VfGH B36/02

VfGHB36/029.10.2002

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal durch Bescheiderlassung seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates betreffend Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand wegen Unterlassung der Durchführung einer Berufungsverhandlung; keine Bedenken gegen die dem UVS einen Ermessensspielraum einräumende verwaltungsstrafrechtliche Bestimmung über das Absehen von einer Berufungsverhandlung

Normen

EMRK österr Vorbehalt zu Art5
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
StVO 1960 §99a
VfGG §88
VStG §51e Abs3
EMRK österr Vorbehalt zu Art5
EMRK österr Vorbehalt zu Art6
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
StVO 1960 §99a
VfGG §88
VStG §51e Abs3

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Gegen dein Beschwerdeführer wurde folgende Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom 24. April 2001 erlassen:

" 1. Sie haben als Besitzer einer Bewilligung zur Durchführung von Probefahrten das Probefahrkennzeichen dem (...) überlassen, obwohl es sich nicht um eine Probefahrt gehandelt hat. Die Fahrt wurde am 03.06.2000 in Gd. Häselgehr, B198 - ÖMV-Tankstelle, mit dem PKW Kennzeichen (...) durchgeführt.

2. Sie haben es als Zulassungsbesitzer des Lkw, Kennzeichen (...) unterlassen dafür zu sorgen, dass am Fahrzeug eine gültige Begutachtungsplakette angebracht ist. Das genannte Fahrzeug wurde am 03.06.2000 in Gd. Häselgehr ÖMV-Tankstelle von (...) gelenkt.

3. Sie haben es als Zulassungsbesitzer des Lkw, Kennzeichen (...) unterlassen, dafür zu sorgen, dass an der rechten Außenseite des Fahrzeuges vollständig sichtbar und dauernd gut lesbar und unverwischbar Ihr Name und die Anschrift sowie der dauernde Standort des Fahrzeuges angeschrieben sind.

4. obwohl dieser Lkw mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 to/ anderer als leichter Anhänger nicht mit mindestens zwei Unterlegkeilen ausgestattet war."

Dadurch habe der Beschwerdeführer 1. gegen §7 VStG iVm. §45 Abs4 KFG 1967, 2. gegen §103 Abs1 Z1 iVm. §36e KFG 1967, 3. gegen §103 Abs5 KFG 1967 und 4. gegen §102 Abs1 iVm. §7 Abs3 KFG 1967 verstoßen. Über ihn wurden Geldstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und die Verpflichtung zum Ersatz der Verfahrenskosten ausgesprochen.

2. Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol (in der Folge: UVS). Im Rahmen der Ausführung seiner Berufung bestritt er, zum Tatzeitpunkt Zulassungsbesitzer gewesen zu sein sowie die Unterlegkeile nicht mitgeführt zu haben (diese seien auf der Pritsche mitgeführt worden). Der Beschwerdeführer stellte beim UVS ausdrücklich den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies der UVS, ohne zuvor eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, die Berufung hinsichtlich des Punktes 1. ab, gab ihr im übrigen Folge und verpflichtete den Beschwerdeführer zum Ersatz der Verfahrenskosten.

3. Dagegen richtet sich die gemäß Art144 B-VG erhobene Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung bei der Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage durch ein Tribunal (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

4. Der UVS hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er den Beschwerdeausführungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Mit Erkenntnis vom 25. September 2002, B1737/01, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß im Verwaltungsstrafverfahren eine Verletzung der durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verfahrensgarantie stattfindet, wenn der UVS - der insofern als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage zuständige Tribunal einschreitet - einen Schuldspruch fällt, ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, obwohl keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen.

2.2. Zur Rechtfertigung des Absehens von einer mündlichen Verhandlung beruft sich der UVS in seiner Gegenschrift darauf, daß das Berufungsvorbringen im Wesentlichen nur Rechtsfragen aufwarf, und daß der Beschwerdeführer keine Anträge auf Einvernahme von Zeugen gestellt hatte. Diese Einwände stehen im Widerspruch zum Inhalt des Berufungsvorbringens, in dem sehr wohl Elemente vorgebracht wurden, die die Bestreitung von Tatfragen beinhalten. Aus diesem Grund geht daher auch der Hinweis des UVS auf das Urteil des EGMR vom 19. Februar 1998 im Fall Jacobsson gg. Schweden (ÖJZ 1998/41) ins Leere. Im Übrigen hatte der Beschwerdeführer die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beim UVS sogar ausdrücklich beantragt, sodaß auch von einem Verzicht keine Rede sein kann.

3. Der Beschwerdeführer wurde daher in seinem gemäß Art6 Abs1 EMRK garantierten Recht verletzt (vgl. das Erkenntnis vom 25. September 2002, B1737/01).

4. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

5. Der Kostenzuspruch beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist eine Eingabegebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 180,- und Umsatzsteuer in Höhe von € 327 enthalten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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