Normen
StGG Art5
DSt 1990 §42
DSt 1990 §77 Abs3
StPO §381
StGG Art5
DSt 1990 §42
DSt 1990 §77 Abs3
StPO §381
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Tiroler Rechtsanwaltskammer ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.143,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Innsbruck. Gegen ihn wurde beim Disziplinarrat der Tiroler Rechtsanwaltskammer (in der Folge: Disziplinarrat) ein Disziplinarverfahren geführt, das in erster Instanz mit einer Verurteilung endete, welche von der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) bestätigt wurde.
2. Mit Bescheid des Disziplinarrates vom 23. November 2000 wurden die Kosten dieses Disziplinarverfahrens bestimmt und der Beschwerdeführer zum Ersatz dieser Kosten verpflichtet.
Im Bescheidspruch wurden die Verfahrenskosten wie folgt angeführt:
"Pauschalkosten 1. Instanz S 5.000,--
Pauschalkosten 2. Instanz S 3.000,--
Reisekosten Kammeranwalt anteilig S 2.204,50
Reisekosten Anwaltsrichter anteilig S 3.119,33
insgesamt S 13.323,83 "
3. Der dagegen erhobenen Berufung gab die OBDK mit Beschluß vom 30. April 2001, Z14 Bkd 2/01-9, keine Folge.
4. Gegen diesen als Bescheid zu wertenden Beschluß der OBDK richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art144 B-VG, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
5. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und keine Gegenschrift erstattet.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
2. Die Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften werden vom Beschwerdeführer nicht näher ausgeführt. Beim Verfassungsgerichtshof sind solche Bedenken aus Anlaß dieses Beschwerdefalls nicht entstanden.
3. Die Beschwerde wird ua. damit begründet, daß kein sachlicher Grund für die Vollzugspraxis der OBDK bestehe, die zu dem Ergebnis führt, daß Rechtsanwälte aus Tirol mit erheblich höheren Verfahrenskosten belastet werden, als Rechtsanwälte mit Kanzleisitz im Zuständigkeitsbereich einer anderen Rechtsanwaltskammer. Selbst ausgehend davon, daß das Gesetz eine Rechtsmittelbehörde mit Sitz in Wien vorsehe, gebe es keinen Grund dafür, den Rechtsschutz nach dem Kanzleisitz des Rechtsmittelwerbers verschieden zu gestalten. Das Gesetz gebiete nicht zwingend die von der OBDK vorgenommene Auslegung, wonach die Verfahrenskosten für Rechtsanwälte aus entfernteren Bundesländern höher bemessen werden, als für Rechtsanwälte mit Kanzleisitz am Sitz der Rechtsmittelbehörde. Die "verfassungsrechtlich richtige" Auslegungsvariante bestehe darin, von einer Pauschalkostenregelung auszugehen, die nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse und damit auf die Zureisekosten Bedacht nimmt, ungeachtet des Umstandes, daß das Gesetz vorsieht, daß bei Zusammensetzung der OBDK ein Anwaltsrichter aus dem Kreis derjenigen Rechtsanwälte kommen soll, die von der Rechtsanwaltskammer des Beschuldigten gewählt wurden (§63 Abs2 des Disziplinarstatuts für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, in der Folge: DSt 1990).
4. Der Beschwerdeführer ist im Ergebnis im Recht:
4.1. In seinem Erkenntnis VfSlg. 7093/1973 hat der Verfassungsgerichtshof über eine Beschwerde gegen einen Bescheid der OBDK, in dem neben der Verpflichtung zum Ersatz der Pauschalkosten des Disziplinarverfahrens zusätzlich auch der Ersatz der Reisekosten der Anwaltsrichter und des Kammeranwalts vorgeschrieben wurde, folgendes ausgesprochen:
"Der bekämpfte Bescheid ist (...) an den gemäß §41 Abs2 Disziplinarstatut sinngemäß anzuwendenden Vorschriften der Strafprozeßordnung zu messen.
Als Rechtsgrundlage des Pauschalkostenbeitrages ist somit §381 Abs1 Z1 StPO sinngemäß heranzuziehen. Was den Ersatz der Reisegebühren für einen Anwaltsrichter und den Kammeranwaltstellvertreter (je 900 S) betrifft, so ist zunächst festzustellen, daß auch diesbezüglich - da es hiefür eine Sonderregelung außerhalb des §41 Abs2 DSt nicht gibt - die Strafprozessordnung sinngemäß anzuwenden ist. Es erhebt sich daher die Frage, welche Regelung der StPO hinsichtlich des Ersatzes der dem Bund erwachsenden Reisekosten für Richter und Staatsanwälte gilt. Diese Kosten der Strafrechtspflege dürfen, da keine spezielle gesetzliche Vorschrift anderes anordnet, nur im Rahmen des Pauschalbetrages gemäß §381 Abs1 Z1 StPO zum Ersatz vorgeschrieben werden. Demnach ist es denkunmöglich, bei der Ermittlung der vom Verurteilten zu ersetzenden Kosten des Disziplinarverfahrens gemäß §41 Abs2 DSt neben dem Pauschalkostenbeitrag auch die in Rede stehenden Reisekosten in Rechnung zu stellen. Die belangte Behörde hat also, indem sie bei der Bemessung der zu ersetzenden Strafverfahrenskosten die Reisekosten eines Anwaltsrichters und des Kammeranwaltsstellvertreters neben dem Pauschalkostenbeitrag als gesondertes Kostenelement heranzog, gesetzlos gehandelt. Insoweit, als diese Reisekosten in Höhe von 1800 S im festgesetzten Betrag von 3350 S enthalten sind, ist der angefochtene Bescheid gesetzlos."
Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Grund, von der diesem Erkenntnis zugrundeliegenden Auffassung abzugehen. Die zum Zeitpunkt der Erlassung des hier angefochtenen Bescheides geltende Rechtslage führt zum gleichen Resultat:
4.2. §77 DSt 1990 lautet:
"Sinngemäße Anwendung von Bestimmungen der Strafprozeßordnung
(1) Für die Berechnung von Fristen, die Beratung und Abstimmung sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozeßordnung.
(2) Für die Wiedereinsetzung gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozeßordnung mit der Maßgabe, daß die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung aller Fristen - ausgenommen die Wiedereinsetzungsfrist und die im §33 Abs2 genannte Frist - zulässig ist. Über einen Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Disziplinarbehörde, bei der die versäumte Prozeßhandlung vorzunehmen war.
(3) Im übrigen sind die Bestimmungen der Strafprozeßordnung im Disziplinarverfahren auch insoweit sinngemäß anzuwenden, als sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt und die Anwendung der Bestimmungen der Strafprozeßordnung mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens vereinbar ist."
§41 DSt 1990 lautet:
"(1) Nach Rechtskraft des Disziplinarerkenntnisses ist die Höhe der vom Beschuldigten zu ersetzenden Kosten (Pauschalkosten und Barauslagen) vom Vorsitzenden des Senats mit Beschluß festzusetzen.
(2) Die Pauschalkosten sind nach Maßgabe des Umfangs und des Ausgangs des Verfahrens unter Vermeidung unbilliger Härten zu bemessen; sie dürfen 5 vH des im §16 Abs1 Z2 genannten Betrags nicht übersteigen.
(3) Die Barauslagen des Disziplinarverfahrens erster und zweiter Instanz hat die Rechtsanwaltskammer am Sitz des Disziplinarrats vorläufig zu tragen.
(4) Wird der Beschuldigte freigesprochen oder sind die Verfahrenskosten uneinbringlich, so hat die Rechtsanwaltskammer, die die Barauslagen vorläufig getragen hat, diese endgültig zu tragen, in den Fällen der §§6 und 25 jedoch diejenige, in deren Liste der Rechtsanwalt eingetragen ist."
4.3. Das DSt 1990 enthält keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für eine Verpflichtung des Beschuldigten zum Ersatz der Reise- und Aufenthaltskosten der Anwaltsrichter und des Kammeranwalts. Gemäß §42 Abs1 DSt 1990 setzen sich die vom Disziplinarbeschuldigten zu ersetzenden Kosten aus den "Pauschalkosten" einerseits und den "Barauslagen" anderseits zusammen. Das DSt 1990 enthält jedoch keine Definition für die von ihm verwendeten Begriffe der "Pauschalkosten" und der "Barauslagen" und keine Regelung zur Frage, welche der in Disziplinarverfahren entstehenden Aufwendungen als "Barauslagen" anzusehen sind und welche vom Begriff der "Pauschalkosten" gemäß §41 Abs1 und 2 DSt 1990 abgedeckt sind.
4.4. Soweit aber das Disziplinarstatut eine solche Regelung nicht vorsieht, ist - die Besonderheiten des Disziplinarverfahrens stehen dem nicht entgegen - gemäß §77 Abs3 DSt 1990 subsidiär die StPO 1975 heranzuziehen.
Die StPO 1975 enthält eine solche nähere Regelung in §381:
§381 Abs1 StPO lautete zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (idF BGBl. Nr. 762/1996):
"(1) Die Kosten des Strafverfahrens, die von der zum Kostenersatze verpflichteten Partei zu ersetzen sind, umfassen:
1. einen Pauschalbetrag als Anteil an den im folgenden nicht besonders angeführten Kosten der Strafrechtspflege einschließlich der Kosten von Amtshandlungen der Sicherheitsbehörden und ihrer Organe im Dienste der Strafjustiz (Pauschalkostenbeitrag);
2. die Gebühren der Sachverständigen, sofern diese Gebühren insgesamt den Betrag von 1000 S übersteigen;
3. eine Vergütung für Auskünfte, Befunde und Gutachten von Behörden (Ämtern, Anstalten) in der Höhe, wie sie für solche Auskünfte, Befunde und Gutachten in Privatangelegenheiten zu entrichten wäre;
4. die Kosten der Beförderung und Bewachung des Beschuldigten im Zusammenhang mit seiner Überstellung aus einem anderen Staat sowie die Kosten aus dem Ausland geladener Zeugen, sofern diese Kosten insgesamt den Betrag von 1 000 S übersteigen;
5. die durch die Beschlagnahme von Sachen verursachten Kosten, sofern sie insgesamt den Betrag von 1000 S übersteigen;
6. die Kosten der Vollstreckung des Strafurteiles, ausgenommen die Kosten des Vollzuges einer Freiheitsstrafe;
7. die im Strafverfahren zu entrichtenden Gerichtsgebühren;
8. die Kosten der Verteidiger und anderer Parteienvertreter."
Innerhalb des - übergeordneten - Begriffs jener "Kosten des Strafverfahrens, die von der zum Kostenersatz verpflichteten Partei zu ersetzen sind" (§381 Abs1 StPO) nennt die StPO 1975 zunächst den "Pauschalkostenbeitrag", der einen Anteil an den Kosten der Strafrechtspflege im allgemeinen darstellt (§381 Abs1 Ziffer 1);
Über diesen Pauschalkostenanteil hinaus sind vom Beschuldigten nur solche Kosten zu ersetzen, die in den Ziffern 2 bis 8 des §381 Abs1 StPO taxativ aufgezählt sind. Die Aufzählung umfaßt vor allem die durch ein Verfahren spezifisch veranlaßten Kosten (wie etwa Sachverständigengutachten, Gebühren für die Anreise ausländischer Zeugen, etc.). Nicht in dieser Aufzählung enthalten sind etwa die Kosten der Schriftführer, der Tonbandaufzeichnung, des Kanzleipersonals oder aber auch der Kostenersatz für Richter und den öffentlichen Ankläger. Diese Kosten werden daher von der StPO vielmehr als "Kosten der Strafrechtspflege" angesehen, zu deren (teilweiser) Abgeltung eben der "Pauschalkostenbeitrag" vorgesehen ist.
4.5. Zieht man diese der StPO zugrundeliegende Unterscheidung bei der Definition der "Pauschalkosten" von der Definition der sonstigen Kosten des Strafverfahrens (Barauslagen) sinngemäß im Disziplinarverfahren der Rechtsanwälte heran (dies erfordert die Bestimmung des §77 DSt 1990, soweit das DSt 1990 eine solche nähere Definition der von ihm verwendeten Begriffe nicht kennt), so ergibt sich, daß die Auslagen für Anwaltsrichter und Ankläger - soweit diese überhaupt als "Verfahrenskosten" angesehen werden können - jedenfalls als "Kosten der Strafrechtspflege" und daher als "Pauschalkosten" im Sinne des §381 Abs1 Ziffer 1 StPO anzusehen sind. Sie sind daher vom "Pauschalkostenbeitrag" des §42 DSt 1990 bereits umfaßt und können keinesfalls als zusätzliche "Barauslagen" eines Verfahrens verstanden werden.
5. Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Ein solcher Eingriff ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10356/1985, 10482/1985, 11650/1988) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergeht oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendet, ein Fall, der nur dann vorliegt, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begeht, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist.
6. Eine Überwälzung der Kosten der Anreise und des Aufenthalts der Anwaltsrichter und des Kammeranwaltes auf den einzelnen Beschuldigten unter dem Titel der "Barauslagen" - zusätzlich zur Vorschreibung des Pauschalkostenbeitrages - erweist sich im Lichte des oben Gesagten als unvertretbar (vgl. das oben zitierte Erkenntnis VfSlg. 7093/1973).
Indem die OBDK bei Erlassung des angefochtenen Bescheides von dieser Auslegung ausging, verletzte sie daher den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.
7. Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
8. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-
enthalten.
9. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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