Leitsatz
Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung einer Bestimmung des TierschutzG betreffend das künftige Verbot der Haltung von Schweinen in unstrukturierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich; Gültigkeit einer als verfassungswidrig erkannten Rechtslage bis zum Ablauf der – auf Grund verfassungsgesetzlicher Ermächtigung – vom VfGH gesetzten Frist; keine Anfechtung einer möglichen künftigen Rechtslage wegen hypothetischer Annahme der Untätigkeit des Gesetzgebers
Rechtssatz
Unzulässigkeit des Hauptantrags auf Aufhebung des §18 Abs2a TSchG idF BGBl I 130/2022. Zurückweisung des zweiten und dritten Eventualantrags auf Aufhebung des §18 Abs2a TSchG sowie näher bezeichneter Bestimmungen der 1. Tierhaltungsverordnung, auf Grund Unzulässigkeit des Hauptantrags und da die Antragsteller zudem nicht Normadressaten des Punktes 5.2a. sowie des Punktes 9. vorletzter Satz der Anlage 5 der 1. Tierhaltungsverordnung sind und hinsichtlich der angefochtenen Bestimmungen des Punktes 9. der Anlage 5 der 1. Tierhaltungsverordnung keine eigenständigen Bedenken vorgebracht wurden.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine Rechtslage, die für sie möglicherweise ab 01.06.2025 wirksam wird, wenn der Gesetzgeber bis dahin die in E v 13.12.2023, G193/2023 ua, gesetzte Frist ungenützt verstreichen lassen sollte. Damit übersehen sie aber, dass in einem Fall, in dem der VfGH von seiner Ermächtigung gemäß Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG Gebrauch gemacht hat, ein maßgeblicher Unterschied zu der von den Antragstellern angeführten Judikatur des VfGH besteht: In VfSlg 16.120/2001 wurde die Zulässigkeit von Individualanträgen bereits vor dem tatsächlichen Wirksamwerden der bekämpften Bestimmungen für die Antragsteller bejaht, wenn ein Zuwarten unzumutbar ist, weil eine gesetzliche Regelung eine Gewerbeberechtigung mit einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt zum Erlöschen bringt. In VfSlg 18.896/2009 wurde die Zulässigkeit bejaht, weil eine gesetzliche Regelung zwar erst nach Einbringung des Antrages in Kraft treten wird, den Antragsteller aber bereits nach Kundmachung des entsprechenden Gesetzes Vorwirkungen treffen, weil entsprechende Umbaumaßnahmen vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens vorzunehmen sind. Die Aussagen in den zitierten Erkenntnissen lassen sich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen:
Der Bundesverfassungsgesetzgeber hat den VfGH mit Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG zur Fristsetzung für das Inkrafttreten der Aufhebung gesetzlicher Bestimmungen ermächtigt. Hinter dieser Ermächtigung steht insbesondere auch die Intention, dem Gesetzgeber "die Ausfüllung der durch die Aufhebung eines Gesetzes entstandenen Lücke wegen des eine gewisse Zeit in Anspruch nehmenden Gesetzgebungsverfahrens" zu ermöglichen. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass es die Ratio dieser Ermächtigung sei, dem Gesetzgeber Zeit zur Schaffung einer verfassungskonformen Ersatzregelung zu gewähren, wenn das sofortige Außerkrafttreten einer Regelung wegen der dadurch bewirkten Rechtslücke größere Nachteile mit sich brächte als die übergangsweise Beibehaltung einer für verfassungswidrig erkannten Regelung.
Wenngleich den Antragstellern zuzugestehen ist, dass sie sich derzeit in der – dem System des Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG geschuldeten – Phase einer ungewissen künftigen Rechtslage befinden, kann dies im vorliegenden Fall nicht dazu führen, dass innerhalb der vom VfGH gesetzten Frist – in der die als verfassungswidrig erkannte Rechtslage noch gültig bleibt – eine unter der hypothetischen Annahme der Untätigkeit des Gesetzgebers mögliche künftige Rechtslage durch einen Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG angefochten werden kann. Hingewiesen sei zudem darauf, dass weder der Bundesminister für Land‑ und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft noch der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Erforderlichkeit legistischer Maßnahmen infolge der Aufhebung der bisherigen Übergangsbestimmungen in Abrede stellt.
Tierhaltung — Tierschutz — Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes — Rechtskraft — Übergangsbestimmung — Determinierungsgebot — Eventualantrag — VfGH / Fristsetzung — VfGH / Bedenken — VfGH / Individualantrag
Dokumentnummer
JFR_20241128_24G00134_01
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