Normen
B-VG Art144 Abs1 / Anlegen von Handfesseln
B-VG Art144 Abs3
StGG Art8 / Verletzung
EMRK Art3
StPO §177 Abs1
VfGG §88
B-VG Art144 Abs1 / Anlegen von Handfesseln
B-VG Art144 Abs3
StGG Art8 / Verletzung
EMRK Art3
StPO §177 Abs1
VfGG §88
Spruch:
I. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er am 23. Dezember 1985 gegen 18,10 Uhr von Gendarmeriebeamten festgenommen, zum Gendarmerieposten Strass i.Z. gebracht und dort bis etwa 21.00 Uhr angehalten wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
II. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihm im Verlauf der vorbezeichneten Anhaltung von Gendarmeriebeamten Handfesseln angelegt wurden, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
III. Die Prozeßkosten werden gegeneinander aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wendet sich der Einschreiter einerseits dagegen, daß er am 23. Dezember 1985 (ohne Vorliegen eines richterlichen Haftbefehls) von Gendarmeriebeamten festgenommen sowie zum Gendarmerieposten Strass i.Z. gebracht und dort angehalten wurde. Gegenstand der Beschwerde ist andererseits, daß dem Beschwerdeführer im Verlauf dieser Amtshandlung Handfesseln angelegt wurden. Der Beschwerdeführer erblickt hierin Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und erachtet sich durch die Festnahme und Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit sowie durch das Anlegen von Handfesseln im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, nicht einer erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt.
2. Die belangte Bezirkshauptmannschaft Schwaz legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, mit der die Abweisung der Beschwerde begehrt wird.
II. Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nur teilweise gerechtfertigt.
1.a) Wie aufgrund der vorgelegten Verwaltungsakten im Zusammenhalt mit dem im wesentlichen übereinstimmenden Vorbringen beider Verfahrensparteien feststeht, wurde der Beschwerdeführer am 23. Dezember 1985 gegen 18,15 Uhr von Gendarmeriebeamten festgenommen, zum Gendarmerieposten Strass i.Z. gebracht und dort bis etwa 21.00 Uhr (- zu diesem Zeitpunkt begann eine Vernehmung des Beschwerdeführers, der deutscher Staatsangehöriger ist, durch den im Gendarmerieposten erschienen fremdenpolizeilichen Referenten der Bezirkshauptmannschaft Schwaz -) angehalten. Anlaß der Festnahme war ein dem Gendarmerieposten am 23. Dezember 1985 um etwa 14,35 Uhr fernmündlich voraus und um 15,42 Uhr fernschriftlich vom Landesgendarmeriekommando für Tirol übermitteltes Fahndungsersuchen der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Oberösterreich, demzufolge der Beschwerdeführer wegen des Verdachts, am selben Tag um etwa 6,50 Uhr einen näher beschriebenen bewaffneten Raubüberfall verübt zu haben, festzunehmen sei. Ein weiteres Fernschreiben der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Tirol von 17,23 Uhr enthielt für den Gendarmerieposten Strass i.Z. den Zusatz: "Auf Vorgänge im Bereich Zillertal-Tenne wird hingewiesen. Da ein Zusammenhang mit dem Raub in Kematen nicht ausgeschlossen werden kann, wären entsprechende Maßnahmen zu treffen."
b) Daß die vom Beschwerdeführer bekämpfte, nicht auf einem richterlichen Haftbefehl beruhende Festnehmung und Anhaltung seiner Person als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG anfechtbar ist, bedarf im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (zB VfSlg. 9934/1984) keiner weiteren Begründung. Auch die übrigen Voraussetzungen zur Anfechtung dieser sicherheitsbehördlichen Maßnahmen sind gegeben.
c) In rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes aus dem Blickwinkel der geltend gemachten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, daß der Beschwerdeführer im Dienste der Strafjustiz ohne richterlichen Haftbefehl festgenommen und verwahrt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob diese Freiheitsbeschränkung nach §177 (§10 Z1) StPO iVm §175 StPO zulässig war. Gemäß §177 Abs1 (§10 Z1) StPO darf die vorläufige Verwahrung einer Person, die eines Verbrechens oder eines - nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenen - Vergehens verdächtig ist, in allen Fällen der Haftgründe nach §175 Abs1 Z2 bis 4 und Abs2 (- im vorliegenden Fall scheidet der Haftgrund der Z1 im §175 Abs1 von vornherein aus -) zum Zweck der Vorführung vor den Untersuchungsrichter ausnahmsweise auch durch ein Organ der Sicherheitsbehörde ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden, wenn die Einholung eines richterlichen Befehls wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich ist (vgl. auch dazu VfSlg. 9934/1984). Davon kann im Beschwerdefall im Hinblick auf den mehrere Stunden währenden Zeitraum zwischen den vorhin erwähnten Fernschreiben und der Festnahme des Beschwerdeführers nicht die Rede sein. Seine Festnahme und weitere Anhaltung erweist sich somit schon aus diesem Grund als gesetzwidrig und demgemäß als festzustellende Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit, sodaß auf weitere Fragen wie etwa die nach dem Bestehen eines (konkreten) Tatverdachtes überhaupt nicht einzugehen war.
2.a) Aufgrund der vorgelegten Verwaltungsakten sowie des im wesentlichen übereinstimmenden Vorbringens beider Prozeßparteien steht weiters fest, daß dem Beschwerdeführer am Gendarmerieposten Strass i.Z. Handfesseln angelegt wurden; diese wurden ihm zu Beginn seiner Einvernahme durch mittlerweilen erschienene Beamte der Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Tirol abgenommen.
b) Die Prozeßvoraussetzungen bezüglich dieser angefochtenen Amtshandlung sind gegeben; es genügt hiezu auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs (zB VfSlg. 11146/1986 mit weiteren Judikaturangaben) hinzuweisen.
c) Nach der glaubwürdigen Darstellung durch die belangte Behörde lag der Grund für das Anlegen von Handfesseln darin, daß zur Bewachung des Beschwerdeführers (bis zum Eintreffen der Beamten der Kriminalabteilung) lediglich ein Gendarmeriebeamter habe abgestellt werden können. Unter Bedachtnahme auf diese Situation sowie auf den Umstand, daß der Beschwerdeführer aus der Sicht der im Gendarmerieposten dienstversehenden Beamten eines verhältnismäßig kurze Zeit vorher verübten bewaffneten Raubüberfalls verdächtig war, erscheint das vorübergehende Anlegen von Handfesseln (bis zum Eintreffen der Beamten der Kriminalabteilung) als gerechtfertigt; wenngleich aufgrund der vorgenommenen Personsdurchsuchung feststand, daß der Beschwerdeführer unbewaffnet war, war dennoch weder eine Gefährdung des ihm allein gegenüberstehenden Gendarmeriebeamten noch ein Fluchtversuch auszuschließen.
Eine gerechtfertigte Fesselung - wie hier - verstößt jedoch nicht gegen Art3 MRK. Der Beschwerdeführer wurde sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unterlassung einer erniedrigenden Behandlung nicht verletzt (vgl. zB VfSlg. 9836/1983 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen); es besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, daß er in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war sohin insoweit abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; da die Prozeßparteien jeweils zu etwa gleichen Teilen obsiegten bzw. unterlagen, wurden die Prozeßkosten gegeneinander aufgehoben.
III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
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