VfGH E3937/2020

VfGHE3937/202010.3.2021

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Bangladesch mangels Auseinandersetzung mit den Länderberichten zur Situation Homosexueller

Normen

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:E3937.2020

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, gegen die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise und gegen das auf drei Jahre befristete Einreiseverbot abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

II. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 2. Jänner 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, dass er ursprünglich in Österreich studieren habe wollen. Er habe nicht die Absicht gehabt, in Österreich dauerhaft zu bleiben. Am 19. Juli 2017 habe er eine Christin geheiratet, ohne dass die Eltern dies erfahren hätten. Im Dezember 2017 hätten sie jedoch davon erfahren und diese Ehe abgelehnt. Es sei ihm auch von seiner Familie telefonisch gedroht worden. Seine Frau sei 2017 nach Ungarn zu ihrer kranken Mutter gegangen. Da sein Visum zwischenzeitig abgelaufen sei, habe er sie ab und zu in Wien getroffen. In Wien habe er einige Bengalen kennen gelernt, welche der LGBT-Community angehörten; er habe dann später eine sexuelle Beziehung zu ihnen gehabt. Er habe auch schon mit 17 oder 18 Jahren körperlichen Kontakt zu einem Freund in Bangladesch gehabt, dies aber unterdrückt. Mit seiner Ehefrau habe er im April 2018 über seine Homosexualität gesprochen und ihr gesagt, dass er nicht mehr mit ihr leben möchte. Seine Familie, die von der Situation erfahren hätte, habe ihn daraufhin verstoßen.

2. Mit Bescheid vom 11. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei. Ferner setzte es eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise und erließ ein auf drei Jahre befristetes Einreiseverbot.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 29. September 2020 als unbegründet ab.

3.1. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten aus, dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine in seinem Herkunftsstaat bestehende konkrete Bedrohungssituation aus religiös-gesellschaftlichen (Ehestand mit einer Christin) oder homosexuellen Gründen für seine Person glaubhaft zu machen. Auch wenn dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubhaftigkeit abgesprochen worden sei, sei der Vollständigkeit halber dennoch darauf hinzuweisen, dass auf Grundlage der getroffenen Länderfeststellungen – auch wenn das rechtsstaatliche System Bangladeschs nicht mitteleuropäischen Standards entspreche – in Bangladesch nicht von einer generellen Schutzunfähigkeit des Staates oder einer flächendeckenden Inhaftierung oder Benachteiligung von Personen, die mit Christen verheiratet seien oder die homosexuelle Neigungen entwickelten, auszugehen sei. Darüber hinaus stellten Übergriffe von Sympathisanten einer strengen, islambezogenen Ausrichtung bzw gesellschaftspolitischen Gruppierungen keine staatliche Verfolgung oder eine in Bangladesch staatlich geduldete bzw nicht mit Sanktionen verbundene Vorgangsweise dar (vgl dazu erneut die seitens des Beschwerdeführers nicht ausreichend bestrittenen Länderfeststellungen). Es sei dem Beschwerdeführer jedenfalls auch eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben. Im gesamten Verfahren hätten sich keine Hinweise auf eine begründete Verfolgung des Beschwerdeführers aus anderen, in der GFK genannten Gründen ergeben. Insbesondere gebe es nach den getroffenen Feststellungen keine Anhaltspunkte dafür, dass Staatsangehörige aus Bangladesch, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehrten, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären oder die Lage in Bangladesch dergestalt sei, dass bereits jedem, der sich dort aufhalte, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste. Da sohin keine Umstände vorlägen, wonach es ausreichend wahrscheinlich wäre, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat in asylrelevanter Weise bedroht wäre, sei die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten durch das BFA nicht zu beanstanden. Diese Einschätzung erfolge auch in Hinblick auf die im aktuellsten Länderbericht dargestellte Situation. Es werde nicht übersehen, dass die Lage von homosexuellen Männern in Bangladesch mit seiner überwiegend islamischen Bevölkerung nicht vergleichbar sei mit der Situation von homosexuellen Männern in Österreich. Die Einvernahme des Beschwerdeführers habe hervorgebracht, dass ein offener Umgang mit Homo- oder Bisexualität auch in einer liberalen Demokratie nicht von allen homo- oder bisexuellen Menschen gewünscht werde, unabhängig von Strafverfolgung oder gesellschaftlicher Ächtung.

3.2. Im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts ergebe, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Status nicht vorlägen, ohne sich mit der – behaupteten – Homosexualität des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht scheint zunächst von der Homosexualität des Beschwerdeführers auszugehen (auch wenn es klare Feststellungen dazu vermissen lässt), etwa wenn es in der Beweiswürdigung festhält, dass "die Vernehmung des beantragten Zeugen, nämlich eines Mannes aus Deutschland, mit welchem der BF sexuellen Kontakt hat, […] nicht erforderlich [sei], weil es auch diesbezüglich den Ausführungen des BF letztlich (und im Zweifel sogar dennoch) Glauben schenkt, auch wenn dieses Vorbringen nicht besonders stark ausgeprägt ist."

3.2. Laut den vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Länderfeststellungen sind homosexuelle Handlungen in Bangladesch illegal und können mit bis zu lebenslangem Freiheitsentzug bestraft werden, auch wenn das Gesetz "nicht aktiv angewandt" werde. Homosexualität sei gesellschaftlich "absolut verpönt"; wo Homosexuelle als solche erkannt würden, hätten sie mit gesellschaftlicher Diskriminierung, in Einzelfällen auch mit Misshandlung bis hin zum Mord zu rechnen. Jedes Jahr werde über dutzende Angriffe auf Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft berichtet.

3.3. Indem sich das Bundesverwaltungsgericht mit diesen, von ihm selbst herangezogenen Länderfeststellungen im Zuge seiner Prüfung des Rechtes auf subsidiären Schutz nicht auseinandergesetzt hat, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet.

4. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B‑VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

4.2. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

4.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, abzusehen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, gegen die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise und gegen das auf drei Jahre befristete Einreiseverbot abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

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