Normen
EMRK Art13
AVG §73
Oö GrundversorgungsG §4
Richtlinie 2003/9/EG zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (Aufnahmerichtlinie) Art16
EMRK Art13
AVG §73
Oö GrundversorgungsG §4
Richtlinie 2003/9/EG zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (Aufnahmerichtlinie) Art16
Spruch:
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar, sind armenische
Staatsangehörige. Obwohl sie hilfsbedürftige Asylwerber sind und dem Land Oberösterreich zur Grundversorgung zugewiesen wurden, wurden ihnen nach ihrem Vorbringen bisher nur Krankenversicherungsleistungen gewährt.
Hiezu wird aus dem Verwaltungsakt Folgendes festgestellt:
Die Beschwerdeführer erhielten bis Ende Februar 2007 Grundversorgungsleistungen vom Land Oberösterreich. Diese wurden mit Ende Februar 2007 wegen des rechtskräftigen, negativen Abschlusses ihres Asylverfahrens eingestellt.
Ende Mai 2007 stellten die Beschwerdeführer neuerlich einen Asylantrag und im Juni einen Antrag auf Grundversorgung, über den bisher nicht entschieden wurde, weil die Beschwerdeführer die von der Behörde abverlangten Bescheide des Unabhängigen Bundesasylsenates (UBAS) nicht vorlegten. Am 21. Jänner 2008 stellten die Beschwerdeführer einen Devolutionsantrag an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS), den dieser mit Beschluss vom 26. März 2008 als unzulässig zurückwies.
Mit Bescheiden des Bundesasylamtes jeweils vom 26. Juli 2007 wurden die Anträge auf internationalen Schutz abgewiesen. Die Beschwerdeführer wurden gleichzeitig aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Deren Berufung an den UBAS wurde mit Bescheid vom 9. Jänner 2008 abgewiesen.
Am 19. Juni 2008 wurden sie am Luftweg nach Armenien abgeschoben.
2. Der UVS begründete die mit dem Bescheid vom 26. März 2008 erfolgte Zurückweisung mit einem Hinweis auf §4 Abs1 des Landesgesetzes über die Umsetzung der Grundversorgungsvereinbarung (oö. GrundversorgungsG), LGBl. 12/2007. §4 leg.cit. lautet:
"Rechtsschutz
(1) Drittstaatsangehörige und Staatenlose, die einen Antrag auf internationalen Schutz oder einen Asylantrag gestellt haben, über den noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, können bei Verweigerung, Einschränkung oder Entzug von Grundversorgungsleistungen binnen vier Wochen die bescheidmäßige Feststellung durch die Landesregierung verlangen.
(2) Über Berufungen gegen Bescheide gemäß Abs1 entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat.
(3) Hat die Landesregierung eine Entscheidung gemäß §64 Abs2 AVG getroffen, kann der unabhängige Verwaltungssenat der Berufung über Antrag die aufschiebende Wirkung zuerkennen."
Die belangte Behörde vertritt den Standpunkt, dass bei Verweigerung der Grundversorgung zunächst die bescheidmäßige Feststellung zu beantragen und hierüber gemäß §73 AVG spätestens binnen sechs Monaten zu entscheiden sei. Da der Devolutionsantrag vor Ablauf dieser Frist gestellt worden sei, sei er zurückzuweisen gewesen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde nach Art144 B-VG.
In dieser wird die Verfassungswidrigkeit des §4 oö. GrundversorgungsG geltend gemacht. Allenfalls sei die vierwöchige Frist gemeinschaftsrechtskonform als Entscheidungsfrist zu deuten. §4 oö. GrundversorgungsG sei auch unbestimmt, weil nicht klar sei, wann der Fristenlauf beginne.
Es sei auch das Recht auf eine wirksame Beschwerde nach Art13 EMRK verletzt.
Dadurch, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage, nicht über den Devolutionsantrag entschieden habe, habe sie auch das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
4. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit der Beschwerde Folgendes erwogen:
1.1. Zunächst wird voraus geschickt, dass der vorliegende Fall jenem ähnlich ist, den der Verfassungsgerichtshof bereits am 11. Juni 2008 zu B2024/07 entschieden hat. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass es bei der Vorentscheidung um die Einschränkung einer bereits faktisch gewährten Grundversorgung ging, während im vorliegenden Fall die Grundversorgung von Anfang an verweigert wurde. Der Umstand, dass die Beschwerdeführer aus Anlass eines früheren Asylantrags bereits Grundversorgung erhalten haben, die nach Beendigung des Verfahrens eingestellt wurde, macht die Verweigerung anlässlich eines neuen Antrags nicht zu einem Fall der Entziehung.
1.2. Für den vorliegenden Beschwerdefall ist folgende Gemeinschaftsrechtslage, auf die sich die Beschwerdeführer vorwiegend berufen, maßgeblich:
Nach der Richtlinie 2003/9/EG zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (Aufnahme-RL), ABl. L 31, S 18, haben die Mitgliedstaaten für die Gewährung "materieller Aufnahmebedingungen", wie Unterkunft, Verpflegung oder Gesundheitsversorgung, gegenüber Asylwerbern Sorge zu tragen.
Art 13 Abs1 der Aufnahme-RL lautet:
"(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Asylbewerbern ab Antragstellung materielle Aufnahmebedingungen gewährt werden."
Die Verweigerung der Grundversorgung ist zulässig, wenn Asylwerber über ausreichende Mittel für einen Lebensstandard verfügen, der ihnen Gesundheit und den Lebensunterhalt gewährleistet (§13 Abs3 der Aufnahme-RL). Ferner regelt §16 Abs2 der Aufnahme-RL Folgendes:
"(2) Die Mitgliedstaaten können die im Rahmen der Aufnahmebedingungen gewährten Vorteile verweigern, wenn ein Asylbewerber keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass der Asylantrag so bald wie vernünftigerweise möglich nach der Ankunft in diesem Mitgliedstaat gestellt wurde."
§16 der Aufnahme-RL sieht ferner eine Reihe von Gründen für eine Entziehung oder Einschränkung der zunächst gewährten Grundversorgung vor.
Zum Verfahren betreffend Verweigerung, Einschränkung oder den Entzug der Grundversorgung normiert Art16 Abs4 und 5 der Aufnahme-RL:
"(4) Entscheidungen über die Einschränkung, den Entzug oder die Verweigerung der im Rahmen der Aufnahmebedingungen gewährten Vorteile oder Sanktionen nach den Absätzen 1, 2 und 3 werden jeweils für den Einzelfall, objektiv und unparteiisch getroffen und begründet. Die Entscheidungen sind aufgrund der besonderen Situation der betreffenden Personen, insbesondere im Hinblick auf die in Artikel 17 genannten Personen, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu treffen. Die Mitgliedstaaten gewährleisten in jedem Fall Zugang zur medizinischen Notversorgung.
(5) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass materielle Vorteile im Rahmen der Aufnahmebedingungen nicht entzogen oder eingeschränkt werden, bevor eine abschlägige Entscheidung ergeht."
Art 21 Abs1 der Aufnahme-RL regelt den Rechtsschutz gegen abschlägige Entscheidungen und lautet folgendermaßen:
"Artikel 21
Rechtsmittel
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass gegen abschlägige Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gewährung von Zuwendungen gemäß dieser Richtlinie oder gegen Entscheidungen gemäß Artikel 7, die Asylbewerber individuell betreffen, Rechtsmittel nach den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verfahren eingelegt werden können. Zumindest in der letzten Instanz ist die Möglichkeit einer Berufung oder einer Revision vor einem Gericht zu gewähren.
...".
1.3. Die Aufnahme-RL schreibt somit sowohl für Fälle der Verweigerung der Versorgungsleistungen als auch für Fälle der Einschränkung oder des Entzuges eine Entscheidung in einem rechtsstaatlichen Verfahren mit der Möglichkeit der Erhebung von Rechtsmitteln vor, doch ergibt sich nach Art16 Abs5 der Aufnahme-RL, dass bis zur Erlassung eines Bescheides die Versorgungsleistungen weiterhin zu gewähren sind. Hingegen ergibt sich aus der Aufnahme-RL nicht, dass bei Anträgen auf Gewährung von Versorgungsleistungen zunächst diese vorläufig ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen erbracht werden müssen, bis ein Bescheid ergeht, der die Gewährung solcher Leistungen verweigert.
Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall daher von jenem der mit dem Beschluss vom 11. Juni 2008, B2024/07, entschieden wurde. §4 Abs1 oö. GrundversorgungsG ist bei Fällen der Verweigerung anzuwenden. Seiner Anwendung steht hier nicht der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts entgegen.
Das Gemeinschaftsrecht sieht auch keine Entscheidungsfrist vor.
Die Beschwerde ist zulässig.
2. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:
2.1. Nach dem klaren Wortlaut des §4 Abs1
oö. GrundversorgungsG ist eine Umdeutung der Antragsfrist in eine Entscheidungsfrist nicht möglich.
2.2. Weder ist diese Bestimmung verfassungswidrig, noch führt das Fehlen einer Bestimmung, die eine kürzere Maximalfrist für die Entscheidung der Sache vorsieht, zur Verfassungswidrigkeit:
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass auch bei der Verweigerung der Grundversorgung ein Antragsteller in eine seine Existenz bedrohende Situation kommen kann, doch sieht §73 AVG vor, dass über den Antrag "ohne unnötigen Aufschub" zu entscheiden ist. Eine Behörde, die - obwohl sie früher entscheiden könnte - die Entscheidungsfrist abwartet, handelt daher rechtswidrig. Gerade in Fällen der Grundversorgung ist von einer Behörde zu erwarten, dass sie das Ermittlungsverfahren möglichst rasch abschließt und sofort einen Bescheid erlässt, um diese Rechtswidrigkeit zu vermeiden, die zu einer Amtshaftung führen würde (vgl. Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 2. Auflage, 2002, S 337 und die dort zitierte Judikatur und Literatur). Aus dem Umstand, dass ein Devolutionsantrag erst ab Ablauf der Entscheidungsfrist gestellt werden kann, ist aber noch nicht die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Bestimmung abzuleiten, die keine von §73 AVG abweichende kürzere Frist vorsieht.
2.3. Eine Verletzung des Art13 EMRK vermögen die Beschwerdeführer schon deshalb nicht geltend zu machen, weil sie ihre Mitwirkungspflicht am Verfahren verletzt und dadurch die Verzögerung verursacht haben und auch in keine den Art3 EMRK verletzende Lage gekommen sind.
III. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat somit nicht stattgefunden.
Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführer in einem von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wären; ebenso wenig entstanden - aus der Sicht dieser Beschwerdesache - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Bescheid zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften. Die Beschwerdeführer wurden mithin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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