Normen
RAO §10, §23, §28
DSt 1990 §1
RL-BA 1977 §1
ORF-G §19 Abs1, Abs4, §30
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §10, §23, §28
DSt 1990 §1
RL-BA 1977 §1
ORF-G §19 Abs1, Abs4, §30
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Spruch:
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwältin in Wien und war von 1998 bis jedenfalls Anfang 2005 Mitglied des Publikumsrates des Österreichischen Rundfunks (im Folgenden: ORF). Während dieser Tätigkeit hat sie mehrere Mandanten in Gerichtsverfahren gegen den ORF vertreten. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2004 erteilte der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien der Beschwerdeführerin die Weisung:
"[K]eine Vertretungen gegen den ORF mehr zu übernehmen und die derzeit bestehenden Vollmachtsverhältnisse unverzüglich aufzulösen.
Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass ein Ausscheiden aus dem Publikumsrat nicht ausreichen würde, da §19 Abs4 ORF-Gesetz in der derzeitigen Fassung normiert, dass die Geheimhaltungspflicht auch nach dem Ausscheiden als Mitlied eines Stiftungsorganes fortbesteht."
1.2. Die dagegen erhobene Vorstellung wurde mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom 16. November 2004 abgewiesen. Begründend wird ausgeführt, dass einem Rechtsanwalt gemäß §10 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO) jegliche Art der Doppelvertretung untersagt sei. Unter "vertreten" iSd. Abs1 leg.cit. sei jede anwaltliche Tätigkeit zunächst für und dann gegen den Klienten zu verstehen, unabhängig davon, ob das Einschreiten aufgrund einer Vollmacht geschehe. Aufgrund der gesetzlichen Befugnisse des Publikumsrates sei es möglich, dass der Beschwerdeführerin Tatsachen bekannt werden, die auch die gegen den ORF angestrengten Rechtsstreitigkeiten betreffen können, weshalb eine unechte formelle Doppelvertretung vorliege.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Berufsausübung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
4. Die Beschwerdeführerin erstattete eine Replik.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
"§10. (1) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, die Vertretung einer Partei zu übernehmen, und kann dieselbe ohne Angabe der Gründe ablehnen; allein er ist verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rates abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten früher als Richter oder als Staatsanwalt tätig war. Ebenso darf er nicht beiden Teilen in dem nämlichen Rechtsstreit dienen oder Rat erteilen.
(2) - (3) ...
§23. (1) Der Wirkungsbereich der Rechtsanwaltskammer erstreckt sich auf das Bundesland, für das sie errichtet wurde, sowie auf alle Rechtsanwälte, die in die Liste dieser Rechtsanwaltskammer eingetragen sind. Die Rechtsanwaltskammer besorgt ihre Geschäfte teils unmittelbar in Plenarversammlungen, teils mittelbar durch ihren Ausschuss.
(2) Die Rechtsanwaltskammer hat innerhalb ihres Wirkungsbereiches die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der der Rechtsanwaltskammer angehörenden Rechtsanwälte wahrzunehmen, zu fördern und zu vertreten. Dabei obliegt der Rechtsanwaltskammer insbesondere auch die Wahrung der Ehre, des Ansehens, der Rechte und der Unabhängigkeit sowie die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstandes."
§1 Disziplinarstatut 1990 (im Folgenden: DSt 1990) lautet:
"§1. (1) Ein Rechtsanwalt, der schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt oder inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt, begeht ein Disziplinarvergehen.
(2) Disziplinarvergehen sind vom Disziplinarrat zu behandeln.
(3) Im übrigen obliegt die standesrechtliche Aufsicht dem Ausschuß der Rechtsanwaltskammer (§23 der Rechtsanwaltsordnung)."
1.2. Die Beschwerdeführerin bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden.
2. Die Beschwerdeführerin behauptet im Wesentlichen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Berufsausübung und führt ua. aus, dass sie als Mitglied des Publikumsrates die Angelegenheiten der "Hörer und Seher", nicht jedoch jene des ORF vertrete. Durch die Vertretung einzelner "Hörer und Seher" gegen den ORF werde sie nicht auf verschiedenen Seiten tätig, weshalb keine Doppelvertretung vorliegen könne. Die Existenz mehrerer Verschwiegenheitspflichten sei in der Berufsausübung eines Rechtsanwaltes die Regel und könne daher keine Doppelvertretung begründen. Abgesehen davon sei eine unechte Doppelvertretung nicht unter §10 RAO, sondern unter §9 RAO zu subsumieren.
3.1. Bereits in VfSlg. 1314/1930 wurde festgestellt, dass Art6 StGG die Ausübung jedes Erwerbszweiges nur "unter den gesetzlichen Bedingungen" gewährleistet. Die freie Ausübung eines Erwerbes oder Berufes kann daher durch ein Gesetz eingeschränkt werden. Hinsichtlich des Rechtsanwaltsberufes ist dies durch die RAO und das DSt 1990 geschehen. Die freie Ausübung des Anwaltsberufes durch die Beschwerdeführerin ist somit nur unter den gesetzlichen Bedingungen des §10 RAO und des DSt 1990 gestattet.
Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Bestimmungen käme eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsausübung nur dann in Betracht, wenn die Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.470/1997, 15.449/1999).
Selbst wenn der ORF von der Beschwerdeführerin nicht "als Mandant vertreten" wurde, ist zu beachten, dass gemäß den einschlägigen Bestimmungen der RAO (insbesondere §10) und §1 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter, jedwede berufsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten durch den Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes erfolgt. Der Publikumsrat ist gemäß §19 Abs1 Bundesgesetz über den Österreichischen Rundfunk (im Folgenden: ORF-G) ein Organ des ORF, dessen Aufgaben in §30 ORF-G aufgezählt sind. Insbesondere bestimmt §30 Abs2 ORF-G, dass der Publikumsrat zur Erfüllung der in Abs1 genannten Aufgaben befugt ist, den Generaldirektor, die Direktoren und die Landesdirektoren über alle von ihnen zu besorgenden Aufgaben des ORF zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann der Auffassung der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wonach es bereits aufgrund der gesetzlichen Befugnisse des Publikumsrates möglich sei, dass der Beschwerdeführerin Tatsachen offenbar werden, die auch die gegen den ORF angestrengten Rechtsstreitigkeiten betreffen können.
Auch der Umstand, dass sämtliche Mitglieder des Publikumsrates gemäß §19 Abs4 ORF-G zur Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet sind, spricht nicht gegen die Annahme des Vorliegens einer unechten Doppelvertretung, weil die konkrete Gefahr einer Interessenkollision keine Voraussetzung dafür bildet (vgl. zB VfGH 2.12.2004, B999/04).
Die von der belangten Behörde vorgenommene Subsumtion des der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Verhaltens unter §10 RAO ist somit nicht denkunmöglich erfolgt, weshalb keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsausübung vorliegt.
3.2. Anzumerken bleibt außerdem, dass der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer in Ausübung seines Überwachungs- und Aufsichtsrechtes allgemeine oder besondere Anordnungen an die Mitglieder erlassen kann (§§23, 28 RAO). Ob eine individuell erteilte Anordnung gesetzmäßig ist, das heißt, ob der Adressat seine Pflichten als Anwalt verletzt hat, hat nur der Disziplinarrat in einem Verfahren festzustellen. In diesem Verfahren ist auch zu prüfen, ob der angefochtene Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer in den Grenzen des Gesetzes, insbesondere der RAO, gefasst wurde; denn die Frage, ob die Nichtbefolgung eines vom Ausschuss einer Rechtsanwaltskammer erteilten Auftrages den Anwalt disziplinär verantwortlich macht, hat im einzelnen Fall ausschließlich die Disziplinarbehörde zu entscheiden (vgl. VfSlg. 1314/1930; Feil/Wennig, Anwaltsrecht, 2004, §23, Rz. 1).
Den Disziplinarbehörden kommt somit bei der Beurteilung, ob ein Standesangehöriger gegen standesrechtliche Pflichten verstoßen hat, eine letzte Entscheidungsbefugnis zu. Es besteht zwar kein förmliches Rechtsmittel an den Disziplinarrat, dieser hat jedoch in einem eingeleiteten Disziplinarverfahren eigenverantwortlich, somit ohne Bindung an die in einem Auftrag gemäß §23 RAO vorgesehenen Verhaltenspflichten, zu beurteilen, ob ein Standesangehöriger durch sein Verhalten gegen die RAO oder das DSt 1990 verstoßen hat (vgl. Stolzlechner, Zur Erteilung standesrechtlicher Aufträge sowie zur Erlassung von Feststellungsbescheiden durch den Ausschuss einer Rechtsanwaltskammer gemäß §23 RAO, AnwBl. 1999, 537).
4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass sie in ihren Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
5. Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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