VfGH B1244/2013

VfGHB1244/201322.9.2014

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch einen Ersatzbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien betreffend eine Maßnahmenbeschwerde; Willkür durch völliges Außerachtlassen der Regelung des AVG über den Grundsatz der Unmittelbarkeit sowie wegen neuerlicher Aktenwidrigkeiten

Normen

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
SicherheitspolizeiG §88
AVG §67f Abs1
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
SicherheitspolizeiG §88
AVG §67f Abs1

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.000,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind Hinterbliebene des am 13. Jänner 2009 in Wien-Floridsdorf ermordeten anerkannten Flüchtlings I. Mit Eingabe vom 24. Februar 2009 erhoben sie Maßnahmenbeschwerden an den Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Wien, da die österreichischen Behörden es unterlassen hätten, das Leben des I. zu schützen. Den diese Beschwerden abweisenden Bescheid des UVS Wien vom 23. März 2011 hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Dezember 2012 (VfSlg 19.708/2012) auf. Mit Bescheid vom 9. September 2013 wies der UVS Wien in veränderter Besetzung die Beschwerde neuerlich ab.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte gemeinsame Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das Mitglied der belangten Behörde, das den angefochtenen Bescheid verfasst habe, an der im ersten Rechtsgang durchgeführten mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen und keine neuerliche mündliche Verhandlung durchgeführt habe, worin ein Verstoß gegen §67f Abs1 AVG idF BGBl 51/1991 liege. Der Bescheid beruhe darüber hinaus auf zahlreichen Aktenwidrigkeiten und groben Ermittlungsfehlern; ihm fehle jeglicher Begründungswert.

4. Das Verwaltungsgericht Wien legte als Rechtsnachfolger der belangten Behörde die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und schloss sich den Anträgen der Beschwerdeführer "im Hinblick auf die zu Recht geltend gemachten Verfahrensfehler und Aktenwidrigkeiten" an.

II. Rechtslage

Die maßgebliche (bis zu ihrer Aufhebung durch BGBl I 33/2013 unveränderte) Bestimmung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG, BGBl 51/1991 lautet:

"Unmittelbarkeit des Verfahrens; Beratung und Abstimmung

§67f. (1) Hat eine Verhandlung stattgefunden, so kann die Entscheidung nur von jenen Mitgliedern des unabhängigen Verwaltungssenates getroffen werden, die an dieser Verhandlung teilgenommen haben. Wenn sich die Zusammensetzung der Kammer geändert hat, ist die Verhandlung zu wiederholen.

(2) […]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet ein Bescheid, wenn er auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn die belangte Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:

3.1. §67f Abs1 AVG in der von der Behörde anzuwendenden Fassung bestimmt, dass – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – die Entscheidung von jenen UVS-Mitgliedern zu treffen ist, die an ebenjener Verhandlung teilgenommen haben. Andernfalls ist die Verhandlung zu wiederholen. Dies gilt auch für den Fall, dass die Entscheidung nach einer Aufhebung (hier) durch den Verfassungsgerichtshof neuerlich zu erfolgen hat.

Nur bei Vorliegen besonderer Gründe ist es verfassungsrechtlich zulässig, vom Grundsatz der Unmittelbarkeit abzugehen.

Solche besonderen Umstände sind dem Verfassungsgerichtshof hier nicht ersichtlich:

Das nunmehr erkennende UVS-Mitglied hat an den Verhandlungen vom 1. und 22. März 2011 im ersten Rechtsgang nicht teilgenommen. Dem Bescheid ist auch nicht zu entnehmen, welche besonderen Gründe vorgelegen hätten, die die Betrauung eines anderen UVS-Mitgliedes gerechtfertigt hätten. Dem Unmittelbarkeitsgrundsatz ist auch nicht durch eine Wiederholung der Verhandlung gemäß §67f Abs1 zweiter Satz AVG Rechnung getragen worden; den Verwaltungsakten ist ein entsprechender Hinweis nicht zu entnehmen. Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde diese klar formulierte Bestimmung ohne jegliche Begründung völlig außer Acht gelassen hat (zur Missachtung der insofern vergleichbaren, außer Kraft getretenen Bestimmung des §10 Abs1 zweiter Satz AsylGHG vgl. auch VfSlg 19.153/2010).

3.2. Zudem beruht der angefochtene Bescheid erneut auf Aktenwidrigkeiten und nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerungen, die nahelegen, dass der maßgebliche Sachverhalt in grundlegenden Punkten nicht durchdrungen wurde (vgl. zur Notwendigkeit, im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt zu treffen, VfSlg 19.708/2012). Besonders erheblich ist, dass sogar die Namen der für den Sachverhalt relevanten Personen teilweise falsch zugeordnet wurden, u.a. das Opfer des Attentates als seine eigene Kontaktperson benannt wurde (vgl. S 10 des angefochtenen Bescheides). Ebenso lässt sich anhand der protokollierten Zeugenaussagen der Schluss nicht nachvollziehen, dass der Verstorbene bei seiner Einvernahme am 26. August 2008 eine Gefahrensituation verneint habe (vgl. S 18 des angefochtenen Bescheides).

3.3. Die aufgezeigten Mängel wiegen in ihrer Gesamtheit so schwer, dass sie den angefochtenen Bescheid mit Willkür belasten.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Der Bescheid ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer durch eine Rechtsanwältin vertreten sind, war der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in der Höhe von 25 %, zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist überdies Umsatzsteuer in der Höhe von € 500,– enthalten.

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