VfGH B1573/98

VfGHB1573/9825.9.2000

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bei Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt durch unrichtige Zusammensetzung der OBDK aufgrund Mitwirkung eines bereits in erster Instanz als Untersuchungskommissär eingeschrittenen Anwaltsrichters

Normen

B-VG Art83 Abs2
DSt 1990 §26
DSt 1990 §64 Abs2
B-VG Art83 Abs2
DSt 1990 §26
DSt 1990 §64 Abs2

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 20.500,- festgesetzten Prozeßkosten innerhalb von 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich (im folgenden: Disziplinarrat) wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung begangen zu haben, weil er es unterlassen habe, dafür Sorge zu tragen, daß sein Name in einem Inserat der ... (es folgt der Name des Beschwerdeführers) Immobilien GmbH vom 22. Juni 1995 in der Badener Zeitung in Verbindung mit einem Foto und unter Hinweise auf seine Anwaltskanzlei veröffentlicht wurde, obwohl er als Hälfteeigentümer der alleinigen Gesellschafterin der genannten Gesellschaft Einfluß auf diese Firma habe. Er wurde hiefür zu einer Geldbuße von S 10.000,- sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

2. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 15. Dezember 1997 keine Folge gegeben.

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der ua. die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt sub titulo des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter vor, daß die OBDK bei ihrer Entscheidung nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt war, weil der im Verfahren vor dem Disziplinarrat als Untersuchungskommissär bestellte Rechtsanwalt Dr. A T entgegen der Bestimmung des §64 Abs2 Disziplinarstatut 1990, BGBl. 1990/474 (im folgenden DSt 1990) iVm.

§26 Abs2 leg.cit. als Anwaltsrichter im Verfahren vor der OBDK an der Entscheidung dieser Behörde mitgewirkt hat.

Der Beschwerdeführer ist mit diesem Vorwurf im Recht.

1.2. Der Präsident des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich bestellte am 20. September 1995 das Mitglied des Disziplinarrates, Rechtsanwalt Dr. A T, zum Untersuchungskommissär für das Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer. Am 19. Februar 1996 erstattete der Untersuchungskommissär einen Bericht gemäß §28 DSt 1990, in dem er die Ergebnisse seiner Erhebungen darlegte. Gestützt auf diesen Bericht faßte der Disziplinarrat am 3. Juni 1996 den Einleitungsbeschluß gegen den Beschwerdeführer.

Das Erkenntnis des Disziplinarrates, wogegen der Beschwerdeführer Berufung an die OBDK erhob, erging am 14. Oktober 1996.

Rechtsanwalt Dr. A T wurde gemäß §59 Abs2 DSt 1990 am 21. November 1996 von der Vollversammlung der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich für fünf Jahre zum Anwaltsrichter vor der OBDK gewählt.

Am 29. September 1997 wurde der nunmehrige Anwaltsrichter Dr. A T im Verfahren vor der OBDK zum Berichterstatter in jener Disziplinarsache gegen den Beschwerdeführer bestellt, in welcher er bereits in erster Instanz als Untersuchungskommissär tätig geworden war. Am 31. Oktober 1997 stellte er den Antrag, der Berufung gegen das Erkenntnis des Disziplinarrates keine Folge zu geben und das angefochtene Erkenntnis zu bestätigen. Dr. A T nahm an der mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 1997 vor der OBDK teil und gehörte dem erkennenden Kollegium der OBDK an, welches den angefochtenen Bescheid fällte.

1.3. Gemäß §63 Abs1 DSt 1990 verhandelt und entscheidet die OBDK in Senaten, die aus zwei Richtern und zwei Anwaltsrichtern bestehen, wobei jedes Mitglied der OBDK mehreren Senaten angehören darf. Nach §63 Abs2 DSt 1990 führt den Vorsitz des Senats ein Richter; ein Anwaltsrichter des Senats soll nach Möglichkeit dem Kreis derjenigen Rechtsanwälte angehören, die von der Rechtsanwaltskammer des Beschuldigten gewählt wurden. Nach §59 Abs3 DSt 1990 darf ein Mitglied der OBDK ua. nicht zugleich Mitglied des Ausschusses oder des Disziplinarrates einer Rechtsanwaltskammer sein.

§64 DSt 1990 lautet auszugsweise wie folgt:

"(1) Die Mitglieder der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission sind in Ausübung dieses Amtes an keine Weisungen gebunden. Sie haben ihr Amt unparteiisch auszuüben. ... Die Entscheidungen der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg.

(2) Auf die Mitglieder der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission sind die Ausschließungsgründe des §26 anzuwenden. Ausgeschlossen ist ferner, wer an der angefochtenen Entscheidung teilgenommen oder am vorangegangenen Verfahren als Kammeranwalt, Verteidiger des Beschuldigten oder Vertreter eines sonst Beteiligten mitgewirkt hat.

(3) Die Generalprokuratur, der Kammeranwalt und der Beschuldigte sind darüber hinaus berechtigt, einzelne Mitglieder der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission unter Angabe bestimmter Gründe wegen Befangenheit abzulehnen.

(4) Die Mitglieder der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission haben sie betreffende Ausschließungs- oder Befangenheitsgründe dem Präsidenten der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission unverzüglich bekanntzugeben.

(5) Über das Vorliegen von Ausschließungs- oder Befangenheitsgründen entscheidet der Präsident. ..."

Nach §26 Abs1 DSt 1990 ist ein Mitglied des Disziplinarrats von der Teilnahme am Disziplinarverfahren ausgeschlossen, wenn 1. das Mitglied durch das Disziplinarvergehen selbst betroffen oder Anzeiger oder 2. Rechtsfreund oder gesetzlicher Vertreter des Betroffenen oder Anzeigers ist oder 3. der Beschuldigte, der Anzeiger oder der Betroffene Angehöriger des Mitglieds im Sinn des §152 Abs1 Z1 StPO ist. Nach Abs2 des §26 DSt 1990 ist auch der Untersuchungskommissär von der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung oder Entscheidung ausgeschlossen.

1.4. Nach Wortlaut und Zweck des §64 Abs2 erster Satz DSt 1990 bezieht sich die Verweisung in dieser Bestimmung - lege non distinguente - nicht nur auf die Ausschließungsgründe des §26 Abs1 DSt 1990 sondern auch auf die Regelung des §26 Abs2 leg.cit., wonach der Untersuchungskommissär von der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und Entscheidung (im Verfahren vor dem Disziplinarrat) ausgeschlossen ist. Die der Bestimmung des §26 Abs2 DSt 1990 zugrundeliegende maßgebliche Erwägung - nämlich Vorwürfen einer etwaigen Befangenheit dieses Mitglieds des Disziplinarrats aufgrund seiner Tätigkeit als Untersuchungskommissär (vgl. §28 DSt 1990) zu begegnen - hat in gleicher Weise auch für die Verfahren in zweiter Instanz Geltung, in denen dieses ehemalige Mitglied des Disziplinarrats nunmehr in derselben Disziplinarsache als Anwaltsrichter vor der OBDK tätig wird (zu diesem Ergebnis gelangt auch Lohsing/Braun, Österreichisches Anwaltsrecht, 2. Auflage, 416, zur hier vergleichbaren Rechtslage des DSt 1872).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 8731/1980, 10022/1984, 11350/1987, 13756/1994, 14731/1997). Im vorliegenden Fall hätte der Anwaltsrichter Dr. A T an der Beschlußfassung der OBDK nicht teilnehmen dürfen, sodaß die OBDK bei Erlassung ihres Bescheides nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt war. Der Beschwerdeführer ist daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

Auf die weiteren Beschwerdevorwürfe war bei diesem Ergebnis nicht weiter einzugehen.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953; in den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-

enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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