VfGH B7/81

VfGHB7/8122.9.1983

Gesetz zum Schutze des Hausrechts; das VStG 1950 sieht die Vornahme einer Hausdurchsuchung zur Vorführung zum Strafantritt nicht vor

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art9
HausRSchG §1
HausRSchG §3
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art9
HausRSchG §1
HausRSchG §3

 

Spruch:

Der Bf. ist dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Wien am 30. November 1980 in seiner Wohnung in 1160 Wien, P-Gasse Nr. 22 - 24/44, eine Hausdurchsuchung durchgeführt haben, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. W W beantragte mit seiner auf Art144 (Abs1) B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, er sei am 30. November 1980 dadurch, daß ein Organ des Bezirkspolizeikommissariates Ottakring die versperrte Eingangstür zu seiner Wohnung in Wien, P-Gasse, gewaltsam öffnete und die Räumlichkeiten durchsuchte, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Hausrecht (Art9 StGG), verletzt worden.

1.2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte darin teils die Zurück-, teils die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Beweis wurde erhoben insbesondere durch Vernehmung der Zeugen E W, E F, GrInsp. F Sch und Insp. R R, ferner durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakten sowie durch Vernehmung des Bf. W W als Partei.

2.1.2. Aufgrund dieser Beweismittel stellte der VfGH folgenden Sachverhalt als erwiesen fest:

Am 19. November 1980 erließ die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Ottakring, unter den Aktenzeichen Pst 9406-0/78, Pst 15901-0/78 und Vf 2830-0/80 gegen den nunmehrigen Bf. W W, Wien, P-Gasse wohnhaft, je einen Vorführungsbefehl, weil die Uneinbringlichkeit der über ihn von dieser Behörde zu den Aktenzeichen Pst 9406-0/78 (wegen der Verwaltungsübertretung nach §103 Abs2 KFG) und Pst 15901-0/78 (wegen den Verwaltungsübertretungen nach §8 Abs4 und §24 Abs1 litd StVO 1960) bzw. von der Bundespolizeidirektion Klagenfurt zum Aktenzeichen III-St 2910/78 (wegen der Verwaltungsübertretung nach §24 Abs1 lita StVO 1960) verhängten Geldstrafen in der Gesamthöhe von 3245 S anzunehmen war und der Bestrafte die mit Datum vom 16. und vom 22. Jänner 1980 gemäß §53 Abs1 VStG 1950 ergangenen Aufforderungen zum Antritt der Ersatzarreststrafen unbeachtet gelassen hatte. Diese Vorführungsbefehle wurden von der Strafvollzugsabteilung des Bezirkspolizeikommissariates Ottakring dem für den Wohnort des Bf. in Betracht kommenden Wachzimmer Wien 16., Wilhelminenstraße, übermittelt.

Im Zuge einer Kriminalbeamtenstreife in den Abendstunden des 30. November 1980 wurde, da wegen vorhergegangener erfolgloser Vorführungsversuche in der Nachbarschaft offenbar bekannt war, daß gegen den Bf. Vorführungsbefehle bestünden, dem an der Streife teilnehmenden GrInsp. F Sch anonym und vertraulich bedeutet, daß sich W W derzeit in seiner Wohnung aufhalte. Der Kriminalbeamte stellte daher im Wachzimmer Wilhelminenstraße fest, daß dort die einleitend angeführten Vorführungsbefehle auflagen und ging gegen 23. 15 Uhr gemeinsam mit dem ihm zur Unterstützung beigegebenen Sicherheitswachebeamten Insp. R R zur Wohnung des W W.

Wie der Zeuge F Sch glaubhaft aussagte, klopfte er vorerst an die versperrte Wohnungstür, doch meldete sich niemand; es erlosch lediglich ein im Wohnungsinneren brennendes Licht. Nun griff der Beamte durch einen Türspalt, löste die Türverriegelung (wodurch die Sperre unwirksam wurde), öffnete die Türe und betrat die Wohnung. In der Küche angelangt, fragte er die anwesende E W nach dem Verbleib des - gesuchten - Bf., erhielt jedoch keine befriedigende Antwort. Er trat daher zum angrenzenden Zimmer und nahm wahr, daß jemand hinter der geöffneten Tür stand, den er zum Herauskommen aufforderte. Dabei stellte sich heraus, daß es sich um den Bf. handelte, der im weiteren Verlauf der Amtshandlung die offenen Geldstrafen bar beglich.

2.2.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Novelle BGBl. Nr. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. Nr. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für Hausdurchsuchungen zutrifft, die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vornehmen (zB VfSlg. 8680/1979, 7943/1976).

2.2.2. Als "Hausdurchsuchung" definiert §1 HausrechtsG, RGBl. Nr. 88/1862, eine "Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehöriger Räumlichkeiten". Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist für das Wesen einer Hausdurchsuchung charakteristisch, daß nach Personen oder Sachen, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden, gesucht wird (vgl. VfSlg. 1906/1950, 5080/1965, 5738/1968, 6528/1971, 6553/1971, 8668/1979). Ein bloßes Betreten einer Wohnung etwa um zu sehen, von wem sie bewohnt wird (VfSlg. 1906/1950, 6528/1971), oder zur Feststellung der Räume nach Größe, Zahl und Beschaffenheit (VfSlg. 2991/1956) ist nicht als Hausdurchsuchung zu beurteilen.

Im vorliegenden Fall kann es schon aufgrund der - den einleitenden Sachverhaltsfeststellungen (mit-)zugrunde gelegten - Aussage des Zeugen F Sch, der für die belangte Bundespolizeibehörde an Ort und Stelle einschritt, nicht zweifelhaft sein, daß das Eindringen in die in Rede stehende Wohnung und die dortige Anwesenheit behördlicher Organe einer - für den Begriff der "Hausdurchsuchung" wesentlichen - "Suche" (hier: nach einer Person unbekannten Aufenthalts) gedient hatte (vgl. 6328/1970, 6736/1972, 8815/1980).

Der Einwand der bel. Beh., von einer "Hausdurchsuchung" könne deshalb nicht gesprochen werden, weil der Zeuge Sch durch einen vertraulichen Hinweis gewußt habe, daß sich der Bf. in der Wohnung aufhalte, geht fehl. Denn der - nach Aussage des Zeugen Sch - anonyme Wink konnte keinesfalls Gewißheit über den damaligen Verbleib des Bf. schaffen, vielmehr nur Grundlage für entsprechende konkrete Mutmaßungen bilden, die ja erst durch die Nachschau und Suche in der Wohnung überprüft werden sollten. Aus dem in der Gegenschrift zitierten Erk. des VfGH vom 21. Oktober 1980, B653/78 (= VfSlg. 8928/1980), läßt sich für den gegenteiligen Standpunkt der bel. Beh. nichts gewinnen, weil der zugrundeliegende Fall das behördliche Betreten einer Wohnung zur Abwendung einer Gefahr für Leben oder Gesundheit des Bf. betraf. Hingegen hatte der VfGH schon im Erk. VfSlg. 6553/1971 die Nachschau in einer Wohnung aufgrund des Hinweises, daß sich der Gesuchte dort häufig aufhalte, als "Hausdurchsuchung" iS des Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes angesehen.

2.2.3. Zusammenfassend ist darum festzuhalten, daß sich die vorliegende Beschwerde in der Tat gegen eine polizeiliche "Hausdurchsuchung", demnach gegen einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG richtet.

2.2.4. Da ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2.3.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Hausrecht (Art9 StGG) gewährt Schutz vor willkürlicher Hausdurchsuchung (§1 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862 zum Schutze des Hausrechtes, RGBl. Nr. 88, das zufolge Art9 StGG einen Bestandteil dieses Gesetzes bildet und kraft Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt). Eine Hausdurchsuchung darf gemäß §1 HausrechtsG in der Regel nur kraft eines mit Gründen versehenen richterlichen Befehles unternommen werden. Sie kann jedoch zum Zweck der Strafgerichtspflege bei "Gefahr am Verzuge" von "Gerichtsbeamten, Beamten der Sicherheitsbehörden oder Gemeindevorstehern" auch ohne richterlichen Befehl angeordnet werden. Dabei ist das einschreitende Organ mit einer - den Beteiligten vorzuweisenden - schriftlichen Ermächtigung zu versehen (§2 Abs1 HausrechtsG).

2.3.2. Zum Zweck der Strafgerichtspflege ist die Vornahme einer Hausdurchsuchung aber auch durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht zulässig, wenn "gegen Jemanden ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen, oder wenn Jemand auf der Tat betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird, welche auf die Beteiligung an einer solchen hinweisen" (§2 Abs2 HausrechtsG).

2.3.3. Es steht fest, daß hier ein richterlicher Befehl zur Vornahme der Hausdurchsuchung nicht vorlag; die Hausdurchsuchung wurde auch nicht zum Zweck der Strafgerichtspflege, sondern von Organen der Bundespolizeidirektion Wien im Zuge von Verwaltungsstrafverfahren aus eigener Machtvollkommenheit vorgenommen, um die Vorführung des Bestraften zum Strafantritt (wegen Übertretungen nach dem KFG und der StVO) zu ermöglichen.

2.3.4. "Zum Behufe der polizeilichen ... Aufsicht", also im vorliegend allein beachtlichen Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens, dürfen (Polizei-)Organe eine Hausdurchsuchung nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen - nach den die Art der Durchführung regelnden Bestimmungen der Strafprozeßordnung (§§88 Abs3, 139 ff. StPO 1975) - vornehmen, doch gelten auch hier die Vorschriften des §2 HausrechtsG über die (schriftliche) Ermächtigung zu dieser Amtshandlung (§3 HausrechtsG).

Demgemäß kommt die Vornahme einer Hausdurchsuchung im Zug eines Verwaltungsstrafverfahrens nur dann in Betracht, wenn dies durch ein Gesetz bestimmt ist (so zum Beispiel: §23 Abs5 des Devisengesetzes 1946, BGBl. Nr. 162/1946, §28 Abs3 des Fernmeldegesetzes, BGBl. Nr. 170/1949, §42 Abs4 des Schieß- und Sprengmittelgesetzes, BGBl. Nr. 196/1935 idF der Novelle BGBl. Nr. 92/1975, und §32 Abs2 des Vbg. Jugendgesetzes, LGBl. Nr. 19/1977). Im VStG 1950 ist die Vornahme einer Hausdurchsuchung - zur Vorführung zum Strafantritt - aber nicht vorgesehen, ebensowenig im KFG oder in der StVO (siehe Punkt 2.1.2.).

2.3.5. Angesichts dieser Rechtslage fehlte für die Durchführung der bekämpften Hausdurchsuchung jegliche gesetzliche Grundlage. Sie verstieß damit gegen die Bestimmung des §3 HausrechtsG.

2.3.6. Aus diesen Erwägungen folgt, daß der Bf. - wie er zutreffend rügt - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht nach Art9 StGG verletzt wurde.

2.4. Bei dieser Sach- und Rechtslage mußte auf die übrigen Beschwerdeausführungen nicht mehr näher eingegangen werden.

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