VfGH B99/84,B100/84

VfGHB99/84,B100/84B99/84,B100/847.10.1985

StVO 1960; Nö. Gemeinde-VerwaltungsabgabenV 1973; Erteilung einer Bewilligung nach §82 Abs1 StVO durch den Magistrat der Stadt Krems und Vorschreibung einer Verwaltungsabgabe; Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Berufungsbescheid des Stadtsenates Krems; Aufstellung eines Informationsstandes für die Dauer von zwei Tagen - keine Versammlung iS des VersammlungsG 1953; rechtmäßige Deutung der Eingaben als Anträge nach §82 StVO 1960; denkmögliche Annahme der Erfüllung des Gebührentatbestandes der TP14 litd Nö. Gemeinde-VerwaltungsabgabenV 1973; keine Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; keine Verletzung im Eigentumsrecht

Normen

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs3
StVO 1960 §82
Nö Gemeinde-VerwaltungsabgabenV 1973
VersammlungsG
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs3
StVO 1960 §82
Nö Gemeinde-VerwaltungsabgabenV 1973
VersammlungsG

 

Spruch:

Die Beschwerden werden abgewiesen, jedoch antragsgemäß dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die bf. Partei durch die bekämpften Bescheide in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Die politische Partei "Vereinte Grüne Österreichs - Landesverband Niederösterreich" (VGÖ-NÖ) richtete am 2. September 1983 an den Magistrat der Stadt Krems folgendes Schreiben:

"Die Vereinten Grünen Österreichs, Landesverband Niederösterreich, beabsichtigen, einen Informationsstand abzuhalten. Der Zweck ist es, über die Ziele der Vereinten Grünen Österreichs zu informieren. Der Verkehr wird nicht behindert.

Ort: K/Fußgeherzone, auf dem Gehsteig bei der T-Kreuzung, Ecke O-Straße, vis a vis 'M-Apotheke'.

Zeit: Am 6. und 7. 9. 1983, jeweils von 8 - 19 Uhr

Teilnehmer: ca. 4 Personen

verantwortlich: Vereinte Grüne Österreichs, Landesverband Niederösterreich, 3424 Zeiselmauer, Hagengasse 5."

b) Ein - mit Ausnahme der Zeitangabe - völlig gleichlautendes Schreiben der VGÖ-NÖ vom 15. September 1983 bezog sich auf das "Abhalten" eines Informationsstandes am 15. und 16. September 1983 von 8 - 18 Uhr.

2. In Erledigung dieser Schreiben erließ der Magistrat der Stadt

Krems Bescheide vom 6. und 15. September 1983, mit denen - unter

Vorschreibung einiger Bedingungen und Auflagen - der VGÖ-NÖ für die

in den oben erwähnten Schreiben angeführten Zeiten "auf Grund des

§94b der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159/1960 ... gemäß

§82 Abs1 und 5 desselben Gesetzes gegen jederzeitigen Widerruf die

Bewilligung zur Aufstellung eines Informationsstandes in K, Ecke T -

O-Straße ... erteilt" wurde.

Die VGÖ-NÖ wurde jeweils gemäß TP14 litd der Gemeinde-VerwaltungsabgabenV 1973, Nö. LGBl. 3800/2-1 zur Entrichtung einer Verwaltungsabgabe von 450 S verpflichtet.

3. Der Stadtsenat der Stadt Krems wies mit den zwei Bescheiden vom 21. Dezember 1983 die dagegen von den VGÖ-NÖ erhobenen Berufungen ab und änderte die erstinstanzlichen Bescheide dahin, daß sie aufgrund der StVO 1960 idF der 10. StVO-Nov. BGBl. 174/1983 "erlassen werden".

Diese Berufungsbescheide sind im wesentlichen wie folgt begründet:

"Es kann der Ansicht der Berufungswerberin nicht gefolgt werden, daß die Aufstellung eines Informationsstandes als Versammlung unter freiem Himmel angesehen und daher unter die Bestimmung des §86 und nicht des §82 StVO subsumiert werden muß.

§82 StVO normiert, daß für die Benützung von Straßen zu anderen Zwecken als zu solchen des Straßenverkehrs eine Bewilligung erforderlich sei und diese wurde mit dem angefochtenen Bescheid auch erteilt.

Da es sich bei der Aufstellung eines Informationsstandes zum Zwecke der Verteilung von Informationsmaterial offensichtlich um eine Tätigkeit handelt, die im Privatinteresse der VGÖ liegt und wofür eine Berechtigung nach §82 StVO verliehen werden kann, war gemäß §78 AVG 1950 in Verbindung mit TP14d der Gemeindeverwaltungsabgabenverordnung LGBl. 3800/2-0 zu Recht eine Verwaltungsabgabe in der Höhe von S 450,- vorgeschrieben worden."

4. Gegen diese beiden Berufungsbescheide vom 21. Dezember 1983 wenden sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden der VGÖ-NÖ, die zusammenfassend wie folgt begründet werden:

Mit ihren Eingaben habe die bf. Partei die beabsichtigte Abhaltung einer Versammlung angezeigt. Die Errichtung des Informationsstandes habe dem Zweck gedient, Passanten über die Ziele der VGÖ zu informieren; dies stelle eine Versammlung unter freiem Himmel iS des Versammlungsgesetzes dar. Der Informationstisch habe der Ablegung von Informationsmaterial gedient, welches an interessierte Passanten verteilt worden sei; diese sollten über die politischen Ziele der VGÖ, über deren Umweltpolitik usw. informiert werden; damit sollte zur Diskussion und Erörterung der Probleme eingeladen werden. Da die angefochtenen Bescheide Versammlungen unter freiem Himmel "bewilligt" und hiefür eine Gebühr festgesetzt hätten, verstießen sie gegen das Versammlungsgesetz; die bf. Partei sei in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt worden.

Die bf. Partei habe niemals um die Bewilligung gemäß §82 StVO 1960 angesucht, sondern eine Versammlung angezeigt. Bescheide gemäß §82 StVO 1960 seien aber antragsbedürftig. Da die Beh. antragsbedürftige Bescheide ohne Anträge erlassen habe, sei die bf. Partei auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden. Gegen dieses Recht sei aber auch deshalb verstoßen worden, weil der Stadtsenat der Stadt Krems als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung gemäß §94b StVO 1960 tätig geworden sei, die Bewilligung nach §82 StVO 1960 aber dem §96d StVO 1960 zufolge von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu erteilen gewesen wäre.

In beiden Beschwerden wird beantragt, die bekämpften Bescheide kostenpflichtig als verfassungswidrig aufzuheben; hilfsweise wird begehrt, die Beschwerden dem VwGH abzutreten.

5. Der Stadtsenat der Stadt Krems hat in beiden Fällen die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der administrative Instanzenzug ist erschöpft:

Die erstinstanzlichen Bescheide werden zwar auf §94b StVO 1960 (Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde) gestützt. In den angefochtenen Berufungsbescheiden wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Stadtsenat der Stadt Krems als gemäß §38 Abs3 Z7 des Kremser Stadtrechtes 1977, LGBl. 1010-4 "zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide des Magistrates der Stadt Krems an der Donau, welche im eigenen Wirkungsbereich ergangen sind, zuständiges Organ" eingeschritten ist (s. hiezu unten II.3.).

Gegen Berufungsbescheide des Stadtsenates ist ein weiteres Rechtsmittel nicht zulässig. Dem §75 Abs1 des Kremser Stadtrechtes 1977 zufolge ist eine Vorstellung an die Gemeindeaufsichtsbehörde ausgeschlossen.

Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor.

Die Beschwerden sind zulässig.

2. Wie der VfGH schon wiederholt aussprach, ist die Zusammenkunft mehrerer Personen nur dann als Versammlung iS des Versammlungsgesetzes 1953 zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen (vgl. zB VfGH 23. 9. 1983 B671/80 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur; VfSlg. 10443/1985).

Die Behörde konnte zu Recht aufgrund der Textierung der beiden von der VGÖ an den Magistrat gerichteten Eingaben annehmen, daß eine Veranstaltung, die diesen Voraussetzungen entspricht, nicht geplant sei. Allein schon daraus, daß darin von "4 Teilnehmern" die Rede ist, war zu entnehmen, daß mit der beabsichtigten Aufstellung eines Informationsstandes keine Versammlung iS des VersG durchgeführt werden sollte. Vor allem aber schloß die in Aussicht genommene Veranstaltungsdauer (jeweils zwei Tage) die Deutung aus, es seien mit den beiden Eingaben Versammlungen angemeldet worden.

Es war also keine Versammlung iS des Versammlungsgesetzes 1953 angezeigt worden. Allein schon deshalb ist es ausgeschlossen, daß die bf. Partei durch die bekämpften Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurde.

3. Die bf. Partei ist damit im Recht, daß die Erteilung der Bewilligung nach §82 Abs1 StVO 1960 für die Benützung von Straßen zu anderen Zwecken als solchen des Straßenverkehrs eines Antrages bedarf und ferner, daß das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn die Behörde einen antragsbedürftigen Bescheid ohne einen diesbezüglichen Antrag erläßt (vgl. zB VfSlg. 4730/1964, 5419/1966 und 5685/1968).

Die oben unter I.1. zitierten Eingaben der bf. Partei sind nun aber durchaus als Anträge zu werten, ihr Bewilligungen gemäß §82 Abs1 StVO 1960 zu erteilen:

Die Eingaben können - wie in der vorstehenden Z2 dargetan wurde - nicht als Anzeigen beabsichtigter Versammlungen iS des Versammlungsgesetzes 1953 gewertet werden. Die Behörde hatte daher nur die Möglichkeit, die Eingaben entweder als Anträge nach §82 StVO 1960 oder als bloße Information der Behörde zu qualifizieren. Hätte sie die zweite Auslegung gewählt, so hätte sie in der Folge gegen die Verantwortlichen der bf. Partei deswegen ein Strafverfahren einleiten müssen, weil diese für die Benützung der Straße keine behördliche Bewilligung eingeholt hatte. Im Interesse der einschreitenden Partei mußten daher die Eingaben in ersterem Sinn ausgelegt werden, zumal die Behörde unter Termindruck stand (die Eingaben trafen jeweils erst an dem Tag ein, an dem die Veranstaltungen beginnen sollten).

b) Gemäß §94d Z9 StVO fällt die Erteilung einer Bewilligung nach §82 dann in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, wenn diese Bewilligung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll. Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Die Verkehrsfläche, auf der die Informationsstände aufgestellt wurden, ist eine Gemeindestraße iS des §3 Abs1 Z3 Nö. Landesstraßengesetz, LGBl. 8500-0.

Es sind also in erster und in zweiter Instanz die sachlich zuständigen Behörden eingeschritten (s. §47 Abs1 und §38 Abs3 Z7 des Kremser Stadtrechtes 1977). Daran ändert nichts, daß in den angefochtenen Bescheiden (anscheinend irrtümlich) auf §94b StVO 1960 (Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde) und nicht auf §94d StVO 1960 (eigener Wirkungsbereich der Gemeinde) Bezug genommen wird.

c) Die bf. Partei ist sohin auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

4. Mit den angefochtenen Bescheiden wird eine Abgabe vorgeschrieben; sie greifen somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 9014/1981, 9726/1983) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Wie oben unter II.1. dargetan wurde, wurde hier keine Versammlung iS des Versammlungsgesetzes 1953 veranstaltet.

Unter diesen Voraussetzungen ist die Annahme durchaus denkmöglich, daß der Gebührentatbetand nach TP14 litd der Nö. Gemeinde-VerwaltungsabgabenV 1973, LGBl. 3800/2-1 erfüllt wurde. Gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Verordnungsbestimmung bestehen unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die bf. Partei ist also auch nicht im Eigentumsrecht verletzt worden.

5. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß die bf. Partei in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Da es hier nicht ausschließlich um die richtige Anwendung des Versammlungsgesetzes 1953 geht, sondern auch die Verletzung anderer Rechte als des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit in Betracht kommt (vgl. zB VfSlg. 8610/1979) war die Beschwerde antragsgemäß nach Art144 Abs3 B-VG dem VwGH abzutreten.

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