VfGH B508/00

VfGHB508/006.4.2000

Keine Stattgabe des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend die Aussetzung der Auftragserteilung nach einem Vergabeverfahren; keine Kompetenz des VfGH zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung; Gewährung eines vorläufigen Rechtsschutzes im Nachprüfungsverfahren durch den Vlbg Vergabekontrollsenat (VKS) gemeinschaftsrechtskonform im Sinne der Rechtsmittelrichtlinie; einstweiliger Rechtsschutz im verfassungsgerichtlichen Verfahren zur Kontrolle der Bescheide des VKS gemeinschaftsrechtlich nicht geboten

Normen

AEUV Art234
Richtlinie des Rates vom 18.06.92. 92/50/EWG, über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentl Dienstleistungsaufträge
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge
Vlbg VergabeG §13
AEUV Art234
Richtlinie des Rates vom 18.06.92. 92/50/EWG, über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentl Dienstleistungsaufträge
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge
Vlbg VergabeG §13

 

Spruch:

Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wird keine Folge gegeben.

Begründung

Begründung

I. 1. Der Vorarlberger Gemeindeverband für Abfallwirtschaft und Umweltschutz (im folgenden: Auftraggeber) hat die Altpapierentsorgung aus Haushalten und haushaltsähnlichen Einrichtungen als Dienstleistungsvergabe in einem nicht-offenen, beschleunigten Verfahren EU-weit ausgeschrieben. Zur Angebotslegung wurden drei Unternehmen eingeladen, von denen sich in der Folge zwei (die antragstellenden Gesellschaften) zu einer Arbeitsgemeinschaft im Sinne des §17 BVergG 1997 (auf welches das Vrlbg.LVergG, LGBl. Nr. 20/1998, gem. §5 in weiten Teilen verweist) zusammengeschlossen haben. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1999 (den Bietern per Fax zugestellt) wurden die antragstellenden Gesellschaften davon informiert, daß der Vorstand des vergebenden Gemeindeverbandes beschlossen habe, den Zuschlag dem dritten Bieter zu erteilen. Weiters wurde mitgeteilt, daß ein Alternativangebot der antragstellenden Gesellschaften ausgeschieden werden mußte.

2. In der Folge stellten die antragstellenden Gesellschaften am 31. Dezember 1999 beim Vorarlberger Vergabekontrollsenat (im folgenden: VKS) mehrere Nachprüfungsanträge sowie einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen den Auftraggeber, die mit Bescheid vom 10. Jänner 2000, ZVKS-1/2000, mangels vorangegangener Durchführung eines Vorverfahrens gemäß §§9 Abs1, 12 Abs1 und 13 Abs3 Vrlbg.LVergG als unzulässig zurückgewiesen wurden.

(Gegen diesen Bescheid wurde von den antragstellenden Gesellschaften eine (zu B65/00 anhängige) Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben.)

3. Am 3. Jänner 2000 unterrichteten die antragstellenden Gesellschaften den Auftraggeber von ihrer Ansicht nach vorliegenden Rechtswidrigkeiten im Vergabeverfahren und über die aus diesen Gründen beabsichtigte Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beim VKS. Nach der Mitteilung des Auftraggebers iS des §11 Abs2 Vrlbg.LVergG, daß die behaupteten Rechtswidrigkeiten nicht vorliegen würden, brachten die antragstellenden Gesellschaften beim VKS mehrere Nachprüfungsanträge ein, verbunden mit einem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Diesem wurde mit Bescheid vom 26. Jänner 2000, ZVKS-2/2000 stattgegeben und ausgesprochen, daß es dem Auftraggeber bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nachprüfungsanträge untersagt sei, den Zuschlag zu erteilen. Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2000 wurden die Nachprüfungsanträge durch die antragstellenden Gesellschaften ausgedehnt und die Nichtigerklärung der (gesamten) gegenständlichen Ausschreibung begehrt. Mit Bescheid des VKS vom 29. Februar 2000, ZVKS-2/2000, wurden schließlich sämtliche Anträge als unbegründet abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die zu B508/00 protokollierte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die beim Gerichtshof am 16. März 2000 eingelangt ist. In ihr wurde u.a. beantragt, der Beschwerde gemäß §85 Abs2 VerfGG 1953 aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

4. Innerhalb der zehntägigen Zeitspanne, während der der Verfassungsgerichtshof es der belangten Behörde sowie den mitbeteiligten Parteien (ua. dem Auftraggeber) freigestellt hatte, sich zu diesem Antrag zu äußern, erteilte der Auftraggeber mit Schreiben vom 22. März 2000 den Zuschlag an den dritten Bieter; der Verfassungsgerichtshof wurde davon durch den Auftraggeber nicht in Kenntnis gesetzt und erst durch ein Telefax vom 27. März 2000 durch die antragstellenden Gesellschaften von der ihnen kurz zuvor durch den Auftraggeber mitgeteilten Zuschlagserteilung unterrichtet. Wie sich aus einem den übergangenen Bietern und in der Folge durch diese dem Verfassungsgerichtshof am 29. März 2000 zugekommenen Schreiben ergibt, wurde die Zuschlagserteilung im Sinne einer Vertragsannahme von jenem Bieter, dem der Zuschlag erteilt wurde, am 23. März 2000 gegenbestätigt.

Inzwischen hatte der Verfassungsgerichtshof am 27. März 2000 (noch nicht in Wissen um die Zuschlagsannahme) den Beschluß gefasst, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Dieser Beschluß wurde den beschwerdeführenden Gesellschaften sowie den mitbeteiligten Parteien vorab per Telefax zugestellt. Hinsichtlich der belangten Behörde erfolgte dies - wegen der Nichterreichbarkeit des Telefax-Anschlusses außerhalb der Zeiten des Parteienverkehrs - am frühen Vormittag des 28. März 2000.

5. Mit Antrag vom 29. März 2000 beantragten die antragstellenden Gesellschaften, daß im Wege einer einstweiligen Verfügung dem Auftraggeber vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in der zugrundeliegenden Beschwerdesache aufgetragen werden solle, die Durchführung der Abwicklung des mit dem erfolgreichen Bieter geschlossenen Auftragsverhältnisses auszusetzen (in eventu: "zu verbieten") bzw. die Aussetzung zu veranlassen oder eine andere geeignete Maßnahme (allenfalls die vorläufige Rückabwicklung des vorangegangenen Auftragsverhältnisses) anzuordnen.

Begründend wurde dabei im wesentlichen ausgeführt, daß es nach der Zuschlagserteilung dem VKS gem. §§13 Abs3 iVm 9, 12 Abs6 Vrlbg.LVergG an einer Kompetenz zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung fehle und es im Hinblick auf das Rechtsstaatlichkeitsgebot nunmehr in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes falle, (vorläufigen) Rechtsschutz zu gewähren. Nur durch Erlassung einer einstweiligen Verfügung - die in der noch verbleibenden Zeit bis Leistungsbeginn aufgrund des komplexen Sachverhalts von einem ordentlichen Gericht nicht denkmöglich bewältigt werden könne - würden zudem die Wirkungen des vom Verfassungsgerichtshof gefassten Beschlusses vom 27. März 2000 über die Gewährung der aufschiebenden Wirkung umgesetzt werden können. Die Leistung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Verfassungsgerichtshof sei zudem gemeinschaftsrechtlich geboten: Nicht nur die unmittelbare Anwendbarkeit der RL 92/50/EWG (Dienstleistungsrichtlinie) gebiete dies, sondern auch der dem gemeinschaftsrechtlichen Vergaberecht innewohnende Grundsatz eines effektiv zu gewährleistenden Rechtsschutzes. Auch aus der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-213/89 Factortame (Slg. 1990, I-2466 ff.) würde sich ableiten lassen, daß einem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren sei, wenn eine Bestimmung im nationalen Recht dem Wirksamwerden des Gemeinschaftsrechts entgegenstehe (Rz. 21). Desweiteren stützen die antragstellenden Gesellschaften ihren (zu sichernden) Anspruch auf Einhaltung der Vergabevorschriften durch den öffentlichen Auftraggeber auch direkt auf die Bestimmungen des Art4 und5 EGV sowie alle weiteren in Frage kommenden Bestimmungen des EG-Vertrages. Auch die RL 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie) sehe insbesondere in Art2 (1) vor, daß die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, daß in den Nachprüfungsverfahren entsprechende Befugnisse zur Sicherung von Rechtspositionen vorzusehen seien.

II. Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1. Weder die Bundesverfassung noch eine andere Verfassungsbestimmung, noch auch das VerfGG oder die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach §35 VerfGG sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen der Zivilprozeßordnung und des Einführungsgesetzes zur Zivilprozeßordnung enthalten eine Regelung, die die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einer von den antragstellenden Gesellschaften begehrten einstweiligen Verfügung begründen könnten.

Das bestreiten auch die antragstellenden Gesellschaften nicht. Sie meinen aber, daß aus dem Gemeinschaftsrecht unmittelbar eine Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes abzuleiten sei, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergebe. Daher hätte der Verfassungsgerichtshof - so meinen die antragstellenden Gesellschaften der Sache nach - in einem bei ihm anhängigen Verfahren einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, um die volle Wirksamkeit einer allfälligen späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen.

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob aus den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Effektivität des Schutzes von Rechten, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, eine Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einstweiliger Anordnungen abzuleiten ist, obwohl eine gesetzliche Ermächtigung zur Setzung entsprechender Akte eines Provisorialrechtsschutzes nicht vorhanden ist; eine Frage, die im Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der schon zitierten Rechtssache Factortame letztlich offen bleibt (vgl. auch den Beschluß VfSlg. 15.057/1997). Denn selbst unter der Annahme, daß der Verfassungsgerichtshof zur Erlassung entsprechender einstweiliger Anordnungen zur Sicherung von gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechtspositionen auch ohne innerstaatliche gesetzliche Kompetenzzuweisung allein kraft Gemeinschaftsrechts berufen sein sollte, würde es im vorliegenden Fall an einer hiefür wesentlichen Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Anordnung des von den antragstellenden Gesellschaften begehrten Inhalts fehlen:

Im vorliegenden Verfahren geht es nämlich nicht um die (vorläufige) Sicherung eines sich für die antragstellenden Gesellschaften aus der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts ergebenden Rechtes (worauf es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Factortame ankommt), sondern um die Sicherung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angewendeten generellen Rechtsnormen. Hiefür kann - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - aber aus dem Gemeinschaftsrecht keine Kompetenz zur Erlassung einstweiliger Verfügungen durch den Verfassungsgerichtshof abgeleitet werden.

2. Im einzelnen ist zum Vorbringen der antragstellenden Gesellschaften - abgesehen davon, daß sie übersehen, daß eine unmittelbare Anwendbarkeit der RL 92/50/EWG (Dienstleistungsrichtlinie) angesichts ihrer Umsetzung durch das Voralberger Vergabegesetz, LGBl. Nr. 20/1998, nicht in Betracht kommt - folgendes festzuhalten: Die antragstellenden Gesellschaften verweisen (zurecht) darauf, daß gemäß Art2 (1) der RL 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie) die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, daß für die Nachprüfungsverfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Vergabeverfahren "die erforderlichen Befugnisse" bestehen. Nun sind dem VKS solche Befugnisse eingeräumt, womit den von den antragstellenden Gesellschaften bezogenen Anforderungen der Rechtsmittelrichtlinie entsprochen ist. Daß es aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ausreicht, dem VKS entsprechende Befugnisse einzuräumen, ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH vom 4. Februar 1999 in der Rs C-103/97 Köllensperger (im Hinblick auf das dem VKS vergleichbar organisierte Tiroler Landesvergabeamt): Nach dieser Entscheidung ist davon auszugehen, daß der VKS als Gericht im Sinne des Art234 EGV den an ein in erster und letzter Instanz entscheidendes Gericht im Sinne des Art2 (8) der RL 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie) gestellten Anforderungen gerecht wird. Dem gemeinschaftsrechtlich gebotenen Rechtsschutz ist deshalb dadurch entsprochen, daß der VKS in einem Nachprüfungsverfahren entsprechend tätig werden konnte und tätig wurde. Von seiner - gemeinschaftsrechtlich gebotenen und landesgesetzlich durch §13 Vrlbg.LVergG eingeräumten - Kompetenz zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat der VKS im zugrundeliegenden Vergabeverfahren zudem - im Sinne der antragstellenden Gesellschaften - Gebrauch gemacht.

Daß die Entscheidungen des VKS nach Art144 B-VG einer - auf die Kontrolle von Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und von Rechten infolge der Anwendung rechtswidriger genereller Normen beschränkten - nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof unterliegen, ist durch keine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift gefordert. Es ist daher zur Durchsetzung der Effektivität des gemeinschaftsrechtlich geforderten Rechtsschutzes ein einstweiliger Rechtsschutz im verfassungsgerichtlichen Verfahren zur Kontrolle der Bescheide des VKS nicht erforderlich.

3. Da somit die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Anordnung durch den Verfassungsgerichtshof nicht vorliegen, war dem darauf abzielenden Antrag keine Folge zu geben, was gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.

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