VfGH B124/95

VfGHB124/9511.6.1996

Verletzung im Eigentumsrecht durch denkunmögliche Gesetzesanwendung bei Erteilung eines wasserpolizeilichen Auftrags zur Beseitigung bewilligungslos abgelagerter Abfälle ohne Prüfung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit und Adäquanz der angeordneten Maßnahme

Normen

StGG Art5
WRG 1959 §138 Abs1 lita
StGG Art5
WRG 1959 §138 Abs1 lita

 

Spruch:

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 13.344,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der beschwerdeführenden Gesellschaft wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 30. November 1994, Z513.308/02-I5/94, der Auftrag gemäß §138 Abs1 Wasserrechtsgesetz 1959, BGBl. 215/1959, (WRG 1959), erteilt, "die unerlaubte Neuerung der bewilligungslosen Versickerung von Oberflächenwassern ..., die fallweise Ableitung von Abwässern aus der Vorreinigungsanlage ... sowie die bewilligungslose Ablagerung von Abfällen aus der ehemaligen Edelmetallscheideanstalt bis spätestens 31.7.1995 zu beseitigen".

2. Die beschwerdeführende Gesellschaft bekämpft diesen Bescheid "(nur) insoweit ..., als er ... den Auftrag erteilt 'die bewilligungslose Ablagerung von Abfällen aus der ehemaligen Edelmetallscheideanstalt bis spätestens 31.07.1995 zu beseitigen'". In ihrer Beschwerde gemäß Art144 B-VG macht die beschwerdeführende Gesellschaft die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend.

2. Die beschwerdeführende Gesellschaft begründet die behaupteten Rechtsverletzungen im wesentlichen wie folgt:

2.1. Die belangte Behörde habe mit dem angefochtenen Bescheid die Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg. 13587/1993 ignoriert. Demnach sei Voraussetzung für die Haftungsinanspruchnahme eines Liegenschaftseigentümers, der nicht selbst eine wasserrechtswidrige Maßnahme zu vertreten habe, "daß der Dritte, der die wasserrechtswidrige Maßnahme gesetzt hat, nicht selbst zur Beseitigung der eigenmächtig vorgenommenen Maßnahme 'verhalten oder zum Kostenersatz herangezogen werden kann'". Da die Verursacherin der Ablagerungen, "nämlich die Fa. T", unbestrittenermaßen nach wie vor existiere, hätte sie von der Wasserrechtsbehörde sowohl zur Beseitigung der strittigen Ablagerung oder wahlweise zum Kostenersatz verpflichtet werden können. Gegenteiliges sei weder im erstinstanzlichen noch im angefochtenen Bescheid festgestellt worden.

2.2. Weiters seien die zusätzlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Liegenschaftseigentümers gemäß §138 Abs4 WRG 1959 im vorliegenden Fall nicht gegeben: Eine Zustimmung bzw. Duldung der Ablagerung oder Unterlassung von Abwehrmaßnahmen gegen die Ablagerung könne der beschwerdeführenden Gesellschaft schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil die Ablagerungen vorgenommen wurden, bevor sie die Liegenschaft erworben habe. Auch bei Erwerb der Liegenschaft habe die beschwerdeführende Gesellschaft von den verbotenen Ablagerungen nichts gewußt. Vielmehr habe die Verkäuferin, "die Fa. T, im Kaufvertrag ausdrücklich versichert, daß alle behördlichen Genehmigungen (zu denen selbstverständlich auch solche wasserrechtlicher Natur gehören) erteilt worden sind".

Im übrigen sei fraglich, ob es verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sei, daß die Haftung des Liegenschaftseigentümers für von seinem Rechtsvorgänger vorgenommene verbotene Ablagerungen darauf gegründet werden könne, daß dieser bei Erwerb der Liegenschaft von diesen Ablagerungen Kenntnis hatte oder gar nur Kenntnis hätte haben müssen.

3. Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft erstattete eine Gegenschrift und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Die "Firma T" habe seit 1946 eine Edelmetallscheideanstalt betrieben und die Abfälle aus dieser Anstalt bis in die siebziger Jahre ostseitig am Abhang zum Weißenbach abgelagert und anschließend den Hang begrünt. Mit Kaufvertrag vom 1. Jänner 1991 habe die beschwerdeführende Gesellschaft von der "Firma T" die bescheidgegenständliche Liegenschaft samt Betriebsanlage erworben. Die Behauptung der beschwerdeführenden Gesellschaft, sie habe bei Erwerb der Liegenschaft von der Ablagerung nichts gewußt, sei falsch. Aus dem Akt sei zu entnehmen, daß ein Vertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft im Rahmen einer Vorsprache die Ablichtung eines Schriftstückes, datiert vom 18.12.1990, der erstinstanzlichen Behörde zur Kenntnisnahme vorgelegt habe, in welchem die "Firma T" als Verkäuferin - u.a. - darauf hin(wies), daß sie seit 1946 eine Edelmetallscheideanstalt betrieben habe, wobei die Abfälle bis in die 70iger Jahre ostseitig am Abhang zum Weißenbach abgelagert worden seien".

Zur Frage einer primären Haftung der beschwerdeführenden Gesellschaft gemäß §138 Abs1 WRG 1959 oder einer subsidiären Haftung gemäß §138 Abs4 WRG 1959 verweist die belangte Behörde auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach eine Übertretung iSd §138 Abs1 WRG 1959 iVm. §32 und §31 b WRG 1959 so lange vorliege, "als diese Ablagerungen fortbestehen, ohne durch eine wasserrechtliche Bewilligung gedeckt zu sein".

§138 Abs4 WRG 1959 komme nur in Betracht, "wenn der Verursacher der Ablagerung mit dem Grundeigentümer nicht ident ist, denn nur dann kann von einer Zustimmung oder Duldung des Grundeigentümers die Rede sein. Im vorliegenden Fall aber hat der Grundeigentümer - die Firma T - selbst die gegenständliche Ablagerung getätigt, und zwar im Rahmen ihres Betriebes auf der gegenständlichen Liegenschaft. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsnachfolgerin der Firma T im Eigentum an Grundstück und Betriebsanlage, sie ist daher auch in die Verpflichtungen der Firma T nach §138 Abs1 WRG eingetreten."

Im übrigen könne die primäre Haftung der beschwerdeführenden Gesellschaft auch nicht als unverhältnismäßig angesehen werden, "weil sie sich als Rechtsnachfolgerin der Firma T an dieser - z. B. im Wege der Gewährleistung - schadlos halten könnte".

4. In einer weiteren Stellungnahme betont die beschwerdeführende Gesellschaft die ihrer Ansicht nach bloß sekundäre Haftungsverpflichtung des Liegenschaftseigentümers insbesondere unter Hinweis auf §137 Abs5 litc iVm §31 b WRG 1959 sowie §31 Abs4 und 6 WRG 1959.

5. In einer zusätzlichen Äußerung vom 9. Juni 1995 wiederholt

die belangte Behörde im wesentlichen ihre früheren Ausführungen

und ergänzt, daß "die Frage der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der

Beseitigung ... im Berufungsverfahren durch die

Beschwerdeführerin nicht eingewendet (wurde) und ... auch nach

dg. Rechtsprechung im Bereich der Primärhaftung nach §138 WRG nicht relevant (ist)".

6. Sowohl die beschwerdeführende Gesellschaft als auch die belangte Behörde erstatteten jeweils eine zusätzliche Äußerung.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Mit Erkenntnis VfSlg. 13587/1993 stellte der Verfassungsgerichtshof fest, daß die vom Verwaltungsgerichtshof der Vorschrift des §138 Abs1 lita WRG 1959 entnommene "Zustandsstörerhaftung" des Liegenschaftseigentümers mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Schutz des Eigentums nur dann vereinbar ist, wenn der auf §138 Abs1 lita WRG 1959 gestützte Eingriff der Wasserrechtsbehörde in die genannten Grundrechte auch die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen beachtet, unter denen derartige Eingriffe zulässig sind. Es sei nämlich "davon auszugehen, daß auch im besonderen öffentlichen Interesse gelegene Verpflichtungen, die mit einer erheblichen Vermögensbelastung verbunden sind, einem Liegenschaftseigentümer unabhängig von seinem persönlichen, die Verpflichtung auslösenden Verhalten nur auferlegt werden dürfen, wenn ihm dies unter Bedachtnahme auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wirtschaftlich zumutbar ist. Auch unter Berücksichtigung der im öffentlichen Interesse verfassungsrechtlich zugelassenen und gesetzlich vorgesehenen Schranken des (Liegenschafts-)Eigentums dürfen daher von Verfassungs wegen dem Eigentümer von hoher Hand keine Lasten auferlegt werden, die ihn mit Rücksicht auf ihre Schwere einerseits und seinem aus dem Eigentum gezogenen Nutzen andererseits unverhältnismäßig treffen und ihm daher wirtschaftlich nicht zumutbar sind."

2. In VfSlg. 13587/1993 führte der Verfassungsgerichtshof ferner aus, daß die "in verfassungskonformer Auslegung dem §138 Abs1 WRG 1959 bereits vor der WRG-Nov. 1990 immanente Voraussetzung der Zumutbarkeit wasserpolizeilicher Aufträge an den Grundeigentümer bei eigenmächtig von Dritten ohne wasserrechtliche Bewilligung vorgenommenen Neuerungen ... im Wege der WRG-Nov. 1990 durch Anfügung des Abs4 an §138 WRG 1959 für bestimmte Fälle entsprechend konkretisiert" worden sei. Eine vermögensmäßige Belastung eines Grundeigentümers durch einen wasserpolizeilichen Auftrag nach §138 WRG 1959 sei verfassungsrechtlich aus Gründen des Gleichheitssatzes und des Eigentumsschutzes schon wegen des dieser Bestimmung immanenten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur zulässig, wenn er wirtschaftlich dem Eigentümer zugemutet werden kann.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums dann durch den Eingriff einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn diese Behörde ein an sich verfassungsmäßiges Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hat (vgl. VfSlg. 10370/1985, 11470/1987).

Die belangte Behörde vertrat sowohl bei Erlassung des angefochtenen Bescheides als auch in der vor dem Verfassungsgerichtshof erstatten Äußerung vom 9. Juni 1995 die Auffassung, einen wasserpolizeilichen Auftrag an die beschwerdeführende Gesellschaft als Grundstückseigentümerin lediglich gestützt auf §138 Abs1 lita WRG 1959 erlassen zu dürfen, ohne die Zumutbarkeit eines derartigen Auftrags gegenüber der Grundstückseigentümerin gemäß dem Abs4 des §138 WRG 1959 prüfen zu müssen. Der Verfassungsgerichtshof kann es hier aus verfassungsrechtlicher Sicht dahingestellt sein lassen, ob gegenüber der beschwerdeführenden Gesellschaft ein wasserpolizeilicher Auftrag ausschließlich auf Grund §138 Abs1 lita WRG 1959 oder unter Berücksichtigung des Abs4 dieser Gesetzesbestimmung in Erwägung zu ziehen ist. Die Behörde hat nämlich auch §138 Abs1 lita WRG 1959 verfassungswidrig dahin verstanden, daß sie den Auftrag ohne Prüfung seiner wirtschaftlichen Zumutbarkeit und Adäquanz im Hinblick auf die vom öffentlichen Interesse zweifellos geforderte Beseitigung des konsenslosen Zustandes erteilte. Sie hat damit dem Gesetz einen denkunmöglichen, weil verfassungswidriger Weise dem Schutz des Eigentums widersprechenden Inhalt unterstellt. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die beschwerdeführende Gesellschaft sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletzt. Der Bescheid war daher aufzuheben.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.224,-

enthalten.

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