Normen
EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §61 Abs1
EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §61 Abs1
Spruch:
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Verwaltungsverfahren
1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 24. Jänner 2011 wurde der Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 Fremdenpolizeigesetz (in der Folge: FPG) ausgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 30. Mai 2012 abgewiesen.
1.1. In der Begründung trifft die belangte Behörde folgende Feststellungen: Der am 7. April 1974 geborene, aus dem Kosovo stammende Beschwerdeführer sei im Jahr 2001 illegal ins Bundesgebiet eingereist. Über seinen in der Folge gestellten Asylantrag sei im Jänner 2002 rechtskräftig negativ entschieden worden, seitdem halte er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er sei seit 1. Juli 2002 im Bundesgebiet gemeldet und habe von 2002 bis 2007 hier gearbeitet. Er spreche fließend Deutsch, die mündliche Verhandlung konnte in deutscher Sprache durchgeführt werden. Er sei straf- und verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Seit 2. Februar 2011 lebe er mit der Lebensgefährtin und der gemeinsamen Tochter im Kleinkindalter zusammen. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers stamme ebenfalls aus dem Kosovo. Ihr Asylantrag sei mit 1. September 2010 rechtskräftig abgewiesen und sie sei rechtskräftig ausgewiesen worden. Im Berufungsverfahren habe nicht aufgeklärt werden können, wie der Beschwerdeführer seine Lebensgefährtin kennengelernt habe; trotz Aufforderung sei der Asylakt vom Asylgerichtshof nicht übermittelt worden.
1.2. Ihren Erwägungen stellt die belangte Behörde
voran, dass gemäß §52 Abs1 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei, wenn dieser sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Werde dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so sei gemäß §61 Abs1 FPG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei.
Der Beschwerdeführer verfüge seit dem rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens im Jänner 2002 über keine Aufenthaltsberechtigung; dabei falle der rechtmäßige Aufenthalt während der Dauer des Asylverfahrens von Herbst 2001 bis Jänner 2002 nicht ins Gewicht. Es sei auch nicht ausschlaggebend, ob der Beschwerdeführer zwischen 2002 und 2007 eine Arbeitserlaubnis erhalten habe. Gleichwohl sei eine ausgeprägte Integration festzustellen, die sich darin zeige, dass er in diesen Jahren gearbeitet habe und fließend Deutsch spreche. Die an sich gute Integration sei jedoch in einem bislang zehnjährigen rechtswidrigen Aufenthalt in Österreich entstanden.
Auch bestehe ein Familienleben, welches sich aber dadurch relativiere, dass auch die Lebensgefährtin illegal eingereist sei, für diese bereits eine rechtskräftige negative Asylentscheidung und Ausweisung vorliege und das Familienleben erst zu einem Zeitpunkt entstanden sei, in dem sich der Beschwerdeführer längst unrechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Der Beschwerdeführer habe einige Verwandte in Österreich, jedoch auch noch Verwandte im Kosovo.
Insgesamt zeige sich daher, dass der Beschwerdeführer den negativen Ausgang seines Asylverfahrens ignoriert und sich ohne Berechtigung über zehn Jahre in Österreich aufgehalten habe. Die Integration und die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens seien dadurch relativiert. Eine Rückkehrentscheidung erscheine zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.
II. Vorbringen
1. In der dagegen erhobenen, auf Art144 B-VG
gestützten Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Gleichbehandlung sowie auf ein faires Verfahren.
1.1. Die belangte Behörde sei zu dem Schluss
gekommen, dass eine Rückkehrentscheidung zur Erreichung der in Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele dringend geboten erscheine, habe jedoch keine ausreichende und begründete Interessenabwägung vorgenommen und bei der Gewichtung der Gründe ausschließlich auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abgestellt. Die Behörde würdige in willkürlicher Art und Weise die Umstände, dass sich der Beschwerdeführer seit mehr als zehn Jahren in Österreich aufhalte, dass er hier eine aufrechte Lebensgemeinschaft führe sowie dass er eine gemeinsame Tochter mit seiner Lebensgefährtin habe. Die ausgeprägte Integration, die die Behörde festgestellt habe, sei nicht berücksichtigt worden. Die Behörde hätte auch feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer zu seinen Geschwistern im Kosovo keinen Kontakt habe und dass er dort sonst keine Verwandten habe.
1.2. Die belangte Behörde habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und die vorgelegten Beweismittel bzw. das Vorbringen des Beschwerdeführers unzureichend gewürdigt. Die Behörde hätte in ihren Ermittlungen feststellen müssen, dass das Verfahren zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sowie für die gemeinsame Tochter anhängig sei. Der von ihm eingebrachte Antrag auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis sei aus formalen Gründen abgewiesen worden. Die belangte Behörde habe lediglich Beweise aufgenommen, die vom Beschwerdeführer angeboten worden seien, habe aber dem Grundsatz der Amtswegigkeit nicht entsprochen.
2. Die belangte Behörde beantragt die Abweisung der Beschwerde mangels Verletzung des Beschwerdeführers in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
2. Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen.
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 18.223/2007 dargelegt hat, ist die zuständige Fremdenpolizeibehörde stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In der zitierten Entscheidung wurden vom Verfassungsgerichtshof auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entwickelte - Kriterien angeführt, die bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht (vgl. auch §61 Abs1 und 2 FPG).
Im Lichte dieser Kriterien erweist sich aber die von der Behörde vorgenommene Abwägung iSd Art8 Abs2 EMRK als unzureichend.
2.2. Wie die belangte Behörde zunächst zutreffend festgestellt hat, hält sich der Beschwerdeführer rechtswidrig im Bundesgebiet auf, weshalb die Ausweisung - unter Beachtung des §61 Abs1 und 2 FPG - auf §53 Abs1 FPG gestützt wurde.
Die belangte Behörde hat dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, dem im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt, die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber gestellt und ist im Ergebnis zur Auffassung gelangt, dass trotz ausgeprägter Integration des Beschwerdeführers, langjährigen Aufenthalts und Bestehens eines Familienlebens die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und daher zulässig sei.
Als Grund für das Überwiegen des genannten
öffentlichen Interesses hat die belangte Behörde jedoch lediglich den Umstand angeführt, dass es bereits eine rechtskräftige negative Asylentscheidung sowie eine rechtskräftige Ausweisung gebe und sich der Beschwerdeführer ohne Aufenthaltsberechtigung über zehn Jahre in Österreich aufgehalten habe. Diesem Umstand allein hat die belangte Behörde entscheidungswesentliche Bedeutung beigemessen.
2.3. Diese Schlussfolgerung der belangten Behörde ist im Hinblick auf die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht nachvollziehbar. Der unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers seit Abschluss des Asylverfahrens allein vermag das Erfordernis einer Gesamtbetrachtung des konkreten Falles nicht zu ersetzen. Unzureichend berücksichtigt wurden insbesondere die von der belangten Behörde zugestandene, während der Aufenthaltsdauer von über zehn Jahren erfolgte und an der mehrjährigen (rechtmäßigen) Beschäftigung sowie den Deutschkenntnissen erkennbare gute Integration des Beschwerdeführers und das bestehende Familienleben in Österreich. Die für den Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechenden Umstände werden von der Behörde zwar genannt; diesen wird aber fälschlicherweise keine entscheidungswesentliche Bedeutung beigemessen. Angesichts der dargestellten Sachlage, insbesondere der ausgeprägten Integration sowie des Vorliegens eines schutzwürdigen Familienlebens iSd Art8 EMRK, verliert der Umstand, dass die familiären Bindungen zu einem Zeitpunkt entstanden sind, in dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, an Gewicht.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides vermag die Schlussfolgerung der Behörde, dass der unrechtmäßige Verbleib in Österreich nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages die öffentliche Ordnung derart gravierend beeinträchtigt, dass die von der belangten Behörde selbst festgestellte ausgeprägte Integration sowie das in Österreich bestehende Familienleben des Beschwerdeführers in einer Weise relativiert wird, die eine Ausweisung verfassungsrechtlich zulässig erscheinen lässt, nicht zu tragen.
3. Dadurch, dass die belangte Behörde die durch Art8 EMRK geschützten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich nicht ausreichend berücksichtigt hat, wurde der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-
enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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