Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ASVG §342 Abs2
AEUV Art102
VfGG §88
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ASVG §342 Abs2
AEUV Art102
VfGG §88
Spruch:
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden.
I. Die Beschwerde wird abgewiesen.
II. Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie und Allergologie. Aufgrund eines zwischen der Beschwerdeführerin und der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) am 21. März 1994 abgeschlossenen Einzelvertrages, erfolgte die Abrechnung von Leistungen für bei der WGKK versicherte Personen auf Grundlage des zwischen der WGKK und der Wiener Ärztekammer abgeschlossen Gesamtvertrages.
2. Mit Schreiben vom 23. Februar 2012 stellte die Beschwerdeführerin bei der Paritätischen Schiedskommission Wien einen Antrag auf Zahlung des ausständigen Honorars. Begründend führte die Beschwerdeführerin aus, dass es die WGKK unterlassen hätte, Honorare für von ihr erbrachte und ordnungsgemäß verrechnete Leistungen auszubezahlen. Mit Bescheid vom 28. Juni 2012 wies die Paritätische Schiedskommission den Antrag der Beschwerdeführerin ab und begründete dies damit, dass die Leistungsverrechnung entsprechend dem Gesamtvertrag vorgenommen worden sei und dass die dort vorgesehenen Limitierungen und Deckelungen gesetzes-, verfassungs- und unionsrechtskonform wären.
3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung an die Landesberufungskommission für Wien, in der sie die Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die Rechts- und Sittenwidrigkeit des Gesamtvertrages sowie einen Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht durch das System der Pflichtversicherung behauptete. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies die Landesberufungskommission für Wien die Berufung mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 als unbegründet ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der WGKK aufgrund des Systems der Pflichtversicherung eine marktbeherrschende Stellung zukomme, die sie in missbräuchlicher, insbesondere Art102 AEUV widersprechender Weise ausnütze. Dadurch wäre die Beschwerdeführerin in ihren Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit aller Staatsbürger verletzt.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah aber von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
5. Die Wiener Gebietskrankenkasse erstattete als beteiligte Partei eine Äußerung, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentrat, die Abweisung der Beschwerde und einen Kostenzuspruch beantragte.
II. Rechtslage
1. §342 Abs2 ASVG BGBl 189/1955 idF BGBl I 61/2010 lautet:
"(2) Die Vergütung der Tätigkeit von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten ist nach Einzelleistungen oder nach Pauschalmodellen zu vereinbaren. Die Vereinbarungen über die Vergütung der ärztlichen Leistungen sind jeweils in den Honorarordnungen für Einzelordinationen und für Gruppenpraxen zusammenzufassen; diese bilden einen Bestandteil der jeweiligen Gesamtverträge. Die Gesamtverträge sollen eine Begrenzung der Ausgaben der Träger der Krankenversicherung für die vertragsärztliche Tätigkeit einschließlich der Rückvergütungen bei Inanspruchnahme der wahlärztlichen Hilfe (§131) bzw. für die Tätigkeit von Vertrags-Gruppenpraxen einschließlich der Rückvergütungen bei Inanspruchnahme von Wahl-Gruppenpraxen enthalten."
2. §45 Abs1 des Gesamtvertrages vom 1. Jänner 2011, abgeschlossen gemäß §§338, 341 und 342 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl 189/1955 in der geltenden Fassung sowie gemäß §66a Abs1 Z1 des Ärztegesetzes, BGBl I 1998/169 in der geltenden Fassung zwischen der Ärztekammer für Wien, Kurie der niedergelassenen Ärzte, einerseits und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (im Folgenden kurz Hauptverband) für die im §2 genannten Krankenversicherungsträger andererseits, lautet:
"(1) Die Honorierung des Vertragsarztes erfolgt nach den Bestimmungen der Honorarordnung, die integrierender Bestandteil dieses Gesamtvertrages ist."
3. Artikel I Abs2 des II. Abschnitts der Honorarordnung lautet:
"(2) Die Honorierung der von allgemeinen Vertragsfachärzten erbrachten Leistungen erfolgt nach Maßgabe des Tarifes für allgemeine Vertragsfachärzte (Anlage B)."
4. Der Tarif für allgemeine Vertragsfachärzte (Anlage B) sah für den maßgeblichen Zeitpunkt (ab April 2011) für die im Verfahren strittigen Positionen folgende Honorierung vor:
"
Pos. Ziff. | Text | Punkte | Betragin Euro |
90 | Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache zwischen Arzt und Patient als integrierter Therapiebestandteil (Ärztl. Gespräch), Gesprächsdauer im Allgemeinen zwischen 10 und 15 Minuten. Die Pos. Ziff. 90 ist von Vertragsfachärzten für Augenheilkunde, Vertragsfachärzten für Chirurgie, Vertragsfachärzten für Innere Medizin, Vertragsfachärzten für Kinder- und Jugendheilkunde und Vertragsfachärzten für Lungenkrankheiten in maximal 18 % der Fälle pro Quartal, von den übrigen allgemeinen Vertragsfachärzten in höchstens 11 % der Fälle pro Quartal, verrechenbar. Bei Vertragsfachärzten für Innere Medizin, die auf Grund ihrer Ausbildung von der Kasse und Kammer für die Verrechnung der Pos. Ziff. 635 ermächtigt wurden bzw. denen nach den Richtlinien der Österreichischen Diabetes Gesellschaft auf Grund ihrer Ausbildung die Ermächtigung erteilt worden wäre, erhöht sich das Verrechnungslimit auf 20 % der Fälle pro Quartal. Innerhalb eines Quartals ist beim selben Patienten die gleichzeitige Verrechnung der Pos. Ziff. 614 'Eingehende psychische Beratung bei larvierten Depressionen etc.' ausgeschlossen; die gleichzeitige Verrechnung der Pos. Ziff. 751 'Verbale Intervention bei psychiatrischen Krankheiten bzw. heilpädagogische Behandlung bei Kindern' und 756 'Psychotherapeutische Medizin in der Gruppe, Mindestzeitaufwand 1 1/2 Stunden, pro Patient', ist nur mit Begründung möglich. Weiters werden folgende Bedingungen festgelegt, die bei der Verrechnung der Pos. Ziff. 90 vorliegen müssen. a) Bei zugewiesenen Patienten darf die 'Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache' durch Vertragsfachärzte für Neurologie und Psychiatrie bzw. Psychiatrie und Neurologie nicht, durch die übrigen allgemeinen Vertragsfachärzte nur dann verrechnet werden, wenn dies im Zuge der weiteren Behandlung medizinisch notwendig ist. Eine Zuweisung nur zum Zwecke einer 'Ausführlichen diagnostisch-therapeutischen Aussprache' ist unzulässig. Gleichfalls unzulässig ist die Verrechnung dieser Leistung bei Patienten, die nur im Rahmen der Urlaubsvertretung behandelt werden. b) Mit der 'Ausführlichen diagnostisch-therapeutischen Aussprache' soll grundsätzlich eine Erweiterung und Vertiefung der Therapie erreicht werden; darunter fällt jedoch nicht die Anamnese. c) Der Arzt hat die 'Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache' persönlich zu führen; die Verwendung medialer Hilfsmittel (zB Video) oder die 'Ausführliche diagnostische-therapeutische Aussprache' mit mehreren Patienten gleichzeitig ist unzulässig. Die Gesprächsführung mit Eltern bei Kindern bzw. Angehörigen bei geistig eingeschränkten Patienten (Apoplexiepatienten) ist zulässig. d) Die 'Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache' ist grundsätzlich in der Ordination und nach Tunlichkeit außerhalb der festgesetzten Ordinationszeiten zu führen. In medizinisch begründeten Fällen ist die "Ausführliche diagnostisch-therapeutische Aussprache" auch im Rahmen einer Visite zulässig. e) Vertragsfachärzte für Radiologie und med. und ehem. Labordiagnostik sind zur Verrechnung dieser Leistung nicht berechtigt. | 11,88 | |
[…] | |||
535 | Allergologische Exploration; in maximal 18 % der Fälle, pro Arzt und Quartal verrechenbar. | 10 | |
[…] | |||
538 | Auflichtuntersuchung; verrechenbar einmal pro Patient und Jahr. Nicht am selben Tag wie Pos. Ziff. 525 verrechenbar. | 20 |
"
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.
2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
2.1. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, dass jene Bestimmungen des Gesamtvertrages, die eine Deckelung der Abgeltung bestimmter Leistungen vorsehen, gleichheitswidrig seien, da sie als Ärztin gesetzlich dazu verpflichtet sei, ASVG-Versicherte ohne angemessene Gegenleistung zu behandeln. Damit habe sie gegenüber anderen Berufsgruppen ein Sonderopfer zu tragen.
2.1.1. Die Bedenken der Beschwerdeführerin sind nicht begründet. Zum einen irrt die Beschwerdeführerin, wenn sie davon ausgeht, dass sie aufgrund des Gesetzes verpflichtet sei, alle ASVG-Versicherten zu behandeln. Abgesehen von den Fällen drohender Lebensgefahr (§48 ÄrzteG) ergibt sich eine Behandlungspflicht allenfalls aus dem zwischen der Beschwerdeführerin und der WGKK abgeschlossenen Einzelvertrag.
2.1.2. Bezüglich der aufgrund dieses Einzelvertrages anwendbaren Regelungen des Gesamtvertrages über die Honorierung ärztlicher Leistungen geht der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Honorarordnungen als Resultat von Verhandlungen zwischen Interessenvertretungen, die einander widerstreitende Interessen zu vertreten haben, Ausdruck des zwischen diesen gegenbeteiligten Interessen erzielten Interessenausgleichs sind und insoweit auch die Vermutung der Angemessenheit der zu erbringenden Leistungen und des für diese Leistungen geschuldeten Entgelts für sich haben (VfSlg 15.698/1999, 16.463/2002, 16.607/2002, 17.919/2006). Art102 AEUV ist auf den vorliegenden Sachverhalt schon deshalb nicht anzuwenden, da es sich bei den Sozialversicherungsträgern, soweit sie durch Abschluss von Einzelverträgen mit Ärzten die Heilbehandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sicherstellen, nicht um Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung handelt (vgl. EuGH 5.3.2009, C-350/07 "Kattner Stahlbau GesmbH" zu einer Berufsgenossenschaft als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, sowie 3.3.2011, C-437/09 "AG2R Prévoyance" zu einem mit Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung beliehenen Unternehmen des Privatrechts).
2.1.3. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits zur alten Fassung des §342 Abs2 ASVG, wonach die Tätigkeit der Vertragsärzte "grundsätzlich" nach Einzelleistungen zu vergüten war, ausgesprochen, dass es den Vertragsparteien überlassen bleibe, das Honorar der Vertragsärzte zu bestimmen, wobei von einem weiten Gestaltungsspielraum auszugehen sei. Die den vertragschließenden Teilen nach §342 Abs1 Z3 ASVG zukommende Gestaltungsmacht darf – verfassungsrechtlich unbedenklich – in der Weise ausgeübt werden, dass – um die Funktionsfähigkeit des Krankenversicherungssystems auch künftig zu gewährleisten – die Pflicht des Krankenversicherungsträgers, die vertragsärztliche Tätigkeit zu vergüten, in der Honorarordnung angemessen begrenzt wird (so noch zur Rechtslage vor Änderung des §342 Abs2 VfSlg 16.463/2002; vgl. auch VfSlg 16.607/2002, wonach gesamtvertragliche Verrechnungsbeschränkungen gesetzlich nicht ausgeschlossen sind). Mit der Novellierung des §342 Abs2 ASVG durch das BGBl I 61/2010 wurde auch gesetzlich klargestellt, dass die Vergütung der Tätigkeit von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten nach Einzelleistungen oder nach Pauschalmodellen zu vereinbaren ist. Der Verfassungsgerichtshof hat daher keine Bedenken ob der Zulässigkeit von limitierenden und in diesem Sinne pauschalierenden Abgeltungsregelungen, wie sie im konkreten Fall zur Anwendung kamen (vgl. VfSlg 16.463/2002 zur alten Fassung des §342 Abs2 ASVG).
2.2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder Willkür geübt hat, liegt die von der Beschwerdeführerin gerügte Verletzung im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger nicht vor.
3. Gleiches gilt für die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums, wobei dahingestellt bleiben kann, ob ein Streit zwischen Vertragsarzt und Krankenversicherungsträger überhaupt den Schutzbereich dieses Grundrechts berührt.
IV. Ergebnis
1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
2. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
3. Dem Antrag der beteiligten Partei auf Kostenersatz ist nicht stattzugeben, da es sich bei dem von ihr eingebrachten Schriftsatz, mit dem sie von der ihr eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Äußerung Gebrauch gemacht hat, nicht um einen abverlangten Schriftsatz handelt (VfSlg 13.847/1994, 15.300/1998, 15.818/2000, 16.037/2000, 16.463/2002) und da die von ihr erstattete Äußerung nichts zur Rechtsfindung beigetragen hat (zB VfSlg 14.214/1995, 15.916/2000).
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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