind Antragsteller also auf den Gerichtsweg verwiesen. Man mag daher annehmen, dass dies[ d]er Weg auch dann zumutbar ist, wenn ein Beschwerdeführer eine von ihm wahrgenommene Verfassungswidrigkeit geltend macht.

Aus zwei Gründen beharrt der Beschwerdeführer indes auf der Zuständigkeit des VfGH aufgrund von Art140:

Erstens hat die durch das BB-PG entstandene Verstaatlichung des Pensionsrechts der ÖBB-Pensionisten zu einer Verschlechterung der Situation der Pensionisten geführt, insofern deren grundrechtlich geschützte Interessen auf sachliche Gleichbehandlung und Eigentum bei der Entwicklung des Pensionsrechts nicht mehr durch die Personalvertretung beachtet werden (Stichwort: Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren). Aus einer Koordinationsbeziehung im Verhältnis von Dienstgeber und Dienstnehmern ist ein Subordinationsverhältnis geworden. Der insofern vorwirkende Grundrechtsschutz entfällt nunmehr. Die Gesetzgebung hat sich aus der Verantwortung für die Schaffung einer Subordinationsbeziehung insofern entzogen, als nach erfolgter Verstaatlichung des Pensionsrechts gleichwohl über Pensionsansprüche nicht bescheidmäßig befunden wird. Die entsprechenden 'Feststellungen' wirken aus der Sicht des Betroffenen zwar wie eine Art Hoheitsakt (wegen der Einseitigkeit der Feststellung), können aber nicht wie ein Bescheid bekämpft werden. Sollten Pensionisten sich in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt erachten, sind sie auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen. Die Subordination unter den Staat wurde also sichtlich gezielt mit der Flucht ins Privatrecht verbunden, um den verfassungsrechtlichen Rechtsschutz zu erschweren. Von einer solchen Strategie darf der Bundesgesetzgeber nicht profitieren.

Der VfGH ist aufgerufen, korrigierend einzugreifen und über

Artikel 140 B-VG zu gewähren, was dem Beschwerdeführer via

Artikel 144 B-VG versagt ist, insofern ein verfassungswidriges Gesetz für ihn wirksam wird. Dies ist im Hinblick auf die Umwegszumutbarkeit - Judikatur des B-VG umso mehr gerechtfertigt, als der Eingriff [in]

... seinem Umfang hinreichend bestimmt und nicht bloß potentieller

Art ist. Das Gesetz selbst verfügt eindeutig, inwiefern sich der Pensionsanspruch wegen der Ruhensbestimmungen verändert (insofern ist, anders als in VfSlg. 16.615/2002 und 16.302/2001, die Vergleichbarkeit mit VfSlg. 14.591/1996 gegeben). Der Eingriff ist bereits erfolgt, weil die Pensionsansprüche des Antragstellers gekürzt worden sind.

Zweitens ist dem Antragsteller das Einschlagen eines alternativen Rechtswegs, um die Verfassungswidrigkeit der Normen geltend zu machen, nicht zumutbar. Er ist sich der Rechtsprechung des VfGH sehr wohl bewusst, wonach die Individualbeschwerde an sich subsidiär und gleichsam bloß als lückenschließend vorgesehen[en] ist (vgl. VfSlg. 11.479/1987). Der Antragsteller ignoriert auch nicht, dass in ständiger Rechtsprechung der VfGH erkannt hat, dass es Antragstellern zumutbar ist, den ordentlichen Rechtsweg insbesondere dann einzuschlagen, wenn die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Norm präjudiziell für die E[i]n[t]scheidung eines Leistungsbegehrens ist (VfSlg. 8.148/1977 u.a.). Der Umweg über die Zivilgerichte ist aber nicht zumutbar, wenn der einzige Zweck der Klageführung darin bestünde, ein Mittel zu gewinnen, um verfassungsrechtliche Bedenken an den VfGH heranzutragen (siehe etwa[s] VfSlg. 10.842/1986).

Im Lichte dieser Rechtsprechung mag man dem Beschwerdeführer entgegenhalten, dass es ihm frei stehe, ein Leistungsbegehren auf die volle Pension auf dem ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen. Dem VfGH ist in diesem Zusammenhang aber zu bedenken zu geben, dass die Zivilgerichte in jüngster Zeit immer weniger dazu geneigt sind, mit Begehren konfrontiert zu werden, deren Zweck darin besteht, ein verfassungsrechtliches Problem durch ein Gericht an den VfGH vorgelegt zu bekommen.

In diesem Sinne hat das Oberlandesgericht Wien in Arbeits- und Sozialrechtssachen jüngst zu 10 Ra 138/06x entschieden und deswegen eine auf Feststellung gem. §54(1) ASGG gerichtete Klage des Zentralbetriebsrates der Österreichischen Bundesbahnen zu einer ähnlichen Problematik - nicht rechtskräftig - abgewiesen. Mit dieser Rechtsfrage hat sich nun der Oberste Gerichtshof zu befassen. Den Ausführungen des OLG Wien in seiner Entscheidung 10 Ra 138/06x ist generell zu entnehmen, dass dieses Gericht die Klärung einer verfassungsrechtlichen Vorfrage nicht als ein zivilgerichtlich zu entscheidendes 'Recht oder Rechtsverhältnis' qualifiziert, sondern lediglich als 'abstrakte Rechtsfrage, zu deren Lösung die

Zivilgerichte ... nicht berufen sind'.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass für den Beschwerdeführer ein unerträgliches Rechtsschutzdefizit entstünde, wenn diese Beschwerde vom VfGH einerseits und den ordentlichen Gerichten andererseits zurückgewiesen würde. In Antizipation dieses Defizits und im Hinblick auf den bereits erwähnten subsidiären Charakter der Individualbeschwerde ist die Zulässigkeit der Beschwerde darin begründet, dass dem Beschwerdeführer durch den Bundgesetzgeber nicht die Möglichkeit genommen werden darf, bundesgesetzlich vollzogene Eingriffe in verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte durch den VfGH überprüft zu bekommen."

3. Der Antrag ist nicht zulässig.

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10.481/1985, 11.684/1988).

Ein solcher zumutbarer Weg steht dem Antragsteller hier offen (vgl. etwa VfSlg. 17.071/2003, S 1002 Pkt. 1.2.1., S 1027 f. Pkte. 4.1.2. und 4.1.3.). Im Übrigen räumt der Einschreiter selbst ein,

"dass es ihm frei stehe, ein Leistungsbegehren auf die volle Pension auf dem ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen."

Wenn der Einschreiter nun meint, dass ihm dieser Weg insofern nicht zumutbar sei, als

"die Zivilgerichte in jüngster Zeit immer weniger dazu geneigt sind, mit Begehren konfrontiert zu werden, deren Zweck darin besteht, ein verfassungsrechtliches Problem durch ein Gericht an den VfGH vorgelegt zu bekommen",

so ist daraus für den Standpunkt des Einschreiters nichts zu gewinnen. Es kommt dabei nämlich nicht auf die Erfolgschancen des zu Gebote stehenden (Verfahrens-)"Umwegs", sondern bloß darauf an, dass sich im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit bietet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen relevante Normen über die ordentlichen Gerichte an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl. VfSlg. 9170/1981, 9285/1981, 10.592/1985, 11.889/1988, 14.458/1996). Die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Normen - vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen - zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, gefährdet auch nicht die Effektivität des Grundrechtsschutzes (VfSlg. 11.889/1988, 12.374/1990, 13.659/1993, 14.752/1997, 15.217/1998, 15.786/2000).

Die Eingabe war daher schon deshalb zurückzuweisen.

4. Dies konnte in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z2 lite VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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