VfGH B1368/95

VfGHB1368/954.10.1995

Verletzung im Gleichheitsrecht durch in die Verfassungssphäre reichende Mangelhaftigkeit der Begründung eines Bescheides betreffend die Verleihung einer schulfesten Leiterstelle; keine Berücksichtigung wichtiger Führungsqualitäten wie Organisationstalent und Eignung zur Mitarbeiterführung

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
LDG 1984 §26
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
LDG 1984 §26

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Vertreters, die mit 18.000 S bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Beschwerdeführer steht als Hauptschuloberlehrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Tirol. Er bewarb sich ebenso wie der Beteiligte (gleichfalls ein Hauptschuloberlehrer) und ein dritter Lehrer, der jedoch seine Bewerbung zurückzog, um die im "Boten für Tirol" vom 19. Oktober 1994 ausgeschriebene schulfeste Leiterstelle an der Hauptschule Achensee.

Das Kollegium des Bezirksschulrates Schwaz schlug in seiner Sitzung vom 6. Dezember 1994 an erster Stelle den Beteiligten, an zweiter Stelle den Beschwerdeführer vor. Der Landesschulrat für Tirol erhob gegen diese Reihung keinen Einwand. Der Zentralausschuß für die Lehrer für öffentliche allgemeinbildende Pflichtschulen sprach sich für die Bestellung des Beschwerdeführers aus.

b) Mit Bescheid vom 22. März 1995 verlieh die Tiroler Landesregierung die schulfeste Leiterstelle an der Hauptschule Achensee nach §26 Abs1 und 8 des Landeslehrer-Dienstrechtgesetzes 1984 "mit Wirkung vom 1. September des Jahres, in dem der Unterrichtsbetrieb an der Hauptschule Achensee aufgenommen wird" (diese Hauptschule befand sich damals noch im Planungsstadium; es war nicht sicher, wann der Unterrichtbetrieb aufgenommen werden kann), dem Beteiligten. Mit demselben Bescheid wies sie das Bewerbungsgesuch des Beschwerdeführers ab.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die Tiroler Landesregierung als jene Behörde, die den bekämpften Bescheid erlassen hat, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Sie erstattete eine Gegenschrift, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. zB VfSlg. 13007/1992, VfGH 30.9.1994 B1877/93, jeweils mit Hinweisen auf Vorjudikatur) - Beschwerde erwogen:

1. Im Hinblick darauf, daß die zuständige Behörde eine Sachentscheidung getroffen hat, wurde der Beschwerdeführer - entgegen seiner Behauptung - nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

2. Hingegen trifft die Beschwerdebehauptung zu, der angefochtene Bescheid verletze das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger:

a) Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und da kein Anhaltspunkt dafür besteht, daß die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im zuletzt erwähnten Grundrecht nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten ist der Behörde ua. dann vorzuwerfen, wenn sie es unterläßt, sich mit den Gründen auseinanderzusetzen, die für und gegen die von ihr getroffene Entscheidung zu sprechen scheinen, sodaß sie gar nicht in die Lage kommt, Gründe und Gegengründe einander gegenüberzustellen und dem größeren Gewicht der Argumente den Ausschlag geben zu lassen (s. etwa VfSlg. 8674/1979, 9665/1983, 10942/1986; VfGH 30.9.1994 B1877/93).

Ein solcher Vorwurf ist der Landesregierung im vorliegenden Fall zu machen.

b) Die eigentliche Begründung des angefochtenen Bescheides beschränkt sich auf folgende Aussage:

"Bei der Reihung im Besetzungsvorschlag ist nach §26 Abs7 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 zunächst auf die Leistungsfeststellung, ferner auf den Vorrückungsstichtag, überdies auf die an der betreffenden Schulart zurückgelegte Verwendungszeit, sodann auf die Rücksichtswürdigkeit der Bewerber im Hinblick auf ihre sozialen Verhältnisse Bedacht zu nehmen. Aus den die Aufzählung der Reihungskriterien im §26 Abs7 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 verbindenden Wörtern 'zunächst', 'ferner', 'überdies' und 'sodann' ist zu schließen, daß das jeweils später genannte Kriterium von geringerer Bedeutung für die Besetzung der schulfesten Stelle sein soll. Hauptschuloberlehrer F weist gegenüber seinem Mitbewerber bei gleicher Leistungsfeststellung und gleichen sozialen Verhältnissen den - wenn auch nur geringfügig - günstigeren Vorrückungsstichtag (3. Juli 1976 gegenüber 11. August 1976) auf. In Bezug auf die Verwendungszeit an Hauptschulen liegt er geringfügig hinter Hauptschuloberlehrer A (16 Jahre, zwei Monate und sechs Tage gegenüber 16 Jahren, drei Monaten und 20 Tagen). Bei dieser annähernd gleichen Qualifikation der Bewerber war im Hinblick auf den leichten Vorteil von Hauptschuloberlehrer F in Bezug auf das in §26 Abs7 leg.cit. zuerst genannte Kriterium 'Vorrückungsstichtag' dem Vorschlag des Bezirksschulrates Rechnung zu tragen und die schulfeste Leiterstelle an den Genannten zu verleihen."

c) Die Beschwerde kritisiert, daß dieser Begründung sachbezogene Entscheidungsmerkmale mangelten.

d) Die Behörde hat zwar für ihre Entscheidung eine Begründung gegeben; sie hat aber die für den einen und die für den anderen Bewerber sprechenden Umstände nur mangelhaft gegeneinander abgewogen:

Die Landesregierung hat die Gründe, die für die Besetzung des Schulleiterpostens mit dem Beschwerdeführer und jene, die für die Bestellung des Beteiligten sprachen, nicht gegeneinander abgewogen, sondern sich damit begnügt, den um etwa einen Monat günstigeren Vorrückungsstichtag des Beteiligten als für dessen Bevorzugung maßgebend zu bezeichnen. Dieser Umstand allein vermag die getroffene personalpolitische Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Die Behörde hat nicht bedacht, daß §26 Abs7 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz 1984 die Auswahlkriterien nur demonstrativ aufgezählt (arg.: "Bedacht zu nehmen"), daß also noch weitere Momente bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind. So kommt es gerade bei der Funktion eines Schulleiters zB auch und besonders auf das Organisationstalent und die Eignung zum Führen von Mitarbeitern an (vgl. zB VwGH 12.5.1978 Zl. 937/77, 22.9.1983 Zl. 82/09/0053; VfSlg. 12868/1991 u. VfGH 30.9.1994 B1877/93). Die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten werden in der Regel bei einem Lehrer, der noch keinen Leiterposten bekleidet (hat) in der Leistungsfeststellung überhaupt nicht oder nur nebensächlich berücksichtigt.

Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht verletzt. Der Bescheid war infolgedessen aufzuheben (vgl. hiezu zB die ähnliche Sachverhalte betreffenden Erkenntnisse VfSlg. 12476/1990; VfGH 30.9.1994 B1877/93).

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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