VfGH B404/78

VfGHB404/7814.6.1982

Ktn. Bauordnung 1866; gemäß §27 unwirksam gewordener Bescheid - Abweisung statt Zurückweisung einer dagegen gerichteten Berufung durch den Gemeindevorstand; Entzug des gesetzlichen Richters durch Nichtwahrnehmung der Unzuständigkeit des Gemeindevorstandes durch die Vorstellungsbehörde

Normen

B-VG Art83 Abs2
Krnt BauO 1866 §27
B-VG Art83 Abs2
Krnt BauO 1866 §27

 

Spruch:

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Bürgermeister der ehemaligen Gemeinde A. am Wörthersee hatte mit Bescheid vom 14. Juni 1952 der Eigentümerin des Grundstückes 921/8 KG A. J. K. unter näher angeführten Auflagen die Bewilligung zum Umbau des auf diesem Grundstück bestehenden Hauses A. Nr. 63 gemäß den §§1 und 13 der Ktn. Bauordnung (im folgenden BauO 1866), LGBl. 12/1866 idgF, erteilt (im folgenden 1. Umbaubewilligung genannt).

b) Mit dem Bescheid vom 20. Feber 1956 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Villach (§12 BauO 1866) der genannten Eigentümerin des Grundstückes 921/8 KG A. die Bewilligung zum Umbau des auf diesem Grundstück befindlichen Hauses in eine Fremdenpension (s. Z3).

c) Mit Bescheid vom 30. September 1976 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde Velden am Wörthersee, der Rechtsnachfolgerin der Gemeinde A. (§60 Ktn. Gemeindestruktur-Verbesserungsgesetz, LGBl. 63/1972), der nunmehrigen Eigentümerin des Grundstückes 921/8 S. A. K. unter näher angeführten Auflagen neuerlich die Bewilligung zum Umbau des auf diesem Grundstück bestehenden Hauses nach den §§12 und 13 der Ktn. Bauordnung, LGBl. 48/1969.

d) Gegen den Bescheid vom 30. September 1976 erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Aus Anlaß der Erhebung dieser Berufung brachte die Beschwerdeführerin auch eine Berufung gegen die erste Umbaubewilligung ein. In dieser Berufung machte sie geltend, daß ihr Vater als ihr Rechtsvorgänger und Eigentümer einer unmittelbar an das Grundstück 921/8 angrenzenden Grundfläche (921/3 KG A.) im Ermittlungsverfahren zur Erteilung der 1. Umbaubewilligung nicht beigezogen und ein Bewilligungsbescheid an diesen nicht zugestellt worden sei.

e) Mit dem Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Velden am Wörthersee vom 3. November 1976 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 30. September 1976 (litc) als unbegründet abgewiesen. Die Berufung gegen die 1. Umbaubewilligung wurde vorerst nicht behandelt.

Gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes vom 3. November 1976 erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung an die Ktn. Landesregierung.

f) Dieser Vorstellung hat die Ktn. Landesregierung mit Bescheid vom 22. Feber 1977 Folge gegeben, den Bescheid des Gemeindevorstandes vom 3. November 1976 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Marktgemeinde Velden am Wörthersee verwiesen. Der Vorstellungsbescheid war im wesentlichen damit begründet, daß das Ermittlungsverfahren in mehrfacher Hinsicht mangelhaft durchgeführt, insbesondere die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die 1. Umbaubewilligung nicht behandelt worden sei.

g) Darauf hat der Gemeindevorstand der Marktgemeinde Velden am Wörthersee nach Durchführung einer Berufungsverhandlung mit Bescheid vom 29. Juni 1977 die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die 1. Umbaubewilligung unter Hinweis auf die Rechtsvorschriften, unter denen diese erteilt worden war (lita), als unbegründet abgewiesen.

h) Die gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes vom 29. Juni 1977 erhobene Vorstellung wurde von der Ktn. Landesregierung mit Bescheid vom 5. Juni 1978 gemäß §84 der Allgemeinen Gemeindeordnung, LGBl. 1/1966, als unbegründet abgewiesen.

2. Gegen diesen Vorstellungsbescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. Die Beschwerdeführerin behauptet, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein. Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben oder die Beschwerde im Falle der Abweisung dem VwGH abzutreten.

3. a) Die Beteiligte S. A. K. hat in der von ihr erstatteten Gegenschrift vorgebracht, daß der Umbau des Hauses auf dem Grundstück 921/8 KG A. durch ihre Rechtsvorgängerin nicht auf Grund der Baubewilligung der ehemaligen Gemeinde A. vom 14. Juni 1952, sondern vielmehr auf Grund des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Villach vom 20. Feber 1956 erfolgt sei. Der Antrag auf Erteilung der Baubewilligung, der durch den Bescheid vom 20. Feber 1956 positiv erledigt worden sei, sei notwendig geworden, da auf Grund des Bescheides der Gemeinde A. vom 14. Juni 1952 niemals gebaut und die Baubewilligung gemäß §27 BauO 1866, unwirksam geworden sei. Nach dieser Bestimmung werde die Baubewilligung unwirksam, wenn binnen zwei Jahren vom Tag ihrer Rechtskraft mit dem Bau nicht begonnen werde.

Der Gegenschrift war eine Fotokopie eines Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Villach vom 12. November 1956 angeschlossen, mit dem J. K. die Benützungsbewilligung für das Haus A. Nr. 63 auf der Parzelle 921/8 KG A. erteilt wurde, für welches mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Villach vom 20. Feber 1956 der Umbau in eine Fremdenpension bewilligt worden war. Hiezu wurde bemerkt, daß eine Kopie des Bescheides über die Erteilung der Umbaubewilligung nicht beschafft werden konnte, weil "sämtliche Unterlagen der Bezirkshauptmannschaft Villach aus dem Jahre 1956 anläßlich des Hochwassers im Jahre 1962 verloren gegangen" seien.

b) Nach Aufforderung durch den VfGH hat die belangte Behörde die Angaben der beteiligten Partei bestätigt, daß die Aktenunterlagen betreffend das Jahr 1956 der Bezirkshauptmannschaft Villach durch die Hochwasserkatastrophe im Jahre 1962 vernichtet wurden und daß daher Verwaltungsakten über die Erlassung der Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Villach vom 20. Feber 1956 und vom 12. November 1956 nicht mehr vorhanden sind. Sie hat des weiteren mitgeteilt, daß nach Durchsicht des Archivs der Marktgemeinde Velden am Wörthersee keine weiteren Aktenteile aufgefunden werden konnten, aus denen sich Aufschluß über das Verhältnis zwischen dem Bescheid der Gemeinde A. vom 14. Juni 1952 und dem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Villach vom 20. Feber 1956 ergeben könnte.

c) In der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH hat der Vertreter der Beteiligten einen Umbauplan für das Haus A. Nr. 63 vorgelegt, auf dem folgender Vermerk angebracht ist: "Genehmigt unter den Bedingungen des Bescheides vom 20. 2. 1956 Zl. 7 K 81/55 Der Bezirkshauptmann: ... (unleserliche handschriftliche Unterschrift und Amtssiegel der Bezirkshauptmannschaft Villach)". Zum Beweis dafür, daß die Beteiligte im Jahre 1952 den Umbau nicht ausgeführt habe, beantragte ihr Vertreter in der mündlichen Verhandlung die Einvernahme einiger namentlich genannter Zeugen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Nach dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Plan wurde dem im Jahre 1956 gestellten Antrag auf Bewilligung des Umbaues des Hauses A. Nr. 63 der Altbestand dieses Hauses zugrundegelegt, der die Grundlage für das im Jahre 1952 gestellte Ansuchen um Erteilung einer Umbaubewilligung dieses Hauses gebildet hat.

Nach Auffassung des VfGH ergibt sich schon daraus, daß der Umbau, der mit dem - nach den vorliegenden Verwaltungsakten nur der Bauwerberin zugestellten - Bescheid des Bürgermeisters vom 14. Juni 1952 (I.1.a) bewilligt worden war, nicht ausgeführt wurde.

Dies wird des weiteren durch den Umstand bestätigt, daß sich im Verwaltungsakt der Gemeinde A. über die Erteilung der 1. Umbaubewilligung weder eine nach §35 Abs1 BauO 1866 erforderliche Anzeige über den Baubeginn noch ein Bescheid über die Erteilung einer Benützungsbewilligung für die infolge des Umbaues errichteten Baulichkeiten (§83 BauO 1866) befindet.

Der VfGH nimmt auf Grund des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Planes und des Bescheides über die Erteilung der Benützungsbewilligung vom 12. November 1956 als erwiesen an, daß ein Umbau des Hauses A. Nr. 63 erst auf Grund der mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Villach vom 20. Feber 1956 erteilten Baubewilligung vorgenommen wurde. Die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge waren somit wegen ausreichender Klarstellung des relevanten Sachverhaltes abzuweisen.

Die mit Bescheid des Bürgermeisters vom 14. Juni 1952 erteilte Baubewilligung ist, da mit dem Bau nicht binnen zwei Jahren vom Tag der Rechtskraft begonnen worden war, jedenfalls dem Rechtsvorgänger der Beschwerdeführerin als übergangenem Nachbarn gegenüber nach §27 BauO 1866 unwirksam geworden.

2. Der Gemeindevorstand hat die von der Beschwerdeführerin gegen den nicht mehr wirksamen Bescheid vom 14. Juni 1952 erhobene Berufung mit Bescheid vom 29. Juni 1977 (I.1.e) als unbegründet abgewiesen. Er hat damit über die Berufung, statt diese, weil gegen einen unwirksam gewordenen Bescheid gerichtet, als unzulässig zurückzuweisen, eine meritorische Entscheidung gefällt und, da der Bescheid der Berufungsbehörde an die Stelle der Entscheidung der Unterbehörde tritt (vgl. VfSlg. 5368/1966), einen Bescheid mit dem Inhalt des Bescheides vom 14. Juni 1952 erlassen. Hiezu war er als Berufungsinstanz nicht zuständig, weil ein rechtswirksamer erstinstanzlicher Bescheid nicht mehr vorlag.

3. Die belangte Behörde hat die von der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes vom 27. Juni 1977 erhobene Vorstellung mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen. Sie hat damit, anstatt den Bescheid wegen Unzuständigkeit des Gemeindevorstandes aufzuheben, die Inanspruchnahme der dem Gemeindevorstand nach dem Gesetz nicht mehr zustehende Zuständigkeit nicht wahrgenommen. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist die Beschwerdeführerin dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden (vgl. VfSlg. 9026/1981).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

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