European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:E4602.2018
Spruch:
I. Die Beschwerdeführerinnen sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Erstbeschwerdeführerin ist eine am 5. September 1995 alias 23. Oktober 1995 geborene nigerianische Staatsbürgerin und die Mutter der am 14. Dezember 2016 in Österreich geborenen Zweitbeschwerdeführerin.
2. Die Erstbeschwerdeführerin stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 4. August 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die Erstbeschwerdeführerin bereits am 26. Juni 2008 sowie am 17. November 2011 in der Italienischen Republik (in der Folge: Italien) auf Grund einer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt wurde.
3. Mit Bescheid vom 16. Oktober 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) den Antrag der Erstbeschwerdeführerin gemäß §5 Abs1 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass gemäß Art18 Abs1 litb iVm Art25 Abs2 der Verordnung (EU) Nr 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (in der Folge: Dublin III-VO) Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Gleichzeitig wurde gegen die Erstbeschwerdeführerin gemäß §61 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge: FPG 2005) die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Italien gemäß §61 Abs2 FPG 2005 zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Erstbeschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
4. Am 9. Jänner 2017 stellte die Zweitbeschwerdeführerin, vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin, einen Antrag auf internationalen Schutz.
5. Das BFA wies die italienischen Behörden mit Schreiben vom 18. Jänner 2017 gemäß Art20 Abs3 Dublin III-VO darauf hin, dass Italien auf Grund seiner Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages der Erstbeschwerdeführerin nun auch für den Antrag der nachgeborenen Zweitbeschwerdeführerin zuständig sei.
6. Mit Bescheid vom 27. Oktober 2017 wies das BFA den Antrag der Zweitbeschwerdeführerin gemäß §5 Abs1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art18 Abs1 litb iVm Art25 Abs2 Dublin III-VO zuständig sei. Gleichzeitig wurde gegen die Zweitbeschwerdeführerin gemäß §61 Abs1 FPG 2005 die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Italien gemäß §61 Abs2 FPG 2005 zulässig sei.
7. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 4. Oktober 2018 als unbegründet ab.
8. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
9. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hierfür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
1.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zur leg. cit. stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
1.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall unterlaufen:
2.1. Die Rechtmäßigkeit eines Erkenntnisses ist grundsätzlich nach jener Rechtslage zu beurteilen, die im Zeitpunkt seiner Erlassung durch mündliche Verkündung oder Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung bestanden hat (zB VwSlg 6693 A/1965, 7227 A/1967, 9315 A/1977, 9536 A/1978, 11.237 A/1983, 12.275 A/1986; VwGH 26.4.1993, 91/10/0252; 19.12.2000, 2000/12/0045).
2.2. Das angefochtene Erkenntnis ist mit 4. Oktober 2018 datiert und wurde den Beschwerdeführerinnen am 10. und 11. Oktober 2018 zugestellt. Bereits am 24. September 2018 verabschiedete die Regierung von Italien das Sicherheits- und Immigrationsdekret, das Änderungen im Asylrecht vorsah. Nach Verlautbarung im Amtsblatt trat das Dekret am 5. Oktober 2018 in Kraft.
2.3. Dies hat zur Folge, dass das Bundesverwaltungsgericht im Zuge des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der aktuellen Lage in Italien das Sicherheits- und Immigrationsdekret hätte mitberücksichtigen müssen. Im angefochtenen Erkenntnis fehlt jedoch jegliche Auseinandersetzung mit diesem Dekret und der Frage, ob und in welcher Form die Beschwerdeführerinnen im Falle einer Rückkehr von den allenfalls geänderten Bedingungen betroffen wären.
2.4. Zwar weist das Bundesverwaltungsgericht richtig darauf hin, dass es nach aktueller höchstgerichtlicher Rechtsprechung keiner Einzelfallzusicherung Italiens mehr bedarf, jedoch bewirkt die neue Rechtslage möglicherweise eine Änderung des Zuganges von Gruppen schutzbedürftiger Personen zu Leistungen wie zB Unterkünften, was im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes hätte behandelt werden müssen.
2.5. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich somit schon deshalb als mit Willkür behaftet, weil sich das Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichend mit der aktuellen Rückkehrsituation der Beschwerdeführerinnen auseinandergesetzt hat und ist daher aufzuheben.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerinnen sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 476,– sowie ein Streitgenossenzuschlag bis zur Höhe des beantragten Kostenumfanges enthalten.
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