Normen
B-VG Art12 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
AgrBehG §5 Abs2, §6 Abs2
AVG §52
B-VG Art12 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
AgrBehG §5 Abs2, §6 Abs2
AVG §52
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Vorarlberg ist verpflichtet, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Eingabe an die Agrarbezirksbehörde Bregenz vom 9.12.1997 beantragte der Beschwerdeführer, das auf den in seinem Eigentum stehenden (näher bezeichneten) Liegenschaften zugunsten der Seilwegegenossenschaft Alberschwende-Greban eingeräumte Bringungsrecht aufzuheben, weil die Seilbahn für die land- und forstwirtschaftliche Nutzung des betreffenden Anwesens infolge der ganzjährig zur Verfügung stehenden Straßenverbindung auf Dauer nicht mehr notwendig sei.
1.2. Mit Eingabe vom 2.11.1998 stellte der Einschreiter gemäß §73 AVG den Antrag auf Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung über seinen Antrag auf den Landesagrarsenat beim Amt der Vorarlberger Landesregierung. Dieser wies den Antrag mit Erkenntnis vom 28.3.2001 gemäß §73 AVG iVm. §10 Abs1 des Vorarlberger Güter- und Seilwegegesetzes ab.
1.3. Die dagegen erhobene Berufung wies der Oberste Agrarsenat beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft mit Erkenntnis vom 4.12.2002 ab, weil ein dauernder Entfall des Bedarfs nicht vorliege.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren, auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids begehrt wird.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Gemäß Art12 Abs2 B-VG steht in den Angelegenheiten der Bodenreform die Entscheidung in oberster Instanz und in der Landesinstanz Senaten zu, "die aus dem Vorsitzenden und aus Richtern, Verwaltungsbeamten und Sachverständigen als Mitgliedern bestehen".
Gemäß §6 Abs2 Agrarbehördengesetz 1950 idF BGBl. Nr. 902/1993 gehören dem Obersten Agrarsenat als stimmberechtigte Mitglieder an:
"1. ein rechtskundiger Beamter des höheren Dienstes im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft als Vorsitzender,
2. drei Mitglieder des Obersten Gerichtshofes,
3. ein in den Angelegenheiten der Bodenreform erfahrener rechtskundiger Beamter des höheren Dienstes im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft als Berichterstatter,
4. ein in agrartechnischen Angelegenheiten erfahrener Beamter des höheren Dienstes im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft,
5. ein in forstlichen Angelegenheiten erfahrener Beamter des höheren Dienstes im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft,
6. ein in landwirtschaftlichen Angelegenheiten erfahrener Beamter des höheren Dienstes im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft."
Art 12 Abs2 B-VG sieht die Mitwirkung von "Sachverständigen" als stimmberechtigte Mitglieder der Agrarsenate ausdrücklich vor. Durch die Bestellung von sachkundigen, als "Sachverständige" bezeichneten Personen als Mitglieder eines Kollegialorgans wird jedoch nicht bewirkt, dass sie dadurch im Kollegialorgan als Sachverständige im Sinne des §52 AVG tätig werden. Die Sachverständigenqualität bildet zwar eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft zum Obersten Agrarsenat; damit ist aber nicht die Stellung als Amtssachverständiger verbunden, sodass sich die Annahme einer "Doppelfunktion" verbietet. Die Heranziehung von "Sachverständigen" als stimmberechtigte Mitglieder des Obersten Agrarsenats ist daher verfassungsrechtlich nicht nur unbedenklich, sondern geradezu geboten (s. VfSlg. 8544/1979; vgl. VfSlg. 8796/1980, 9120/1981).
2. Der Beschwerdeführer rügt, dass ein sachkundiges Mitglied des Obersten Agrarsenats im Verfahren einerseits als Stimmführer, andererseits als Gutachter aufgetreten ist.
Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, hat das in agrartechnischen Angelegenheiten erfahrene Mitglied des Obersten Agrarsenats eine schriftliche "Technische Stellungnahme" erstattet, die in den Akten des Obersten Agrarsenats als "Stellungnahme des agrartechnischen Amtssachverständigen" bezeichnet wird. Hiebei handelt es sich um ein Gutachten im technischen Sinn und nicht nur um eine fachkundige, schriftlich niedergelegte Meinung. In dieser "Stellungnahme" wird auf Basis der Aktenlage und eines Lokalaugenscheins die Frage geklärt, ob der Bedarf für das verfahrensgegenständliche Bringungsrecht in agrartechnischer Hinsicht dauernd weggefallen ist. Der angefochtene Bescheid stützt sich in seiner Begründung auch auf die im Gutachten getroffenen Feststellungen.
3. Das Verfahren über die Aufhebung eines Bringungsrechts betrifft civil rights im Sinne des Art6 EMRK. Diese Bestimmung verlangt, dass in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mehrfach ausgesprochen, dass ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muss, dass keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 15.507/1999, 15.668/1999, beide mwH).
Der Umstand, dass ein sachkundiges stimmführendes Mitglied des Agrarsenats im Verfahren ein Gutachten in seiner Eigenschaft als Sachverständiger (im Sinne des AVG) erstattet hat, ist jedenfalls geeignet, einerseits an der Neutralität dieses Mitglieds als Sachverständiger (vgl. VfSlg. 10.701/1985, 16.029/2000), andererseits an seiner Unbefangenheit als Entscheidungsträger - zu dessen Aufgaben es unter anderem gehört, die Schlüssigkeit der eingeholten Sachverständigengutachten zu beurteilen - Zweifel aufkommen zu lassen, aber auch an der Unbefangenheit der übrigen Mitglieder des Obersten Agrarsenats, die ihre Entscheidung auf das Gutachten eines Mitglieds ihres Senats gestützt haben (s. VfGH 12. März 2003, B482/01).
Angesichts dessen konnten zumindest dem äußeren Anschein nach Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Obersten Agrarsenats als Tribunal im Sinne des Art6 EMRK entstehen. Bereits der äußere Anschein reicht aus, um eine Verletzung des Art6 EMRK zu bewirken.
Der Beschwerdeführer wurde somit durch den angefochtenen Bescheid in seinem aus Art6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt. Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- sowie die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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