VfGH B257/91

VfGHB257/9114.12.1991

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter mangels Ablehnungsmöglichkeit eines nicht bekanntgegebenen Mitgliedes einer Kollegialbehörde und infolge geschäftsordnungswidriger Zusammensetzung des Disziplinarrates einer Rechtsanwaltskammer

Normen

B-VG Art83 Abs2
GO des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten §3
GO des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten §7
DSt 1872 §25
DSt 1872 §35
B-VG Art83 Abs2
GO des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten §3
GO des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten §7
DSt 1872 §25
DSt 1872 §35

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer für Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 15.000,-- festgesetzten Prozeßkosten innerhalb von 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 13. Dezember 1989, Zl. D 21/89, wurde der beschwerdeführende Rechtsanwalt für schuldig befunden, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er "die aus der Konsultierung des Rechtsanwaltes (Name) der Anwaltsgemeinschaft (Name), London, am 29. Juli 1986 entstandene Honorarforderung vom 26. November 1986 nicht bezahlt" habe. Er wurde hiefür gemäß §12 Abs1 lita DSt zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises und zum Kostenersatz verurteilt.

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 18. Juni 1990, Zl. Bkd 5/90-10, keine Folge gegeben.

1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie gemäß Art6 MRK behauptet, die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, nämlich des §38 RL-BA 1977, geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

1.4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den Antrag stellt, der Beschwerde nicht Folge zu geben.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen.

Es bedarf hier keiner näheren Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen, weil die Beschwerde schon aus einem anderen - in der Beschwerde nicht relevierten - Grund berechtigt ist.

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 8731/1980, 10.022/1984, 11.350/1987).

Eine Kollegialbehörde ist auch dann unrichtig zusammengesetzt, wenn der zur Ablehnung von Mitgliedern der Behörde berechtigten Partei die Ausübung dieses Rechtes dadurch unmöglich gemacht wird, daß ihr die zur Entscheidung berufenen Mitglieder der Kollegialbehörde nicht bekanntgegeben werden; gesetzlicher Richter ist in Fällen dieser Art nämlich die Behörde, deren Besetzung der Partei bekanntgegeben und gegen welche ein Ablehnungsantrag nicht erhoben oder zu Unrecht erhoben worden ist (VfSlg. 3406/1958 und 7037/1973). Diese Überlegung trifft auch dann zu, wenn der zur Ablehnung berechtigten Partei nicht alle an der Entscheidung beteiligten Kommissionsmitglieder bekanntgegeben worden sind (VfSlg. 7360/1974, 8904/1980).

Da der administrative Instanzenzug als Einheit aufzufassen ist, wird das Recht auf den gesetzlichen Richter auch dann verletzt, wenn in unterer Instanz eine unrichtig zusammengesetzte Kollegialbehörde eingeschritten ist und dies von der belangten Behörde nicht wahrgenommen wurde (vgl. zB VfSlg. 5700/1968, 7605/1975, 9599/1983, 11.677/1988).

Gemäß §25 des hier noch anzuwendenden DSt 1872 (vgl. auch VfSlg. 2860/1955) hatte der Disziplinarrat in Senaten zu verhandeln und zu entscheiden, die aus einem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern bestanden. Den Vorsitz hatte der Präsident oder sein Stellvertreter zu führen. Nach §35 leg.cit. war dem Disziplinarbeschuldigten gleichzeitig mit der Ladung zur Disziplinarverhandlung die Liste der zur Verhandlung einberufenen Mitglieder des Senates einschließlich allfällig einberufener Ersatzmitglieder mitzuteilen. Der Beschuldigte hatte das Recht, spätestens binnen drei Tagen nach Zustellung der Ladung ohne Angabe der Gründe zwei Mitglieder (Ersatzmitglieder) durch die Ablehnung von der Teilnahme an der Verhandlung auszuschließen.

Dem Beschwerdeführer wurden in der Ladung zur mündlichen Disziplinarverhandlung am 13. Dezember 1989 vom Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten folgende in Betracht kommende

Mitglieder und Ersatzmitglieder für die Verhandlung bekanntgegeben:

Als Vorsitzender: Präsident-Stellvertreter Dr. P G; als Mitglieder:

Dr. V B, Dr. W P und Dr. U P; als Ersatzmitglieder: Dr. G S, Dr. W G A und Dr. W R. Dennoch fungierte in der Folge als - wenn auch nicht den Vorsitz führendes - Mitglied der Disziplinarbehörde erster Instanz Präsident Dr. O F. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten war somit bei der Disziplinarverhandlung, Beratung und Beschlußfassung am 13. Dezember 1989 gesetzwidrig zusammengesetzt, weil dabei ein Mitglied mitwirkte, welches dem Beschwerdeführer vorher nicht bekanntgegeben wurde und hinsichtlich dessen er folglich von seinem Ablehnungsrecht nicht Gebrauch machen konnte. Hinzu kommt, daß §3 der Geschäftsordnung des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten in Ausführung des §25 DSt vorsieht, daß der Präsident durch den gewählten Stellvertreter nur dann vertreten wird, wenn er verhindert, ausgeschlossen oder abgelehnt ist. Ein solcher Fall lag jedoch hier nicht vor. Vielmehr hat der Präsident an der Beratung und Abstimmung teilgenommen. Er hätte dies jedoch im Hinblick auf die genannten Regelungen nur als Vorsitzender tun dürfen; sein Stellvertreter hingegen hätte dem Kollegialorgan mangels Vorliegens eines Vertretungsfalles nicht als Vorsitzender angehören dürfen (s. auch §7 der genannten Geschäftsordnung). Da die belangte Behörde diese Mängel nicht aufgegriffen hat, ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; in den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz und §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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