VfGH B721/09

VfGHB721/093.12.2010

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Versagung der Rückgängigmachung einer Auflösung von Einzelverträgen durch die Krankenkasse; willkürliche Annahme einer Berechtigung zur sofortigen Vertragsauflösung auch bei bloß vorläufiger Untersagung der Berufsausübung des Vertragsarztes

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ÄrzteG 1998 §62
ASVG §343
VfGG §15 Abs2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ÄrzteG 1998 §62
ASVG §343
VfGG §15 Abs2

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters Kosten in der Höhe von € 2.400,- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Zwischen dem Beschwerdeführer und der Vorarlberger

Gebietskrankenkasse (VGKK) bestand bis 30. Juli 2008 ein Vertragsverhältnis im Sinne des §343 ASVG, nämlich ein Einzelvertrag über die Leistung ärztlicher Hilfe (kurativer Einzelvertrag) als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie ein Einzelvertrag zur Durchführung von Vorsorgeuntersuchungen.

Den vorgelegten Verwaltungsakten zufolge wurden am 5. Dezember 2007 am Landesgericht Feldkirch Vorerhebungen gegen den Beschwerdeführer wegen §88 Abs1 und 4 iVm §81 Z1 StGB betreffend einen Vorfall in seiner Ordination zum Nachteil einer Patientin eingeleitet. Diese Patientin musste nach einem medizinischen Eingriff in der Ordination des Beschwerdeführers mit einem schweren septischen Schock ins Landeskrankenhaus Bregenz eingeliefert und intensivmedizinisch behandelt werden. Das Strafverfahren wurde in weiterer Folge laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft Feldkirch vom 6. August 2008 gemäß §190 Z2 StPO eingestellt.

2. Mit Bescheid vom 30. Mai 2008 des Landeshauptmannes von Vorarlberg war dem Beschwerdeführer die Ausübung des ärztlichen Berufes vorläufig untersagt worden.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2008 der VGKK wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die beiden Einzelverträge jeweils vom 22. November 1994 mit sofortiger Wirkung aufgelöst werden.

Nachdem das gerichtliche Strafverfahren beim Landesgericht Feldkirch eingestellt wurde, hob der Landeshauptmann seinen Bescheid vom 30. Mai 2008, mit dem die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit vorläufig untersagt wurde, mit Vorstellungsbescheid vom 29. August 2008 auf.

3. Mit Bescheid der Paritätischen Schiedskommission für Vorarlberg vom 1. Dezember 2008 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, die Auflösung der beiden Einzelverträge rückgängig zu machen und ihm diese Einzelverträge wieder zuzuerkennen, abgewiesen, dies im Wesentlichen mit dem Argument, §343 Abs3 ASVG verpflichte den Träger der Krankenversicherung zur Auflösung des Vertragsverhältnisses mit einem Vertragsarzt, wenn der Arzt die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes verliere, unabhängig davon, ob dies dauerhaft oder vorübergehend der Fall sei.

4. Der Berufung gegen diesen Bescheid gab die Landesberufungskommission mit dem nunmehr angefochtenen Berufungsbescheid vom 6. März 2009 keine Folge. Sie stellte unter anderem Folgendes fest (Hervorhebungen im Original):

"In der Bestimmung des §343 Abs3 ASVG wird vom Gesetzgeber keine Unterscheidung dahingehend getroffen, ob die dort normierten Rechtsfolgen lediglich dann eintreten, wenn ein Arzt die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes dauerhaft verliert oder ob die nämlichen Rechtsfolgen auch eintreten sollen, wenn dies bei vorübergehendem Verlust derselben der Fall ist. Auch im Zuge einer von der Landesberufungskommission für Vorarlberg vorgenommenen Einsichtnahme in die zu dieser Bestimmung gehörigen Materialien (EB etc.) konnte - soweit ersichtlich - keine nähere diesbezügliche Unterscheidung bzw. Klärung entnommen werden, sodass im Sinne einer Gesetzesauslegung wohl auf die ratio legis der genannten Bestimmung zurückzugreifen ist:

Schutzweck dieser Norm ist es zum einen, dass Patienten vor der Heilbehandlung durch einen Arzt, der aus bestimmten Gründen die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes verliert, geschützt werden sollen, zum anderen aber auch die Versichertengemeinschaft nicht mit Kosten, die durch Heilbehandlung eines nicht (mehr) zur Ausübung des ärztlichen Berufes Berechtigten vorgenommen werden, belastet werden soll, zumal der betreffende Arzt über die Voraussetzungen, die seinerzeit bei Abschluss des Einzelvertrages gefordert wurden und wohl auch gegeben waren, (einstweilen oder endgültig) nicht mehr verfügt.

(...) In diesem Zusammenhang ist auch ins Kalkül zu ziehen, dass ein wider einen Arzt eingeleitetes gerichtliches (oder auch Verwaltungs-) Strafverfahren je nach Anzahl und Beschaffenheit der erhobenen Vorwürfe bis zum Zeitpunkt der Einstellung, aber auch einer allfälligen Anklageerhebung, der Durchführung einer Hauptverhandlung und der Ausschöpfung des Instanzenzuges unter Umständen auch ein oder mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann, sodass es schon aus diesem Grunde geboten erscheint, die Versichertengemeinschaft in diesem Zeitraum aus den für den Sozialversicherungsträger resultierenden vertraglichen Schutzverpflichtungen heraus nicht weiter der Gefahr von allenfalls unsachgemäßen Heilbehandlungen auszusetzen und diese auch noch mit den hiefür auflaufenden Kosten zu belasten.

(...) Nach Ansicht der Landesberufungskommission für Vorarlberg kann daher die Bestimmung des §343 Abs3 ASVG - wie auch von der Paritätischen Schiedskommission bereits dargelegt - lediglich in dem Sinne verstanden werden, als dass der Träger der Krankenversicherung in dem Fall, dass ein Vertragsarzt die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes (dauernd oder vorübergehend) verliert, jedenfalls aus vorgenannten Erwägungen heraus zur Auflösung des Vertragsverhältnisses verpflichtet ist.

(...) Insoweit der Berufungswerber argumentiert, dass Straf- oder auch Verwaltungsstrafverfahren bereits auf Verdacht eingeleitet werden müssten und bereits eine völlig haltlos erscheinende Anzeige genüge, um eine vorläufige Entziehung der Berufsberechtigung und damit in weiterer Folge eine Vertragsauflösung nach sich zu ziehen, ist dazu folgendes festzuhalten:

§62 Abs1 ÄrzteG normiert zwar die Verpflichtung des Landeshauptmannes, in Wahrung des öffentlichen Wohles und bei Gefahr in Verzug in den dort festgelegten Fällen Ärzten die Ausübung des ärztlichen Berufes bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens zu untersagen; allerdings ist vor einer Untersagung nach der genannten Gesetzesstelle jedenfalls die Österreichische Ärztekammer als gesetzliche Interessensvertretung zu hören (...).

Gerade die letztgenannte Norm stellt eine Schutzbestimmung zu Gunsten des betroffenen Arztes dar und wurde aktenkundigerweise im Zuge des von der Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens gem. §62 Abs5 ÄrzteG 1998 auch eine Stellungnahme der Österreichischen Ärztekammer eingeholt; dass dies vor Erlassung des Bescheides des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 30.05.2008, (...) nicht der Fall gewesen wäre, wurde nicht vorgebracht und ist gerade aufgrund der Bestimmung des §62 Abs5 ÄrzteG davon auszugehen, dass dem betroffenen Arzt im Wege seiner gesetzlichen Interessensvertretung die Möglichkeit eröffnet wird, einer wider besseren Wissens erfolgten oder mutwilligen Anzeigenerstattung von vorneherein entgegenzutreten und dieser durch Erstattung geeigneten Vorbringens und unter Vorlage entsprechender Beweismittel die Grundlage zu entziehen.

(...) Festzuhalten ist abschließend im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auch noch, dass - wie von der Antragsgegnerin zutreffend aufgezeigt - der befristete Wegfall einer Berufsausübungsberechtigung keinen Ausschlussgrund für den (neuerlichen) Abschluss eines Einzelvertrages bildet; insoweit der Berufungswerber trotz der mittlerweile erfolgen Einstellung des gegen ihn geführten gerichtlichen Strafverfahrens und der zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung noch anhängigen Verwaltungsstrafverfahren eine Bewerbung auf seine ehemalige, zwischenzeitig zur Ausschreibung gelangte Kassenarztstelle unterließ, ist dieser Umstand seiner höchstpersönlichen Sphäre zuzuordnen.

(...)."

5. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG. Darin behauptet der Beschwerdeführer, durch den genannten Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsfreiheit (Art6 Abs1 StGG) und in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Beachtung der Unschuldsvermutung (Art6 EMRK) verletzt zu sein. Weiters bringt er vor, er sei durch Anwendung des als von ihm als unbestimmt erachteten §343 Abs3 ASVG in seinen Rechten verletzt. Er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides.

Er führte im Wesentlichen aus, er würde durch die sofortige Auflösung des Einzelvertrages seine Einkommensmöglichkeiten verlieren und er könne einem Erwerb im Sinne des Art6 StGG nicht mehr nachgehen. Die Erwerbsfreiheit werde mit einer derartigen Entscheidung eingeschränkt bzw. verhindert.

6. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift. Die beteiligte Partei legte eine Äußerung vor, in welcher sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Beschwerde, sowie den Ersatz der Prozesskosten beantragt. Sie hält einleitend fest, dass die VGKK - entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers - nicht belangte Behörde sei und die Beschwerde daher nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt sei.

7. Die einschlägigen Bestimmungen im ASVG, BGBl. 189/1955, in der hier maßgeblichen Fassung lauten auszugsweise folgendermaßen:

"Aufnahme der Ärzte in den Vertrag und Auflösung desVertragsverhältnisses

§343. (1) Die Auswahl der Vertragsärzte und der Vertrags-Gruppenpraxen und der Abschluß der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt oder der Gruppenpraxis erfolgt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. ...

(2) Das Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragsarzt oder der Vertrags-Gruppenpraxis und dem Träger der Krankenversicherung erlischt ohne Kündigung im Falle:

1. der Auflösung des Trägers der Krankenversicherung;

2. des Wirksamwerdens gesetzlicher Vorschriften, durch die die Tätigkeit des Trägers der Krankenversicherung entweder eine örtliche oder eine sachliche Einschränkung erfährt, in deren Folge die Tätigkeit als Vertragsarzt oder der Vertrags-Gruppenpraxis nicht mehr in Frage kommt;

3. des Todes des Vertragsarztes oder der Auflösung der Vertrags-Gruppenpraxis, wobei die bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Honoraransprüche des Arztes auf die Erben, jene der Vertrags-Gruppenpraxis auf die Gesellschafter übergehen;

4. der rechtskräftigen Verurteilung des Vertragsarztes oder eines persönlich haftenden Gesellschafters der Vertrags-Gruppenpraxis

a) wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener gerichtlich strafbarer Handlungen zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe oder

b) wegen einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Handlung;

5. einer im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes wegen groben Verschuldens strafgerichtlichen rechtskräftigen Verurteilung des Vertragsarztes oder eines persönlich haftenden Gesellschafters der Vertrags-Gruppenpraxis;

6. eines wiederholten rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils, in welchem ein Verschulden des Vertragsarztes oder eines persönlich haftenden Gesellschafters der Vertrags-Gruppenpraxis im Zusammenhang mit der Ausübung der vertraglichen Tätigkeit festgestellt wird.

...

(3) Der Träger der Krankenversicherung ist zur Auflösung des Vertragsverhältnisses mit einem Vertragsarzt oder mit einer Vertrags-Gruppenpraxis verpflichtet, wenn der Arzt oder ein persönlich haftender Gesellschafter einer Vertrags-Gruppenpraxis die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes verliert oder wenn ihm diese Berechtigung von Anfang an fehlte oder wenn im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer festgestellt wird, dass die Voraussetzungen, die zur Bestellung des Vertragsarztes oder der Vertrags-Gruppenpraxis erforderlich sind, von Anfang an nicht gegeben waren. Abs2 letzter Satz gilt sinngemäß.

(4) Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Kündigt der Träger der Krankenversicherung, so hat er dies schriftlich zu begründen. Der gekündigte Arzt oder die gekündigte Vertrags-Gruppenpraxis kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. ...

(5) Erfolgt eine Kündigung des Vertragsverhältnisses wegen Verletzung von Bewilligungs- und Dokumentationspflichten nach §350 Abs3 bei der Verschreibung von Arzneispezialitäten, so kann abweichend von Abs4 die Kündigung nur dann für unwirksam erklärt werden, wenn gegen eine zuvor vom Versicherungsträger wegen wiederholter Verletzungen der Dokumentationspflichten auferlegte Bewilligungspflicht nicht verstoßen wurde.

Paritätische Schiedskommission

§344. (1) Zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, ist im Einzelfall in jedem Land eine paritätische Schiedskommission zu errichten. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind die Parteien des Einzelvertrages.

(2) Die paritätische Schiedskommission besteht aus vier Mitgliedern, von denen zwei von der zuständigen Ärztekammer und zwei vom Krankenversicherungsträger, der Partei des Einzelvertrages ist, bestellt werden.

(3) Die paritätische Schiedskommission ist verpflichtet, über einen Antrag ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach dessen Einlangen, mit Bescheid zu entscheiden. Wird der Bescheid dem Antragsteller innerhalb dieser Frist nicht zugestellt oder wird dem Antragsteller schriftlich mitgeteilt, daß wegen Stimmengleichheit keine Entscheidung zustande kommt, geht auf schriftliches Verlangen einer der Parteien die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Landesberufungskommission über. Ein solches Verlangen ist unmittelbar bei der Landesberufungskommission einzubringen. Das Verlangen ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf Stimmengleichheit oder nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Behörde (§73 AVG 1950) zurückzuführen ist.

(4) Gegen einen Bescheid der paritätischen Schiedskommission kann Berufung an die Landesberufungskommission erhoben werden.

Landesberufungskommission

§345. (1) Für jedes Land ist auf Dauer eine Landesberufungskommission zu errichten. Diese besteht aus einem Richter als Vorsitzendem und vier Beisitzern. Der Vorsitzende ist vom Bundesminister für Justiz zu bestellen; der Vorsitzende muss ein Richter sein, der im Zeitpunkt seiner Bestellung bei einem Gerichtshof in Arbeits- und Sozialrechtssachen tätig ist. Je zwei Beisitzer sind vom Bundesminister für Justiz auf Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer und des Hauptverbandes zu bestellen. Versicherungsvertreter(innen) und Arbeitnehmer(innen) jenes Versicherungsträgers sowie Angehörige und Arbeitnehmer(innen) jener Ärztekammer, die Vertragsparteien des Gesamtvertrages sind, auf dem der streitgegenständliche Einzelvertrag beruht, dürfen im jeweiligen Verfahren nicht Beisitzer sein.

(2) Die Landesberufungskommission ist zuständig:

1. zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der paritätischen Schiedskommission und

2. zur Entscheidung auf Grund von Devolutionsanträgen gemäß §344 Abs3.

(3) §346 Abs3 bis 7 gelten sinngemäß auch für die Landesberufungskommission und deren Mitglieder."

8. §§62 und 63 des Ärztegesetzes 1998, BGBl. I 169 in der hier maßgeblichen Fassung, lauten folgendermaßen:

"Vorläufige Untersagung der Berufsausübung

§62. (1) In Wahrung des öffentlichen Wohles und bei Gefahr in Verzug hat der Landeshauptmann Ärzten die Ausübung des ärztlichen Berufes bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens über die Bestellung eines Sachwalters nach §268 ABGB oder eines Strafverfahrens zu untersagen, wenn gegen sie

1. ein Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters nach §268 ABGB eingeleitet und nach §§118 und 119 AußStrG fortgesetzt oder

2. ein Strafverfahren wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes, die mit gerichtlicher Strafe bedroht sind, eingeleitet oder

3. ein Strafverfahren wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes, die mit Verwaltungsstrafe bedroht sind, eingeleitet worden ist.

(2) ...

(3) ...

(4) Die Gerichte sind verpflichtet, dem Landeshauptmann sowie der Österreichischen Ärztekammer

1. die Einleitung, Fortsetzung und den Ausgang von Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters sowie

2. die Beendigung eines Hauptverfahrens nach der Strafprozessordnung 1975, BGBl. Nr. 631/1975 (StPO) unverzüglich bekanntzugeben, soweit Ärzte hievon betroffen sind. Gleiches gilt für die Staatsanwaltschaften in Bezug auf die Einleitung und Beendigung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Arzt als Beschuldigten (§48 Abs1 Z1 StPO). Ebenso sind die Verwaltungsbehörden verpflichtet, dem Landeshauptmann Anzeigen wegen grober Verfehlungen im Sinne des Abs1 Z3 und die von Amts wegen eingeleiteten Strafverfahren unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Diese Anzeigen sind bei Ärzten, die ihren Beruf im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft öffentlichen Rechts ausüben, auch der vorgesetzten Dienststelle des Arztes zu erstatten.

(5) Vor der Untersagung nach den Abs1 oder 2 ist die Vsterreichische Ärztekammer, bei Ärzten, die ihren Beruf im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei einer Gebietskörperschaft oder einer anderen Körperschaft öffentlichen Rechts ausüben, auch die vorgesetzte Dienststelle zu hören. Die Untersagung ist ihr in jedem Falle mitzuteilen. Gegen die Untersagung nach Abs2 hat die Österreichische Ärztekammer das Recht der Berufung.

Einziehung des Ärzteausweises

§63. Wer die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes infolge Erlöschens dieser Berechtigung (§59) oder durch Untersagung der Berufsausübung (§§61, 62 oder 138) verloren hat, ist verpflichtet, eine gemäß §15 Abs5 ausgestellte Bescheinigung sowie den Ärzteausweis (§27 Abs7) der Österreichischen Ärztekammer unverzüglich abzuliefern. Die Verpflichtung zur Ablieferung des Ausweises trifft weiters Personen, bei denen der ursprünglich bestandene Mangel der Erfordernisse zur ärztlichen Berufsausübung nachträglich hervorgekommen ist und die daher aus der Ärzteliste gestrichen worden sind (§59 Abs3). Wird die Bescheinigung oder der Ausweis nicht abgeliefert, so hat die nach dem letzten Berufssitz, Dienstort oder Wohnsitz (§47) zuständige Bezirksverwaltungsbehörde auf Antrag der Österreichischen Ärztekammer den Ärzteausweis zwangsweise einzuziehen und dieser zu übersenden."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde:

1.1. Der Beschwerdeführer nennt in seiner Beschwerde als belangte Behörde zwar die "Vorarlberger Gebietskrankenkasse", doch handelt es sich - wie sich aus dem Beschwerdevorbringen und der Bezeichnung des angefochtenen, der Beschwerde angeschlossenen Bescheides unmissverständlich ergibt - wohl nur um eine irrtümliche Fehlbezeichnung. Der angefochtene Bescheid der Landesberufungskommission wurde nämlich auf dem Geschäftspapier der Gebietskrankenkasse, welche die Kanzleigeschäfte der Landesberufungskommission zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zu führen hatte, ausgefertigt. Einer solchen Fehlbenennung der bescheiderlassenden Behörde kommt aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes keine rechtliche Bedeutung zu, wenn und solange wie hier zweifelsfrei feststeht, dass der Bescheid der belangten Landesberufungskommission bekämpft werden sollte (vgl. VfSlg. 15.143/1998 mwN, 18.056/2007).

1.2. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet:

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

2.2. Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:

Die belangte Behörde geht davon aus, dass die in §343 Abs3 ASVG normierte unbedingte Verpflichtung des Krankenversicherungsträgers, einen Einzelvertrag aufzulösen, wenn der Arzt "die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes verliert" auch schon dann besteht, wenn dem Arzt die Ausübung seiner Berufstätigkeit vom Landeshauptmann gemäß §62 Abs1 Ärztegesetz 1998 vorübergehend untersagt worden ist.

2.2.1. Diese vorübergehende Untersagung der Berufstätigkeit steht in folgendem normativen Zusammenhang:

a) Das Ärztegesetz 1998 unterscheidet zwischen dem Erlöschen der Berechtigung zur Berufsausübung (§59 leg.cit.), dem Verzicht auf die Berufsausübung (§60 leg.cit.), der zeitlich beschränkten Untersagung der Berufsausübung durch Disziplinarerkenntnis (§61 leg.cit.) und der vorläufigen Untersagung der Berufsausübung (§62 leg.cit.).

b) Die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes erlischt gemäß §59 Abs1 Ärztegesetz 1998:

"1. durch den Wegfall einer für die ärztliche Berufsausübung erforderlichen Voraussetzung,

2. wenn hervorkommt, daß eine für die Eintragung in die Ärzteliste erforderliche Voraussetzung schon ursprünglich nicht bestanden hat,

3. auf Grund einer länger als sechs Monate dauernden Einstellung der Berufsausübung, wobei eine krankheitsbedingte Nichtausübung keine Einstellung der Berufsausübung darstellt,

4. auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses, mit dem die Berufsausübung befristet untersagt worden ist,

5. auf Grund eines Disziplinarerkenntnisses, mit dem die Streichung aus der Ärzteliste ausgesprochen worden ist, oder

6. auf Grund eines Verzichtes auf die Berufsausübung."

c) Die im Beschwerdefall vorliegende vorläufige Untersagung der Berufsausübung ist gemäß §62 Abs1 Ärztegesetz 1998 vom Landeshauptmann im Falle der Führung eines Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters, sowie bei Einleitung eines Strafverfahrens oder eines Verwaltungsstrafverfahrens (zwingend) auszusprechen, sofern die Einleitung eines solchen Verfahrens "wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes" erfolgte.

2.2.2. Gemäß §343 Abs3 ASVG ist der Träger der Krankenversicherung zur Auflösung des Vertragsverhältnisses mit einem Vertragsarzt - unter anderem - dann verpflichtet, wenn dieser die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes verliert.

2.3. Der Wortlaut des §343 Abs2 und 3 ASVG besteht im hier interessierenden Zusammenhang im Wesentlichen unverändert seit dem Stammgesetz; ebenso besteht im Wesentlichen unverändert die Verpflichtung zur vorläufigen Untersagung der Berufsausübung bei Einleitung von (Verwaltungs-)Strafverfahren wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes seit dem Ärztegesetz 1949, BGBl. 92 (vgl. dessen §§18 und 19).

2.4. Die vor diesem rechtlichen Hintergrund zu beantwortende Frage, ob die Behörde dadurch dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt oder Willkür geübt hat, dass sie das Tatbestandsmoment des Verlustes der Berechtigung zur Berufsausübung in §343 Abs3 ASVG schon durch die vorübergehende Untersagung der Berufsausübung durch den Landeshauptmann im Sinne des §62 Ärztegesetz 1998 als erfüllt gesehen hat, ist im Ergebnis schon im erstgenannten Sinne zu bejahen:

Die vorläufige Untersagung der Berufsausübung gemäß §62 Abs1 Ärztegesetz 1998 kann auch eine nur kurzfristige sein, wenn sich schon bald herausstellt, dass der Arzt - wie im vorliegenden Fall - im Ergebnis zu Unrecht im Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung gestanden ist.

Es wäre daher unsachlich, würde der Vertragsarzt in einem solchen Fall zwingend seines Kassenvertrages endgültig verlustig gehen, wie dies §343 Abs3 ASVG mit der Verpflichtung der Vertragsauflösung durch den Krankenversicherungsträger in der Interpretation dieser Bestimmung durch die belangte Behörde vorsähe. Den Vertragsarzt würde dann nämlich das Risiko der vorläufigen Untersagung der Berufsausübung und des damit verbundenen Verlustes des Kassenvertrages selbst bei einer verleumderischen Anzeige und auch dann endgültig treffen, wenn das Strafverfahren nach Aufklärung des Sachverhalts eingestellt wird. Sich wieder um eine (andere) Kassenstelle bewerben zu können, würde die Unsachlichkeit des zwingenden Verlustes des Kassenvertrages nicht ausgleichen können, zumal auf die Wiederbetrauung mit einer (anderen) Kassenplanstelle kein Rechtsanspruch besteht.

2.5. Die belangte Behörde hat aber auch in einer den Vorwurf der Willkür durch denkunmögliche Gesetzesauslegung begründenden Weise die Systematik des §343 ASVG verkannt, die der von der belangten Behörde vertretenen Interpretation offenkundig entgegensteht:

Der Gesetzgeber hat durch §343 Abs2 Z5 ASVG im Falle einer strafbaren Handlung "wegen grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes" das Erlöschen eines Kassenvertrages erst mit Rechtskraft der Verurteilung angeordnet.

Wollte der Gesetzgeber also im Falle des Vorwurfs "grober Verfehlungen bei Ausübung des ärztlichen Berufes" das Vertragsverhältnis erst mit rechtskräftiger Verurteilung erlöschen lassen, dann ist es denkunmöglich, §343 Abs3 ASVG so auszulegen, dass schon die bei Einleitung des Strafverfahrens aus einem solchen Grund zwingend auszusprechende vorläufige Untersagung der Berufsausübung gemäß §62 Abs1 Ärztegesetz 1998 für sich genommen zwingend zur Auflösung des Vertrages führt.

2.6. Gegen dieses Ergebnis schlägt auch das anzuerkennende - und vom Gesetzgeber auch berücksichtigte - und vom Krankenversicherungsträger zu wahrende öffentliche Interesse auf eine (erstens) den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende und (zweitens) kontinuierliche Versorgung der Versicherten nicht durch:

Denn dem ersten der beiden Gesichtspunkte ist durch die vorläufige Untersagung der Berufsausübung bis zur Klärung der Sachlage ohnehin Rechnung getragen.

Der zweite Gesichtspunkt rechtfertigt das Normverständnis der belangten Behörde ungeachtet des Wortlautes und der Systematik des Gesetzes deshalb nicht, weil der Krankenversicherungsträger im Falle der Erkrankung eines Vertragsarztes längere, auch durch Monate dauernde Unterbrechungen der ärztlichen Berufsausübung an einer Kassenplanstelle (die nicht zum Verlust der Berufsbefugnis führen - vgl. nur §59 Abs1 Z3 Ärztegesetz 1998) hinnehmen und die Versorgung der Versicherten durch Vertretungsregelungen sicherstellen muss. Das öffentliche Interesse des Krankenversicherungsträgers wird insoweit durch die Möglichkeit, den Kassenvertrag bei Pflichtverletzungen durch Kündigung zu beenden, ausreichend gewahrt.

2.7. §343 Abs3 ASVG ist daher dahingehend auszulegen, dass die vorläufige Untersagung der Ausübung des ärztlichen Berufes gemäß §62 Ärztegesetz 1998 nicht zur sofortigen Auflösung des Kassenvertrages berechtigt.

2.8. Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid somit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG) verletzt.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach der Aktenlage mittlerweile rechtskräftig aus der Ärzteliste gestrichen wurde, vermag diese Grundrechtsverletzung weder zu beseitigen noch dem Beschwerdeführer das rechtliche Interesse an ihrer Feststellung zu nehmen.

3. Bei diesem Ergebnis war auf das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers nicht mehr einzugehen.

Der angefochtene Bescheid war vielmehr schon aus diesem Grund aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,- enthalten. Der beantragte Ersatz der Eingabengebühr war aufgrund der sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (§110 Abs1 Z2 lita ASVG) nicht zuzusprechen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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