Normen
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
GewO 1994 §76a
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
GewO 1994 §76a
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I.
1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 B-VG gestützten Antrag wird begehrt, der Verfassungsgerichtshof möge
"1. §76a Abs2 Gewerbeordnung 1994, BGBl 194 idF
BGBl I 66/2010, als verfassungswidrig aufheben
oder in eventu
2. §76a Abs2 sowie die Wort- und Ziffernfolge 'oder des Abs2' in §76a Abs3, jeweils die Wort- und Ziffernfolge 'oder Abs2' in §76a Abs4, 5, 7 und 8 sowie die Wort- und Ziffernfolge 'und Abs2' in §76a Abs9 Gewerbeordnung 1994, BGBl 194 idF BGBl I 66/2010, als verfassungswidrig aufheben".
2. Dem Antrag zufolge handelt es sich bei der Antragstellerin um die Eigentümerin einer Wohnung in einem Haus, in welchem sich auch ein Restaurant befinde. Zu diesem gehöre auch ein im Innenhof gelegener Gastgarten; dieser liege weder auf öffentlichem Grund noch grenze er an eine öffentliche Verkehrsfläche an.
Im Jahr 2008 habe die das Restaurant betreibende Gesellschaft einen Antrag auf gewerbebehördliche Genehmigung eines Gastgartens mit 36 Verabreichungsplätzen gestellt; der Antrag sei nach Einholung mehrerer Gutachten auf Grund der schalltechnischen Begebenheiten und der unzumutbaren Lärmbeeinträchtigung der Nachbarn mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz abgewiesen worden. An diesem Verfahren habe die Antragstellerin als Partei teilgenommen. Nach Erlassung der GewO-Novelle BGBl. I 66/2010 dürfe der Gastgarten nunmehr mit doppelt so vielen Verabreichungsplätzen betrieben werden und sei von Gesetzes wegen von einer Gesundheitsgefährdung oder unzumutbaren Belästigung durch Lärm nicht mehr auszugehen.
3. Zur Begründung ihrer Antragslegitimation führt die Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass die angefochtene Regelung nachteilig in ihre Rechtssphäre eingreife. Die Regelung des §76a Abs2 GewO verhindere die Geltendmachung der Schutzinteressen der Nachbarn als subjektive öffentliche Rechte im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens und deren Wahrnehmung durch die Behörde (vgl. VfSlg. 19.126/2010). Weiters bestehe eine Rechtssphäre der Antragstellerin durch die nach §75 Abs2 iVm §74 Abs2 GewO geschützten Interessen in Verbindung mit dem Gleichheitssatz.
Die Aktualität des Eingriffs sei durch den Betrieb eines die Interessen des §74 Abs2 GewO beeinträchtigenden Gastgartens im Immissionsbereich der Antragstellerin gegeben. Ohne §76a Abs2 GewO könnte die Antragstellerin diese Interessen in einem Bewilligungsverfahren geltend machen bzw. wäre die Gewerbebehörde verpflichtet, deren Schutz vor Lärmimmissionen wahrzunehmen. Das vorangegangene Betriebsanlagenbewilligungsverfahren habe gezeigt, dass die Lärmimmissionen des Gastgartens einer Bewilligung gemäß §77 Abs1 und 2 GewO entgegenstünden. Nach Wegfall der angefochtenen Bestimmung dürfte der Gastgarten nicht mehr betrieben und würden die rechtlich geschützten Interessen der Antragstellerin gewahrt werden. Die angefochtene Bestimmung greife unmittelbar in die Rechtssphäre der Antragstellerin ein, da der Eingriff nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt sei.
Ein zumutbarer anderer Weg bestehe nicht: Im Unterschied zum vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß §359b GewO habe die Behörde nach dem Modell des §76a GewO keinen (Feststellungs-)Bescheid zu erlassen, gegen den die Nachbarn (unter Berufung auf eine partielle Parteistellung) mit Berufung und sodann mit Beschwerde an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vorgehen könnten. Auch sei keine Anhörung der Nachbarn zu einer Betriebsanzeige gemäß §76a Abs4 GewO vorgesehen. Das Anzeigeverfahren sei kein die Zulässigkeit des Individualantrags ausschließender Umweg. Die rechtliche Möglichkeit, einen Feststellungsbescheid über die Parteistellung zu erwirken, beseitige die Zulässigkeit eines Individualantrags nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes dann nicht, wenn der einzige Zweck des Feststellungsverfahrens darin bestünde, damit ein Mittel zu gewinnen, um die gegen eine Norm bestehenden Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Ebenso sei eine zivilrechtliche Unterlassungsklage gemäß §364 ABGB kein zumutbarer Umweg. Im Zuge eines solchen Verfahrens hätte das Gericht zwar das Vorliegen einer "behördlich genehmigten Anlage" als Tatbestandsvoraussetzung zu prüfen, die Regelungen des §76a GewO jedoch nicht iSd Art140 Abs1 B-VG anzuwenden.
4. In der Sache hegt die Antragstellerin gegen die angefochtenen Bestimmungen Bedenken insbesondere im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz:
Die Genehmigungsfreistellung für Gastgärten sei verfassungswidrig, da den Nachbarn die Wahrung der nach §74 Abs2 GewO geschützten Interessen in einem Betriebsanlagengenehmigungsverfahren nicht möglich sei. Der Verfassungsgerichtshof habe den Ausschluss der (vollen) Parteistellung der Nachbarn im vereinfachten Bewilligungsverfahren nach §359b GewO zwar akzeptiert, eine partielle Parteistellung der Nachbarn hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens aber als verfassungsrechtlich geboten angesehen. §76a GewO sei einer verfassungskonformen Lesart nicht zugänglich. Die Regelung behandle in sachlich nicht gerechtfertigter Weise die Nachbarn, die in einem ordentlichen Genehmigungsverfahren Parteistellung hätten, und jene Nachbarn, die nur deshalb keine Parteien seien, weil die Behörde zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des §76a Abs1 und 2 GewO angenommen habe, ungleich. Die Regelung des §76a GewO entferne sich von jenem Konzept, das die bisherige Gastgartenregelung im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz und das BVG über den umfassenden Umweltschutz rechtfertigte (VfSlg. 14.551/1996).
II.
1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).
2. Der Antrag erweist sich aus folgendem Grund als unzulässig:
Die Grenzen der Aufhebung müssen in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (vgl. zB VfSlg. 11.455/1987, 17.960/2006 uva.). Der Verfassungsgerichtshof geht dabei stets vom Grundgedanken aus, dass ein Normprüfungsverfahren dazu führen soll, die behauptete Verfassungswidrigkeit - wenn sie tatsächlich vorläge - zu beseitigen, dass aber der nach Aufhebung verbleibende Teil der Norm möglichst nicht mehr verändert werden soll, als zur Bereinigung der Rechtslage unbedingt notwendig ist (vgl. zB VfSlg. 8461/1979, 11.737/1988, 18.412/2008).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweist
sich zunächst der auf Aufhebung des §76a Abs2 GewO idF BGBl. I 66/2010 gerichtete Hauptantrag sowie in der Folge auch der - noch weiter gefasste - Eventualantrag als überschießend und daher unzulässig, da es für die Beseitigung der behaupteten Verfassungswidrigkeit ausreicht, die in §76a Abs2 GewO verwiesene Wortfolge des §76a Abs1 Z4 zweiter Halbsatz GewO aufzuheben (s. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 7. Dezember 2011, G17/11, G49/11, mit welchem §76a Abs1 Z4 zweiter Halbsatz GewO aufgehoben wurde) und sich die Bedenken der Antragstellerin der Sache nach auch nur gegen diese Wortfolge richten.
Eine Zurückweisung des Antrags nur insoweit, als sich dieser als überschießend erweist, kommt von vornherein nicht in Betracht, da der Antrag jene Wortfolge in §76a Abs1 Z4 GewO, die den Sitz der Verfassungswidrigkeit darstellt, nicht umfasst.
3. Der Antrag ist daher zurückzuweisen, ohne dass
darauf einzugehen ist, ob die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne
weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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