Normen
B-VG Art11 Abs2
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
AsylG 1991 §6
AsylG 1991 §7
AsylG 1991 §10
AsylG 1991 §20
AsylG 1991 §20 Abs2
B-VG Art11 Abs2
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
AsylG 1991 §6
AsylG 1991 §7
AsylG 1991 §10
AsylG 1991 §20
AsylG 1991 §20 Abs2
Spruch:
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern, jeweils zu Handen ihrer Rechtsvertreter, die mit je 15.000 S bestimmten Prozeßkosten bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg gab mit Bescheid vom 31. Jänner 1990 dem Antrag der zu B990/93 beschwerdeführenden Partei (eines ägyptischen Staatsangehörigen) auf Anerkennung als Flüchtling nach dem Asylgesetz 1968 keine Folge.
Der Bundesminister für Inneres (BMI) wies - gestützt insbesondere auf §1 Z1 und §3 iVm §25 Abs2 erster Satz des Asylgesetzes 1991, BGBl. 8/1992, - mit Bescheid vom 5. April 1993 die dagegen erhobene Berufung ab.
b) Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 4. März 1993 gemäß §3 AsylG 1991 den von der zu B1074/93 beschwerdeführenden Partei (einem irakischen Staatsangehörigen) gestellten Asylantrag ab.
Mit Bescheid des BMI vom 22. April 1993 wurde die dagegen vom Asylwerber eingebrachte Berufung abgewiesen.
2. Gegen die Bescheide des BMI wenden sich die vorliegenden, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in näher bezeichneten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (B990/93) und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes - §20 AsylG 1991 - (B1074/93) behauptet wird. Die Beschwerdeführer beantragen die kostenpflichtige Aufhebung des jeweils angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof. Zu B1074/93 wurde ein ergänzender Schriftsatz eingebracht.
3. Der BMI als jene Behörde, die die bekämpften Bescheide erlassen hat, legte die Administrativakten vor, sah jedoch davon ab, Gegenschriften zu erstatten.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:
1. Der Beschwerdeführer zu B1074/93 macht Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §20 AsylG 1991 geltend.
Der Verfassungsgerichtshof teilt - mit der im folgenden Pkt. 2 erwähnten Ausnahme - diese Bedenken nicht:
§20 AsylG 1991 lautete zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide:
"§20. (1) Der Bundesminister für Inneres hat über eine zulässige Berufung in jedem Fall in der Sache selbst zu entscheiden und seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen.
(2) Der Bundesminister für Inneres hat eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn es offenkundig mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat."
Das Asylverfahren weist Besonderheiten auf, die Abweichungen von den Bestimmungen des AVG erforderlich machen:
Zum einen ist es im Asylverfahren geboten, Dolmetscher und besonders sachkundige Bedienstete einzusetzen.
§10 Abs1 Z1 AsylG 1991 richtet denn auch für die Durchführung des Asylverfahrens in erster Instanz eine eigene Behörde, nämlich das Bundesasylamt, ein. Nach Abs2 hat diese zur Vollziehung des AsylG 1991 "dafür besonders qualifizierte und informierte Bedienstete heranzuziehen".
In diesem Zusammenhang führen die Erläuterungen der Regierungsvorlage zum AsylG 1991 aus (270 BlgNR 18.GP, S 17):
"Dadurch sollen Elemente der Unmittelbarkeit im Asylverfahren Platz greifen, da die Unmittelbarkeit erst jene Kommunikation zwischen Asylwerber und entscheidendem Organ schafft, die für eine einzelfallbezogene und genügend differenzierte Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylwerbers notwendig ist. Damit wird die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die richtige Entscheidung mit relativ geringem Aufwand sachgerecht vorgenommen werden kann. Besonders qualifiziert und informiert wird ein Bediensteter im Sinne dieser Bestimmung dann sein, wenn er neben den erforderlichen rechtlichen Qualifikationen die notwendige Sachkenntnis über jene Verfolgerstaaten, für die er zuständig ist, besitzt und zudem Verständnis für die besonderen Schwierigkeiten und Nöte eines Asylwerbers aufbringen kann."
Damit ist gerechtfertigt, das Ermittlungsverfahren bei der Behörde erster Instanz (Bundesasylamt), die über besonders spezialisierte und sachkundige Bedienstete zu verfügen hat, zu konzentrieren.
Zum anderen rechtfertigen folgende weitere Gründe die im §20 AsylG 1991 enthaltenen Abweichungen vom AVG:
Ein Asylwerber, der direkt aus dem Staat kommt, in dem er nach seinen Behauptungen Verfolgung befürchten muß (§6 Abs1 AsylG 1991 i.d.F. der Druckfehlerberichtigung BGBl. 437/1993), ist ab dem Zeitpunkt, zu dem (rechtzeitig) ein Asylantrag gestellt wurde, zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt (§7 Abs1 AsylG 1991). Solange das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, genießt der Asylwerber somit bereits vorläufig jenes Recht, dessen Erlangung letztlich das wichtigste Ziel der Asylgewährung ist, nämlich das Recht, sich im Bundesgebiet aufzuhalten. Vom AVG abweichende Bestimmungen, die sicherstellen, daß der Asylwerber am Verfahren mitwirkt, sachdienliches Vorbringen - nach Belehrung durch die Behörde - zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erstattet und nicht durch späteres Vorbringen das Verfahren verzögern kann, stehen im Zusammenhang mit der Begünstigung der vorläufigen Berechtigung zum Aufenthalt und sind zur Sicherstellung der Mitwirkung der Antragsteller am Verfahren unerläßlich. Solche Vorschriften entsprechen der Besonderheit des Asylverfahrens.
§20 AsylG 1991 ist also - von der noch zu behandelnden Ausnahme (s.u. Pkt.2) abgesehen - allein schon aufgrund dieser Überlegungen "zur Regelung des Gegenstandes erforderlich" i.S. des Art11 Abs2 B-VG (s. VfGH 30.6.1994, B1219/93 u.a.Zlen., sowie die dort zitierte weitere Judikatur) und steht auch nicht im Widerspruch zum Rechtsstaatsgebot (s. hiezu VfGH 1.7.1994, G92,93/94).
2.a) Der Verfassungsgerichtshof hat jedoch aus Anlaß dieser Beschwerden am 9. März 1994 beschlossen, gemäß Art140 Abs1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des Wortes "offenkundig" in §20 Abs2 des Asylgesetzes 1991 von Amts wegen zu prüfen.
Mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G92,93/94, hob er die in Prüfung gezogene Bestimmung als verfassungswidrig auf und verfügte, daß diese nicht mehr anzuwenden ist.
b) Die belangte Behörde hat mithin eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen - aber vom Verfassungsgerichtshof im Rahmen seiner Zuständigkeit (vgl. §19 Abs4 Z3 VerfGG) nicht im einzelnen zu prüfen -, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.
Die Beschwerdeführer wurden also durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10404/1985).
Die Bescheide waren daher aufzuheben.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 2.500 S enthalten.
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